Der Schmerz taut auf
Wie schön ist Schnee. Weich werden unsre Schritte,
und ohne Blumen blüht die leere Mitte.
Wenn unsre Schmerzen keusche Kissen kühlen,
ist uns, als ob der Traum durch Flocken glitte
und Lippen sich ins Namenlose wühlen.
Doch taut er. Pfad und Feld, sie liegen offen,
und zarte Knospen quält ein wildes Hoffen,
daß sie den Duft vergebens nicht verschwenden.
Ins graue Herz hat uns der Strahl getroffen,
das dunkle ihm, der Verse Blut zu spenden.
Zerlaufenes Wachs
Die Linien, so Ton an Ton gefügt sich winden,
verflechten sich graziös zu Tanzfiguren.
Das Dämmerdickicht schluckt des Zwieschritts Spuren,
die wieder sich im stillen Schneelicht finden.
O könnten Verse über Tiefen gleiten,
wie Wasservögel auf schwanken Blättern schreiten.
Mag uns der Seele Docht ein Lied entzünden,
das wie im Halbschlaf wir des Nachts vernommen.
Wie ist er knisternd bald herabgeglommen.
Zerlaufenes Wachs muß formlos in das Dunkel münden.
So löscht die Nacht der Knospen süßen Schimmer,
erstickt der Verse Duft im Sterbezimmer.
Laß alles liegen
Du beugst dich, legst die Rose auf den Stein,
liest Verse, halb vom fahlen Moos verdeckte:
„O Knospe, Glanz, der mir das Wort erweckte,
umweht von Schatten, blühest du allein.“
Gehst du die Pfade, so ihr ginget einst,
siehst dämmern du das Veilchen, Lilien leuchten.
Du fühlst es kaum, wie sich die Augen feuchten,
und lächelst traumentrückt, auch wenn du weinst.
Laß alles liegen, Bücher, Bilder, Briefe,
verschließ die Tür, und wirf den Schlüssel fort.
Als ob ein Rauschen dich zu Meeren riefe,
blaßt hinter dir verstummter Quelle Hort.
Schon wirbeln Fäden Lichtes in die Tiefe,
kühlt dich ein Hauch aus saphirblauem Fjord.
Daß ich noch um dich kreise
Dem Andenken an Stefan George
Daß ich noch, ferne Flamme, um dich kreise,
und trüber Lüfte Schleier schluckt das Licht.
Als könntest wärmen du noch mein Gedicht,
hör ich es klirren doch, als wär’s von Eise.
Magst du noch, ferne Quelle, Wunden heilen,
ich ahn es kaum, in Wüstenei verbannt.
Der Vers knirscht mir von unfruchtbarem Sand.
Ein Tropfen bloß, es seufzen auf die Zeilen.
Bist du es, Leuchten noch aus Dämmerreben,
als täte Glut der Traube Wahrheit kund,
bald tränke sich Gesang der stumme Mund,
und bleiche Lippen röte noch ein Leben.
O Tempora
Philosophische Sentenzen und Aphorismen
Farbenblindheit mischt die Farben, Geschmacklosigkeit dekretiert, über Geschmack lasse sich nicht streiten.
Das Maß der durch zeitgeistige Themen und Quoten ideologisch diktierten Beteiligung an Lehre und Forschung steht in umgekehrtem Verhältnis zur resultierenden durchschnittlichen Intelligenzquote und der Qualität akademisch-wissenschaftlicher Hervorbringungen. – Daher der Niedergang der höheren Bildung, daher der Untergang der Universität.
Der alte weiße Mann, vom Weltgericht schuldig gesprochen, sich dem jungen schwarzen gegenüber respektlos, überheblich und ungebührlich verhalten zu haben, tritt seine Strafe an: allmähliches Dahinsiechen in Selbsterniedrigung, Selbstverdummung und Selbstverstümmelung mittels Auslöschung oder Umbenennung aller wesentlichen Namen, Begriffe und Rituale der angestammten Tradition.
Der kastrierte Geist feiert sich in gendergerechter Sprache.
Die Fliege geistiger Trägheit, die sich dem Ausweg aus dem Fliegenglas verweigert.
Mit dem rostigen Schabeisen der Phrase über die taube Haut der Sprachlosigkeit kratzen. Doch vergebens, nur unartikulierte klagend-stöhnende Töne sind das Ergebis.
In der Kloake der Diversität dringt der Logos spermatikos nicht mehr zu Ledas göttlichem Ei.
Weil es nicht sichtbar ist, darf das Antlitz des Ungeborenen ungestraft zerstückelt werden.
Dem Ungeborenen menschliche Würde zuzusprechen ist kein naturalistischer Fehlschluß, sondern Ausdruck des Glaubens an die Heiligkeit des Lebens; ihm sie abzusprechen ein Ausdruck der Umkehr aller Werte, insbesondere der biblisch inspirierten.
Wiederum und andererseits: Frömmelnde Hypokrisie weint Krokodilstränen all den Hekatomben grausam zerrissener Embryonen hinterher, die auf dem Altar des Götzen Selbstsucht, Karrierismus und Hurerei geopfert worden sind; welch ein Leben wäre ihnen aber vergönnt gewesen, hätte man die Zukunftslosen gezwungen, sie auszutragen? Ein tristes, bejammernswertes, als Fessel am Fuß der Gans betrachtetes, die nicht ins Ungebundene flattern kann.
Sittliche Werte kann man, wie ästhetische, nicht beweisen, sondern nur bezeugen, beherzigen, verfechten oder bekämpfen.
Der dekadente Stolz weißer Mittel- und Oberschichtfrauen, kinderlos zu sein oder abgetrieben zu haben.
Die Schändung des Bildes der Mutter ist Gemeingut kollektivistischer Ideologien.
Das als Hemmschuh auf dem leuchtenden Pfad der Selbstverwirklichung betrachtete Kind sticht der Puppe die Augen aus.
Die Absonderung unwerten Lebens ist ein innerer Bestandteil sozialistischer Programme (das belegen die sozialdarwinistisch geprägten linken Parteiprogramm in England und Skandinavien vom frühen 19. Jahrhundert an); insofern darf man den sozialistischen Anteil des Nationalsozialismus gerade im Hinblick auf seine genozidalen Verheerungen nicht unterschätzen.
Die im Sündenpfuhl gebadet erregen sich über die Reinheitsvorschriften der Bücher Mose.
Der nur auf die faule Frucht starrt – hat er die Apfelblüte vergessen, den frischen Geschmack des Apfelsafts, den säurereich-anregenden des Apfelweins?
Hitler, von den Alliierten besiegt, lebt weiter als Wiedergänger im uneinnehmbaren Bunker des sich eitel inszenierenden Schuldgefühls.
Initiationsritual deutscher Kindheit – Großvater zieht den Strumpf aus und zeigt auf den Durchschuß am Fußgelenk.
Phrasen sind Warzen auf der Haut der Sprache.
Auf das eiserne Zeitalter folgen noch das blecherne und das Plastik-Zeitalter.
Erlischt der Glanz der Imago Dei, steigen aus dem Abgrund die Chimären.
Der Priester und Prophet Esra weist die Bio-Juden an, sich von den Frauen der Fremden zu trennen und fernzuhalten, denn sie verdunkeln den Glauben an den Einen durch die Schatten der vielen Götzen, die sie Ungeziefer nicht unähnlich ins Land einschleppen. – Zu diesen Götzen zählte auch Moloch, dem kleine Kinder geopfert wurden (wahrscheinlich eine Umschreibung für massenhafte Abtreibungen).
Wer zählt die vielen Namen Molochs? Eigenliebe, Hedonismus, Nihilismus, Geldgier, Gier nach Erfolg, Macht, Karriere …
Nach dem Krieg der Völker und Imperien folgt der Krieg der Rassen, in dem die dunklen, heißer und bedenkenloser als die hellen, diese, geschwächt und angekränkelt von ihrem schlechten Gewissen, besiegen und versklaven werden.
Betrachtet man Sprachen als Organismen, muten manche Begriffe wie sprachliche Mißbildungen, Verwachsungen und Deformationen an. Man denke an Begriffe wie Gott, Sein, Bewußtsein oder Nichts. – Aber, könnte man sagen, auch Mißbildungen wachsen auf demselben genetischen Mutterboden wie die schönen Formen.
Wir lesen „Himmel“, denken an die Farbe Blau und versinken in eine vage Träumerei. – Wir denken an den goldenen Ton eines Gongs, schwingen mit und verhallen mit ihm im Grenzenlosen.
Erst kommt der Krieger und Priester, dann der Priesterkönig; ihm folgt der gesalbte Herrscher. Dann kommen die Senatoren und die Beamten. Schließlich treten die Rhetoren und Sophisten ans Pult, um endlich von den Demagogen, Propagandisten und Maulhelden abgelöst zu werden.
Unter den Rock der Regentin schlüpfen die Duckmäuser und Entmannten.
Soll der ultraorthodoxe chassidische Rabbiner nun ein Regenbogenfähnchen schwingen?
Das Sublime schläfert sie ein, das Vulgäre, Grelle und Obszöne hält sie gerade noch wach.
Der Gedanke, und sein Ausdruck, der Satz, ist kein Spiegel des Faktischen; denn dies zu prüfen und zu bewahrheiten, müßte man hinter den Spiegel treten und sodann wieder hinter diesen …
Aber wir sehen im ungekünstelten Lächeln des Freundes die Wahrheit der Tatsache, daß er uns gerne wiedersieht, ohne in seinem Gesicht umständlich lesen zu müssen.
Erst Raffael, Tizian, Rembrandt und Vermeer, dann van Gogh und die Impressionisten, schließlich die Kleckser, Tropfer und Exkrementenschmierer.
Die Gotik ist nicht die Widerlegung der Romanik.
Drei ethnisch-kulturelle Wurzeln, drei individuelle Ordnungen der antiken Säule: dorisch, ionisch, korinthisch. – Nur ein Décadent wünschte ihre Vermischung.
Die seriöse Unterhaltung der Nervösen: wenn sich die Erzählung in Belehrung versteigt, der Roman ins Essayistische wuchert.
Die Greisin mit der Anmutung eines violetten Stacheltiers auf dem zitternden Kopf oder die Unfähigkeit, in Würde zu altern.
