Der Verlassene
Der Becher, den du nicht ganz ausgetrunken,
ich zögere, fühllos ihn auszuschütten.
Worüber deine Augen hingeglitten,
aus dunklen Zeilen schwirren mir noch Funken.
Mir ist, als überwüchsen weiche Moose
die Schwelle, über die du bist geschritten.
Vergebens war der Duft der süßen Bitten,
es neigt ihr Haupt die sonnenmüde Rose.
Das hold auf deinem warmen Schoß gelegen,
mein Hündchen hör ich scharren an der Türe.
Daß doppelt ich der Sehnsucht Stechen spüre,
perlt an der Scheibe sanften Glanzes Regen.
Laß, Dichter, mich auf Verses Wogen schwimmen
zu Ufern, wo die Asphodelen glimmen.
Mildes Leuchten
Ein mildes Leuchten webt um schwanke Lauben.
Daß Seelen sagen, was sie dunkel fühlen,
mag ihre Wunden lichter Tropfen kühlen,
geronnen aus den herbstlich-goldnen Trauben.
Der Flaum der Wolke hat sich noch gerötet,
geküßt vom Strahl auf Abschieds sanfter Schwelle.
Die weiße Knospe Mond schwimmt auf der Welle.
Wacht oder schlummert, was im Dickicht flötet?
Gedämpft ist schilfig-grünen Wassers Tönen,
und auch der Schmerz, den Liebende empfunden.
Ein Flüstern hat wie Schatten sie umwunden,
als würde sanft erloschnes Licht versöhnen.
Mag, Dichter, sich des Verses Blüte schließen,
ihr Duft wird in der Nacht noch um uns fließen.
Jalousien der moralischen Gesinnung
Philosophische Sentenzen und Aphorismen
Selbstverliebte Blender, die umständlich wie in Zeitlupe raffinierte rhetorische Locken auf geistigen Glatzen drehen.
In den Abgrund taumeln, epileptisch betäubt von einer welterlösenden Idee.
Neurotiker wedeln und winseln vor der Hand, die sie züchtigt, und beten das Idol an, das sie mit Füßen tritt, wie der Psychopath das schöne Weib, das ihn demütigt.
Sich selbst anzuklagen und zu geißeln ist in Deutschland eine gesellschaftlich anerkannte Methode der Imagepflege.
Denker des verschmockten Feinsinns: Wortkringler und Begriffsspinnen.
Deutsche Geistesgeschichte: eine Aberratio mentalis, die von Fichte über Hegel bis zu Marx und den Fürsprechern der als farbenfrohe Befreiung gepriesenen bleiern-grauen Uniformierung im Überwachungsstaat als moralischer Anstalt reicht.
Die athenische Kultur erblühte auf dem blutgedüngten Acker der Perserkriege.
Der katastrophalen deutschen Niederlage folgte der kollektive Masochismus der Verramschung der Restbestände des kulturellen Erbes.
Grüne Gesinnung, graues Gehirn.
Das Rinnsal des Gesagten mündet in den Ozean des Ungesagten.
Die großen Worte schillern hübsch wie die Seifenblasen aus Kindermund, bevor sie platzen und dahinschwinden, als wären sie nie gewesen.
Die Pax Romana unter Augustus bot nach dem Sieg über das orientalische Monstrum den Raum der Rekreation, in dem die monumentalen Werke eines Horaz, eines Vergil gediehen.
Schopenhauer, der die Sprache als Schaum und Gischt auf der schwarzen Woge des blinden Willens ihrer semantischen Kraft zu wahren Aussagen benahm, ohne dies selber zu erkennen, war doch einer der wenigen großen Stilisten unter den Philosophen deutscher Zunge.
Je mannigfacher die Gelegenheiten, sich medial zu präsentieren, umso aufdringlicher der Exhibitionismus der Scharlatane und eleganten Schwätzer.
Die Zensur, das zeigen Autoren wie Ovid, Pascal oder Baudelaire, die ihr zum Trotz große Werke verfaßten, kann ein Wetzstein des Verstandes, ein Souffleur zweideutiger Wendungen und ein Jäger sein, dessen Fußfesseln nur der subtile Wortakrobat entgeht.
Die Begabung sitzt heute in der hintersten Reihe, wo sich früher die Schwachköpfe räkelten, und langweilt sich, angeödet von dem seichten Stoff, der den Minderbegabten in den von Einfühlung und „Achtsamkeit“ überquellenden Schalen einer vulgären und stumpfsinnigen Pädagogik dargereicht wird.
Der Status und das Einkommen der Eltern sind oft ein guter Indikator für die Begabung der Kinder; von der Wohlfahrt durchgefütterte Kretins zeugen keine Genies.
Die neuen politischen Rousseauisten sind Feinde der Natur, weil sie Begabungen und Talente ungleich verteilt.
Neue sprachliche Bedeutungen, die sich bewähren, sind nichts willkürlich Gemachtes, sondern tauchen auf wie Boten einer noch kaum bemerkten Sphäre der Wirklichkeit.
Indes, Boten fremder Länder und Sprachen können wir nur verstehen, wenn es uns gelingt, ihre Botschaft in unsere eigene Sprache zu übersetzen.
Ein Bote kam aus dem exotischen Land der physikalischen und chemischen Gesetze und Formeln und tat kund, das altbekannte Phänomen Wasser sei eine Synthese von Wasserstoff und Sauerstoff, die unter wechselnden Temperaturbedingungen ihre molekulare Anordnung variieren. So weit, so gut. Freilich bleibt für all jene, zu denen die Kunde nicht vorgedrungen ist, die gewöhnliche Bezugnahme auf diesen chemischen Komplex erhalten, wenn sie das wahrgenommene Phänomen Wasser nennen. – Doch die seltsame Botschaft jener, die im noch exotischeren Land neurophysiologischer Forschung das menschliche Gehirn untersuchen, die Äußerung „Dieser Stoff ist Wasser“ sei identisch mit elektrochemischen Vorgängen in den Nervenbahnen, wird nicht das Glück einer Übersetzung in unsere altmodische Alltagssprache finden: Denn beim Versuch, sie durch ihr wissenschaftliches Idiom zu ersetzen, wird die semantische Bezugnahme und somit ihre Lebensgrundlage vor die Hunde gehen.
Die Bedeutung einer Aussage wie „Wasser ist H2O“ ist nichts Konstruiertes und Gemachtes, sondern mittels methodischer Forschung entdeckt. Dieser Sachverhalt weist auf die Bedeutungsautonomie all jener Namen und Begriffe, die natürliche Arten identifizieren wie Sonne, Rose, Pferd oder Mann und Frau.
Bedeutungen von Namen und Begriffen für natürliche Arten sind nicht, was wir empfinden, fühlen und intendieren, wenn wir sie äußern.
Wer vor der Floristin auf einen Behälter voller weißer Nelken zeigt und den Wunsch äußert: „Machen Sie mir bitte von den Rosen einen ansehnlichen Strauß“, wird sich hinsichtlich seiner botanischen Kenntnisse blamieren, auch wenn er während seiner Äußerung tatsächlich an Rosen gedacht hat.
Der Mann mit Bart, der von sich behauptet, er fühle sich als Frau oder gar als schwangere Frau, beweist mit seiner Äußerung nicht die Wahrheit seiner Behauptung, sondern die Krankheit seines Gemüts.
Unterschied von grammatischem und natürlichem Geschlecht: Der Ausdruck „DIE Person“ bezieht sich nicht ausschließlich auf Frauen und der Ausdruck „DER Mensch“ nicht ausschließlich auf Männer. – Aber das verstehen sie nicht; das wollen sie nicht verstehen.
Die historischen Kollektivnamen „Ungarn“, „Serben“, „Japaner“, „Armenier“ oder die verächtlich als „Bio-Deutsche“ Titulierten bezeichnen auf ethnischer Zugehörigkeit beruhende kulturelle Gemeinschaften; sie haben demnach den semantischen Rang von natürlichen Arten und repräsentieren nichts Gemachtes, Künstliches, sozial Konstruiertes. Wer dies abstreitet oder mit gesinnungsethischem Denkverbot belegt, will vorgeblich rassistischen Ressentiments Einhalt gebieten, in Wahrheit aber kulturelle und nationale Einheiten dieser Art mittels gesteuerter Überfremdung und als globale Vielfalt gefeierter Demoralisierung zerstören.
Die Jalousien der moralischen Gesinnung sollen die harten Strahlen der Wahrheit verdunkeln.
Im schummerigen Dämmerlicht ist gut munkeln, wo die Lichtscheuen ihre Köpfe zusammenstecken und sich in der Aufzählung der von ihnen erlittenen oder bezeugten Traumatisierungen und Diskriminierungen überbieten.
Wer Wahrheiten im Munde führt, die den Phrasen der moralischen Gesinnung widersprechen, läuft Gefahr, von ihren Wächtern, die um den inneren Frieden und die Anfälligkeit der noch nicht mehrfach Geimpften für das Virus des Zweifels besorgt sind, in einem medialen Schauprozeß geknebelt zu werden.
Was sie nicht mehr kennen, was sie nicht mehr können: sublim empfindend, Sublimem vorzufühlen und ihm nachzudichten, geschweige denn das bedeutsam Schwere spielerisch-leicht zu sagen.
Das Sublime ist den niedrig Gesinnten zuwider, weil es von vornehmer Herkunft und Haltung zeugt.
Demokratische Hunde haben ein fideles Vergnügen, wenn sie an ehrwürdigen Denkmälern das Bein heben.
Plebejer (wie die in der Gruppe 47), die beim hohen Ton des Dichters feixen, scharren, johlen.
Wie sublim das Lilienbanner der Bourbonen verglichen mit der kunstlosen Trikolore der Egalitären.
Nicht wird sich vor der königlichen, der Schwester Orchidee, das Veilchen schämen.
Der Gegensatz zur königlichen Orchidee ist nicht das geringe Veilchen, sondern der widrige Staub, der beide befällt.
Der Gegensatz zum Erhabenen und Sublimen ist nicht das Geringe, Einfache und Schlichte, sondern das Alberne und Vulgäre.
Die unverkürzte Beschreibung deutscher Zustände genügt den Kriterien guter Satire.
Die Wissenschaft am Gängelband der Gender-, Anti-Rassismus-, Anti-Kolonialismus, Klimaschutz- und Gleichheitsideologie, ihr Kotau vor den administrativen und institutionellen Gebern von Drittmitteln an die heroischen Verfechter politisch korrekter Programme und Pseudo-Forschungen, ihr wedelnder Dank an die Auftraggeber in Form von Gefälligkeitsgutachten – das ist aus dem Land von Leibniz, Humboldt, Planck und Heisenberg geworden.
Der Triebtäter, Erotomane, Projektemacher, Blitzkrieger, Welteroberer, der zum Augenblick nicht sagen konnte „Verweile doch, du bist so schön“, Faust, das geheime Vorbild aller Tatmenschen, kriminellen Machtpolitiker und Fortschrittsbesessenen, erblindet am Ende des zweiten Teils der Tragödie; ergriffen von dem Geräusch stechender Spaten und wühlender Schippen wähnt er den Fortgang seiner kolonialen Machenschaften auf gutem Wege – in Wahrheit hört er die Totengräber sein Grab ausheben.
Der Hang zur ruchlosen Machtentfaltung und Entweihung der Erde ist ein Grundzug der Aufklärung, der heute die Endgestalt der westlichen Zivilisation bestimmt. – Man denke nur an den Aspekt der Desakralisierung des rituellen Begräbnisses im Rahmen der Friedhofsverordnung unter Kaiser Josef II., deren wissenschaftlich verbrämter Begründung, sie diene der hygienischen Entsorgung des Leichnams, auch Mozart zum Opfer fiel.
In die scheinbar unsublimierbare Urlust der Vernichtung, die den Sohn des Chaos beherrscht, mischt sich von Anbeginn ein Gefühl der Sinnlosigkeit und Ohnmacht angesichts der schöpferischen Potenzen, wie sie in den natürlichen Ordnungen zutage treten – ein Gefühl, das die Lust zur frenetischen Wut steigert.
Der dichterische Gesang entstammt dem Rauschen des Wassers, dem nächtlichen Glucksen tauenden Schnees, der ozeanischen Brandung und er kehrt am Ende zum Wasser zurück, und sei es in Gestalt der einsamen Blütenknospe, die, dem Monde aufgetan, auf dem dunklen Strom des zur Mündung strebenden Gefühls dahintreibt.
Sprachen dienen nicht nur der Verständigung, sondern ebenso der Verheimlichung, Verklausulierung und Selbstabschließung kultureller Gemeinschaften; so die Gaunersprachen, die Runen der Druiden, die Geheimsprachen der Auguren, Priester und Diplomaten, die hermetischen Sprachen der Dichter. Wer versteht denn, auch wenn er seinen Stowasser oder Larousse jahrelang unter dem Kopfkissen barg, auf Anhieb einen Horaz oder Mallarmé, wer dringt aus der syntagmatischen Ordnung der indogermanischen Sprachen ohne weiteres in die agglutinierende der altaischen Sprachen wie das Ungarische oder Japanische ein, ohne sich in den schwebenden Bezüglichkeiten ihrer Aneinanderreihungen zu verheddern?
Platon warnte im „Phaidros“ vor den Gefahren, die von der Verschriftlichung auf die mnemotechnischen Fähigkeiten des Menschen ausstrahlen; heute haust der digital gesteuerte, überwachte und betäubte letzte Mensch in den ausgebrannten Ruinen seines Gedächtnisses und auf dem unfruchtbaren Karst seiner gebrochenen personalen Identität.
Verstiegenheit, Entgrenzung, Maßlosigkeit in Theorie und Praxis – deutsche Wegmarken.
Den natürlich-leichten Rhythmus und Wechsel finden, Tag und Traum, Willkommen und Abschied, Leiden und Meiden – das Schwierigste für Geister, die am Gespinst der großen Systemspinne kleben; noch während sie von ihr ausgesaugt werden, hört man ihr fast ersticktes Wispern und Winseln vom kommenden großen Glück. Was meint dies anderes als die nietzscheanische Rache jener, die zur Kurzatmigkeit und Trübsal verdammt waren, an den frei Atmenden und leicht Lebenden, der Thersites-Gestalten an den Anmutigen, Schönen, Wohlgeratenen, der Unfruchtbaren an den Schöpferischen?
Dichters Abendlauben
Wie müde Knospen, hingeneigte, scheinen,
wo Menschen still auf weißen Wegen gehen,
ins Dämmergrau hinschmilzt der Schnee von Schlehen
und blauen Sommers Quellen leiser weinen.
Als ob in schilfig-grünem Wasser bade
die Nereide ihre losen Locken,
verknistern unterm Monde süße Flocken,
zergeht in trunknem Schaum die Serenade.
Und Tropfen, die an Blütenspitzen glommen,
verglühen, windgepflückt, im dunklen Moose,
in holder Knospe birgt sich scheu die Rose,
fern ist, wo Liebe träumt, ihr Duft geschwommen.
Laß, Dichter, im Gewog der Abendlauben
noch Verse zwitschern, gurren Turteltauben.
Der Zeitgeist
Die schlichten Namen läßt er nicht mehr gelten,
will echt von unecht, recht von schlecht nicht scheiden,
wahr reden ist ihm bloß Grimassenschneiden,
womit sich weiße Alte selbst entstellten.
Natur – Konstrukt, ein Spielball dreister Launen,
Kunst – was man ins Museum mag nur hängen,
frei dünkend sich von Tradition und Rängen,
schlägt er den Schaum, und trübe Wasser raunen.
Mag hinter Wortgirlanden, Dunst der Phrase
ein kahler Geist, sich Häßlichkeit verstecken,
der wahrhaft Wache wird sie uns entdecken,
die leere Puppe in der Lügengaze.
Daß, Dichter, dich kein Wortgewirr betöre,
horch, wie sie klappert, die fatale Schere.