Zwischen Heidekraut und Seegras wollen wir keine Orchideen erblicken; im Eichenhain keine Affenbrotbäume. So auch mit den Menschen.
Die Zweideutigkeit des biblischen Bilds von dem Land, wo Milch und Honig fließt, wohin Abraham aufzubrechen geheißen wird: Es kann zur Chiffre des eigenen Territoriums der Juden (Erez Israel) oder der kommunistischen Utopie, die im Gulag mündet, dienen. – Diese Zwiespältigkeit tritt im späten 19. Jahrhundert einerseits im leidenschaftlichen Furor jüdischer Intellektueller für die Revolution (die nach 1918 zum wachsenden Antisemitismus im Westen beiträgt) und in der zionistischen Bewegung andererseits zutage.
Das Diktat der abstrakten Kunst, den Deutschen als Bußritual auferlegt, fand wohl einige Widerstandsnester; doch die Resonanz der neuen „alten Meister“ prallte an den ideologischen Mauern der Universitäten, Kunsthochschulen und Galerien ab.
Der Chefideologe gibt vor, den Ziegenbock zu melken, der devote Adlatus hält ein Sieb unter sein imaginäres Euter.
Wie beruhigt der Gedanke daran, daß es weite von Menschen unbewohnte Flächen auf der Erde gibt, Wälder, Steppen, Wüsten, Meere.
Jugend schnappt ein paar hehre Phrasen von Gleichheit und Gerechtigkeit auf, schon wähnt sie sich moralisch überlegen, reiferes Alter vertraut dem Gewicht der guten Gründe, ohne noch zu ahnen, daß die Waage über dem Bodenlosen schwingt, doch erst die Nähe des Todes erweckt den Sinn für die inneren Grenzen, die nur scheinbare Ähnlichkeit und aus unauslotbaren Tiefen quellende Unvergleichbarkeit dessen, was Wittgenstein Sprachspiele, Lebensformen und Weltbilder genannt hat.
Hera wird Aphrodite stets mißtrauisch beäugen, der Leichtfuß das Rätsel des Sphinx nicht wie Ödipus lösen, Puck, der Kobold, immer Schabernack mit den Liebenden treiben.
Vielleicht neigt zu einer müden, allem kämpferischen Engagement entsagenden Skepsis, wer sich das Tableau der semantisch-logischen Mannigfaltigkeit inkommensurabler Sprachspiele und Weltbilder vergegenwärtigt.
Zuletzt richtet nicht eine alles überblickende objektive Vernunft, sondern entscheidet sich der mehr oder weniger verfeinerte, gröbere oder sublimere Geschmack, den sentimental verwackelten Klängen eines L. Bernstein oder den schwermutschönen Impromptus Schuberts sein Ohr zu leihen.
Tropfen eines dunklen Lichts
Umschluchztes Schilf, doch droben Wolken still.
Mag Regen singen, mag es leise schneien,
wir bleiben, Liebe, hier am Strom im Freien
und fragen nicht, was er uns rauschen will.
Lädt aber ein das mondbeglänzte Moos,
zu betten uns auf sanfter Träume Kissen,
rinnt hin in Tränen alles, was wir wissen,
heim zum Verschwiegnen, stummer Erde Schoß.
Und mögen wir auch trunken Worte lallen,
sie sind wie Tropfen eines dunklen Lichts,
die aus dem Laub der Nacht herniederfallen.
Umschlungen sinken wir zurück ins Nichts.
Kaum trug die Woge Duft, o süßes Wallen,
schloß sich die Knospe deines Angesichts.
Was uns gerauscht im Traum
Was uns das Laub der Nacht gerauscht im Traum,
ein Knistern dürren Blatts wird es verwehen.
Im Abgrund kann man keinen Grund mehr sehen.
Wir sind das Ufer, dunklen Stromes Saum.
Wo er entsprang, wohin er fließen mag?
Die Quelle sei das Wort, die Mündung Schweigen,
will frommer Sinn an Hiobs Leiden zeigen,
der ausgeseufzt still unter Sternen lag.
Der Ursprung sei der Blitz, der sich gebar,
zu zeugen, was da atmet, zu vernichten,
sagt uns des Bacchus trunken-wilde Schar.
Ob sie das Wahre, ob Chimären dichten,
an welchen Zeichen ward es offenbar,
im Buch der Bücher oder Traumgesichten?
Das Lachen der Hyänen
Erhaben mochten weiße Lilien scheinen,
aus Vasen ragend, grünem Seladon.
Doch zarter sprach ein Krug aus grauem Ton,
daß in der Dämmerstunde Veilchen weinen.
Wir fühlten beben wohl die Nacht der Mauern,
die uns umschlossen, dröhnten Glocken dumpf.
Die Knospe Herz blieb zu, die Narbe stumpf,
und mochte süßes Summen sie umschauern.
Schon wuchern auf dem Mal der Inschrift Moose,
umfinstert sind die Namen von Phalänen.
Erstarrt ist des Gesangs Metamorphose,
gefrieren an der Muse Wimpern Tränen.
Die Ode welkte mit der Himmelsrose.
Schon gellt am Tor das Lachen der Hyänen.
Der blinde Fleck
Der blinde Fleck kann sich nicht selber sehen.
Des Wahren Sonne brach aus tiefer Nacht.
Die Liebe ist an feuchter Glut erwacht.
Auf spitzen Scherben muß die Anmut stehen.
Wir fühlen im Verlust, wie alles schwindet,
worauf wir gehen, Grund und Wissen schwankt.
An Schwermut ist des Lebens Geist erkrankt,
daß er im Blütenschnee den Winter findet.
Die eingeschlafen fühlt nicht mehr, die Hand,
ritzt sie ein Dorn, sind’s Lippen, die sie streifen.
So kann ein Herz, vom Lied des Bluts gebannt,
die es umsäumt, die Stille nicht begreifen,
was paradox scheint, nicht der Unverstand,
daß Worte leuchten, die im Dunkel reifen.
Die Vettel mit dem Hermesstab
Mit ihrem langen dünnen Plastikstab
tastet in den Ritzen sie nach Müll,
nach allem Toten, das sie zittern läßt,
wie Lider, zart bewimperte, ein Hauch.
Greisenhaft, mit distel-rotem Haar,
das Ohr der Seele fein gespitzt,
der Eule gleich, die Mäuse jagt,
ob da etwas raschelt, etwas knackt.
Jäh stürzt sie darauf zu,
und spießt und schiebt und stößt
Blatt, Korken, Schnipsel, Stummel,
die tote Biene, harten Hundekot,
bugsiert es mit dem Hermesstab,
in dem verhornt sich all ihr Fühlen,
daß sie an Unbelebtes nur mehr rührt,
zum runden Deckel des Kanals.
Sinkt der Unrat in ein dunkles Loch,
seufzt erleichtert sie „O ja!“,
doch wieder blitzt es vor ihr auf,
ein Unding, das des Orkus harrt.
So geht dahin die Zeit, das Leben.
Sie weiß es anders nicht zu füllen
wie einen löchrigen Eimer,
den ein Tor in einen Brunnen taucht.
Du auch säumst an seinem Rand,
kritzelst, was du siehst und sinnst.
Zerknüll die Verse, schnipp sie lächelnd weg.
Sei unbesorgt, sie tastet schon danach.
Dichtermut
Wo Seelenblinde Tropfen schimmern sehen,
siehst du die Tränen, kannst das Leid verstehen,
das Wort ihm leihen, wenn es ihm gebricht,
wirst Seit an Seit mit ihm durchs Dunkel gehen,
er hält es hoch wie flackernd Kerzenlicht.
Doch jenen, die in grauen Herzensfalten
der Liebe Bilder blassen fühlen und erkalten,
magst du des Liedes weiße Knospen reichen,
die unter ihrem Hauch sich umgestalten
zu Kelchen, die geküßten Hüften gleichen.
Wie aber schwermutkranke Seelen wecken,
die Totenlinnen bleichen Grams bedecken?
Das Fenster öffne, Sommernacht ist mild:
Sieh, wie sich Schläfer aus den Gräbern recken,
wenn ein Gesang aus heißen Kehlen schwillt.
Volonté générale
Sie kniete, als man kahl sie hat geschoren.
Das Messer brach durch ihrer Flechten Fall,
und Perlen klangen kalt wie Traumgelall.
Ein Oh! quoll aus dem dunklen Schlund der Toren.
Sie malten auf die Stirne ihr das Zeichen,
daß sie der sternenlosen Nacht geweiht.
Es schmolz der Glanz, der ihr ins Herz geschneit,
vor dem die Schlangen und Dämonen weichen.
Und als die Lider sie noch einmal hob,
jenseits des Sumpfs der Niedertracht zu schauen,
entrang sich ihrem Mund Mariens Lob,
daß benedeit sie unter allen Frauen.
Da man die Anmut unters Richtbeil schob,
floß Stille sanft aus Höhen, königsblauen.
Süße Folterqualen
Mond, er läßt den Erdball Wellen reiten
durch den Ozean der leeren Weiten.
Dem Gedicht wirft er die Gaukelschatten,
die wie Geißeln schäumender Gezeiten
seinen Herzschlag peitschen und ermatten.
Erde, dich belebt, die aufseufzt, Feuchte,
daß die schwesterliche Knospe leuchte.
Duft von roten Oden will uns locken,
Faltern gleich. O Graun, das sie verscheuchte,
fiel der Schoß, aus dem sie tranken, trocken.
Seele, aufgeweckt von scharfen Strahlen,
daß sie unter süßen Folterqualen
ihren Liebeswahn in Versen beichte.
Müde schließen, wenn sie abends fahlen,
sich die Lippen, die ihr Singsang bleichte.
Spes irrita magistra vitae
Was grell gescheppert,
Blech von Megaphonen,
zerbeult liegt es am Wege,
unterm Grünspan stumm.
Das Rinnsal aber,
vom Dunst genährt der Meere,
seufzt die alte Melodie,
singt den Glanz, der dunkelt.
Die harschen Rutenbündel,
die matte Herzen peitschten,
prophetisch große Reden,
zerbiß der Moiren Zahn.
Der uns biegt wie trockne Halme,
der schicksalsgraue Wind,
spricht Urworte orphisch,
würgt, die nach sie schwätzen.
Fallstricke der Vernunft,
worin gezappelt sich zu Tode
Trolle, Gnomen, Elfen,
verfaulten in der Nacht.