Duft aus der Nacht der Mythen
Die Saite, wie im Traume angeschlagen,
weckt ihrer Schwestern golden-grüne Schwingen,
von Meeresbuchten Muschelschaum zu bringen,
der Brunnen Rauschen, weicher Wasser Klagen.
Wie zwischen Ton und Tönen überbrücken
den Abgrund Fittiche gespannter Stille,
die Leere atmet auf in Klangesfülle,
ist Harmonie, Zerrißne zu beglücken.
Von herbstlich-bitterm Hauche wie benommen,
da einsam wir im Abendmonde gehen,
ertönt ihr Summen, wo die Zweige wehen,
so süß, als wäre sie zurückgekommen.
Sind uns verdunkelt Hellas’ goldne Blüten,
ihr Duft weht manchmal aus der Nacht der Mythen.
Reliquien des Sinns
Daß uns verzehrend wir wie Kerzen glimmen,
zum Duft vorm Weihebildnis angezündet,
wie lose Blüten in den Schalen schwimmen,
die man vor Buddhas leerem Lächeln findet.
Daß hell aus weichen Moosen Quellen springen,
des Tages heiße Stirne uns zu kühlen,
wir Flügel sehen sich ins Blaue schwingen,
wenn dunkel wir des Lebens Fülle fühlen.
Wie Tränen zögernd an der Wimper schweben,
und zuckt das Lid, auf Wangen Wärme breiten,
sind sanften Glanzes Worte uns gegeben,
das Leid zu lindern und das Herz zu weiten.
Reliquien des Sinns, birg sie im Schreine
des hohen Worts, vor dem die Seele weine.
Wer will es wissen
Wasser, wollet leiser rinnen,
Blüten tragen, Rätsel raunen,
winden euch in Mädchenlaunen
wie auf mondgebleichten Linnen.
Hemmt der Fels mit Urgewalten
euren Lauf, legt ihm zu Füßen
blauen Samtes weiche Vliesen,
und er glättet ihre Falten.
Sanft erwachte wie von Küssen,
Tropfen fallen, Blasen springen,
sind die Schwestern es, die singen,
seid ihr’s selbst, wer will es wissen.
Die fernen Nachtigallen
Vergil lockt sanften Atems wie im Schlafe
die silbern perlen Töne aus dem Rohr,
und weiche Flocken geben still die Schafe,
die leise singend ihm der Hirte schor.
Horaz fügt heller Strophen Quadersteine,
zu schimmern durch den grauen Dunst der Zeit,
verblichen sind der Priesterin Gebeine,
der Marmor glänzt noch in der Dunkelheit.
Die Mücke surrt, dreht rasend sich im Glase,
wie tödlich tönt die Stille nach dem Fest,
der Abend wickelt Busch und Baum in Gaze,
als hülle Scham ein eitriges Gebrest.
Magst, Dichter, du durch Traumes Dickicht dringen,
wo in Kolonos Nachtigallen singen.
Das Esperanto der Hoffnungslosen
Philosophische Sentenzen und Aphorismen
Dichtung ist nicht das Gerede des Alltags, in extravagante Tropen oder verstörende Metaphern verpackt.
Uns alten weißen Europäern dünkt der symmetrische Bau der Kristalle, der Knospen und der Oden schön; ob der Schneekristall in gleichem Maße dem Schwarzafrikaner und dem Eskimo als Exemplare schöner Gestaltungen gilt, scheint noch nicht gründlich erforscht zu sein.
Einzig das Königtum von Gottes Gnaden ist unter allen Formen der Herrschaft angesichts der Eitelkeit, Verlorenheit und Schäbigkeit menschlicher Existenz als groß, erhaben und würdig zu bezeichnen.
Die Gesetze der Natur sind keine sittlichen Normen. Doch die sittlichen Normen sind eine Antwort auf die natürlichen Phänomene; so ist die Vorschrift der Monogamie eine Antwort auf die einzig fruchtbare Bipolarität der natürlichen Geschlechter und die einzig förderliche Aufzucht von Kindern im Hort der Gemeinschaft mit den natürlichen Erzeugern Vater und Mutter.
Die Gesetze der Natur sind keine ästhetischen Regeln. Doch die ästhetischen Regeln sind eine Art autonomer thematischer Bearbeitung und Variation dessen, was uns natürliche Phänomene an Stoffen und Motiven an die Hand geben. – Wir goutieren die symmetrische Gestaltung von Ornament, Säule und musikalischer Fuge; indes, ein völlig symmetrisch gebautes menschliches Gesicht erscheint uns eher uninteressant und fade, dagegen schätzen wir die leichte Asymmetrie, die ihm der Schönheitsfleck verleiht.
Die Wirkung großer Kunst ähnelt der Trepanation des menschlichen Schädels bei vollem Bewußtsein, die uns schon in steinzeitlichen Zeugnissen begegnet; Öffnung der Kammern des Geistes und der Seele, in denen Überdruck herrscht.
Die Stupidität einer hemdsärmeligen hermeneutischen Methode sieht im literarischen Zeugnis ein Abbild der Realität oder eine Vorahnung gesellschaftlicher Entwicklungen. – Als spiegele die Lysistrate des Aristophanes den Widerstand kluger und beherzter Frauen während des Peloponnesischen Krieges; aber dieses Stück ist eine ausgelassene Komödie des geistreichen Dichters zum Amüsement der Männer während der Verschnaufpause, in der sie Schwert und Rüstung gleichsam vor dem Eingang zur Orchestra abgelegt haben. – Als wäre „Der Prozeß“ von Kafka als Antizipation der kommenden Schrecken totalitärer Herrschaft zu lesen; doch ist die Zweideutigkeit der in Kafkas Roman erzählten Ereignisse eine semantische Ausstrahlung der grundlegenden Zweideutigkeit des Fiktiven und der literarischen Form des Romans überhaupt, Zweideutigkeit, die zersetzend in die Darstellungsfunktion der Sprache oder ihre nährende Schlagader hinabsickert. Der Prozeß ist ein gerichtliches Verfahren gegen die eindeutige Sagekraft der Zeichen, der in Verwirrung, Verdunkelung und Zerstörung mündet.
Die Position des Ich im System der natürlichen Sprachen gleicht der Position der Null im System der natürlichen Zahlen.
Durch null kann man nicht teilen. Das Personalpronomen der ersten Person kann man nicht durch eine objektive Beschreibung ersetzen.
Das lyrische Ich ist der Nullpunkt im Koordinatensystem der dichterischen Sprache.
Post factum heißt nicht propter factum. Weil es dich in diese Zeit verschlagen hat, bist du nicht gehalten, dich ihrem Geiste anzudienen.
Die Schreckgespenster, die gesinnungstreue Pädagogik den Kindern und Jugendlichen permanent vorhält, um sie unedlen Haltungen wie dem Antisemitismus und Rassismus abspenstig zu machen, führen zu einem Widerwillen, der sich in infantilen und pubertären Aufwallungen von Antisemitismus und Rassismus entlädt.
Das Gängelband der Geschichtsphilosophie durchschneiden – erste Tat des freien Geistes.
Die sich als lammfromme moralische Mahner und gütige chiliastische Retter der Menschheit aufspielen, sind die Wölfe, die morgen ihren Schafspelz ablegen werden, um ihren Gegnern als Feinden der Menschheit an die Gurgel zu gehen.
Der freie Geist will nicht alles wissen.
Ein paar Menschenalter später und die erste Expedition bricht zu einem erdähnlichen Planeten außerhalb des Sonnensystems auf: Hat sie die großen Überlieferungen der Menschheit in digitalisierter Form an Bord? Bach, Mozart, Beethoven und Schubert? Befinden sich die Schriften der Religionen darunter, die Bibel, der Koran, die Sutras des Buddha? Ihre Symbole, der Stern der Erlösung, das Kreuz, der Halbmond, der Lotos? Oder werden jene reisen, die Nietzsche die letzten Menschen nannte, technisch und wissenschaftlich hochgerüstet, seelisch verholzt und geistig arm? Wie werden sie die Toten auf der Gegen-Erde, denn es gibt keine Rückkehr zum Mutterplaneten, behandeln? Werden sie die Leichen eher chemisch nutzbringend verarbeiten als rituell bestatten? Wird es auf der Gegen-Erde Kunst, Dichtung, Musik und Theater geben oder wird die alte Muse in Form einer entspannenden Droge verabreicht, die den unheimlichen Ausblick in die Galaxis halluzinatorisch verklärt?
Die technische Ablösung der natürlichen Geschlechtlichkeit und ihrer generativen Funktion wird in den Laboren der künstlichen Befruchtung und der chemisch stimulierten Aufzucht genetisch optimierter Embryonen schon vorbereitet.
Die technisch gemeisterte Ersetzung der Bipolarität der Geschlechter hat die Auflösung der natürlichen Bindung im Schutzraum der Familie zur Folge; der Mensch wird sogleich, den Insekten nicht unähnlich, in den totalen Staat hineingeboren.
Ein kleiner Strudel im großen epischen Strom Homers reißt unser Boot nicht in die Tiefe; anders ein unvorhergesehener Katarakt im Nachgesang des Epigonen.
Mischst du alle Farben, kommt nur ein tristes Grau zum Vorschein.
Mischst du willkürlich die literarischen Gattungen und Stilhöhen, blickt dir ein albern-groteskes Monstrum entgegen und behelligt dich mit einem unverständlichen Kauderwelsch.
Heute bedarf es gelehrter Kommentare, um eine Tragödie des Sophokles zu verstehen. Wie war es also um das Bildungsniveau der damaligen Athener bestellt?
Platon streut all die kleinen Partikel- und Füllwörter über die Sätze, die sie wie Kitt verbinden sollen; wörtlich übertragen, wie in der Übersetzung von Schleiermacher, wirken sie nicht wie syntaktischer Mörtel, sondern wie semantische Luftblasen.
Vergleicht man Gestik und Mimik von mehr oder weniger prominenten Personen in älteren und jüngeren Videoaufzeichnungen, bemerkt man ein Nachlassen der Impulsivität und Dynamik als unmittelbare Folge des Alterns. Dagegen bleibt der Ausdruck der Augen meist gleich, und wenn er sich gravierend verändert, können wir wohl auf eine pathologische Veränderung der Persönlichkeit schließen.
Wenn einer vorgibt, signifikante Tendenzen der europäischen Literatur von Homer bis in die Moderne oder der Philosophie von Heraklit bis Heidegger angeben zu können, wird es sich um einen Hochstapler handeln. Denn wer könnte in ein solches Labyrinth eingetreten sein und einen Ausgang gefunden haben?
Fragwürdig wie die Einteilung in Antike, Mittelalter und Neuzeit ist jede historische Einteilung, die vorgibt, mehr als bibliothekarische Klassifikationen und formale Orientierungshinweise zu liefern. – Jede Zeit ist unmittelbar zu Gott, wie Ranke konstatierte, und keine, könnte man ergänzen, ist nur ein Nachhall ihrer Vorgänger oder eine Passage und ein Übergang in nahe und ferne Zukünfte.
Doch geschichtsphilosophische Großkonstruktionen sind für Leichtmatrosen auf dem Großsegler namens Weltgeschichte allzu verführerisch. Als könnten sie im Ausguck die historische Wetterlage nach providentiellen Lichtern und Schatten absuchen und die Ankunft einer neuen Epoche vorhersagen.
DIE Geschichte DER Menschheit – schon beschleichen einen Zweifel begriffslogischer und epistemischer Provenienz.
Beim Gespräch sollten klar erkennbare geistige, sprachliche und moralische Physiognomien einander gegenüberstehen; diejenigen, welche die Physiognomien der Kulturen vermengen und ineinander aufzulösen bestrebt sind, dienen nur vorgeblich der Verständigung.
Von den Nachfahren der vielen Deutschen, die im neunzehnten Jahrhundert nach Amerika ausgewandert sind und sich vollständig amerikanisiert haben, heute noch als von Deutschen zu sprechen, wäre recht sophistisch; für Juden allerdings, die weder im Getto hausen noch das mosaische Gesetz einhalten, aber an der New Yorker Börse spekulieren, soll diese triviale Feststellung nicht gelten.
Auf der abgegriffenen römischen Münze ist das Porträt des Kaisers verwischt, ja nicht zu erkennen, um welchen Kaiser es sich handelt; so die Münzen der Sprache, auf der das Antlitz der ursprünglichen Bedeutung verblaßte.
Synthetische Menschen ohne Stallgeruch, technisch raffiniert gebosselte Kunstwerke ohne die Aura der Herkunft, im Sprachlabor kombinierte Literaturprodukte ohne den Zungenschlag einer Heimat.
Das Deutsch der dem Globalismus hörigen Elite ist das Esperanto der Hoffnungslosen.
Die fatalen Eingriffe am grammatischen Geschlecht zugunsten dessen, was sie „Geschlechtergerechtigkeit“ nennen, entstellen die deutsche Sprache auf eine aberwitzig-obszöne Weise.
Wenn sie von „Künstler:in“ sprechen, verschwindet die Wahrheit der Kunst – und gerade die erotisch verborgen-präsente – hinter dem obszönen Schatten des Geschlechtsmerkmals.
Die wuchtige, urwüchsige Prägekraft der deutschen Sprache haben die Lessing, Herder und Hamann gegen die Überwucherung durch die Sprache des damaligen kulturellen Hegemons Frankreich erobert, gewonnen, gefestigt; heute zerfällt sie unter der Übermacht des neuen Hegemons Amerika in konturlose Wendungen, farblose Stereotype und duftlose synthetische Blüten einer monochromen Monokultur.
„Die Liebe Gottes“ bezeichnet einen Genetivus subiectivus und zugleich einen Genetivus obiectivus. „Sie gedachten seiner gütigen Gesten und Worte“ bezeichnet einen Genetivus memoriae. Sie aber gedenken nicht mehr ihrer (der Opfer), sondern IHNEN; die Auflösung der korrekten Verwendung des Genetivs ist ein Menetekel geistiger Umnachtung.
Karl Kraus bliebe heute die Spucke weg.
Die Linken hatten einmal ihren Brecht, ihren Walter Benjamin; die Rechten ihren George, ihren Rudolf Borchardt; heute sehen wir auf beiden Polen sprachliche Wüsten (mit kleinen, ganz versprengten und schwer zugänglichen Oasen).
Ihnen die Bestie der ungezähmten Sprache freizugeben ist törichter als die kultivierte (wie über Jahrhunderte geschehen) in den Verliesen der Zensur nach Löchern bohren zu lassen, die ihr einen Blick in die gestirnte Nacht freigaben.
Die ersten Opfer der „befreiten“, sprich zügellosen Sprache sind die Schönheit und das Sublime.
Schönheit ist ein ethischer Anspruch an die Kunst des Bilds und des Worts, ohne deren Geltung sie in die Barbarei des unkultivierten Umgangs zurücksinkt.
Wer einen lieben oder geschätzten Gast erwartet, räumt die Wohnung auf und dekoriert den Tisch mit einem frischen Blumenstrauß. Der Sinn für das Schöne wurzelt in solchen Gesten, die für eine lichte Ordnung und eine harmonische Umgebung sorgen.
Wie die Tracht mit ihren kostbaren Stoffen, herrlichen Mustern und bedeutsamen Emblemen dem erhöhten Moment der Feier Ausdruck verleiht, so die Wahl und Anordnung der Worte, Bilder und Metaphern des Gedichts dem erhöhten Moment der Seele, die ihrer innewird und sich selbst zu feiern anschickt.
Sollen wir dem Gast in einer schmutzigen Wohnung und einem zerrissenen Hemd unsere Aufwartung machen, die Seele des Lesers in ein ödes, verkarstetes Sprachgelände oder einen schilfigen Morast dunkel glucksender Laute und schrill pfeifender Interjektionen einladen?