Gespenster ohne Skalp,
Schrumpfschädel baumeln sie
am Gürtel dürrer Sprache,
klirren, daß sie stolpert.
Vita nuova
Ans Jenseitsufer seufzte sich die Klage,
wie dunkel war das Wasser und wie tief.
Duft weht die Knospe nun, die schwankend schlief,
da sie sich aufgetan dem hohen Tage.
Wir gingen schweigend Pfade, weich bemooste,
das schwarze Laub hat über uns gebebt.
Hat Fäden Lichtes noch Gesang gewebt,
verstummter Herzen Dämmerung zum Troste?
Die Inschrift auf dem grauen Marmorstein
war von der Milch des vollen Monds umflossen,
als hätt geritzt Osiris Elfenbein.
„Wort, in die stumme Erde eingeschlossen,
es strömt in Adern neuen Wachstums ein
und singt, ein helles Blut in hellen Sprossen.“
Infamien
Schwulst der Friedensbotschaft –
Zyste am Arsch der Welt.
Seid umschlungen Millionen –
schief gepfiffener Furz.
*
Das Normale sei die fade
Abart des perversen Triebs,
zischt die Schlange mit der Krone.
Wahrheit nur die blöde Maske,
stockt das heiße Narrenspiel,
kreischt der Esel vom Katheder.
*
Führer ins Paradies,
Transi im lila Hemdchen.
Dumpfer Ekstase Banner,
greller als Goebbels’ Geschrei.
*
O Matratze der Wohlfahrt,
gestopft mit Daunen des Wahns,
wo die Erwachten hindösen
und die Sterilen sich paaren.
*
Was durch Gendern sie schänden,
Goethes Sprache ist es und Trakls.
Wie mit gepiercten Lippen sie spucken
auf Hippokrene, die Musen.
*
Die im Arsch der Phrase wühlen,
sind die neuen Sprachpuristen.
Die den Schoß des Worts verachten,
zeugen mit sich selbst Chimären.
*
Katzen umschleichen sich scheu.
Wie sich wedelnd begrüßen,
ihren After belecken
und sich wahllos vermischen
Straßenköter, bunt gescheckt.
*
Ich bin der Schächer, der verdammte,
und jener, dem ER Trost zusprach.
Ich bin der Nigger der Plantagen,
und mit der Peitsche auch der Wächter.
Ich bin der Wälder grüne Stille,
die Säge, wenn die Rinde schreit.
Ich bin das Meer, der Sturm, die Klippe,
das Geisterschiff, das jäh zerschellt.
Muschelschaum
Wort, welch dunkler Trost,
nicht durch Zauberklang,
nicht durch tiefen Sinn,
sondern, wenn der Mund,
dem es jäh entschlüpft,
Edens Pforte gleich,
wieder hinter ihm
seufzend sich verschließt.
*
Der Tropfen zögert
am Rand des Blatts.
Schau süßes Glänzen
der Vergänglichkeit,
bevor er in das Dunkel fällt.
*
Üppig aufgesprossen
um die Initiale
eines Stundenbuchs,
Ranke, dämmerblättrig,
hat sie überwuchert,
Atems hohen Anlaut
schon erstickt.
*
Die Hand sucht eine Hand,
heimzufühlen in der fremden.
Das Wort sucht ein Gedicht,
wie Noahs Taube einen Zweig.
Der Mund sucht einen Mund,
selbander zu erklingen.
Das Wort sucht einen Reim,
das Wehn der Schwesterschwinge.
*
Schweigen heißt am Grund
Flechte, Moos und Stein.
Darin gräbt und wühlt,
Klaue, Kralle, Hand,
bis das Dunkel ächzt.
*
Du stehst an Babels Wassern,
die dunklen Strudel schwemmen
ans Ufer trüben Glanz,
Fibeln, Gemmen, Siegel.
Laß liegen sie im Schilf.
So säumt den Strom der Sprache
der Oden Muschelschaum.
Die Elfe
In weich bemooster Mulde
seufzen Tropfen,
Tau von Wimpern
veilchenblauen Schlafs.
Der Birke fegen den Schnee
des Zwielichts Reiser
von der Lende.
Der offen stand mit Dolden,
Nacht verschließt
der Düfte schimmernden Schrein.
Da erwacht,
gekauert in der Mulde,
da eigner Träne Salz sie schmeckt,
die Elfe,
blasser als das Silberblatt
der Mondviole,
die auf den Falter hofft,
daß zärtlich er’s verdunkle,
wie den Mond
der Erde Schatten.
Doch jene wartet auf ein dichterisches Wort,
Hauch,
der ihre Wange rötet,
die transparenten Flügel,
der Anmut Zwillingsschwinge,
erzittern
und auf Eos Rosenfinger
sie niederschweben läßt,
daß auf einer weichen Kuppe
staunendem Getast
sie ein Weilchen sirre.
Ach, wickle nicht dich ins Gespinst,
das am stummen Dorne weht,
schmieg, Elfe, in den Flaum dich
einer Nachtigall.
Kein Dichter ist,
der vom Weltenendzeitlärm
umbraust,
gewürgt vom Dunst
der Phrasenabraumhalden,
deiner noch gedenkt.
Der Weg des Heraklit
Ein Schöngeist will die scheue Nymphe locken,
da stellt der Drud ihm sein behaartes Bein,
Wortgauklern streut er Schierling in den Wein,
ihr Versfuß schwillt, ihr Säuseln kommt ins Stocken.
Ein jeder trägt den Dämon auf dem Rücken,
des Daseins Truggewebe zu zerstücken.
Dem Schläfer klingt noch nach die Serenade,
die Mozart im Lagunengrün gefischt.
Da springt er auf, vom Schlangengeist umzischt,
und stürzt vor Schreck sich von der Balustrade.
Des Schönen Schleier hüllen mild das Grauen.
Wie seufzt die Nacht, wenn Traumkristalle tauen.
Die Ströme schwemmten Pollen, nährten Sprachen,
daß Früchte glänzten und der Oden Gold.
Die Dürre ist dem Rosenwort abhold,
läßt Musen nur den Spiegel trüber Lachen.
Der frühe Hauch weckt aus dem Dunkel Samen,
in leerer Schoten Wust muß er erlahmen.
Die Rückkehr der Kannibalen
Sie werden wieder in den Höhlen hausen,
wenn unter Blitzen sich die Wasser ballen
und schnöden Mammons Marmortürme fallen.
Ihr Sinnen, nur ein Schlauch, gefüllt mit Brausen.
Nach Stamm und Sippe gliedern sich die Zonen.
Auf kahlen Hügeln lodern nachts die Scheite,
und ihre Häscher schauen in die Weite,
die keinen Fremdling, der sich naht, verschonen.
Sie werden nicht mehr an die nackten Mauern
wie einst die Ahnen Lebensgeister malen.
Kein hoher Sang läßt das Gemüt erschauern.
Kein Licht quillt mehr aus hochgereckten Schalen.
Sie werden zeichenlos im Dunkel kauern,
das Blut der Feinde schlürfen, Kannibalen.
Die Abwesende
Beim Anprall einer Frage
blieb sie stumm-verschanzt,
nur die schlaffen Lider zuckten.
Sie ging am Wegesrand,
mit den Armen schlingernd,
tänzerisch die Pfützen überspringend,
die Hände wie von Marionetten
flatternd
an getrennten Schnüren.
Der Brauen hoher Bogen,
grob getuscht
aufs bleiche Tuch der Angst.
Mund,
roter Seufzer
aufgebrochene Frucht.
Der Hände Zögern,
als verlöre das Berührte
an Wirklichkeit
und löste sich in lichten Schaum
auf einem Ozean
dunkelblauer Trance.
Goldene Körner
Wüstensand
knirschten,
wenn des Traumes Zähne
mahlten.
Volle Schote,
überm Abgrund baumelnd,
Kopf,
von harten Samen überfüllt,
die bei jedem Windstoß klirrten.
Und Stimmen,
immer quälten Stimmen.
Bettler, die verzweifelt
an des Schlafes Pforte pochten.
Grell gefiedert, Pfeile,
und die Federn brannten,
schwirrten sie ins mürbe Herz.
Messer, und sie ritzten
Ornamente
oder kratzten obszöne Flüche
an die Höhlenwände
des Gehörs.
Abwesend
sah sie durch das trübe Glas des Tags
in die Nacht der fernen Hügel,
wo die Feuer lohten
und mit ihren Stäben
betrunkene Hirten
in der Asche wühlten.
Geh mit mir ins hohe Schilf,
wenn die Wasser steigen
und der Weide blasser Flügel,
der sie zugedeckt,
auf der Welle schwappt.
Weht das Röhricht auf und ab,
kannst du helles Schilpen hören,
als würden Drosselrohrsänger
auf den schwanken Halmen
nach ihr rufen.
Der süße Widerhall
Schon fleckt ihn Moos,
es will der Fels nicht kahl
ins grünende Leben ragen.
Und du,
umweht von herbem Kräuterduft,
behender gehst du durch die Sommergräser.
Deine Lippen,
von langem Schweigen schmal geworden,
schwellen unter scheuen Lauten an,
Namen, früh verblaßten,
wie Blüten erster Liebe,
bang gepflückt.
Es ist, als lalle trunken
Mnemosyne,
von ihren Schwestern
aus tiefem Schlaf geweckt.
An dem verstaubter Disteln
gezackte Blätter lehnen,
der graue Feldstein
schlürft ihn ein,
Balsam abendlichen Regens,
und die Jahrtausendstarre
zuckt von feuchtem Glanz.
Du aber,
vor der Glut geflüchtet
in den Hauch des Hains,
du preßt die Stirn an eine Rinde,
und sie gibt,
seufzend gibt sie nach.
Du sinkst im Sinngeflecht
urzeitlicher Adern
in den Wurzelgrund hinab.
Ruh eine Weile aus
im schöpferischen Dunkel,
bevor du wiederkehrst ins Licht.
Oder bleib.
Ja, bleib.
Kühl ist es dort,
wie in der Nymphengrotte,
von der Horaz geträumt,
und still. Nur manchmal
fällt ein Tropfen,
eine Träne der Plejaden,
aus der grünen Nacht
auf einer Lende kaltes Porzellan,
zerspringt im Perlmuttnacken
einer Schwimmerin.
Wie ist ihr Widerhall
im Herzen des Träumenden
süß.
In den Wind gesprochen
Philosophische Sentenzen und Aphorismen
Wer den Mißton hört, weiß um den richtigen.
Der Deutsche ist stets in Gefahr, der eigenen Wahrnehmung, der natürlichen Intuition und dem gesunden Menschenverstand zu mißtrauen und sich von selbsternannten Experten und gefeierten Ideologen eines Besseren belehren zu lassen.
Der Deutsche klammert sich an den Felsbrocken der Angst, der Pfad der Gelassenheit ist ihm zu schlüpfrig, die Gartenlandschaft der Heiterkeit zu langweilig.
Die auf dünnem Eis panisch schlottern, brechen als erste ein.
Der Unglückliche ist keinen vernünftigen Argumenten zugänglich.
Welche Tiefe der Verzweiflung an der menschlichen Natur, welche maßlose Hoffnung auf die sie heilende Gnade spricht aus der christlichen Botschaft.
Der reife ästhetische Geschmack ist wie die Haut der Finger, die kleinste Unebenheiten, Rauhigkeiten und Risse, aber auch die feinen Valeurs von Stoffen wie Seide, Taft und Samt gleichsam reflexionslos erfühlt.
Der Zeitgeist verdirbt das Sensorium für den guten Geschmack mittels medialer Injektion von betäubendem Gerede.
Das Tier tappt in die Falle, der Mensch verstrickt sich in Rätsel.
Die Fähigkeit, Fehler zu machen, sie einzusehen und sie bisweilen sogar zu korrigieren, zeichnet die menschliche Spezies aus.
Die Sprachkunde belehrt uns über den korrekten und wohlgeformten Bau der Sätze, die philosophische Grammatik über die sinnvolle Struktur menschlicher Lebensformen.
Der alte Fado-Sänger kennt die Griffe, auch wenn er keine Noten lesen kann.
Die Trense der Grammatik hält den ungebärdigen Ausdruck davor zurück, sich wild aufzubäumen und durchzugehen. – Wie sie unterm anarchischen Unmut knirscht.
Das Kind hat die allgemeine Semantik der Metapher erfaßt, wenn es die Sonne mit einem strahlenden Lächeln versieht oder die Zweige des Baums als Arme malt, deren Hände sich zur Sonne recken.
Der ironische Rokokofächer Verlaines verkörpert eine andere Metaphorik als der symbolistische eines Mallarmé.
In der schwarzen Kohle vermutet man nicht die Möglichkeit der Brillanz des Diamanten.
Was Gischt bei Beethoven, ist bei Schubert sanfte Welle.
Das Äquivalent gedanklicher Knoten in metaphysischen Fragen sind die seelischen Knoten der Neurose.
Die Egalitären leugnen die Krankheit, indem sie die Gesundheit pathologisieren.
Wie die Anosognosie des Geisteskranken ist die fehlende Einsicht des Zeitgeists in seine Erkrankung eines ihrer wesentlichen Symptome.
Wo der unfruchtbare Geist eine Wüste, sieht der fruchtbare einen Garten Eden.
Radikale Skepsis hinsichtlich moralischer und ästhetischer Urteile ist so töricht wie der hyperrationalistische Aberglaube an die Existenz universeller ethisch-ästhetischer Normen und Werte.
Die Affen Nietzches, die immer noch die Grenzen einreißen und die Regeln überschreiten wollen, gehören in die schützenden Käfige eines Zoos, wo sie der brave Bürger gegen ein geringes Entgelt sich lausen und Grimassen schneiden sehen kann.
Das Épater le bourgeois ist längst zu einer faden Konvention des etablierten Kunstbetriebs verkommen.
Sprachen sind das Lebenselement von Kulturen, die sich nicht isomorph aufeinander abbilden lassen, sondern nur asymmetrisch verzerrt.
Die ungeheure Menge an Übersetzungen des Buchs der Bücher zeugt von seiner Unübersetzbarkeit.
Goethe erobert im Divan der deutschen Dichtung den Orient, doch hütet sich davor, seine Dichtung orientalischen Versformen zu unterwerfen.
Mit nur einer Wortart lassen sich keine Sätze bilden, mit nur einer Gepflogenheit, Konvention oder Institution keine Kulturen.
Die semantisch-logische Mannigfaltigkeit grammatischer Formen ist die Bedingung gelungenen sprachlichen Ausdrucks.
Der hemmungslose Subjektivismus ist nicht weniger töricht als der disziplinierte Realismus. Man kann nicht alles Wahrgenommene als Schein abtun, ohne sich selbst hinters Licht zu führen. Und alles für bare Münze und evident anzusehen, ist der kurze Weg in die vollständige Bedeutungslosigkeit.
Wer alles zugleich in Frage stellt, bleibt im Sinnleeren hängen.
Der Farbenblinde sieht keinen ästhetischen Wertunterschied zwischen einem Kitschbild und einem van Gogh.
Wir akzeptieren Kriterien des Richtigen und Falschen, wenn wir uns die Korrektur eines sinnwidrigen sprachlichen Ausdrucks gefallen lassen, auch wenn wir den Fehler nur intuitiv erfassen und nicht in klaren Definitionen explizieren können.
Wie Kant zu behaupten, das hinter dem Phänomen verborgene Ding an sich sei uns auf immer unzugänglich, ist ein logisch-grammatischer Unsinn.
Wir haben die Grenzen des Phänomens gleichsam von innen immer schon ausgemessen; ähnlich dem scharfen Beobachter, der das Schiff am Horizont des Ozeans allmählich verschwinden sieht und daher auf die Kugelgestalt der Erde schließt.
Das dichterische Wort ist die Variation eines seelisch-geistigen Themas, das nur indirekt erscheint, sich fühlbar macht erst, wenn der letzte Reim verklang.
Die Teichrose erblaßt nicht angesichts der Tiefe, über der sie still dahinschwebt.
Das dichterische Wort evoziert symbolische Echos, wie der angeschlagene Ton der Taste Obertöne erzeugt.
Die Metren sind rhythmische Muster auf der Tastatur des seelischen Ausdrucks.
Man kann nur ein gewisses Quantum an Tönen und Gehalten in das Gefäß einer metrischen Einheit gießen; tut man zuviel des Guten, läuft sie voll und über den Rand wie ein Glas Wasser.
In mancher Lyrik, wie der eines Pindar, treten Moira und Charis, Schicksal und Gnade, Schwere und Anmut in ein Zwiegespräch. Spricht die eine, schweigt die Schwester; am Ende sehen wir ineinander verschlungene Bänder, Linien, Ranken, die den Eindruck eines glänzenden Rätselwerks hinterlassen.
Der Star geistiger Augentrübung und der Schleier der Melancholie lassen uns die goldenen Blüten Pindars nur mehr wie rhetorisch blasse Bilder sehen.
Zuviel Würze oder die Sucht nach Originalität überdeckt den Wohlgeschmack der schlichten Worte, mit denen alte Dichtung uns die Welt erschließt.
Die Gier nach Zweideutigkeit ist oft nur das Symptom einer seelischen Krankheit, die den Befallenen zu fahrigen Gesten verdammt.
Der sehschwache Philologe kann trotz der dicken Brille seiner akademischen Bildung den Weg durch Pindars Mythen- und Gnomendickicht nicht finden und deklariert seine Dichtungsart für hermetisch und dunkel.
Hölderlins Hymnendichtung – die Wasserscheide für den hohen Ton in deutscher Poesie.
Das Volk der Dichter und Denker hat – zurecht, wie einen der Blick in eine beliebige Talkshow belehren kann – den Glauben an seine Auserwähltheit aufgegeben, das Volk der Propheten, dem es beinahe den Garaus gemacht hat, kämpft weiter um seine historische Existenz.
Die Elamiter, Ammoniter, Kanaaniter, zu schweigen von den Assyrern, Babyloniern und Hethitern, all diese Völker (und tausend andere) sind untergegangen, die Juden haben, trotz der Gefangenschaft und der Zerstreuung, trotz der Pogrome überlebt. Wer spricht noch altägyptisch, assyrisch, hethitisch? Das alte Hebräisch ist in einer seiner Varianten noch lebendig.
Die Welt der baltischen Sagen lebt nur noch im beschwörenden Dunkel der Dichtung Johannes Bobrowskis.
Assimilation ist der bequeme Weg in den Untergang. So faulte die Wurzel der Frömmigkeit, als man die Sprache der alten lateinischen Liturgie per Dekret durch die jeweiligen Volkssprachen ersetzte.
Verhülltes Wort
Spricht vor sich hin,
Mund,
sanft überstrichen
vom bleichen Finger
der Abendluft,
eine Spieluhr,
aufgezogen
von einem verwöhnten Kind,
das längst sie achtlos liegen ließ.
Wer trat im Dunkel stolpernd
wohl dagegen,
daß die Feder sich gelöst?
Will zum Willkomm,
will zum Abschied
winken,
müde Hand,
doch flattert lose bloß,
einem Weißling gleich,
wehrlos im Wind,
kann die Flügel
auf dem Schoß,
der weichen Mulde des Verzichts,
nicht still hinbreiten.
Auge, bist du wach?
Ach, es wimpert blind
im Teich verschwommener Bilder,
schnappt manchmal
nach den Silberschnuppen,
die aus dem stummen Weltall
niederstürzen.
Daß es gierig sich nicht überhebt
und ans Ufer flutscht,
wild zuckend
nach den Wassern
grünen Schlafs.
O frage nach dem Herzen nicht!
Selbstvergessen sagt es
Tag und Nacht
Litaneien auf,
Psalmen aus dem Buch
der Wanderungen
mit der Rätselschrift,
dem Beter gleich,
der wie in Trance
schwankt und wippt
vor der hohen Mauer,
wo in Grabesnischen
die verwaisten Namen schlafen,
vorm grauen Überrest
des Tempels,
wo das verhüllte Wort gewohnt.
Herz,
stammelt’s,
wenn sich das Blut verdickt,
weil kein Odem,
in die Dunkelheit
gesungenes Licht,
den verklumpten Rhythmus löst?
Steh auf
Durch das Dämmervlies,
vor der Schwermut
Fenster ausgespannt,
sirrt ein silberner Pfeil,
geschnellt vom Bogen
des Orion.
Steh auf,
lausch in der Linde Laub,
ob eine Seele
nach Tau,
nach Liebe
eine Tote rief.