Wie allererst die Seele vor den göttlichen Mächten? Soll sie den Schmutz ihres Alltags nicht abwaschen und sich in das Festkleid des Hymnus hüllen, um ihre Götter anzurufen und zu empfangen?
Das Festkleid der Sprache, wie wir es bei Pindar und dem Psalmisten, bei Klopstock und Hölderlin finden, liegt es für immer zerrissen, weil wir nunmehr eher der Entweihung der sublimen Sprache als ihrer Wiedererweckung zuneigen?
Das Ethos des dichterischen Worts widersetzt sich dem maßlosen Anspruch all jener, die den ungezügelten Ausdruck der eigenen kläglichen Befindlichkeit, das Zeigen ihrer verkrusteten Wunden und die trübe Ejakulation ihrer unreinen Gedanken zur Wahrheit authentischer Kreativität verklären.
Die sublime Kunst der Ahnen wird von den giftigen Alberich-Gestalten der Gegenwart als heuchlerische Maske weißer Vorherrschaft verunglimpft. So glaubt man die für Zwerge unersteiglichen Gipfel der Oden eines Horaz oder Hölderlin dem vulgären Sinn zuliebe plattmachen zu können.
Die zierlichen Windungen und stummen rhetorischen Gesten der höfischen Tanzkunst, die sublimen Ekstasen des klassischen Pas de deux wurden für das Zappeln und Zucken und Strampeln außer Rand und Band geratener menschlicher Körper aufgegeben. – Die Parallele zur Verhunzung der menschlichen Physiognomie im Ausdruckstanz ist die Versumpfung und Verwilderung der Sprache und der dichterischen Formen in vielen mißratenen Exempeln der expressionistischen Lyrik.
Das Ethos des dichterischen Worts bringt uns wieder, nachdem wir sie im Lärm der Welt und im Gedränge des Marktes verloren haben, mit der Bedeutung des Lebens in Berührung, einer Bedeutung, die wir ihm nicht eigenmächtig verliehen oder eitel angedichtet haben, sondern die es, wie das im Schilf verborgene Nest die gesprenkelten Eier, in sich trägt: Das Wort der Dichtung bringt sie zur Resonanz, gleich der in den Wind gehängten Äolsharfe, die auf magische Weise von selbst zu erklingen scheint.
Verlassenheiten
O Schwäne sind, ins Dämmerlicht zu gleiten,
wie Blüten weiß, von fahlem Mond entrückte,
und schutzlos Augen, mädchenhaft entzückte,
die feuchten Glanzes sich im Abschied weiten.
Und einer sitzt am Rand des Parks, verlassen,
wo Kinder rascheln froh im goldnen Laube,
sieht er im Gras die Federn einer Taube,
von wüstem Schnabel ausgerupfte, blassen.
Den in der Nacht hat Hermes noch gemieden,
er schrieb und schrieb, Grabsprüche zu gestalten,
doch fromme Muse wies ihm die uralten:
„In Gottes Schweigen sinke“ – „Ruh in Frieden“.
Moos überwuchert bald die kahlen Steine,
und namenlos zerfallen die Gebeine.
Ut pictura poesis
Als sprössen Finger geisterhaft aus Ritzen,
die dunkles Moos auf Grabinschriften tasten,
sind Abendstrahlen, schüttelnd wie aus Quasten
ihr warmes Blut auf Wolkenrüschenspitzen.
Der Sturm rupft sie, die Strahlenfinger krampfen,
die Wolken färben dunkelblaue Tinten,
es wogt die Nacht von trunknen Hyazinthen,
und Hämmer sind, die auf die Erde stampfen.
Als wischte Martha fromm mit einem Schwamme
den Boden blank vor ihres Heilands Füßen,
erglänzt der Himmel, und Gesänge fließen
um junger Knospen traumgenährte Flamme.
Magst, Dichter, du mit wahren Farben malen,
Pigmente nimm, zerstoßne Seelenqualen.
Die Tünche schliert
Dozent in Kauderwelsch, in vielen Zungen
macht er der Wahrheit Angesicht okkult,
was Spatzen Triviales sich gesungen,
krächzt als Minervas Eule er vom Pult.
Mit Paradoxen weiß er zu verblüffen,
die Einfalt blickt zu Boden, tief beschämt,
sein Wort schäumt auf, braust wie der Gischt an Riffen,
ein grauer Rausch, zitatenbunt verbrämt.
Er ist der Pfau, der vielfach preisgekrönte,
und wenn er gellend sein Gefieder spreizt,
fühlt nur ein zartes Mädchen die verhöhnte
Anmut des Worts, die ihm das Zäpfchen reizt.
Nicht kirre uns der Scharlatane Lallen,
die Tünche schliert, wenn lichte Tropfen fallen.
Sublime Knospen
Sieht sie den Abgrund blauen ungeheuer,
hört Wildheit auf, vorm Götzenbild zu stampfen.
Der hohe Sinn wird sich nicht mehr verkrampfen,
sprang echsenkühn er durch das Opferfeuer.
Und wuchern auch um uns die Abendschatten,
wird Mondes Silbersichel sie bald jäten.
Es keimen noch, die uns die Ahnen säten,
sublime Knospen unterm Schnee der Matten.
Nicht sollen Runzeln seine Stirn entstellen,
das reine Dichterwort nicht Pockennarben.
Es läutern ihm die eingetrübten Farben
der Tau des Morgens und die Musenquellen.
Um Verse, die in dieser Ödnis bleichen,
weht schon ein Hauch von fernen Inselreichen.
Der schweigende Dichter
Der Garten liegt verwildert, Dornenhecken
erstickten die verblichnen rosa Winden,
von Farn umwölkt, daß wir es kaum noch finden,
der sanften Blitze Born, das Marmorbecken.
Die Angel seufzt, erschrockne Schatten huschen,
als ob der Tote die Gefährten riefe,
und auf dem Bord nie abgeschickter Briefe
verwischte Schrift wie tränenfeuchte Tuschen.
Die Stiege führt empor zur Hauskapelle,
wo in der Dämmerung Ikonen milde
Gold streuen, aufzuheitern alles Wilde,
im Flügelhauch zu dämpfen alles Grelle.
Ein Dichter war, der in der Stille wohnte,
auch wenn er schwieg und ihn der Gott verschonte.
Das Grün der Stille
Ein weicher Dunst dämpft Abends scheue Laute.
Wir wollen atmender durch Halme schweifen
und fühlender das Schilf am Wasser streifen,
das sich dem Mond zum trunknen Spiegel staute.
Dir glänzen Tropfen an entzückten Händen,
du schüttelst sie und machst mich sanft erschauern.
Das Grün der Stille rankt sich über Mauern.
Was Tag gelallt, mag Nachtgesang vollenden.
Und wenn des Morgens kalte Fenster fahlen,
von ferne schon die Hämmer heißer dröhnen,
kann mit der Ödnis uns kein Grün versöhnen,
rinnt auch wie Lethe Tau aus Blütenschalen.
Wir können es im dumpfen Schlaf noch fühlen,
das Menschenwerk, das Stechen und das Wühlen.
Ethik des Worts
Philosophische Sentenzen und Aphorismen
Pick aus dem Haufen eine Ameise heraus, und du hast alle.
Anhand des Abgleichs mit dem Farbmuster bestimmen wir die Farbe des vorgelegten Stoffs.
Wir können das Gesicht des Fremden, das uns so bekannt vorkommt, nicht anhand von Erinnerungsbildern identifizieren.
Das von einer noch so sorgsam gefütterten Software erzeugte Musikstück wird Mozart nur im oberflächlichen „Sound“ imitieren, nicht aber dem Geist nach.
Lege im Geiste neben Schillers Schädel und Goethes Gedicht „Bei Betrachtung von Schillers Schädel“ den von Herrn Jedermann.
Greife einen beliebigen Akkord auf der Tastatur, und wir erkennen augenblicks den Meister – oder den Dilettanten.
Nur im Trivialen sind alle gleich.
Die Analyse von Wasser ergibt zwei gasförmige Stoffe, die Analyse des Satzes wiederum Sätze, die Analyse des Gedankens wiederum Gedanken.
Zerlegen wir das Gehirn in Fasern, die Fasern in Neuronen, die Neuronen in Moleküle: wir stoßen auf keine Wahrnehmung, keine Empfindung, keinen Gedanken.
Synapsen können sich nicht irren, Gedanken schon.
Die Maschine versagt; der sie bedient, tut den falschen Handgriff.
Gehirne können sich nicht über sich selbst täuschen, im Gegensatz zu den Personen, deren Gehirne sie sind.
Ein beliebiger Sprachfetzen sagt uns, auf welchem Niveau wir uns befinden.
Wie ihre Gestalten, unterscheiden sich auch die typischen mentalen Eigenschaften von Männern und Frauen. – Diese Banalität soll, weil sie morbide Empfindungen einer winzigen Minderheit verletzt, ins Reich des Unsagbaren, des Unsäglichen, verbannt werden.
Die Theorie über die Welt, die behauptet, sie sei alles, was der Fall ist, erweist sich notwendigerweise als unvollständig, denn sie verkennt, daß der Sprecher, der die Behauptung aufstellt, darin nicht vorkommt.
Die Welt muß eine Struktur haben, die es möglich macht, daß ein Sprecher auftaucht, der Theorien über sie aufstellt.
Keine Sprache ohne Sprecher.
Die Grammatik ist die mächtige und fruchtbare Fiktion einer starren geistigen Einheit gegenüber dem fluiden Medium der sprachlichen Handlungen, die sie instantiieren.
Die Grammatik verführt uns bekanntermaßen zu Täuschungen; so die Verwendung des harmlos daherkommenden Reflexivpronomens oder des Personalpronomens der ersten Person. Doch wir täuschen uns, wenn wir anhand von Sätzen wie: „Mich friert“, „Mir graut vor ihm“, „Er freute sich, uns wiederzusehen“ oder „Sie fühlte sich aufgrund seiner hochmütigen Geste beschämt“ zu der Auffassung neigen, diese und andere mentale Vorgänge beruhten auf einer vorgängigen Reflexion, sie könnten gleichsam nur vor dem Spiegel des Selbstbewußtseins artikuliert werden.
Er dachte: „Ich bewege meinen Springer, dann kann ich die Dame bedrohen. Doch halt, dann werde ich selber von seinem Turm bedroht!“ – Angesichts solcher Selbstaussagen werden wir zu der Auffassung verleitet, was wir mit „ich“ bezeichnen sei eine Instanz, die in der Rolle des Selbstbeobachters und Wächters der eigenen Handlungen (beispielsweise an der Grenze von Es und Über-Ich) exzelliere oder auch mühsam ihren Posten halte.
Der Gebrauch des Possessivpronomens verführt uns zu wieder anderen philosophischen Torheiten, nämlich Kategorienfehlern; die Rede von „meiner Hand“ und „seinem Leben“, von „ihrer Empfindlichkeit“ und „seiner Intelligenz“ verführt uns zu falschen Analogien, als wären Leib und Leben sowie emotionale und intellektuelle Fähigkeiten Besitztümer wie Haus und Hund.
Geld und Gut, das wir verschenken oder veräußern, haben wir nicht mehr; unser intellektuelles und sprachliches Vermögen, das wir einem Freund zur Verfügung stellen, wenn wir ihm bei der Übersetzung von Auszügen lateinischer Schriftsteller helfen, wird dadurch nicht geringer.
Intelligenz könnte man nicht vortäuschen, ohne sie zu haben. – Aber sie großzügig im Dienste anderer anzuwenden heißt nicht, zu verdummen – im Gegenteil.
Der Schüler antwortet bei der Verlesung der Namen durch den Lehrer: „Hier!“ – Der deiktische Ortsindikator „hier“ kann das Pronomen der ersten Person „ich“ ersetzen.
Wir können uns nur als Personen oder lebende Organismen mit spezifischen Fähigkeiten verstehen, nicht als raumzeitliche Komplexe aus physischen Entitäten, über denen mentale Eigenschaften emergieren.
Personen können von sich sagen, daß sie jetzt hier sind; dagegen muß die physikalische Weltbeschreibung die subjektiven Orts- und Zeitzuschreibungen eliminieren und durch Werte objektiver Skalen ersetzen.
Der Versuch, personale Existenz zu objektivieren, verstrickt sich in eine Art pseudonaturwissenschaftlicher Mythologie. So wenn wir uns als sprechende Affen und äffende Roboter wiederfinden sollen.
Sagen wir, Personen seien Körper mit einem Gehirn, das ein Bild seiner selbst, ein Selbstbild, projiziert, bleiben wir weiterhin in die cartesianische Polarität von Materie und Geist verstrickt, auch wenn wir den Geist durch das Gehirn ersetzen.
Wenn wir von der Person mit unserem Namen und unserer Adresse, ja selbst mit unserer Biographie, sagen, sie beschließt, ihren Freund Peter zu besuchen, bleibt unklar, inwiefern wir selbst es sein sollen, die diesen Entschluß fassen.
Die Probe einer Handschrift mag dem geschulten Graphologen ermöglichen, die Identität des Verfassers zu entschlüsseln; doch die noch so sorgfältige Analyse der Wahrnehmungen, Empfindungen und Erinnerungen entschlüsselt nicht die Identität dessen, der sie hatte; denn all diese Formen des Selbstwissens sind täuschungsanfällig.
Stichproben sind objektive Verfahren der Mustererkennung, bei denen ein zu identifizierendes Exemplar wie eine Handschriftenprobe anhand eines Vorrats an Mustern desselben Typs analysiert wird, deren Zuschreibung zur Identität einer Person als sicher gilt. – Doch im Falle des Selbstbewußtseins haben wir nur mentale Ereignisse bestimmter Typen oder Muster, die sich die Person selber zuschreibt.
Man muß die zugespitzte Absurdität der Frage verspüren, inwiefern bloße Materie Bewußtsein hervorbringen, reine Nervenfasern sich ihrer bewußt werden können, um über die Tatsache zu staunen, daß ihr mittlerweile Scharen und Generationen durchaus kluger Köpfe auf den Leim gegangen sind.
Mit der altgriechischen Sprache teilt die deutsche die Möglichkeit und die Neigung, mittels der Substantivierung des Verbs und des Partizips Scheinwesen oder begriffliche (und mythische) Allegorien hervorzuzaubern, wie DAS Sein, DIE Wahrheit, DIE Vernunft und DIE Tugend (die sprachliche Möglichkeit zu tausend göttlichen Wesen hat uns monotheistische Sprachaskese verstellt). – Natürlich gibt es kein Sein, sondern nur die Möglichkeit für dieses und jenes zu existieren, und also auch nicht zu existieren; natürlich gibt es weder DIE Wahrheit, DIE Vernunft noch DIE Tugend; sehr wohl aber gibt es unsere sprachliche Fähigkeit, sinnvolle Sätze zu bilden und unter diesen wahre von nichtwahren zu unterscheiden; sehr wohl die intellektuelle Potenz, Urteile über Handlungen zu fällen und die einen als vernünftig, die anderen als unvernünftig zu kennzeichnen; und zudem sprechen wir zurecht vom moralischen Urteilsvermögen, wenn wir bestimmte Taten als gut belobigen und andere als schlecht tadeln.
Als Gesetz logisch-semantischer Mannigfaltigkeit könnte gelten: Es kann nicht nur EINEN Sprecher EINER Sprache, es kann nicht nur EINE Sprache geben.
Aus dem Gesetz folgt auch, daß es dort, wo nur eine Sprache gesprochen zu werden scheint, es gleichwohl Versionen derselben Sprache gibt, zum Beispiel die Dialekte, Soziolekte, Idiolekte oder die Sprachen der Kinder, der Priester, der Gauner.
Gäbe es eine Welt mit nur einem Sprecher nur der einen Sprache, könnte er, wie Wittgenstein gezeigt hat, die Anwendung der sprachlichen Ausdrücke auf bestimmte Gegenstände und also ihre Bedeutung nicht regelhaft festlegen; also wäre es möglich, daß sich die Bedeutungen der sprachlichen Ausdrücke gleichsam unter der Hand und ohne daß der Sprecher es bemerken müßte änderte; in diesem Falle würde er mehr als eine Sprache sprechen.
Meine Hand ist nicht mein Eigentum; ich kann sie jemandem nur im übertragenen Sinne leihen.
Meine Organe und Glieder sind ein echter Teil meiner Person; dies gilt auch im Fall des Verlusts von Gliedmaßen, wie uns der Phantomschmerz illustriert. Würde mein Gehirn gemäß dem lehrreichen Gedankenexperiment von Hilary Putnam in einem wissenschaftlichen Labor in einer Nährschale aufbewahrt und auf künstliche Weise mit all den Impulsen angeregt, die zu den Wahrnehmungen, Empfindungen und Gedanken führen, die ich jetzt im unverstümmelten Zustand habe, wäre daher der Nervenhaufen im Labor mit meiner Person nicht mehr identisch, auch wenn er auf Befragen nach seiner Identität meinen Namen angäbe.
Die Wahrheiten über Dinge und Tatsachen geben uns keine Orientierung, keinen Lebenssinn; die Wahrheit, daß die Erde um die Sonne kreist und nicht umgekehrt, oder die Wahrheit, daß die Klasse der Säugetiere, zu der wir biologisch gehören, in zwei sexuelle Geschlechter aufgeteilt ist, gibt uns keine Orientierung in der Frage, ob wir vernünftig oder unvernünftig handeln, wenn wir unsere Lebenskraft dieser oder jener künstlerischen oder religiösen Aufgabe opfern, eine Familie gründen und Kinder aufziehen oder sie zur Maximierung unseres privaten Vergnügens verschwenden sollen.
Eine Weinprobe machen heißt nicht, so zu tun, als trinke man Wein, sondern ihn zu verkosten.
Ob einer schreiben kann, belegt er mittels Vorlage einer Textprobe, die nicht nur in korrektem, sondern in gutem, wenn nicht brillantem Deutsch geschrieben ist.
„Er schreibt nicht nur einen schlechten Stil, sondern miserables Deutsch.“ – „Hätte man sein verborgenes Sprachtalent frühzeitig gefördert, würde er sich heute eines korrekten Ausdrucks befleißigen und sogar glänzend formulieren.“ – Aber nein, dann wäre er nicht, der er nun einmal ist, ein Journalist, ein Schänder der Muttersprache.
Sehen können ist mehr als nicht blind zu sein oder intakte Augen zu haben. Was wir damit meinen, erhellt die Mannigfaltigkeit der sprachlichen Wendungen, in denen wir davon sprechen. „Schau genau hin!“ – „Betrachte es in aller Ruhe!“ – „Achten wir nicht nur auf die Farbgebung, sondern auch auf die hintergründige Struktur des Gemäldes.“ – „Zum Schauen geboren, zum Sehen bestellt.“ – „Ich habe genug gesehen, für mich ist die Sache klar!“– „Er konnte sich an ihrem Lachen und ihrem strahlenden Blick nicht sattsehen“ – „Ich konnte mir durch vorurteilslose Beobachtung ein genügend klares Bild von der Situation machen.“ – „Gott ist unsichtbar, dies bedeutet, daß er sich wesenhaft verbirgt und entzieht.“
Daß 17 eine Primzahl ist, bedeutet, die Zahl kann nur durch 1 und sich selbst geteilt werden. – Die definierte, nicht die willkürlich konstruierte, Möglichkeit legt den Sinn des Ausdrucks fest.
Bedeutungen sind mehr als willkürliche sprachliche Zeichen, die von einem geheimnisvollen mentalen Akt der Inspiration mit Sinn aufgeladen werden.
Sicher schließen wir aus der Tat und der Wirklichkeit auf die Möglichkeit. Aber wenn einer nicht mitsingt, wenn alle das Loblied auf den Gastgeber anstimmen, folgt daraus nicht, daß er nicht singen kann, sondern wohl eher, daß er es nicht will.
Keine Sprache ohne Sprecher. Wer spricht? Jeder, der sagen kann: „Ich!“
Sprechen können ist mehr als in der Lage zu sein, die Sprechwerkzeuge zur Artikulation wohlgeformter und syntaktisch gegliederter Laute zu verwenden, denn nur wenn diese zu sinnvollen Aussagen verbunden sind, reden wir von der korrekten Anwendung unseres Sprachvermögens.
Ethik und Sprachlehre sind, um ein Wort Wittgensteins abzuwandeln, eins; denn wer sich zu dem, was er äußert, oder zur Autorschaft dessen, was er schreibt und veröffentlicht, bekennt, muß es auch gegenüber höheren Instanzen, beispielsweisen den großen Sprachmeistern der Nation, verantworten. Selbst gesellige Plaudereien zeigen bisweilen in einem ernüchternden Licht den Schatten ihrer Zweideutigkeit, wenn sie dem Ernst der Lage nicht angemessen sind.
„Ich bin es, der spricht“: Ethik des Worts, die mit der Verantwortung für seine Äußerung identisch ist, meint auch die Verpflichtung zur Bewahrung und Reinerhaltung der Muttersprache, wie sie uns vorbildlich im Werk eines Eduard Engel („Deutsche Stilkunst“) entgegentritt. Denn die Verhäßlichung und die Besudelung der Sprache durch den Jargon des Zeitgeistes sind mehr als eine ästhetische Angelegenheit, verdunkeln und verstopfen sie doch die Fenster und Poren unserer sprachgebundenen Einsichts- und Urteilsfähigkeit.
Wenn die Lichter fahlen
Licht, von Gespinst umgraut, blakt fahl und fahler,
als wär der Seele Aug schon fast erblindet,
die Mädchenwangen rosig hat geründet,
des Lebens Frucht schmeckt Bittren umso schaler.
Vom Mond entrückt ins Schneelicht trunkner Seiden,
daß Orchideen sich geneigt vor ihr, der stolzen,
die Lilie auch sieht ihre Pracht geschmolzen,
wenn Falter die verblühten Lippen meiden.
Die Rose Wort, der Liebe feuchtes Prunken,
das aufgetan sich sommerblauem Gaukeln,
streut Blüten, auf den Wellen sacht zu schaukeln,
da Schwäne wie im Schlaf die Häupter tunken.
Muß fahlen, Dichter, auch des Mundes Blume,
den Samen birg in dunklen Verses Krume.
Die frühen Bilder
Du hast als Kind es unterm Eis gesehen,
als über feuchten Glanz ihr seid geschlittert,
vom Grund der Mosel stieg ein dunkles Wehen,
von goldnen Lohen geisterhaft durchzittert.
Unwirklich sank der Mond ins Tal des Rheines,
wo flache Steine ihr habt springen lassen,
doch jener schmolz hinab, wie Glut des Weines
in Seelen, die in dumpfen Kellern blassen.
Maria Laach, die Knospe, lichtdurchwoben,
des Baldachins, im Paradies die Leuen,
ganz sind die süßen Funken nicht zerstoben,
und Engel noch, ins Dunkel sie zu streuen.
Laß gilben all die Bilder nicht, die frühen,
tränk sie mit Tränen, daß sie wieder blühen.
Im Halbschlaf angeschlagene Saite
Es weben Stimmen im herbstlich verglühenden Laube,
und Stimmen wirren im schwankenden Schilfrohr des Sees,
die aber schlafen unter dem Leintuch des Schnees,
sie wirbeln von Schritten geweckt im kristallenen Staube.
Und birgst du das Haupt wie ein Marmelstein in der Mulde,
der moosigen, Schimmer der nächtlichen Stille zu schauen,
hörst du sie seufzen, die Erde, als würde ihr grauen,
erschauern das Gras, als fühle es, was sie erdulde.
Schreibst du mit dem Bleistift noch, dem fein zugespitzten,
von Wassern, die stumm zum Erinnerungsbilde gefroren,
quillt leise ächzend wie aus zerbrochnen Amphoren
die Qual des Holzes hervor, des zärtlich geritzten.
Die Saite, im Halbschlaf noch von dir angeschlagen,
mag dich zu seligen Inseln des Wohlklanges tragen.
Im Nahen Fernes
Der eine kniet vor hohen Büchermauern,
die Tür zum Garten hat er abgeriegelt.
Vom Staub der Zeichen grau, das Herz versiegelt,
erstickt er, fern von grünen Lebens Schauern.
Den andern trieb es über Land und Meere,
mit fremder Seelen heißem Mund zu singen.
Doch schwirrten ihm nur müder Muse Schwingen,
schwach war das Brausen, echolos die Leere.
Du aber fühl im Nahen Fernes weben,
nenn Halm und Blatt bei ihren schlichten Namen.
Noch birgt die Knospe Vers geheime Samen,
die zarte Flügel über Zäune heben.
Nicht würgen, nicht zermürben dich die Zeichen,
die flockengleich vor deinem Anhauch weichen.
Lausch in die Nacht
Und tragen auf dem Haupt sie schwere Bürde,
sie stehen ungebückt, Karyatiden,
ihr Lächeln rührt von einem tiefen Frieden,
als ob nur Himmelsbläue lasten würde.
Hat sie gezittert auch im Abendwinde,
mag schwanken sie auf ihrem hohen Stile,
die Knospe leuchtet fort, daß ihr Gespiele
die Pollen für ein fernes Blühen finde.
Es wiegen sich wie junge Kanephoren
der Sappho Verse leicht auf zarten Füßen,
in Körben prangen Früchte, süß der süßen,
auf Schalen Blumen, ein Geschenk der Horen.
Mag Dürftigkeit der Zeit dich nicht verdrießen,
lausch, Dichter, in die Nacht: die Verse fließen.
Die Blume vor dem Abgrund
Vom leeren Abgrund bis zur Knospenfülle
kann graues Denken keinen Faden spinnen.
Die Sagen, die aus Gaias Wunden rinnen,
faßt keiner Schale zartgeblümte Hülle.
Es führt kein Pfad von tierisch-bangem Schreien
zum stillen Gipfelschnee der Götteroden.
Sie mußten sich das Rätseldickicht roden,
die Dichter, um das Wort dem Licht zu weihen.
Doch haben sie die Lichtung preisgegeben,
sind überwuchert schon die hohen Bilder,
macht uns kein Sternenwort die Weltnacht milder,
und voll Geschrei bleibt tierisch-stumm das Leben.
Sieh, Dichter vor dem Abgrund: eine Blume,
birg sie in deines Verses weicher Krume.
Ins Zwielicht fliehen
Philosophische Sentenzen und Aphorismen
Das Offensichtliche wird ausgeblendet, das Naheliegende befremdet, aber auf exotische Monstrositäten starrt man unentwegt, das Abstruse muß zur Erklärung des Trivialen herhalten.
Die männlichen Mitglieder der weißen Rasse haben in puncto Intelligenz und Erfindungsgeist, wissenschaftlicher und künstlerischer Genialität, Eroberungsdrang und Unterwerfungslust, Vernichtungsphantasie und Destruktionstrieb über Jahrhunderte exzelliert.
Robert Oppenheimer, Enrico Fermi, Leó Szilárd, Robert Serber, Otto Frisch, Józef Rotblat, Philip Morrison, George Cowan, Emil Fuchs, Hans Bethe und dutzende weitere Wissenschaftler, die führend an der Entwicklung der größten Vernichtungsmaschine der Menschheit, der Atombombe, im Rahmen des Manhattan-Projekts, beteiligt waren: alles weiße Männer hoher analytischer Intelligenz und genialen Erfindungsgeistes, darunter überproportional viele Juden.
Die Glühbirne, die Dampfmaschine, das Telefon, das Auto, das Flugzeug, der Röntgenapparat, die Herz-Lungen-Maschine, der Computer, die Weltraumrakete: alles Erfindungen weißer Männer hoher analytischer Intelligenz und genialen Erfindungsgeistes.
Die Liste der großen weißen Wissenschaftler und Erfinder, der Dichter, Maler, Komponisten, Bildhauer, Architekten wäre zu lang, um auch nur mit den bedeutendsten zu beginnen.
Warum der weiße Mann? Nun, das ist offensichtlich eine Manifestation seiner genetischen Ausstattung, die wiederum das Ergebnis jahrtausendelanger natürlicher und sexueller Auslese darstellt.
Weshalb entsteht die wissenschaftliche Zivilisation in der nördlichen Hemisphäre und nicht im afrikanischen Urwald oder auf den pazifischen Inseln der Seligen? – Die nördliche Hemisphäre ist geprägt vom Wechsel der Jahreszeiten; im Sommer und Herbst gilt es, das Überleben im Winter sicherzustellen, Vorräte anzulegen, die der seßhafte Bauer durch Züchtung und Veredelung von Wildformen der Getreidearten hat gewinnen können. – Vorausschau, Vorsorge, Planung: elementare Formen intelligenten Verhaltens.
Die schöne Sorglosigkeit der Bewohner tropischer Inseln, wo einem die köstlichen Früchte in den Schoß fallen, wäre für den harten Überlebenskampf der Nordländer verhängnisvoll.
Es waren die Frauen, die den Typus Mann sexuell ausgelesen und gezüchtet haben, der aufgrund hoher Intelligenz und Disziplin ihren Kindern im Idealfall Überleben und Gedeihen gewährleisten konnte.
Die Frauen haben den Typus Krieger sexuell ausgelesen und gezüchtet, der ihnen und ihren Kindern Schutz vor feindlichen Übergriffen hat bieten können.
Die Unterwerfung unter den Führer ist der geheime Wunsch der demokratisch aufgewühlten und effeminierten Massen.
Die menschliche Dummheit ist unausrottbar; somit auch ihre politische Variante, die sozialistische Ideologie, der Glaube an die natürliche Gleichheit der Geschlechter, Rassen, Völker und Kulturen, der Glaube an ein seliges Friedensreich unter Leitung der geistig Erwachten, in dem sie zur vollen Geltung kommen kann und die Störenfriede, die um einen Kopf über die Masse der Gleichgeschalteten herausragen, eben um diesen Kopf kürzer gemacht worden sind.
Will man auf die Anmut und Schönheit der Raubkatze nicht verzichten, muß man ihre todbringenden Klauen und Zähne in den Kauf nehmen.
Fragst du die Maus, vernimmst du ihr frommes Gewisper, gern in einer friedlichen Welt ohne Katzen und Eulen leben zu wollen; doch in einer Welt ohne Katzen und Eulen vermehren sich die Mäuse in einem Maße, daß sie Hungers sterben müssen.
Ein Apollon, dem nur die Lyra, nicht aber der Bogen zu eigen wäre, hätte der Muse nicht befohlen, Homer, Archilochos und Pindar, Vergil, Catull und Horaz mit ihrer schmerzlich-beglückenden Weihe heimzusuchen.
Der Mann, dem man das Testosteron verdünnt hat, wird wohl keine Kriege mehr führen, aber auch keine geistigen Gipfel mehr erklimmen.
Die vermännlichte Frau wird keine Kinder mehr gebären. Und die Frau, die man nötigt, gemäß sozialistischem Ideal sich in der Produktion und im Büro „zu verwirklichen“ und im öffentlichen Raum mit dem Mann um Posten und Geltung zu konkurrieren, wird nach und nach vermännlichen.
Der effeminierte weiße Mann ist den Dunkelhäutigen, denen er schuldbewußt die Tore seines Hauses öffnet und sie zu Gast an seinen Tisch lädt, ein heimlicher Gegenstand beißenden Spotts und obszöner Witzeleien.
Der gefährliche Charme der Frauen lag über unzählige Generationen in der Macht ihrer sexuellen Wahl; verliert sie diese oder erlahmt ihre Suche nach dem Einzigartigen angesichts der Verweiblichung und Degeneration des Mannes, wird das Büro ihre tieferen Instinkte auf Dauer nicht zufriedenstellen, es sei denn, diese degenerieren gleichfalls.