Den Wind frag,
ob der Eiche Blattwerk
ihm das Lob des Lichts
gesäuselt.
In der gotischen Gaube,
wo die Krähenvögel hocken,
die Schwestern der Nornen,
hörst du Krächzen jäh,
und ihr schwarzes Flattern
verdunkelt den Traum.
Steh auf,
und schau nach Knospen,
hellen,
ob sie auf weichen Wassern treiben,
stilleren Ufern zu.
Die Ströme frag,
ob im Fruchtland
sie mäandern,
ob fern von milder Feuchte
glänzend
in Kolonos Hain der Olivenbaum
auf geduldigen Zweigen
sanft singend wie in Träumen
Nachtigallen
wiegt.
Dante Gabriel Rossetti, Sudden Light
I have been here before,
But when or how I cannot tell:
I know the grass beyond the door,
The sweet keen smell,
The sighing sound, the lights around the shore.
You have been mine before,—
How long ago I may not know:
But just when at that swallow’s soar
Your neck turn’d so,
Some veil did fall,—I knew it all of yore.
Has this been thus before?
And shall not thus time’s eddying flight
Still with our lives our love restore
In death’s despite,
And day and night yield one delight once more?
Jäher Strahl
Ja, ich war hier schon einmal,
wann und wie, das weiß ich nicht:
Ich kenn sie wieder, Gräser schmal,
Duft, der in die Nase sticht,
Säuseln, Meeresschimmer ohne Zahl.
Die Meine warst du schon einmal –
zu sagen wann, würd mir schwer:
Doch als die Schwalbe flog ins Tal,
du schautest hinterher,
da fiel der Flor – wie einst sah ich den Strahl.
War so es schon einmal?
Trägt wohl der Wirbelflug der Zeit
uns immer neu verleibt zum Liebesmahl,
vorm Tod gefeit,
wird uns bei Tag und Nacht die Lust nicht schal?
Die Wehen
Menschenkopf,
als erste muß ins Licht ihn pressen
die Gebärerin,
Mutter wird sie nur durch Wehen,
und beseligt darf sie weinen,
wenn sich ihm der Schrei entringt.
Gedenk der alten Völker,
die inspiriert noch hat Instinkt,
da sie in Höhlen Opfer brachten,
war das Kultbild auch verhüllt:
„Eileithyia hat geholfen.“
Was ist der Mensch?
Der zu früh zur Welt Gekommene,
nackt und waffenlos und stumm,
auf daß er unterm transparenten Schleier
mütterlicher Blicke,
anders als das rasch ermannte Tier,
langsam reife
in Griffen, Schritten, Gesten, Worten.
Immer haftet er am Schoß,
dem bereitet er die Wehen,
das düstre Pfand,
mit dem er auf den Weltumgängen,
fern der heimatlichen Erde,
stets noch wuchert.
Auch du mußt, Dichter, sie erleiden,
wenn mit dem Kopf zuerst,
zu groß für deinen Muttermund,
ins Offene du es preßt,
was in dir wuchs,
vom Dämon oder Gott gezeugt,
das vollkommen-unvollkommene
Gedicht.
Wo aber reift es nach?
Unter deines Lesers
liebevoll-bedachter Obhut.
Dem aber Niedertracht, nicht Not
mit taubem Messer
zum Sprung ins Leben half,
folgt der gekränkten Göttin
Schatten.
Totenanger der Erinnerung
Die Bank ist morsch,
wo wir einst saßen,
vor uns das stille Wölken
des Wiesenschaumkrauts.
Dunkles Brausen uns im Rücken,
die unstillbare Angst der Welt.
Die Eiche krümmt sich noch darüber,
in deren schütterem Septemberlaub
verlassene Nester schwanken.
Droben, auf dem Kimmelberg,
der Hoheitsbrocken,
Heroenquader
aus Vulkangestein und Knochenmark,
beschmiert von dumpfer Jugend
des preußischen Adlers
schlaffer Fittich,
dem Eulenspiegel ausgerupft hat
neulich einen Friedensflaum.
Wir streichen durch den staubigen Pfad,
ein trockenes Rinnsal,
das vergebens sich gesehnt,
ins Delta hoher Zeit zu münden.
Wo gehäufter Unrat
in den Dunst der Langeweile starrt,
flattert jäh empor Krähengeschrei.
Dort geht abschüssig das Gefühl,
wenn das graue Band erzittert im Tal,
die von Ausonius besungene
lieblich besonnte Mosella.
Überm Rath gehen wir nicht,
die alte Sippe der Fischer lebt nicht mehr,
ihre Netze zerriß ein schartiger Zahn,
und wo sie gewimmelt,
Zander, Barsch, Rotauge, Schleie und Aal,
die basaltenen Bottiche
zerschlug pfeifend ein Zwerg,
aus der Höhle Nibelheims gekrochen,
mit dem Vorschlaghammer,
der gedröhnt wie eine Palinodie
auf Hegels Weltgericht.
Kehren wir heim,
jeder zum Totenanger
seiner Erinnerung.
Da hängen schief,
wie Geschlechtertürme en miniature,
von Mäusen unterwühlt,
die Male mit den Namen,
zu Rätselrunen verwittert.
Laß ab, den Schatten aus Moos,
den Grind des Schuldgefühls
den Ahnen vom Antlitz zu waschen.
Die verblaßten Veilchen
magst, die fleckigen Primeln
beträufeln du mit grüner Wehmutfeuchte,
daß sie ins Licht einmal noch sich recken.
Die Augen aber,
die vom Biß der Zwiebel einst getränt,
im Schein des gußeisernen Herdes dunkel glänzten,
den bangen Schlummer dir bewachten,
sie öffnen ihre Lider dir nicht mehr,
schließt du zu träumen auch die deinen.
Die ihr Blut in deines mischten,
wurden bleiche Masken,
augenlose,
die auf dem schwarzen Wasser treiben,
an dessen Ufern fahl
des Mondes Schwester,
die Asphodele blüht.
Erläuterungen zum Wortverständnis:
„Kimmelberg“: erste Erhebung der Eifel über dem Ort Koblenz-Metternich mit Sicht über das Neuwieder Becken, das von den Römern kultivierte Fruchtland („Delta hoher Zeit“)
„Hoheitsbrocken“, „Heroenquader“: preußisches Kriegerdenkmal mit dem geduckten preußischen Adler auf dem Kimmelberg für die Gefallenen der Kriege von 1864, 1866 und 1870/71, eingeweiht 1913 im Gedenken an die Völkerschlacht von Leipzig 1813
„Eulenspiegel“: Die Alt-Metternicher nannten sich in humoristischer „Fehldeutung“ des preußischen Adlers „Eulen“, um ihr antipreußisches Ressentiment gegenüber dem Herrschervogel Ausdruck zu verleihen, der seit der Besetzung der Rheinlande durch Berlin über ihren Häuptern schwebte. Eulenspiegelei ist die zeitgeistige Umwidmung des imperialen Kriegerdenkmals zum Mahnmal für Frieden und Völkerverständigung, nachdem ein gewisser „Eulenspiegel“ im Gefieder des Adlers einen kauzigen „Friedensflaum“ entdeckt haben soll; auch eine Form der „Umwertung aller Werte“ (Nietzsche).
„Mosella“: rühmendes Versepos des am Kaiserhof zu Trier tätigen römischen Dichters Ausonius über die Mosel
„Überm Rath“: alter Pfad vom Kimmelberg über die Weinberge zum Moselort Güls, einem alten Fischerdorf; siehe auch: http://www.luxautumnalis.de/ueberm-rath/
Wie Abendgraun den Geist verdummt
Du fühlst den feinen Riß, wenn seltsam klingt,
was fern die Glocke der Erinnerung schwingt.
Den Bruch magst du am Zaudern schon erahnen,
wenn, die du liebst, mit schlichten Worten ringt,
die sonst geflattert sind wie Siegesfahnen.
Wenn immer uns ein Gott entzieht die Huld,
wühlt unser Schmerz im Dunkeln nach der Schuld.
Jäh hören klappern wir der Parze Schere,
schon höhlt den Augenblick uns Ungeduld.
Die späte Knospe sinkt von eigner Schwere.
Wie Abendgraun den hellsten Geist verdummt,
der wie im Glas die irre Fliege summt:
Warum kein Lügner je sich selbst belogen,
Apollo vor Dianas Glanz verstummt,
vor Bitterkeit sich süßer Mund verzogen.
Der linkische Liebhaber
Muscheln fand er noch auf Hügeln,
und sie rauschten ihm vom Grund,
wo sich Sterne nicht mehr spiegeln,
Schlamm nur würgt der schwarze Schlund.
Die er dumpf durchklommen, Schluchten,
hallten wider, wenn er sang,
wie umbraust vom Gischt der Buchten,
ward ihm vor sich selber bang.
Und vor ihrer Brüste Sonnen
sank er tiefer nur in Nacht,
Feuchte, trägem Schoß entronnen,
hat ihm dürre Glut entfacht.
Grub sein Aug er in die Locken,
auszuruhn von wirrem Schein,
blieb sein Atem jählings stocken,
Herz, es schlug ins leere Sein.
So zog einsam er durch Auen,
wo er’s fand, das Zauberkraut,
Trank für Träume sich zu brauen,
träumt er auch, wovor ihm graut.
Paul Valéry, Poésie
Aus dem Gedichtzyklus „Charmes“ von 1920
Par la surprise saissie,
Une bouche qui buvait
Au sein de la Poésie
En sépare son duvet :
— O ma mère Intelligence,
De qui la douceur coulait,
Quelle est cette négligence
Qui laisse tarir son lait !
A peine sur ta poitrine,
Accablé de blancs liens,
Me berçait l’onde marine
De ton cœur chargé de biens ;
A peine, dans ton ciel sombre,
Abattu sur ta beauté,
Je sentais, à boire l’ombre,
M’envahir une clarté !
Dieu perdu dans son essence,
Et délicieusement
Docile à la connaissance
Du suprême apaisement,
Je touchais à la nuit pure,
Je ne savais plus mourir,
Car un fleuve sans coupure
Me semblait me parcourir…
Dis, par quelle crainte vaine,
Par quelle ombre de dépit,
Cette merveilleuse veine
À mes lèvres se rompit ?
Ô rigueur, tu m’es un signe
Qu’à mon âme je déplus !
Le silence au vol de cygne
Entre nous ne règne plus !
Immortelle, ta paupière
Me refuse mes trésors,
Et la chair s’est faite pierre
Qui fut tendre sous mon corps !
Des cieux même tu me sèvres,
Par quel injuste retour ?
Que seras-tu sans mes lèvres ?
Que serai-je sans amour ?
Mais la Source suspendue
Lui répond sans dureté :
— Si fort vous m’avez mordue
Que mon cœur s’est arrêté !
Dichtung
Baß ergriffen vor Staunen,
Mund, der gerade noch sog,
als jählings hinter die Daunen
Dichtung die Brust ihm entzog:
„O Mutter mir, Sinnverstehen,
das mich mit Süße gelockt,
woher nur rührt das Versehen,
daß sein Milchstrom nun stockt!
Wogen der südlichen Meere,
Wiege warst du mir kaum,
mir zu erleuchten die Leere,
weiß überschrieben von Schaum.
Kaum ließ mich Schönheit ermatten
in deinem Himmel so fahl,
trank ich aus seinem Schatten
den mich durchflutenden Strahl!
Gott, in sein Innen Entrückter,
ward ich auf köstliche Art
ein vom Wissen Beglückter,
sanft sei das Höchste und zart,
Nacht umtastend, die helle,
konnte ich sterben nicht mehr,
denn mich durchquerte die Welle,
die nicht zurückstaut am Wehr …
Sag, durch welch nichtiges Bangen,
welch einen düstern Verdruß
der Zauber ist hingegangen,
mir sprang von den Lippen der Fluß?
O Strenge, du willst es mir zeigen,
daß meiner Seele ich gram!
Die ein uns tauchten ins Schweigen,
Schwingen der Schwäne, wie lahm!
Todlose, von Lidern ein Schrein,
er birgt nun all meinen Segen,
Fleisch, es ist worden wie Stein,
und hat sanft auf dem meinen gelegen!
Welch Unrecht zu begleichen,
schließt deine Himmel du ein?
Was bist du, wenn Lippen dir weichen?
Was kann ohne Liebe ich sein?“
Die Quelle indes, die versiegte,
hat zarten Sinns ihm bekannt:
„So bissest du, da ich dich wiegte,
daß mein Herz jäh stille stand!“
Auf nächtlicher Schwelle
Aug, vom Tau der Nächte ward es fahl,
und das Hirn, zerkocht von Gottes Strahl,
hält an losen Nervenfäden kaum,
was geblüht an früher Pfade Saum,
fern geglänzt im heimatlichen Tal.
Herz, das mit dem Quell im Moosgrund sprang,
übersprüht von funkelndem Gesang,
starrt, ein graues Loch, mit Müll verstopft.
Keiner ahnt, wie freudig es geklopft,
als im Moosgrund einst die Quelle sprang.
Wort, das du geformt als edlen Krug,
feuchter Erde Ton war dir genug,
fließt nicht über mehr von dunklem Glanz.
Keine trockne Seele fühlt sich ganz,
brach entzwei des Wortes edler Krug.
Know’st thou not at the fall of the leaf
How the heart feels a languid grief
Laid on it for a covering,
And how sleep seems a goodly thing
In Autumn at the fall of the leaf?
And how the swift beat of the brain
Falters because it is in vain,
In Autumn at the fall of the leaf
Knowest thou not? and how the chief
Of joys seems—not to suffer pain?
Know’st thou not at the fall of the leaf
How the soul feels like a dried sheaf
Bound up at length for harvesting,
And how death seems a comely thing
In Autumn at the fall of the leaf?
Herbstliches Lied
Weißt du nicht, fällt herab das Blatt,
wie das Herz ist von Trauer matt,
wenn das welkende auf ihm ruht,
und wie Schlummer so wohl ihm tut,
fällt im Herbste herab das Blatt?
Wie im Hirn schon der Puls schläft ein,
denn er weckt nur noch fahlen Schein,
fällt im Herbste herab das Blatt,
weißt du’s nicht? Wie wir erst sind satt,
fern von Lust und von Schmerz allein?
Weißt du nicht, fällt herab das Blatt,
was geschnürt liegt gleich Garben glatt
Seelen ohne Ähren wohl droht,
und wie lieblich uns scheint der Tod,
fällt im Herbste herab das Blatt?
Melos, weiches Wasser
Die starre Linie beugt sich sanftem Beben,
und eine Welle, die ins Offne quillt,
scheint leise rauschend schon vom Geist erfüllt,
statt stummer Nacht dem Sonnensang zu leben.
So hob ein Lächeln, Glanz, aus matten Steinen,
Gestirne, Lichtgedanken, aus dem Dunst,
der frühen Ahnen, Hellas hohe Kunst,
muß unterm hellen Schaum auch Thetis weinen.
Mag noch dem herben Mund das Wort sich runden,
verzückter Rundung eines Kelches gleich,
daß Tropfen Lichtes Auserwählten munden.
Dein Melos, Dichter, strömt wie Wasser weich,
und röten es auch unvernarbte Wunden,
aufseufzend trinken, die von Schwermut bleich.
Das Boot aus Versen
Der in der Sommernacht am Fenster steht,
als hätte aufgeweckt ihn fernes Rauschen,
und will dem süßen Quell der Herkunft lauschen,
vernimmt nur, wie das Namenlose weht.
Der aus dem Haus der Muttersprache flieht,
ward überflutet es von fremden Stimmen,
in trüben Wassern muß er einsam schwimmen,
bis Ohnmacht ihn zum stummen Abgrund zieht.
Füg, Dichter, dir ein Boot aus Versen dicht,
aus blitzgetroffener Esche kahlen Resten,
mit Sud von Tränentau und Harz verpicht.
Wie Sänger, schaukelnd in den Traumgeästen,
mag tragen dich das schwankende Gedicht
zu Inseln, der Phäaken Muschelvesten.
Dichter, Idiot unter Aufgeklärten
Vorm Schlag der Endzeituhr schloß er das Ohr,
vor dem Gemaule aus den Weltkanälen.
Wie Engel leise ihre Locken strähnen,
vernahm er, und des Orkus Schattenchor.
Ein Schatten selbst, geht er im Abendgrauen
durch abgeblühter Worte fahle Auen.
Er wandte ab den Blick vom grellen Tand,
von tätowierter Phrase welken Häuten.
Er sah im Traum, wie Wappen sich erneuten
beim stillen Pilgerzug im Wüstensand.
Ein Pilger selbst, geht er den Quell zu finden,
der einst gerauscht in Hellas Hain dem Blinden.
Den Heimatlosen
Im Halbschlaf hörst du noch das wehe Schrillen
der letzten Tram-Bahn in den Vorortgleisen.
Ach, nein, du willst in andre Fernen reisen,
wo Mandelblüten lichte Tropfen füllen.
Du stehst am dunklen Fenster, draußen schweben,
gleich Boten, die von reinen Sphären künden,
Kristalle, Nachtglanz dir noch zu entzünden,
doch rasch erlöschen, die am Glas der Scheibe kleben.
Laß, Dichter, müde Worte Funken trinken,
die dir ein Blitz der Schöpfernacht gesandt,
damit sie nicht wie Flocken duftlos sinken
und schmelzen hin, ein unfruchtbarer Tand.
Bekränzte mögen sie uns lächelnd winken
in Hellas Hain, als wär’s das Heimatland.
In die Dämmerung geflüstert
Aus grauen Augen kann noch Güte strahlen,
sagt auch die Stirn, geborstener Inschrift gleich,
daß sie schon sinkt ins stumme Unterreich.
Mag auch des Mundes Purpurblume fahlen,
umsonst um Tropfen flehend, dorrt sie bleich,
aus grauen Augen kann noch Güte strahlen.
Des Abschieds Tränen können noch erhellen,
was in die Dämmerung uns flüstern läßt.
Die sanfte Feuchte hält den Schimmer fest
von Blüten, hingestreut auf dunklen Schwellen.
Was an Verschwiegnem scheue Herzen preßt,
der Liebe Tränen können es erhellen.
Schneelicht der Birke
Sie überrieselt unser schwaches Fühlen.
Der Blick irrt auf und ab im Flimmerlaube
und findet keinen Halt wie rasch die Taube,
die gurrt, als würden grüne Seufzer kühlen.
Auch sie ist ein Entwurf der dunklen Tiefe.
Im Blattgeäder gibt sie uns zu lesen,
wie Atem schöpfen nachtentbundne Wesen.
So schreibt der Erdgeist holden Töchtern Briefe.
Lehn, Dichter, deinen Vers an ihre Rinde,
laß tropfen dunkle Harze auf den Reim,
bis sich das Melos um die Lende winde,
als fände es bei Nacht im Schneelicht heim.
Daß dir der Anmut süßes Leuchten künde,
aus sternbesamtem Abgrund sproß der Keim.
Trost für Schwermutkranke
Sie flackern schwach noch in der Dunkelheit,
die Lichter, die wir vor dem Kreuz entzündet.
Wir wissen nicht, wo unser Rinnsal mündet,
im dürren Karst, im Delta Ewigkeit.
Und hat die Kerzen längst gelöscht der Wind,
ist doch ein blasser Schimmer uns geblieben,
den Schwermutkranken, die das Dunkel lieben,
wenn Tau der Nacht von blauen Trauben rinnt.
Weißt, Dichter, du um Brunnen nicht, geheime,
uns klares Wasser aus dem Grund zu heben,
daß dumpfer Schlaf erwacht am Schaum der Reime
und Auren feuchter Funken um uns schweben?
Das Wort erblüh aus keusch behauchtem Keime,
daß wir in seinem Duft der Hoffnung leben.
Fallhöhen
Die einen können schwindeln machen,
die andern reizen nur zum Lachen.
Du wandelst hin im Park und suchst das Deine.
Schon sind im Abendmond die Rosen fahl.
Da schimmert auf im Blattwerk ein Opal,
der grauen Graien Auge ist’s, das eine.
Du grüßt sie noch vorm Haus, die alte Dame.
Die Einkaufstasche, vollgepackt, wiegt schwer.
Den Schlüssel steckst du, doch er paßt nicht mehr,
und auf dem Türschild steht ein fremder Name.
Was du geflochten, Dichter, Reim in Reim,
es scheint erkoren dir zum Ehrenkranze,
als kehrtest du in hohen Rhythmen heim.