Die alten dörflichen Ansiedlungen waren mütterlich geprägt; die Dorfkirche, die wie eine Glucke ihre Küken um sich scharte.
Böse Zungen wie Voltaire, die den Priester als Mann in Frauenkleidern verspotteten, haben nicht ganz falsch gelegen.
Die nun die eigene Zivilisation als Ausgeburt des weißen Mannes rassistisch nennen und ihre kolonialen Abenteuer von ihrer höheren moralischen Warte aus verwerfen, müßten auch auf ihre Errungenschaften und Wohltaten verzichten – aber das wollen und können sie nicht, sie gehen selbstverständlich zum Zahnarzt, nehmen den Flieger und wähnen, der Strom für ihren Fön sei in der Steckdose immer verfügbar.
Ob sie am Amazonas oder Mekong, am Nil oder Indus leben – alle nehmen selbstverständlich die technisch-zivilisatorischen Errungenschaften des weißen Mannes in Anspruch, wenn sie das Bleichgesicht auch verachten.
Wer sich alle relevanten Tatsachen vor Augen rückt, hat sie noch nicht verstanden; wer alle Wörter einer Ode des Horaz kennt oder nachgeschlagen hat, ist um ihren Sinn bisweilen noch arg verlegen.
Jener ist nicht per se moralisch verdächtig, weil er der weißen Rasse angehört, dieser nicht eines moralischen Persilscheins würdig, weil seine Vorfahren und diejenigen des weißen Mannes sich als Sklaven und Herren gegenüberstanden.
Das Mittel kann uns den Zweck nicht ersetzen; die westliche Zivilisation nicht die Kultur.
Lust und Wohlbefinden können uns den Sinn und das Glück nicht ersetzen.
Der unglückliche Hedonist, der glückliche Asket.
Lust und Wohlbefinden und all die zivilisatorisch-technischen Mittel, die ihrer Sicherung und Steigerung dienen, können uns den Sinn und die Kultur, deren künstlerische und religiöse Formen ihn zum Ausdruck bringen, nicht ersetzen.
Der Dichter als Wanderer, der Wanderer als Dichter wie Hölderlin, Nietzsche oder Robert Walser haben auf ihren langsamen Gängen mehr gesehen, was der Betrachtung und geistigen Erquickung wert ist, als der moderne Tourist, der in wenigen Wochen einmal um den Globus hetzt und alle wichtigen Highlights auf sein Smartphone gebannt und in die Tasche gesteckt hat, um sie gleich wieder zu vergessen.
Wir können und sollten mit Wittgenstein und Heidegger der westlichen Zivilisation ein gerüttelt Maß an Skepsis entgegenbringen, ohne sie als Ausgeburt des weißen Mannes und seiner verblendeten Selbstherrlichkeit zu diffamieren.
Hölderlin griff auf den Mythos der Götternacht zurück, Nietzsche sah das Elend des letzten Menschen vor Augen, Robert Walser machte kurzen Prozeß und schloß sich in einer Irrenanstalt ein.
Wir staunen über die Leistung und das Mäzenatentum des Finanz- und Wirtschaftsmagnaten Wittgenstein senior, aber wir bewundern den entsagungsvollen Denkweg seines Sohnes.
Zivilisation ist global, Kultur lokal.
Ein Mischmasch aus allen möglichen Stilen ergibt noch kein Kunstwerk.
„Weltmusik“, „Weltkunst“, „Weltdichtung“ – Unworte, Undinge.
Der den Hirnen der Neugeborenen implantierte Chip, der sie sozial und ideologisch gleichschaltet, steht am Ende des zivilisatorischen Prozesses.
Das entscheidende Instrument zur sozialen Gleichschaltung, die wesentliche Bedingung für die Gründung des irdischen Paradieses der allgemeinen Geschwisterliebe, besteht in der Anpassung und Angleichung der natürlich gegebenen Intelligenzunterschiede, der fatalen Ursachen der daraus folgenden Unterschiede in Status, Rang, Prestige und Vermögen, also in der allein selig machenden Verdummung. Was Kindergarten, Schule und Hochschule, Fernsehen und soziale Medien noch nicht erreicht haben, wird der Eingriff in das menschliche Gehirn vollenden.
Der Rhein, den Hölderlin in seiner Hymne besang, war mythisch anrufbar, weil seine Ufer noch nicht begradigt, seine Auen noch nicht trockengelegt und seine Fluten noch nicht zur internationalen Fahrstraße für Containerschiffe profaniert und gebändigt waren.
Vor den blendenden Scheinwerfern der Zivilisation und den grellen Schlagzeilen und Parolen ihrer Propagandisten flüchten wir uns ins Zwielicht der Dichtung, deren rätselhaft flüsternde Ranken uns den Schatten der notwendigen Einsamkeit schenken.
Hat Rom Griechenland militärisch unterworfen, so Griechenland Rom kulturell; der Eroberung von Hellas durch die Römer folgte ihre Hellenisierung auf dem Fuß. – So kann man annehmen, es sei angemessen, bei jeder Geschichte die Gegengeschichte im Auge zu behalten, bei jedem Sinn und jeder Richtung, die man einer Erzählung verleiht, den Gegensinn und die Gegenrichtung zu bedenken, ja, mitten im strahlendsten Licht das Zwielicht zu entdecken.
Jede Entbergung ist, wie Heidegger sah, äquivalent mit einer Verbergung, alles Gesagte enthält sein Ungesagtes. – Warum sollte, was man den Prozeß der Zivilisation, der Rationalisierung und Verwestlichung der Welt nennt, nicht gegenläufig gelesen einen Prozeß der Barbarisierung, Verwilderung und Orientalisierung enthalten?
Die Metropolen der Moderne zerfallen in opake Zonen einer Tribalisierung nach archaischem Muster.
Die dominante Rede des weißen Mannes unterbrechen auf dem Höhepunkt ihrer glänzenden Rhetorik ein primitives Schreien und ein dunkles Lallen.
Die Entmythologisierung der religiösen Rede erzeugt eine geistige Wüste, in der die Fata Morgana alter mythischer Bilder zu flimmern beginnt.
Das Leben, das im Korsett seiner technisch-rationalen Steuerung zu erstarren und zu ersticken droht, schleppt sich wie eine schlafwandelnde Mumie zum Rand eines Abgrunds, dessen Sog es nicht widerstehen kann.
Wir Bewohner einer sich überlegen dünkenden rationalen Welt befestigen unsere Wege mit einem Asphalt, aus dessen Ritzen schon bald die Einfalt des Grases sprießt.
Fragen sind nicht in jedem Fall das Komplement ihrer Antworten; denn es gibt bekanntlich uneigentliche Fragen, die als bloß rhetorische oder ironische keine Antwort verlangen. Im Gegenteil, wer sie zu beantworten suchte, gäbe damit zu verstehen, daß er ihren Sinn nicht begriffen hat.
Die Ränder unserer Lebensformen, so hell wir sie auch ausleuchten mögen, verschwimmen gleichsam in Dunst und Zwielicht.
Exakte Begriffe und wohldefinierte Bedeutungen finden wir in axiomatisch geschlossenen theoretischen Systemen wie denen der Logik und Mathematik; aber selbst in diesen können wir Sätze konstruieren, die sich im Rahmen dieser Systeme selbst nicht begründen oder ableiten lassen.
Unsere Lebensformen können nicht gänzlich rationalisiert, verwissenschaftlicht und zivilisatorisch vollständig gebändigt werden; denn um Wissenschaft auf sie anzuwenden, sind wir gezwungen, auf die natürliche oder Alltagssprache zurückzugreifen, und diese hat notwendigerweise Bedeutungshorizonte, die im Dunst und Zwielicht des Vagen und Unbestimmten verschwimmen.
Man kann den semantischen Dunst des Vagen und Unbestimmten nicht mittels wissenschaftlicher Verfahren derart kondensieren, daß nur klare Tropfen des Eindeutigen und Bestimmten übrig bleiben.
Aus dem unauflösbaren Zwielicht der Sprache, gleichsam der Corona und dem dunstigen Hof um die sprachlichen Bedeutungen, treten die mythischen Mächte hervor, ähnlich den unwirklichen Farben und geisterhaften Schatten, die sich in der Dämmerung über die Haut der Dinge und die Oberfläche der Alltagsgegenstände breiten.
Vogelstimmen
Wie Funken in der Nacht sind Vogelstimmen,
ein Zittern geht durchs Laub des Schlafs, ein Schwärmen,
daß schon erloschne Herzen sich erwärmen,
um mit den süßen Tönen süß zu glimmen.
Und schlängeln sie herab wie Feuerzungen,
scheint uns, wenn wir ins hohe Blau uns recken,
daß sie den Grind uns von der Seele lecken
und Gottes Odem weite müde Lungen.
Tönt weich die Dämmerung von Abschiedsweisen,
wenn nach dem Licht, dem sinkenden, sie schauen,
wiegt Hauch sie schon aus Südens grünen Auen,
o Herz, es will mit solchen Sängern reisen.
Laß nisten deinen Vers in hohen Zweigen,
mit Lerchen jubeln ihn, mit Sternen schweigen.
Was wir am Abglanz hatten
Das Gott ließ schimmern, wunderbar vollendet,
die Fluten sanken rings am Ararat,
als seiner Gnade zartes Inkarnat,
das Bundeszeichen haben sie geschändet.
Der ihm aus Tränenschleiern Trost gefunkelt,
als Faust, von Tau und Sylphenhauch erquickt,
herab in holden Dämmer hat geblickt,
des Lebens Abglanz haben sie verdunkelt.
Muß schon der Mond getünchtem Grabmal gleichen,
seit plump ihr Schritt den Glanz der Nacht verdreckt,
mag nur, von ihrem Unzuchtsblick befleckt,
der Regenbogen keuschen Wolken weichen.
Laß, Dichter, es auf bunte Steine schneien,
den Vers mal grau in grau wie in Grisaillen.
Knabe Dichter
Geruch von Braten, Kohl und müdem Flieder
im Hinterhof, wo wir die Murmeln schnippten,
Der Zwerg im Unterhemd, dem feingerippten,
sang, schon betrunken, näselnd Seemannslieder.
Und ging vorbei der Lockenkopf, als stöben
vom Pfennigabsatz Funken, glänzten heller
noch ihre Blicke, und sein Herz schlug schneller,
als ob es Möwenschreie in die Wolken höben.
Dich aber riefen dämmerblaue Glocken
in einer heilig-dunklen Sprache Brausen,
und mußtest du im engen Winkel hausen,
es mochte dich zu fernen Ufern locken.
Denk an der Litaneien weiches Wogen,
das früh zum Meer der Verse dich gezogen.
Der Unterschied macht’s
Philosophische Sentenzen und Aphorismen
Ich will euch Unterschiede lehren. Ludwig Wittgenstein
Es gilt, den Unterschied zwischen absoluter und relativer Differenz zu sehen. Leben und Tod, wahr und falsch, Ich und Nicht-Ich (Ich und Du), Sinn und Unsinn, Wissen und Nichtwissen (Erkenntnis und Einbildung) sind Wesensdifferenzen; dagegen finden wir in allem, was wir prädizieren oder begrifflich bestimmen, wie hoch und tief, schnell und langsam, hell und dunkel, Pflanze und Tier, relative Differenzen. Die Rose ist eine Pflanze, der Hund ein Tier, die grüne Hydra und die Koralle können als Mischwesen betrachtet werden. Dagegen ist das Einhorn kein Gegenstand der wissenschaftlichen Biologie.
Lyrische oder rhythmische Prosa, wie wir sie bei Baudelaire oder Mallarmé finden, kann als poetisches Mischwesen betrachtet werden und sehr wohl Gegenstand wissenschaftlicher Poetik sein.
Der Unterschied von Aussagesatz und Fragesatz ist insofern relativ, als wir bisweilen mit Fragen verblüfft oder behelligt werden, die keine Antwort verlangen, weil sie rein rhetorisch oder ironisch gemeint sind.
Selbstaussagen wie „Mir ist übel“ dagegen sind wesentlich von Aussagen in der dritten Person wie „Ihm ist übel“ verschieden.
Die statt in der Ich-Form in der dritten Person verfertigte Aussage („N. N. sah, wie der Tatverdächtige mit einer Waffe in der Hand die Bankfiliale betrat“) wird vor Gericht nicht als Zeugenaussage anerkannt, auch wenn sie eigenhändig unterschrieben und notariell beglaubigt sein sollte.
Der Lehrer fragt: „Wer hat das an die Tafel geschrieben?“ – Aus der hintersten Reihe geht zögernd eine Hand nach oben. – Wir bedürfen zur Markierung des wesentlichen Unterschieds zwischen Ich und den anderen nicht unbedingt performativer Sprachakte; eine Geste genügt, ein Handheben, ein Blick, ein Lächeln.
Der freundliche Mensch weist den Fremden mit dem Handzeichen und dem Fingerzeig die Richtung, in die er gehen soll. Worauf weist die erhobene Hand des Schülers?
Dem Täter wird durch objektive Befunde, beispielsweise einen DNA-Abgleich, nachgewiesen, daß er die Tat begangen hat; daß er sie eingesteht, kann anhand seines Schuldbekenntnisses vor Gericht unter Vorbehalt anerkannt werden. Doch für das schlechte Gewissen gibt es keine objektiven Befunde.
Wir sagen, dem gerichtlichen Urteil liege der wahre Sachverhalt zugrunde, der anders nicht als in dem wahren Satz, der ihn zum Ausdruck bringt, zu erfassen ist.
Dagegen sind Selbstaussagen nicht wahrheitsgebunden oder selbstevident. Zwar übersetzt der Lehrer das Handzeichen des Schülers korrekt mit der Aussage „Ich habe es getan“; doch der Schüler könnte nur vorgeben, das obszöne Wort an die Tafel geschmiert zu haben, um einen Kameraden, dem er aufgrund zwielichtiger Verwicklungen verfallen oder hörig ist, zu decken.
Selbstaussagen können vor dem Tribunal der anderen Sprachgenossen zurückgewiesen oder als bloße Rhetorik abgetan werden, wenn es sich um die Mitteilung von Selbsttäuschungen oder alberne Witzeleien handelt wie „Ich sehe vor dem Fenster ein Einhorn stehen.“
Auch wenn Selbstaussagen sich auf Gewißheiten der scheinbar vor Zweifeln geschützten Innerlichkeit stützen, wie die Aussage „Mir ist übel“, können sie vor dem Tribunal der anderen als unwahr oder unglaubwürdig zurückgewiesen werden, beispielsweise, wenn der angeblich bedauernswerte Magenkranke zum Kühlschrank eilt und ihm ein großes Stück Eis entnimmt, um es gemächlich zu verzehren.
Es gibt keine Mischform aus Sein und Nichtsein, und also kein hybrides Monstrum aus Wahrheit und Falschheit, wie zu Riesenkonvoluten angewachsene dialektische Träumereien vorspiegeln wollen.
„Werden“ ist kein ontologischer Zwitter aus Sein und Nichtsein, sondern ein Prozess, beispielsweise des Wachstums, an dem, was existiert.
Die geheime Mythologie der Sprache verführt uns dazu, wesentliche Unterschiede zu verwischen und beispielsweise dem Leben eine schattenhafte Scheinexistenz vor der Geburt und nach dem Tode anzudichten.
Wo war ich vor meiner Geburt, fragt das einfältige Kind; wohin gehe ich nach dem Tode, der scheinbar Fromme.
Sinnvoll sind Sätze, die jene ontologische Verpflichtung, die sie implizieren, einlösen, also wahr oder falsch sein können. Der Satz „8 ist eine Primzahl“ ist sinnvoll, weil er sich auf die Existenz von Primzahlen festgelegt hat, freilich, er ist falsch.
„Einhörner sind Säugetiere“ ist ein sinnvoller, aber falscher Satz; dagegen ist der Satz „Die Wurzel aus unendlich ist ein Einhorn“ sinnlos.
Männlich nennen wir die Fähigkeit, Samen zu generieren, weiblich die Fähigkeit, befruchtete Eizellen keimen und wachsen zu lassen, sie mit Nährstoffen zu versorgen und auszutragen. Männlich und weiblich markieren keinen Wesensunterschied, denn es gibt Zwitter wie Pflanzen oder Schnecken, die sich selbst befruchten.
Dagegen markieren „Vater“ und „Mutter“ einen Wesensunterschied, insofern sie sich auf wesensverschiedene ethische Sphären beziehen, deren unterschiedliche Mittelpunkte mit Stichworten wie Verantwortung und unbedingte Liebe benannt werden können.
Andererseits implizieren weder sogenannte männliche noch sogenannte weibliche grammatische Formen einen sexuellen Unterschied; denn „die Person“ bedeutet nicht „Frau“, und „der Autor“ umfaßt nicht nur die Gruppe der Männer.
Markierten die sogenannten männlichen und weiblichen Formen der deutschen Grammatik sexuelle Unterschiede, müßten auch Mischformen oder grammatische Zwitter denkbar sein; stattdessen wartet die deutsche Grammatik nur mit dem Neutrum auf, und dieses bezieht sich nicht ausschließlich auf ein geschlechtsloses Etwas; denn „das Huhn“, „das Rind“ und „das Mädchen“ bedeuten weibliche Wesen, „das Kind“ und „das Lebewesen“ können männlich oder weiblich sein, „das Fenster“, „das Elend“, „das Verhängnis“ sind weder männlich noch weiblich.
Nur wenn sich der Kreis der grammatischen Genera mit dem Kreis der natürlichen Geschlechter schneidet, wie bei „der Mann“ und „die Frau“, können wir von wesentlichen grammatischen Unterschieden sprechen.
Wir können uns Sprachen ohne den wörtlichen Gebrauch grammatischer Genera (beispielsweise am Modell der agglutinierenden Sprachen) ausdenken, aber keine ohne Personalpronomen der ersten und dritten Person, denn dieser grammatische Unterschied markiert einen wesentlichen ontologischen, der die Welt durchdringt, in der wir leben.
Erkenntnis oder Wissen bezieht sich auf wahre Sätze, also solche, die von dem, was ist, sagen, daß es ist, und von dem, was nicht ist, sagen, daß es nicht ist.
Erkenntnis ist der Übergang vom Nichtwissen zum Wissen, der sich über viele Formen der Kenntnisnahme, vom Hörensagen bis hin zur wissenschaftlichen Überprüfung einer Vermutung mittels Experiment, erstrecken kann.
Wir können vergessen, was wir einmal wußten; wir können aufgrund des Klangs seiner Stimme vermuten, daß uns hinter unserem Rücken ein Freund auf der Straße zugerufen hat; wir wissen es aber erst, nachdem wir uns umgedreht und ihn erkannt haben.
Zweifel ist kein epistemischer Zwitter aus Wissen und Nichtwissen, sondern der Ausdruck des Verdachts, daß der gesund scheinende Apfel unserer Gewißheit wurmstichig ist. Durch den begründeten Zweifel erlischt das Licht des scheinbaren Wissens wieder im Dunkel des Nichtwissens.
Zwischen dem Profanen und dem Heiligen scheint eine wesentliche Differenzlinie zu verlaufen; den geweihten Bezirk, den Tempel, die Kathedrale wagt nur der stumpfsinnige Tourist ohne innere Läuterung schwätzend und gaffend zu durchqueren.
Wir unterscheiden wesensverschiedene sprachliche Formen und Stile, wenn es um die Alltagssprache und den Ausdruck des Erhabenen geht, wie wir ihn aus Psalmen, Hymnen, Oden und religiösen Gebeten und Liedern kennen.
Freilich, der erhabene Stil muß nicht unbedingt anschwellend, prunkvoll und metaphorisch kühn und verstiegen sein, wie wir es aus den lyrischen Chorpartien der Tragödien des Aischylos und Sophokles oder den Epinikien eines Pindar kennen, vom hohen Stil der Oden Klopstocks oder der späten Hymnen Hölderlins zu schweigen; das Herrengebet ist erhaben und doch im Ausdruck schlicht und prägnant.
Ja und nein markieren einen wesentlichen Unterschied im performativen Ausdruck einer Entscheidung; das Jawort des Bräutigams ist gültig und von der semantischen Schwere einer amtlichen Besiegelung, auch wenn es sich um einen Heiratsschwindler handelt, der, während er ja sagt, nein denkt. Dies belegt die semantische Unabhängigkeit der Bedeutung von mentalen Zuständen, unwillkürlichen Vorstellungen und willentlichen Intentionen.
Die mit den Wölfen des Zeitgeistes heulen leugnen heute aufgrund von Geistesschwäche, perversen Antrieben oder Existenzängsten nicht nur die relativen Unterschiede hinsichtlich der Begabungen von Mann und Frau, von Rassen, Völkern und Nationen, sondern sogar den wesentlichen Unterschied zwischen Sein und Nichtsein, Wahrheit und Unwahrheit, indem sie die Behauptung der Existenz polarer Geschlechter und die wahren Aussagen über ihre entsprechende biologische Ausstattung nicht nur bezweifeln, sondern von der angeblich höheren Warte ihrer moralischen Gesinnung als verwerflich, ja strafwürdig ansehen. Und sie verstehen sich darauf, diejenigen, die hartnäckig an der Wahrheit festhalten und sie kundzutun wagen, dingfest zu machen und den Staat als ihren Büttel einzusetzen, um sie zu verfolgen und mundtot zu machen.
Vielfach verhüllt der faule und unbedachte Sprachgebrauch den wesentlichen Unterschied. Bigotte Denker fordern, sich dem Schöpfer gegenüber für die eigene Existenz dankbar zu bezeigen. – Indes, danken können und sollen wir für etwas, was uns aus freundlich geneigter Hand als ein Geschenk zugeeignet wurde. Also eine Sache, um die wir uns weder verdient gemacht noch gebeten haben müssen.
Freilich, Geschenke, und es sind nicht die schlechtesten, können auch immaterieller Natur sein; ein Krankenbesuch, eine fürsorgliche Geste, ein aufmunterndes Wort, ja ein gütiger Blick zählen dazu.
Aber wir können nicht für etwas dankbar sein, was persönlich zu empfangen und entgegenzunehmen wir mangels pränataler Existenz gar nicht in der Lage waren: unser eigenes Leben.
Das gesunde sittliche Empfinden der alten Völker, wie der Juden, Hellenen und Römer, spricht nicht von Dankbarkeit als grundlegende Haltung der Kinder gegenüber den Eltern, der Nachkommen gegenüber den Ahnen, sondern von einer spezifischen Form von Frömmigkeit, die im lateinischen Begriff pietas mitschwingt und sich in Haltungen wie Ehrfurcht, verzeihendem Angedenken und Zeugenschaft für vergangene Größe ausdrückt.
In der schmutzigen Wäsche anderer zu wühlen und von ganz unten, sprich aus der tiefen Vergangenheit des Inkriminierten, eine fleckige Unterhose hervorzuziehen ist ein Hauptvergnügen jener degenerierten Schreiber, der Journalisten, die sich als Moralwächter der Nation aufspielen.
Urit enim fulgore suo qui praegravat artes
infra se positas. Extinctus amabitur idem.
Wer nämlich sticht mit seinem Strahl, verdunkelt ein Können,
das weit unter ihm glimmt. Den erloschnen, ihn wird man lieben.
Horaz, Epistula 2, 1, 13–14
Als wäre die hohe Lilie, die Pracht der Orchidee oder der betörend duftende Flieder ein lebender Vorwurf für das niedere Gras; als müsse sich der Halm gekränkt fühlen, weil der Schatten des Eichbaumes über ihn hinwegzieht.
Gedenkt man der letzten großen Prosaisten und Stilisten deutscher Zunge, eines Nietzsche, eines Hofmannsthal, eines Wittgenstein, muß man angesichts des Kauderwelsches, das heute aus den Lautsprechern quillt oder im Morast der Zeitungen versickert, an der Hoffnung auf eine Restauratio Germaniae verzagen. Wen wundert es, wenn die kulturelle Substanz des Deutschen systematisch und in trauter Einigkeit von Schule und Hochschule, Medien und Politik, ja von der Dudenredaktion selbst zertrümmert und durch die gewollte und beförderte, allseits bejubelte Entgermanisierung Deutschlands ausgetilgt wird.
Was uns geblieben
Uns blieben Abendlüfte noch, die weichen,
und die von Blüten rinnen, matte Tränen,
das wehe Glück, verschwistert sich zu wähnen,
die Schatten, die erlösten Seelen gleichen.
Und mußten wir die Gärten auch verlassen,
den Dornenpfad hinan zum Kreuze klimmen,
drang aus dem Dickicht Licht von Vogelstimmen,
du streutest Lilien, die voll Demut blassen.
Als letzte Knospe ist der Mond geblieben,
ein Flüstern auch, da wir hinabgeschritten,
von Zweigen, daß vergebens nicht gelitten,
die in der Angst der Welt einander lieben.
Streu, Dichter, Blüten auf die öden Steine,
daß Anmut lächle, sanfte Liebe weine.
Die Spinne Sprache
Die Fäden zittern, wolkenglanzbetaute,
jäh überm grauen Rauschen hin, gewebt
von einem Untier, das vom Tode lebt,
Gespinst, das sich die Spinne Sprache baute.
Und Dichter sind, die sich darin verfingen,
wie Falter, Sommertages blaues Bild,
bis ihren Durst die Grausame gestillt,
sie schläft und träumt, wenn die Verstrickten singen.
Daß sie genährt von edlem Blut fortspinne
und webe neuen Monden neu ein Netz,
scheint hoher Weisheit wunderlich Gesetz,
des Dichters und der Sprache dunkle Minne.
Wie Tränen gleich tauperlende Sentenzen
am Sprachnetz in der Abendsonne glänzen.
William Shakespeare, Sonett 19
Devouring Time, blunt thou the lion’s paws,
And make the earth devour her own sweet brood;
Pluck the keen teeth from the fierce tiger’s jaws,
And burn the long-lived phoenix in her blood;
Make glad and sorry seasons as thou fleet’st,
And do whate’er thou wilt, swift-footed Time,
To the wide world and all her fading sweets;
But I forbid thee one most heinous crime:
O! carve not with thy hours my love’s fair brow,
Nor draw no lines there with thine antique pen;
Him in thy course untainted do allow
For beauty’s pattern to succeeding men.
Yet, do thy worst old Time: despite thy wrong,
My love shall in my verse ever live young.
Nag ab des Löwen Pranken, Fresser Zeit,
schling süße Brut, der Erde kaum entkrochen,
aus wilden Tigers Maul die Hauer schneid,
Greis Phönix laß im eignen Blute kochen.
Eil mit dem frohen Strahl, der Düsternis,
still, Heißsporn Zeit, nur dein Begehren
im Erdenrund, daß bitter wird, was süß.
Die ärgste Missetat will ich dir wehren:
Nicht furche meiner Liebe Stirn dein Pflug,
dein stumpfer Kiel soll ihren Glanz nicht schwärzen.
Bleibt er verschont von deinem Schattenflug,
beglückt der Schönheit Bild noch junge Herzen.
Läßt, Greisin Zeit, du, was da glänzt, auch fahlen,
im Lied wird meine Liebe ewig strahlen.
Die verwaiste Hütte
Dort blitzten immer blank die schmalen Scheiben
durchs Blattgerank von Efeu und von Wein,
an Wintertagen goß der Kerzenschein
ein Weihnachtsschimmern in das Flockentreiben.
Weißt du es noch, als wir vorübergingen,
die Fenster waren auf, das Abendrot,
wie es im Schnee des Linnens hat geloht,
da hörten wir sie wie in Träumen singen.
Die Hütte steht verwaist, die Ranken blassen,
Schutt, wo Tomaten sie und Bohnen zog,
und wie die Schwalbe, die gen Süden flog,
hat über Nacht das Nest auch sie verlassen.
Muß auch das Lied wie Vogelruf verstummen,
im Dichterherzen bleibt ein dunkles Summen.
Die Rosen dämmern schon
Die Rosen dämmern schon im blauen Kruge,
ihr Rot scheint wie gefrorene Sonne fahl.
Ein welkes Blatt löst ab sich unsrer Qual,
ein Flaum, herabgetaumelt wirrem Fluge.
Die dunkle Luft, die wir am Fenster trinken,
schmeckt fad wie abgestandener Festtagswein.
Der Mond liegt auf dem Grab der Nacht, ein Stein,
der immer tiefer will zum Leichnam sinken.
Als würden Nattern in den Kissen lauern,
graut uns vor Irrsalsträumen Nacht um Nacht.
O Flamme, die einst Liebe angefacht,
laß einmal noch das graue Herz erschauern.
Hauch, Dichter, deinem späten Vers noch Funken,
belebe, denen Hermes schon gewunken.
Über die Verpflichtung
Philosophische Sentenzen und Aphorismen
Verpflichtungen sind der Kitt, der die soziale Ordnung zusammenhält. Wenn er bröckelt, bricht auch diese allmählich in sich zusammen.
Verpflichtungen müssen, um ihre normative Rolle spielen zu können, straf- und sanktionsbewehrt sein.
Einer schaut zu Boden, wenn der ehemalige Freund an ihm vorbeigeht; er hat sein Versprechen, das ihm geliehene Gut wieder auszuhändigen, mutwillig gebrochen.
Der Vertragsunterzeichner weiß um die Kosten des Vertragsbruches; der Untreue um die Kosten des entdeckten Ehebruchs. Freilich, wem es nichts ausmacht, die Vertragssumme zu begleichen oder sein Gesicht zu verlieren, kann nur mit härteren Bandagen an die Waage des sozialen Gleichgewichts gebunden werden.
Blutsbande und ethnische Verwandtschaft sind Planken über dem schwankenden, morastigen Boden der sozialen Beziehungen. – Die Mutter muß es nicht lernen, wie sie das Kind versorgt und hütet. Der Familienvater sichert die Schwelle vor ungebetenen Zudringlichkeiten. Der Bruder eilt der kleinen Schwester zu Hilfe, die von Fremden belästigt wird.
Die jüdischen, polnischen, italienischen Zuwanderer scharen sich in der Metropole in eigenen Vierteln zusammen wie ehemals die weißen Siedler in ihren Wagenburgen.
Der fromme Jude wird die Einladung der Goijm zum Abendessen ausschlagen, denn die es zubereiten, wissen nicht um die Verpflichtungen, welche ihm die rituellen Vorschriften der mosaischen Speisegesetze auferlegen.
Je entfernter der rassische, ethnische, kulturelle Bezug, umso tiefer – und berechtigter – das Mißtrauen.
Die Muttersprache ist eine der sichersten Brücken über dem glucksenden Sumpf der sozialen Unsicherheit.
Das Straf- und Sanktionsregime, das soziale Verpflichtungen bewehrt, ist eine unmittelbare Folge der anthropologischen Tatsache, die Kant mit der berühmten Wendung andeutet, der Mensch sei aus krummem Holz geschnitzt.
Das Strafrecht ist die Legalisierung und formale Institutionalisierung des Sanktionsregimes, das mehr oder weniger unausgesprochen und informell die gegenseitigen Verpflichtungen einer sozialen Gruppe bewehrt.
Der rechtgläubige Moslem wird dem Rechts- und Strafregime der Ungläubigen entweder die Normen des Korans und der Scharia vorziehen oder zumindest mit einem gerüttelten Maß an Mißtrauen gegenüberstehen.
Die Sprache ist ein Ordnungssystem sui generis; sie erlegt den Sprachteilnehmern Verpflichtungen und normative Ansprüche auf, wie dies jedes soziale Ordnungssystem zu tun pflegt, desgleichen Sanktionen, wenn sie ihnen nicht gerecht werden oder entscheidend davon abweichen.