Da wedelt das Sonett mit rüdem Schwanze,
an Dämons Lefzen trieft ein bittrer Schleim,
schon reißt er hin dich zum makabren Tanze.
Die wahren Remigranten
Als klebte ihr noch unterm Stöckelschuh
ein wenig Dung. Und durch die Chanel-Wolke
steigt zart ein Dunst von lebenswarmer Molke.
Die sie einst molk, Helene hieß die Kuh.
Im Hörsaal, ein Genie, doch unentdeckt,
der Seidenschal drapiert zur Künstlerbinde.
Da weht durchs offne Fenster Duft der Linde,
von Rilke tönt er und spricht Dialekt.
Sie sind zurückgekehrt aufs flache Land.
Die Liebe streifte ihnen ab den Flitter,
den Eitelkeit um scheue Seelen wand.
Er wippt die Wiege vor dem Weinlaubgitter.
Sie lächelt, da den Vers sie wiederfand:
„Uns macht den frühen Tau der Tag nicht bitter.“
Die Endzeitschlange
Οὕτως καὶ ἡ γλῶσσα μικρὸν μέλος ἐστίν, καὶ μεγαλαυχεῖ. Ἰδού, ὀλίγον πῦρ ἡλίκην ὕλην ἀνάπτει.
Καὶ ἡ γλῶσσα πῦρ, ὁ κόσμος τῆς ἀδικίας οὕτως ἡ γλῶσσα καθίσταται ἐν τοῖς μέλεσιν ἡμῶν, ἡ σπιλοῦσα ὅλον τὸ σῶμα, καὶ φλογίζουσα τὸν τροχὸν τῆς γενέσεως, καὶ φλογιζομένη ὑπὸ τῆς γεέννης.
Welch ein kleines Glied ist doch die Zunge und wie brüstet sie sich. Siehe, ein kleines Feuer zündet einen großen Wald an. Solch ein Feuer ist auch die Zunge, die Welt der Ungerechtigkeit steht so die Zunge auf in unseren Gliedern und befleckt den ganzen Leib, sie steckt den Lauf des Lebens in Brand, ist sie selbst doch angezündet von der Hölle.
Brief des Jakobus, 3, 5–6
In dunkler Höhle thront die Endzeitschlange,
Wir füttern sie mit Phrasen, glatt geschwänzt
wie Ratten, und die Talmi-Krone glänzt.
Ist keiner, dem vor dem Gezisch wird bange?
Es riecht nicht gut, wenn ihre Säuren triefen,
die jeden Wortes zartes Mark zersetzen.
Wie selbst der Unschuld Lippen sie benetzen,
die nach dem Salböl des Propheten riefen.
Die Zunge ist des Dämons heiße Hure,
das Salz des Lichts löst sie in faden Schleim.
Aus Sonnentrauben saugend das Obskure,
umspeichelt sie den Sinn mit faulem Feim.
Es bändige das Schweigen die Lemure.
Im Geist der Stille sprosse, edler Keim.
Geschmolzene Flocke
Erwählten glänzt der Hymnenschnee der Höhen,
wenn Klagen aus dem Abgrund Aschen wehen.
Die blau und gelb und rosa schimmern, Tupfen,
auf einen weichen Seidenschal gemalt,
sie scheinen Blüten, sanft vom Mond bestrahlt,
kein Finger, sie zu zählen, wird dran rupfen.
Wie blaß sind, die verschwimmen, Traumgestalten,
Schnee, stäubend unter banger Sehnsucht Hauch,
so blassen hin die zarten Blumen auch,
die wir um ferner Liebe Namen malten.
Gesanges Flocken sind wie Blütenpollen,
wohin der Wind sie, Dichter, tragen mag,
ob bald sie schon im Karst der Nacht verschollen,
ob sie noch keimen auf im Sonnenhag,
von schwesterlichen Wassern weich umquollen –
die Flocke schmolz, die auf der Stirn dir lag.
Philemon und Baucis
Der Bäume Rauschen ward ins Lied geleitet,
wie jener, deren Kronen sich verflochten,
weil Herzen voller Demut es vermochten
und Hohen scheu das schlichte Mahl bereitet.
Zum Sinnbild wird die Linde und die Eiche,
wenn sie mit holdem Laub sich überminnen,
wo still noch goldene Tropfen niederrinnen,
daß Liebe nicht, nicht Treue von uns weiche.
Doch die sie mit der Wahnaxt Faustens schlagen,
die Ebne teeren für den Fuß aus Eisen,
den grünen Gott der Stille zu verjagen,
sie werden atemlos im Leeren kreisen.
Und Babels Turm wird in den Himmel ragen,
wo einst das Blau gelockt in lichten Schneisen.
Im Schatten schon von jenen Schilfen
Die Greisin hat das Haupt geneigt,
die welken Wimpern trinken salzige Lake.
Ihr Runzelkinn wird weich umschlungen
von einem blaß geblümten Seidenschal.
Schläft sie?
Hört sie rings des wirren Lebens Schritte,
den metallenen Klang der Werktagsfron,
Kehlen, die einander kitzelnd rufen,
Zischen, Klingeln, Taubengurren?
Träumt sie?
Wie die Hortensien blauten, einst,
im Beet des heimatlichen Hinterhofs,
wie in hellen Sommermorgendünsten
überm grünen Schlummer der Lagune
der Sonne goldnes Siegel aufgeflammt?
Und vor der Hingesunkenen,
im Schatten schon von jenen Schilfen,
die von Jenseitsufern ihr entgegenseufzen,
sieht man straffe Häute glänzen,
die Aphrodite summend selbst gesalbt
jungen Frauen, die in Hotpants
ihre grell geschminkte Anmut schaukeln.
Die Pflegerin, die im Hintergrund
auf- und abstolzierte,
das Smartphone wiegend in der Hand
wie eine heilige Oblate,
ist zurückgekehrt.
„Ist doch gut, so ein Mittagsschlaf im Freien!“,
sagt sie mit polnischem Akzent
und schiebt den Rollstuhl mit der Alten
geradewegs an mir vorbei,
der auf der Bank den tauben Toren mimt.
Sie hat mühsam den Kopf emporgehoben,
und über dem Geblüm des Schals
scheint sie mir zuzulächeln.
Doch weiß ich nicht, galt mir ihr Blick,
der wie ein Schaum auf grauem Schiefer glomm,
oder einem Nachbild ihrer Träume.
Philosophische Krümel
Er schoß das Tor mit seinem linken Bein,
doch hat das Tor geschossen
das linke Bein nicht ganz allein.
So hat der Philosoph geschlossen,
von wem wir immer sagen,
er tue dies, er lasse das,
es muß ein Jemand sein.
Und jemand ist kein anonymes Was,
muß einen Eigennamen tragen.
*
Was aber jemand tut,
ist, was wir Handlung nennen.
Daß er nur bleibe auf der Hut,
muß er die Regeln kennen
des Spieles, das er spielt.
Spielt wer mit Karten oder Worten,
ihm öffnen sich die Pforten,
wenn er ins Schwarze zielt.
Doch sind gezinkt die Karten,
muß er im Finstern warten,
bis wieder er darf kommen
ins warme Licht der Frommen.
*
Die Regeln sind erfunden,
wenn wir Figuren setzen,
wir sind daran gebunden,
sie grob nicht zu verletzen.
Doch wie wir Sätze formen,
erlauschen wir mit Ohren,
die uns sind angeboren,
Wir fügen uns den Normen,
die keiner uns erklärte.
Verläßt wer diese Fährte,
bleibt er nicht ungeschoren.
*
Es hat gefunkt im wirren Zwirn
wohl hinter seiner krausen Stirn,
als Peter Petra küßte.
Doch war’s kein angespannter Nervenstrang,
der klagevoll elegisch klang,
als Peter aufgeschluchzt, der sie vermißte.
*
Die Welt ist nicht die Welt von Dingen,
der Denker hat’s herausgefunden.
Wir reden metonymisch nur von Kehlen,
daß wir die Pointe nicht verfehlen.
Stimmbänder sind es nicht, die singen
im Abendmond der Dämmerstunden,
Organe nur, die zur Gestalt sich ballen,
es sind die Rätselwesen, Nachtigallen.
*
Die in den Sinn uns kommen,
Gedanken über dies und das,
sind Flecken nicht auf der Empfindung zartem Glas,
behaucht von etwas, was wir wahrgenommen.
Sonst irrten wir wie Traumes Schatten,
die bald auf kaltem Erdgestein ermatten
und nie berühren, was sie überfliegen.
Doch dürfen wir auf Auskunft hoffen,
des Sinnes Fenster stehen offen,
wenn wir das Stumme in die Satzform schmiegen,
zu prüfen, ob wir klar gesehen,
wenn nur die Form uns nicht zerbricht,
als Wahrheitsträger kann bestehen,
färbt sich an ihr wie am Kristall das Licht.
*
Wohl können wir das Ganze nicht erfassen,
die großen Sätze, die es nennen wollen,
sind alle vor dem innern Riff verschollen,
wie jener von der Klasse aller Klassen.
Doch sehen wir, wie sich im Kleinen spiegelt
das All, wenn einsam nur ein Vogel singt –
weiß er auch nicht, was in ihm schwingt,
ob Klage oder Lust, es bleibt versiegelt.
*
Wenn Blitze in der Nacht ihn uns zerreißen,
den Schleier, der vor unsrer Seele weht,
empfinden wir, was in den Schriften steht,
die uns den Untergang der Welt verheißen.
Wir sehen uns wie Tropfen niederrinnen
an Gräsern, die ein fremder Geist erschuf,
wie Falter folgen süßer Düfte Ruf
und sich verfangen im Geweb der Spinnen.
Wir können wie der Knabe einst am Meer
nicht mit der zarten Muschel der Gedanken
die ungeheure Tiefe schöpfen leer.
Die wir wie Pascals Schilfrohr unstet schwanken,
ersehnen blind des Feuers Wiederkehr,
auf daß es uns verzehrt, die Schwermutkranken.
Die Chrysantheme
Wie am Revers der Dichter sie getragen,
die Chrysantheme, hellen Daseins Schaum,
mag leuchten, was empfunden wir noch kaum,
kann es ein taubeglänzter Vers uns sagen.
Der Schwermut schwarzer Brand will uns verzehren,
und in der Asche glimmt das Abschiedswort.