Die Sanktion, die sich dem Aphasiker auferlegt, besteht in der sozialen Isolierung.
Die Korrektheit und Disziplin in der Verwendung der sprachlichen Mittel ist eine Überlebensnotwendigkeit der sprachlich-kulturellen Gruppe.
Der ins Scheinwerferlicht der Zeitgeistforen stotternde Pseudo-Poet mag seine degenerierte Umwelt in dumpfe Erregung versetzen, die Nachwelt gedenkt seiner nicht.
Der dekadente Autor, der sich mutwillig oder tollwütig am Leib der Muttersprache durch Mißachtung ihrer Normen vergreift, wird den geistigen Inzest in Form der damnatio memoriae büßen.
Sokrates nennt die Törichten weise, um mittels Ironie zu enthüllen, in welchem Ausmaß die vorgeblich Weisen töricht sind; die geistigen Verführer, die das Gegenteil dessen meinen, was sie sagen, wollen nur verwirren oder Unruhe stiften.
Die Wahrheit zu leugnen mag auf der verwilderten Spielwiese der Akademien ein wenn auch befremdliches selbstverliebtes Gebaren sein, im Ernst des Lebens kann es gefährliche Folgen haben.
Etwas wahr zu nennen ist eine Form ontologischer Verpflichtung, nämlich für die Annahme des als existent Behaupteten einzustehen, sie zu belegen oder ihre Negation zu widerlegen.
Einmal sein Versprechen nicht zu halten, obwohl keine äußeren Hindernisse zur Entschuldigung aufgeboten werden können, mag noch auf das Konto von Schusseligkeit oder Vergeßlichkeit einzahlen; es mehrmals und immer wieder zu tun, kostet das Strafgeld sozialer Ächtung.
Bedeutungsblindheit ist eine Form geistiger Erkrankung, die den Betroffenen unfähig macht, die sprachlichen Verpflichtungen – Wahrheit, Klarheit, Angemessenheit des sprachlichen Ausdrucks – zu erfüllen. – Als würde man wie in einer Erzählung Kafkas in einem fremden Land aufwachen, dessen Bewohner eine unverständliche Sprache sprechen, die zu erlernen unmöglich oder verboten ist.
Man kann den vielfach mißbrauchten und geschändeten Begriff der Liebe nur restituieren, wenn man in ihm die unter dem Abfall einer entfesselten erotischen Glossolalie verborgenen Formen der Verpflichtung freilegt; angefangen von der instinktgebundenen mütterlichen und väterlichen Fürsorge bis zur genetisch verwurzelten und kulturell eingehegten Liebe zum Vaterland.
Das erloschene Charisma mancher Begriffe kann nur mittels ihrer Reinkarnation in unschuldigen, gleichsam kindlich-anmutigen, Körpern wieder zum Leuchten gebracht werden.
Der sudelnde, spuckende und furzende Gast wird nicht mehr eingeladen; freilich, japanische Männer schlürfen und prusten, wenn sie beim Abendessen ihren Reiswein in sich hineinschütten, daß es nicht zu sagen ist; aber sie sind ja unter sich.
Dagegen ist es kein Zeichen schlechter Manieren und einer verdreckten Kinderstube, wenn einer vor der Trauergemeinde obszöne Witze reißt, sondern ein Zeichen moralischer Verkommenheit oder einer Bedeutungsblindheit, die geistiger Erkrankung entspringt.
Wir sind nicht verpflichtet, vor dem Zeitgeist in die Knie zu gehen und etwa vor einer als Kunstwerk ausgestellten und medial gefeierten trüben Schmiererei in ehrfürchtiges Schweigen zu versinken.
Einen, der bei Alban Bergs Violinkonzert („Dem Andenken eines Engels“) obszön kichert, wird man kaum unter die feinsinnigen Musikästheten rechnen.
Die religiöse Offenbarung äußert sich in kultischen Formen, die zur Einhaltung ritueller Handlungen verpflichten.
Der Priester ist der charismatische Wächter und Hüter der Reinheit der kultischen Handlungen.
Das alte, vorkonziliare Missale Romanum, mit all seinen Vorschriften und Vorgaben für die eucharistische Feier im Verlauf des heiligen Jahres, ist die Essenz der Offenbarung der Heiligen Schrift.
Die sakrale Sprache erwächst aus der Rühmung der schöpferischen und erlösenden Taten Gottes an seinem auserwählten Volk und enthält die Verpflichtung, den Namen Gottes nicht zu entweihen.
Die Unterscheidung des Heiligen und Profanen errichtet die Schwelle, die ungeläutert oder niedrigen Sinnes nicht überschritten werden soll.
Die religiösen Vorschriften zu brechen oder zu verhöhnen, der üble Spaß der vom Geist Verlassenen, ist keine Form des Tabubruchs, sondern Sünde.
Wenn das Kind lernt, das heilige Buch nicht zu beschmutzen oder zu zerfleddern, wie man es meist ungestraft mit anderen Büchern machen kann, gelangt es unter den Abglanz der religiösen Offenbarung.
Das ehrfürchtig-gemessene Schreiten des Chors, wie wir es aus den lyrischen Partien der Tragödien des Sophokles kennen, findet ein fernes Echo in den Kantaten und Oratorien Bachs.
Die musische Offenbarung äußert sich in dichterischen Formen, die zur Einhaltung rhythmischer Gestaltungen und metaphorischer Umschreibungen verpflichten.
Das Kriterium normativer Ästhetik ist das dem Gemeinten Angemessene; so will Platon allzu ausschweifende und exotische Melodien und Rhythmen aus dem rühmenden Gesang ausscheiden; so Horaz auf die Tilgung von Vulgarismen aus dem hohen Stil der Ode verpflichten.
Der abgegriffenen Münze muß sich auch gehobene Prosa nicht schämen; verblaßte Metaphern und trübe Bilder aber verdunkeln selbst die schlichten Formen des Lieds.
Pindar weiß sich in seinen Epinikien wohl dem Rang seines Auftraggebers verpflichtet, aber mehr noch dem Geist seiner edleren Manen.
Walter von der Vogelweide erfüllt die Ansprüche der hohen und entzieht sich nicht einmal den geringeren Erwartungen der niederen Minne; doch in seinen Sprüchen erhebt er die Stimme bis an die Schwelle und den Thron des universalen Herrschers.
Hölderlins elegische Klage um Diotima weitet sich zum Preis künftiger Wiederkehr unter göttlich-festlichen Vorzeichen; in seinen Hymnen aber beschwört er eine kommende Gemeinschaft, die sich allererst bei der Rückkehr der Götter vollendet.
Die Pfeile, die heute auf die kümmerlichste, die letzte Wagenburg des abenteuerlichen Aufbruchs der weißen Siedler, die Klause und die Bücherwand des Dichters, hinter der er Zuflucht gesucht hat, abgeschnellt werden, sind giftig nicht vom Pflanzengift der Indianer, sondern vom Natterngift der eigenen Volksgenossen, den Parolen, Phrasen, Schlag- und Totschlagwörtern des Zeitgeistes, die den Geist lähmen und die Seele versklaven.
Der in den Wüsten der Städte dem Durst nach wahrer Schönheit keine Quelle zu finden vermag, dem lyrischen Dichter der Gegenwart, der sich nicht als von künstlicher Intelligenz geleiteter Ingenieur im Labor informativer und kommunikativer Rede versteht, bleibt nur die dichterische Sprache selbst, als die unter den pestilentiösen Ausdünstungen des Zeitgeistes hinwelkende Blume des Mundes, deren Wurzeln aus den halbverschütteten Brunnen der Tradition zu wässern und so Gott will für zukünftige Generationen lebendig zu erhalten er sich verpflichtet fühlt.
Beug dich ins Rauschen
Um den von fremden Sternen Lüfte wehen,
im Turm aus Muschelschaum und Elfenbein
bangt um des Wortes kristallines Sein
der abwärts muß zum Schilf der Dämmerung gehen.
Lichtwort, er will es sanfter Liebe künden,
die ihres Herzens Knospe aufgetan,
sie aber, fremden Monden untertan,
läßt es wie Tau im Moos der Erdnacht münden.
Er gibt die Münze mit dem Leidenssiegel,
die Charon prüft, ob golden sie, ob bleich,
fährt er zu Schatten, blauem Inselreich,
das Auge hüllt des Engels schwarzer Flügel.
Ist, Dichter, der Kristall dir auch zerronnen,
beug dich ins Rauschen traumentquollner Bronnen.
Die Schatten jäten
Mag auch des Winters Wunderblume tauen,
die uns der Frost gezaubert auf die Scheibe,
die Sonne sagt: „Wollt meinem Gang vertrauen,
ich kehr zurück, wenn ich auch nirgends bleibe.“
Brahms aber sprach: „Anmutig tanzt die Schöne,
wenn ich der Klänge warmen Wulst beschneide,
sind transparent die leicht gewirkten Töne,
sieht reizend man ein Schimmern unterm Kleide.“
Des Lebens Pfade dunkeln unter Ranken,
und tastend halten wir uns bei den Händen,
es geht ein Wehen, und die Lauben schwanken.
O Glück, wenn Sterne stille Helle spenden.
Laß, Dichter, deine Furchen nicht verwildern,
die Schatten jäte vor den lichten Bildern.
Die Schrillen und die Stillen
Das hohle Wort, gepreßt durch Megaphone,
wird dichter sich mit hohem Sinn nicht füllen.
Die ihre Nullität ins Weltall brüllen,
stürzt stiller Parze Schnippen vom Balkone.
Lang hat gekreißt der Berg, laut war das Stöhnen,
und fiepend blickt ein Mäuslein aus der Ritze.
Horazisch leise zucken Geistesblitze,
Scheinriesen, Stirn und Steiß gespalten, dröhnen.
Die eitlen Wahnes Sinn und Form zerfetzen,
sie prangen nur mit angemalten Wunden.
Der Enzian, am Gipfelkreuz gefunden,
mag weichen Taus auch unser Wehsal netzen.
Laß, Dichter, deinen Schmerz im Vers nicht schreien,
still ihn mit Worten, die vom Himmel schneien.
Das eingetunkte Wort
Die Knospen, die auf schwarzen Wassern gleißen,
unsichtbar sich mit Wurzelsprossen tasten,
sie schweben leicht, wenn schon die Düfte lasten
und tief Aufatmende ins Dunkel reißen.
Und Stimmen sind, der Lauben süßes Singen,
gleich goldenen Tropfen in die Nacht geschüttet,
sie haben manchen großen Geist zerrüttet,
wie Gläser, die am hohen Ton zerspringen.
Die Schwäne, die auf grünem Abgrund stehen,
und ihr Gefieder ist ein Schnee, der blendet,
sie sind wie Blüten, in sich selbst vollendet,
und es verstummen, die vorübergehen.
Laß, Dichter, deinen Vers dem Schwane gleichen,
das Wort ihn tunken und das Herz erweichen.
Das zerfetzte Herz der Nacht
Die lange vor dem spröden Blatt gekauert,
gefesselt im Gerank von Hieroglyphen,
die Seele ist im Tau hinweggeschauert,
die Schrift verwischt wie in benetzten Briefen.
Des Dichters Eichen auf umwölkten Graten,
die rauschend ihm den Vers betört zu lallen,
sind in die Stadt gewandert, Partisanen,
die ihre harten Früchte auf die Köpfe knallen.
Maschinen, die das Herz der Nacht zerfetzten,
vom Blut der Angst, von Zornes Öl getrieben,
zermalmen, die sie rohen Sinns vergötzten –
o Blumenauen, stille Falter, stilles Lieben.
Laß, Dichter, uns von deinen Efeublättern
Tau tropfen auf der Liebe zarte Lettern.
Ins Gras gesunken
Spät ging am Ufer ich entlang, im Wasser brannten
schon Knospen zart dem Abendrot entgegen,
als ob mir Tropfen süße Namen nannten,
hat es von Blatt zu Blatt gerieselt wie im Regen.
Bald war der Ort dem müden Blick entschwunden,
verhüllt von Schleiern, dunkler Weiden Trauer,
hab ich das helle Fenster nicht gefunden,
die Hoffnung, glimmend unterm Efeuschauer.
Wunddumpf ins Gras gesunken, kühl gebettet,
war mir, als ob noch einsam eines sänge,
das sich ins sanfte Laub der Nacht gerettet,
ungreifbar für des Sonnenfalken Fänge.
Laß, Dichter, sich der Verse Dickicht teilen,
den Abendstern bei Hoffnungslosen weilen.
Bilder milden Abschieds
Die Tränen, die aus blauen Tiefen quollen,
im Tau der Veilchen wollen sie mir leuchten,
daß mir, die von der starren Wimper rollen,
die spröde Lippe einmal noch befeuchten,
um mild im Abschied, süßer noch zu sagen,
war schwer der Gang auch unter fahlen Sonnen,
es schäumte auf an goldenen Gnadentagen
Gesang aus der Erinnerung tiefen Bronnen.
Muß, Heimat, ferner Traum, ich von dir scheiden,
im Frühling sei’s, vom Fliederdufte trunken,
wie Schwäne unter licht begrünten Weiden
will ich den Schmerz ins weiche Wasser tunken.
Laß, Dichter uns zum Abschied leise Töne,
auf dunklem Strom hingleiten Blütenschöne.
Unerweckte Keime
Philosophische Sentenzen und Aphorismen
Wir stehen und gehen leichten Fußes auf Treibsand.
Manche, die Hohen, Edlen, Schönen, vermögen im Taumel zu tanzen, im Fallen zu lächeln, im Sturz noch zu danken.
Erst ist es ein Brausen, was den Geist erregt, dann das Morendo eines dunkel-süßen Geigentons.
So können wir den ästhetischen Geschmack bilden, auch wenn wir nicht zu definieren wüßten, was dies ist, Geschmack; wohl aber merken, wer ihn hat und wer nicht.
Der Geist, in dem einer etwas sagt, ist nicht das Gesagte – ja, scheint ihm bisweilen zu widersprechen.
Die modisch-schicken Gelehrten, die uns die Bücher der Genesis gern als blasses Abziehbild der mesopotamischen Mythen vorführen, verstehen den Geist nicht, in dem sie geschrieben sind. – Der Geist, der sich darin manifestiert, daß Gottes Wort das Licht ins Dasein ruft.
Wir mögen diesem und jenem recht geben, doch seine uns willkommenen Meinungen oder überzeugenden Argumente fließen aus einem geistigen Quell, der uns fade schmeckt – oder sauer.
Der große Dichter verwendet die poetische Form intuitiv.
Gewiß hat der Schüler Hölderlin die poetischen Formen der antiken Oden- und Hymnenstrophen auf den Klosterschulen von Denkendorf und Maulbronn anhand der Lektüre von Alkaios, Pindar und Horaz gepaukt, doch der reife Dichter verwendet sie, ohne mühsam die Metren an den Fingern abzuzählen.
Wir wissen, was das ist, ein Satz; und auch der Dummkopf bedient sich seiner grammatischen Struktur. Doch es brauchte Jahrtausende, bis es Gottlob Frege gelang, seine logische Form zu dechiffrieren.
Wir glauben dem Dichter, der bekennt, daß er sein Gedicht nicht zur Gänze versteht.
Der Bericht des Propheten, ein Engel habe ihm glühende Kohle auf die Zunge gelegt, macht uns seinem Wort gewogener als der akademische Nachweis des Theologen seiner Deutung.
Denken, am Viel-Wissen erstickt.
Das dichterische Wort, das verführt, entstammt der unwillkürlichen Anmut des Dichters, der um ihre erotische Ausstrahlung nicht weiß.
Und sprichst du mit dir selbst, kann – immerhin – ja keine Türe knallen, daß einer wütend geht, der andre aber verdutzt oder vergrämt ins Schweigen sinkt.
Man selbst zu sein ist keine Form des Wissens.