Die Asche sprühe hehre Flamme fort,
daß sich uns wölben kristalline Sphären.
Doch jener nimmt die Blüte vom Revers,
sie auf die traute Schwelle ihr zu legen,
das Lebewohl, ein Hauch, er wog zu schwer.
Ward müde er auf blumenlosen Wegen,
sein graues Herz träumt von der Wiederkehr,
pocht nachts ans Fenster sanfter Frühlingsregen.
Verhornten Fühlens Schwielen
Wie Knospen, die im Abendwinde schwanken
und scheu verhüllen, was geglüht am Tag,
erglimmt dein Vers von Schwermut müd nur vag,
wenn Schatten des Verschwiegnen ihn umranken.
Wie Wasser weicher zarten Halmen lallen
und dunkel tönen auf bemoosten Steinen,
scheint dich Gesang in heller Nacht zu meinen,
im trunknen Laub Geschluchz von Nachtigallen.
Wenn sie im Dunkel ächzen, morsche Dielen,
siehst du im Halbschlaf, wie du einst gewesen,
ein Kind allein mit seinem Hündchen spielen.
Den herben Vers gab dir der Traum zu lesen:
Was Liebe ließ, verhornten Fühlens Schwielen,
kein süßes Lied macht dich davon genesen.
Die imaginäre Rose
Philosophische Sentenzen und Aphorismen
Leben heiße nicht, ein Leben lang ums Leben bangen.
Der Edle freilich bangt auch um das Leben seiner Lieben.
Der dichterische Blick, der zuerst im Kelch der Blüte die Schönheit königlichen Daseins erblickte und zugleich das um sie schwebende Verhängnis im Glanz des Taus, der an ihr herabrinnt.
In Rätseln sprechen, als werde man von Feinden belauscht.
Es durch die Blume oder in erlesenen Bildern sagen, die nur die Erlesenen zu verstehen gewürdigt sind.
Dummheit denkt abstrakt.
Benetzt man den grauen unscheinbaren Kiesel, zeigt er wunderliche Adern und dunkel schimmernde Venen, die von einem imaginären Leben zu zeugen scheinen. Geht das auch mit jenen abgenutzten, vom Staub des Alltags grau gewordenen Worten?
Behaucht man die erstarrte, eingeschrumpfte, scheinbar tote Mücke, beginnen ihre Beine zu zittern. Geht das auch mit jenen leblos wirkenden Wort-Käfern, die uns der Wind des Ungefähr aus dem wirren Rankenwerk des Sinns geschüttelt hat?
Entwurzelte sind wie Bildhauer, die in Stein oder Holz gearbeitet haben, sich aber plötzlich der Natürlichkeit ihres Materials schämen und zu synthetischen Stoffen wie Plastik und Styropor greifen.
Was ihnen die Scham eingeflößt hat? Der scheele Blick des arroganten Intellektuellen, das eitle Geraune des avantgardistischen Kunstkritikers.
Das Gesicht aus Plastik hat nicht einmal den lebendigen Ausdruck des von einem Kind naiv-grobschlächtig geformten Tonklumpens.
Der Dichter, der sich der Natürlichkeit seines sprachlichen Materials, der Muttersprache, schämt und in ein synthetisches Kauderwelsch verfällt. Wer ihm die Scham eingeflößt hat? Der hochtönende Phrasenschinder und moralisierende Wortfuchser des Zeitgeist-Feuilletons.
Arroganz, die auf dem Kothurn hochtrabender Metaphern einherstolziert, zu abgehoben, der Kleinlebewesen zu achten, die unter den forschen theatralischen Posen und Schritten zerquetscht werden.
Hochmut – ein Symptom seelischer Anämie, geistiger Unterernährung.
Im Esperanto und dem Jargon, der alle nationalen Kulturen und Sprachen ins Unkenntliche einer gespenstischen Weltkultur zu vermischen ausersehen scheint, in diesem Karneval der Kulturen fände der Samen, der in Blüten wie Goethes „West-östlichem Divan“ oder Hölderlins „Brot und Wein“ aufgeht, keinen Nährboden.
Die individuelle und daher unnachahmliche Aura ist das Siegel künstlerischer Originalität.
Zwitter sind zeugungsunfähig.
Nach Platon ist das Schöne ein Erzeuger des Schönen.
Die Rose gebiert die Rose, die imaginäre Rose betaut die Nacht der Seele mit einem ephemer zitternden Glanz.
Pferd mit Pferd, Esel mit Esel, aber sie johlen vor dem Mann mit dem verzauberten Eselskopf, vor dem Kentaur mit dem Pferdeleib.
Zeus freilich, der sich für Leda in einen Schwan verwandelte, und sie gebar Helena, für Danae in einen goldenen Regen, und sie gebar Perseus … Doch: Quod licet Iovi, non licet bovi.
Wen wundert es, daß jene, die hochnäsig die Natürlichkeit des Geschlechts verleugnen, nur sterile Kunst oder Diskurse ohne Unterleib hervorbringen?
Was der Schoß für das Wachstum der Frucht, ist die Heimaterde mit ihrer eigentümlichen Flora und Fauna für die Sprache der Dichtung.
Freilich, das Wort „Rose“ duftet nicht, und die Rose des Gedichts ragt aus Gräsern, Büscheln von Versen, die gilben, wenn wir sie mit dem Tau der Augen nicht mehr benetzen.
Die Rose des Gedichts kann das Paradies eines Himmels bedeuten, in das wir nur als Schatten auf den Seiten der Divina Commedia gelangen.
Der Lindenbaum vor der Kirche des Heimatdorfs hatte an einem bestimmten Sommertag abzählbar viele Blätter. Doch wie viele Blätter hat der Lindenbaum im Liede Schuberts?
Schwarze Rosen sind Erzeugnisse einer extremen genetischen Auslese. Die schwarze Rose des Gedichts ist das Erzeugnis eines extrem dem Paradoxen zugewandten Geistes.
Die Rose im Garten mag uns an die Schönheit und ihre unausbleibliche Vergänglichkeit erinnern. Von der mystischen Rose aber kündet Angelus Silesius: „Sie blühet, weil sie blühet. Sie achtet nicht ihrer selbst, fragt nicht, ob man sie siehet.“
Den Gesang des Orpheus können wir nicht hören, es sei denn, wir erahnen ihn in den wellensanft schaukelnden Rhythmen und dem knisternden Reimschaum der Sonette Rilkes.
Wer nie eine Rose wahrgenommen hätte, könnte er mit der Art und dem Typ dieses Lebewesens anhand der Stilleben eines Chardin oder Monet bekannt werden?
Die Rose des botanischen Lehrbuchs wartet mit spezifischen Eigenschaften auf, die von der ersten bis zur jüngsten Edition nur unwesentlich variieren. Dagegen mutet uns die Rose des Walterschen Liebeslieds gänzlich anders an als die Rose des Marienlieds.
Du gehst nach der stürmischen Herbstnacht am Garten vorbei und siehst die Rosenblüten hingestreut. Die Rose im Grabspruch Rilkes „Rose, oh reiner Widerspruch, Lust, Niemandes Schlaf zu sein unter soviel Lidern“ bleibt ihrem Sommer treu und fürchtet keinen Herbst.
Grabspruch, den eine Rose zum Widerspruch werden läßt.
Rilke, von dem der Grabspruch stammt, liegt unter ihm begraben, sein Sinn aber verwest nicht.
Je abstrakter der Sinn, je unsinnlicher der Gedanke, je kärglicher der Ausdruck der Empfindung, umso leichter läßt sich der Text beispielsweise mittels KI von einer in andere Sprachen übersetzen. Das paradoxe Ideal des im Konkreten, Individuellen und Eigentümlichen verwurzelten Gedichts ist seine Unübersetzbarkeit.
Die Herstellung des Rosengedichts ist eine poetische Form von Ikebana.
Die mystische Rose, ein Phantasma poetischer Alchemie.
Die imaginäre Rose des Gedichts, die nicht duftet, könnte eine Klage über die leidige Tatsache anstimmen, daß sie nicht dufte.
Selbst der Entwurzelte, dem die Erinnerung an die eigene Herkunft nur ein hochmütiges Naserümpfen entlockt, schenkt seiner Geliebten keine Plastikrosen und stellt keine auf das Grab seiner Mutter.
Das Phantasma der klagenden Rose ist undenkbar ohne unsere Bekanntschaft mit wirklichen Rosen und echten Klagen.
Die imaginäre Rose ist eine Existenz zweiter Ordnung, der Scheinexistenz eines intentionalen Objekts nicht unähnlich.
Die imaginäre Rose glüht geisterhaft im Dunst einer Dämmerung, die daher rührt, daß die Vorhänge am Fenster des hellen Tagessinns von der Schwermut des Dichters zugezogen worden sind.
Die Rose lockt die Biene und den Falter mit einem heimatlichen Duft, aus der lebendigen Blütenschale zu trinken und dabei unbewußt die Bestäubung zu bewirken. Diese geheimnisvolle Symbiose zwischen Blume und Tier gleicht jener zwischen Phantasie und menschlicher Seele; diese trinkt den Tau des Sinns und jene vermehrt sich in geheimen Wünschen und Träumen.
Die am Morgen auf dem weißen Tischtuch liegen, die Blütenblätter, als hätte des Nachts die Rose ein Hauch deiner Träume gekränkt, du zählst sie nicht, du sammelst sie nicht auf.
Horaz zieht die schlichte Myrte der üppigen Rose vor, um die herabgeminderte Glut seines Verlangens und die kühle Aura des sanft ergriffenen Augenblicks zum Ausdruck zu bringen:
Persicos odi, puer, apparatus,
displicent nexae philyra coronae,
mitte sectari, rosa quo locorum
sera moretur.
Simplici myrto nihil adlabores
sedulus, curo: neque te ministrum
dedecet myrtus neque me sub arta
vite bibentem.
Mich stößt ab Perserprotz und zuwider, Knabe,
sind die Kränze mir, die mit Bast verzwirnten.
Such nicht mehr, wo unter Schatten späte
Rosen verglühen.
Lass die Myrte schlicht, das Gekünstel trübt den
Eindruck. So du dann mir die Schale spendest
und ich leere sie unter Weinlaubs Dämmer,
schmückt uns die Myrte.
Horaz, Oden, Buch I, 38
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