Nicht einmal der Debile, der den eigenen Namen vergessen hat, hört auf, er selbst zu sein.
Man kann die Verwendung des eigenen Namens und des Fürwortes „ich“ erlernen, nicht aber, man selbst zu sein.
Der Delinquent kann das objektive Urteil des Richters, diese und jene strafwürdige Tat begangen zu haben, sich zu eigen machen, ohne sich doch schuldig zu fühlen – wenn er sich beispielsweise mittels der sophistischen Scheinargumente seines Anwaltes darauf beruft, die Tat sei das zwar bedauerliche, aber unausweichliche Ergebnis seiner schrecklichen Kindheit oder welch einer traumatischen Erfahrung auch immer gewesen.
Wie der Blinde mit dem Stock tasten wir mit dem Fühlorgan der Intuition durch das Dickicht der Sprache.
Die Satzform ist wie eine Leiter, die am Boden liegt; erst wenn wir sie erfüllen, hebt sie uns ein wenig – und manchmal können wir über die Mauer sehen.
Wir denken, der Satz sei tot, wenn wir ihn nicht verstehen, wir müßten, daß er lebe, die Augen gegen uns aufschlage, ihn mit unserm Geist behauchen.
Wahrheit und Falschheit lassen keine Steigerung zu; die Wahrheit der Tautologie, daß es regnet, wenn es regnet, ist schlicht trivial.
Absolute Differenzen lassen keine Steigerung, keine Vergleiche zu. Leben und Tod, Wahrheit und Falschheit, ich und du.
Wenn die Wahrheit eines Satzes ein Faktum beschreibt, kann der Satz selbst kein Faktum darstellen, das wiederum von einem höher geordneten Satz auf der Metaebene beschrieben werden könnte.
Wahrheit und Falschheit degenerieren in diesem Falle zu Scheinobjekten in einer Scheinontologie, zu der sich der große Frege wohl hat verleiten lassen.
Wie Wahrheit und Falschheit ist auch, was wir mit „ich“ meinen, kein Objekt, wie es der Eigenname der Person erfaßt, über dir wir gesprächsweise reden oder die wir mittels objektiver Kriterien wie der DNA identifizieren. Wenn wir Peter heißen und kein Kleinkind mehr sind und sagen: „Peter hat Zahnschmerzen“, sagen wir nicht dasselbe, wie wenn wir sagen: „Ich habe Zahnschmerzen.“
Die geistige Atmosphäre, die einer um sich verbreitet, ist da, sie läßt sich auf Dauer nicht trotzig oder schamhaft verbergen, wie ja auch Schweißgeruch endlich die dünne Hülle des Parfums durchbricht.
Forcierte Allegorien gelangen an die Grenze des Sagbaren; man kann wohl vom Theater der Welt oder vom Leben als Traum reden, doch nicht weiter fragen, wer hier noch Regie führt oder als welche Person sich der Erwachte verstünde.
Das Phänomen ist eine ursprüngliche Totalität dessen, was erscheint, und dessen, dem es erscheint. – Wir verwenden den Ausdruck „heiter“ in analogem Sinne, wenn wir vom heiteren Wetter und von der heiteren Laune sprechen, die es uns erweckt.
Nur wer mit dem Zeitgeist gebrochen hat, ist wach.
Plötzlich schlägt das Wetter um. Eben noch heiterer Laune und in angeregter Unterhaltung, verfinstert sich seine Miene und er verfällt in ein düsteres Schweigen.
Esperanto oder die weltumspannende Sprache der Hoffnungslosen: das anonyme, staubige Grün, das aus dem Asphalt der Hinterhöfe in Berlin und Chicago sprießt.
Angesichts der glänzenden Larven, die sich heute auf ihn berufen, um den Untergang des Reiches zu begeifern, hat jener sich umsonst geopfert, dessen letzte Worte im Kugelhagel das geheiligte Deutschland beschworen.
Hat man den genialen Keim in dem bläßlichen Knaben erfühlt, müßte man ihn heute von allen Gymnasien und Hochschulen fernhalten, auf daß die Hoffnung auf seine Erweckung und sein Erblühen nicht im Morast der Scheinbildung ersticke.
Wer tausende Jahre höfischer Kulturen im Umkreis aristokratischer und monarchischer Herrschaft überblickt, ist davor gefeit, vor dem Pöbelgeschmack der Massendemokratien in die Knie zu gehen.
Das Genie erkennt man an der dünnen, eisigen Luft, die um den Gipfel seiner wesentlichen Einsamkeit weht.
Der einsame Bewohner des Elfenbeinturms ist immun gegen die Bazillen des Zeitgeistes, die allenthalben die Fieberanfälle und hysterischen Krämpfe seiner falschen Propheten hervorrufen.
Was geschieht ihm, der die großen Illusionen, aus eigener Kraft das jenseitige Ufer erreichen zu können oder von Gottes gnädigem Strom aus der Wüste der Salzflut ans Ufer seliger Inseln getragen zu werden, wie einen verschimmelten Ballast über Bord geworfen hat? Leichter geworden, schwankt unter herrischen, dämonischen Wogen sein Kahn. Er aber läßt auch die Ruder fahren und streckt sich aus, den tieferen, grenzenloseren Himmel zu schauen, aus dem Gestirne noch im Erblassen Sternsagen alter Völker dem Sinnenden ins Gedächtnis rufen.
Er ist immer diesen Weg gegangen und an der Weggabelung nach rechts abgebogen; doch heute geht er geradeaus weiter. – „Die Linien des Lebens sind verschieden, wie Wege sind.“ – Wir können Entscheidungen nicht aus allgemeinen Gesetzen oder einem Kanon des Wissens ableiten.
Das Irrationale, das wir nur intuitiv erfassen können, ist eben jene Instanz, die von sich in der ersten Person spricht.
Die Schneeflocke schmilzt im ersten Anhauch des Frühlings; der Hypersensitive wird von einem Blick, einem Wort, einem Schatten aufs tiefste gekränkt und zieht sich in die Bastion des Schweigens oder eines masochistischen Dünkels zurück.
Manchmal rotten sich die vom Leben Gekränkten zusammen und gründen Sekten wie die Gnostiker, die Chiliasten, die Anarchisten. – Einige werden Dichter und ihre Verse verströmen den süßlich-fauligen Duft wurmstichiger Früchte.
Die übernationale staatliche Klammer zerbricht, die unter ihr in Zwangsehe zusammengeschweißten Völker und Ethnien schlagen sich die Köpfe ein und bereinigen die von ihnen mit Blut, Schweiß und Tränen gedüngten Fluren, bis endlich und bis auf weiteres die von nationalstaatlich geprägten Ordnungen herbeigeführte Ruhe eintritt. So nach dem Zusammenbruch des Römischen Reiches, so nach der Zerschlagung der Donaumonarchie, so nach der Auflösung Jugoslawiens.
Wer aus entscheidender Warte es unternimmt, Angehörige einander fremder, gar feindseliger Rassen und Kulturen zusammenzupferchen, müßte für die unseligen Folgen wie Vergewaltigungen, Tötungen, Aufruhr eigentlich zur Verantwortung gezogen werden; aber die Entscheider ziehen sich kalten Blutes auf ihre gesicherten Wohnsitze zurück und berufen sich auf die angeblich hohen, in Wahrheit hohlen Ideale von Gleichheit und Gerechtigkeit.
Angesichts der natürlichen Ungleichheit und der angeborenen Ressentiments zwischen Angehörigen verschiedener Rassen ist Apartheid nicht das Problem, sondern die Lösung.
Die Trennung der Lebensbezirke und Erziehungswege, die Apartheit der Geschlechter nach dem Modell alter Kulturen, mag sich bisweilen der Bewohner des Elfenbeinturms angesichts ihrer von Gleichheitsideologen angepeitschten Spannungen herbeiphantasieren.
In seiner Ars poetica (202–219) gibt Horaz eine bemerkenswerte Skizze vom Phänomen der Dekadenz anhand der musikalischen Untermalung der Tragödie; kaum daß sich die Macht Roms durch militärische Siege ausdehnt, werden auch die weniger Gebildeten, ja die Dörfler, vor die Orchestra gelockt. Ihnen muß das üppiger wuchernde und süßer schmelzende Flötenspiel Laune machen; seine Maße und Melodien werden gegenüber der ursprünglichen Reinheit, Einfachheit und Strenge, die einem frugal lebenden, bescheidenen und sittsamen Publikum (frugi castusque verecundusque) entsprachen, zu sinnlicher Überreizung gelockert, zerfasert, aufgeschwollen. – Man vergleiche dies mit der Auseinandersetzung des enttäuschten und ernüchterten Nietzsche mit der von ihm als Dekadenzphänomen diskreditierten Musik Wagners.
Den Epigonen bleiben die ins Sublime gezüchteten Orchideen und sinnlich-übersinnlich duftenden Rosen im geschützten Garten der Muse; doch aus dem Dunst einer längst erloschenen Morgenröte ragen in erhabener Größe mit lichtdurchflossenen Kronen die einsam-freien Eichbäume auf den fernen Hügeln der Mnemosyne. „Aber ihr, ihr Herrlichen! steht, wie ein Volk von Titanen/In der zahmeren Welt und gehört nur euch und dem Himmel,/Der euch nährt’ und erzog, und der Erde, die euch geboren.“ Hölderlin, Die Eichbäume
Der zerfetzte Hölderlin
Umsonst, in Jauchegruben Reinheit suchen,
aus Babels Spuk erwecken Gottes Bild.
Der Lyra Harmonien gilt ihr Fluchen,
der Muse, die aus Perlmuttschalen quillt.
Des Vaterlandes Auen zu beschwören,
sang er mit Rhein und Ister, Hölderlin.
Doch jenen, die nur dumpfes Brausen hören,
sprießt aus dem Asphalt anonymes Grün.
Zerfetzt, verschüttet liegt im Schützengraben
der Band und der Soldat – nun, gute Ruh.
„Gesang des Deutschen“ sollen sie nicht haben,
für die das Herz der Völker ein Tabu.
Nicht treibe edle Knospe auf Kloaken,
wo trüb zu laichen ekle Kröten quaken.
Im Dickicht der Sprache
Fern gehen die Ströme, zu münden im Grenzenlosen,
und die uns Keime geweckt aus dunkelnden Krumen,
daß wir Altäre schmückten mit flammenden Rosen,
die Strahlen verglommen in nächtlichen Geisterblumen.
Die Pfade, die wir tags durchs Dickicht der Sprache
uns bahnten, überwucherte Nacht jäh mit Farnen,
die Lichtung blühender Verse ward staubige Brache,
Gras starrte, umwickelt von tauumzitterten Garnen.
So sind wir schweigend zum Uferschilfe geschritten
und streuten, was uns geblieben, der Lilie Leuchten
aufs Wasser, als hätte Liebe umsonst nicht gelitten,
wenn Scheideblicke die bleichen Wangen ihr feuchten.
Laß, Dichter, den Vers auf Wassern, nachtgrünen, hinschweben,
die scheue Blüte von Mondes Küssen erbeben.
Träum ich hinaus
Träum ich hinaus in früher Gärten Fülle
und wirble auf den goldenen Pollenstaub,
winkst du mir lächelnd aus der Blütenhülle,
verbirgst du schelmisch dich im Schattenlaub.
Tast ich hinan bemooster Sehnsucht Stufen,
beglückt, wie Dämmer Morgenschimmern wich,
hör ich dein Jauchzen in den Vogelrufen
und seh in feuchten Veilchen weinen dich.
Umklammert meine Schläfen Dämons Zange,
und wühl in Kissen ich nach Dunkelheit,
kühlt mich die Blume deiner weichen Wange,
versinkt mein Schmerz, von Zärten überschneit.
Schenk, Dichter, dem Verlornen sanfte Bilder,
mit Moosen mach den rauhen Pfad ihm milder.
Die Wolke Schweigen
Wie Silberdunst löst sich die Wolke Schweigen
im Abendlichte auf, müd seufzt der Wind
dem Zittergras und huldvoll sich zu neigen
den Knospen, die voll Tau und Schlummer sind.
Die Wasser wogten durch das Gras zu Tale
und fanden keinen Halt dem wilden Schaum
als in des Teiches moosig-grüner Schale,
wie Unbehauste Ruh an Edens Saum.
So quoll dem Sommer Licht aus dunklen Bronnen,
ins Blaue stiegen Funken, Lerchensang,
nun fahlt im Schnee die Majestät der Sonnen,
der volle Mond schwebt matt im Traubenhang.
Mag, Dichter, sich dein Vers wie Efeu ranken,
sein Glanz dem Tag, der Nacht sein Rauschen danken.
Die Muse am Pfahl
Der Dunkle hat dich an den Pfahl gebunden,
hat ritsch, die Kleider, ratsch, dir abgerissen,
sein Terrier grinsend vor dir hingeschissen.
Dein Lid schloß sich, o Fittich über Wunden.
Mit einer Scherbe kratzte er dir Zeichen,
ruchlose Runen, in den Schnee der Lenden,
die solltest du in süße Laute wenden,
ob sie den Stein in seiner Brust erweichen.
Doch troff aus schiefem Munde nur ein Lallen,
und als die Wolke vor den Mond geglitten,
hat er das Herz dir aus dem Leib geschnitten,
ließ vor dem fletschenden, dem Hund es fallen.
Flieh, Dichter, aus dem Lande der Barbaren,
im Schrein des Herzens birg der Sprache Laren.
Grüner Nacht Opale
Der Mond geht auf, duftlose Lotosblüte,
die auf dem blauen Teich der Herbstnacht schwimmt,
von jener Schönen, deren Rouge verglühte,
blieb ihr die Milch nur, die wie Schneelicht glimmt.
Vergossen ist der Schmelz der Nachtigallen,
das edle Wild hat sich im Schilf versteckt,
ein goldenes Horn hört dunkel es verhallen,
ist süß der Klang, es ward zu Tod erschreckt.
Nun rollen Augen geisterhaft im Laube,
die Waldmaus huscht ins rettende Verlies,
schon lockt im Morgenrot die junge Taube,
ist tödlich auch die Frucht im Paradies.
Scheu, Dichter, häuf auf Liedes zarte Schale
der Trauben Gold und grüner Nacht Opale.
Heller Waldnacht Schauer
Die Rose Schönheit schwimmt mit wilden Schwänen,
ihr Schmerz trinkt Nacht, wenn sie die Häupter tunken,
doch unser Schmerz ist toten Lichtes trunken,
nicht waschen ab den Gram noch Liebestränen.
Im Wald Verwestes sinkt in stille Tiefen,
ein Fest dem Wurm, den Wurzeln laue Lymphe,
Erhellung quillt dem trüben Aug der Sümpfe,
der Gott weckt Sonnen, die in Gräbern schliefen.
Doch in die Fenster ziehen Fäulnisschwaden,
der Dunst der Trübsal und der Langeweile
gilbt in Gardinen, faul riecht jede Zeile
der Siechen, die im Pfuhl der Phrase baden.
Flieh, Dichter, den Verfall in grauen Mauern,
erquick den Vers in heller Waldnacht Schauern.
Die geringe Geste
Gering ist deine Geste, wenn auch schön:
die Knolle in die Krume und sie gießen.
Doch kommt ein Strahl aus unerreichten Höhn,
die Blume kann im Dunkel ja nicht sprießen.
Erheitert sich dein Blick am Knospenrund,
das Auge ward, das helle, dir gegeben.
Uns trägt ein unergründlich dunkler Grund,
in Liedes Rhythmen fühlen wir ihn beben.
Die Sprache lockt uns, Waldes lichte Nacht,
in dem wie Kinder wir uns gern verirren
und staunen ob der düstern Wipfel Pracht,
in denen Stimmen hin und wider wirren.
Streu, Dichter, Samen aus, die namenlosen,
fern gehn sie auf, Phlox, Mohn und prunkend Rosen.
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