O Hauch der Nacht
Kartage-Sonett
Nacht zwischen all den Sonnen, Nacht und Nacht.
Corona jeden Wortes, strahlt die Stille.
Wer mag von Leere reden, wer von Fülle?
Des Morgens Rose dämmert, welke Pracht.
Durch Gärten gehst du, blühendsten Verfall.
Die Mauer zeigt dir schon, das Wort die Spalten,
wo graue Moose sich und Schatten ballten
und was im Schlaf herniederrinnt, Gelall.
Und doch sprach Segen jener bei dem Mahle
mit Flammenzungen über Brot und Wein,
daß nimmer ihnen das Gedächtnis fahle.
Uns blieb vorm Kreuz der stumme nur, der Stein,
da wir der Kerzen banges Flackern sehen.
O Hauch der Nacht, o schwarzer Flocken Wehen.
Die Entsprungene
Jäh hat dich, sonst von Schatten ernst umschlossen,
wie Inseln keuschen Sands im Ozean,
wie Schnee von Blüten, die sich aufgetan,
ein Lächeln kühlen Mondlichts überflossen.
Auf deiner Lippen samten-roter Schwelle,
die noch kein grauer Zweifel je betrat,
erglomm wie Tau auf purpurnem Brokat
ein feuchter Glanz, ein Hauch verborgner Quelle.
Ja, dies geschah, als um uns Dunkel wehte
traumdichtes Gras und fahles Rauschen stieg,
als lägen wir im Uferschilf der Lethe.
Dich aber weckte auf der Sonne Sieg,
wie heißer Zonen Wild bist du entsprungen.
Ich sank zurück, ein Schwamm, der ausgewrungen.
Die Götter Griechenlands
Wie Gips schmolz – was? Die Götter Griechenlands,
auf Neckars Dämmerauen noch beschworen.
Nun ist Apollons Blondgelock geschoren,
verblich der Goldsaum pythischen Gewands.
Es blieben nur Chimären, Geistersang.
Nicht lächelt Aphrodite queeren Drohnen,
und Charis würgt’s vom Schweiß der Amazonen.
Die Muse peitschte Jazz: Sie nahm den Strang.
Du hörst nicht die homerisch-grüne Welle
die fahle Muschel Ithaka beklagen.
Du fühlst nicht, was dir netzt des Schlafes Schwelle,
rührt noch von Amphitrites Flossenschlagen.
Sind Diotimas Inseln, Eros’ Funken
schon in ein schwarzes Weltenloch gesunken?
Verwischte Spuren
Den Abendhauch, den kühlen, spürst du kaum,
doch kräuselt sich der See, und Tropfen scheinen
still auf des Wassers zarte Haut zu weinen,
schon schwebt herab Selenes blonder Flaum.
Du hörst das Schluchzen deines Schritts im Schlamm,
die Spur wird bald verfüllt vom Lehm, dem feuchten,
Es können Knospen schlaffen Lids nicht leuchten,
die Harze stocken am verfaulten Stamm.
Hier ist die Bucht, wo träg die graue Vene
das ausgelaugte Blut ins Schilf ergoß.
Nein, sage nicht, daß Liebe sich noch sehne
nach dem Gesang, der hellen Nächten floß.
Hier ist versandet er, versickert sind die Namen,
die aus der fernen Heimat Quelle kamen.
Die Ägypterin
Wie die Ägypterin den schwanken Krug,
hat sie aus Brunnendunkel ihn gezogen,
ein Flimmern vor der Isis Silberbogen,
trägst eignen Lebens Fülle du genug.
Sie aber geht, was Glanz der Armut leiht,
zu schütten über Schultern und in Schalen,
daß auferweckter Knospen Augen strahlen.
Es wirren Fäden Lichts, sie wringt ihr Kleid.
Was dir ward aufgebürdet, Herthas Last
an Scheiten, mußt du durch die Schneenacht tragen
zum Vaterhaus, wo du nun weilst als Gast,
zu sorgen für der Fremden Wohlbehagen.
Du schürst die Glut, Waldgeister, Feen singen,
die selbst der Hathor wildes Herz bezwingen.
Die Flucht nach Arkadien
Καὶ ποιμένες ἦσαν ἐν τῇ χώρᾳ τῇ αὐτῇ ἀγραυλοῦντες καὶ φυλάσσοντες φυλακὰς τῆς νυκτὸς ἐπὶ τὴν ποίμνην αὐτῶν. καὶ ἄγγελος κυρίου ἐπέστη αὐτοῖς καὶ δόξα κυρίου περιέλαμψεν αὐτούς, καὶ ἐφοβήθησαν φόβον μέγαν. καὶ εἶπεν αὐτοῖς ὁ ἄγγελος· μὴ φοβεῖσθε, ἰδοὺ γὰρ εὐαγγελίζομαι ὑμῖν χαρὰν μεγάλην ἥτις ἔσται παντὶ τῷ λαῷ, ὅτι ἐτέχθη ὑμῖν σήμερον σωτὴρ ὅς ἐστιν χριστὸς κύριος ἐν πόλει Δαυίδ. καὶ τοῦτο ὑμῖν τὸ σημεῖον, εὑρήσετε βρέφος ἐσπαργανωμένον καὶ κείμενον ἐν φάτνῃ. καὶ ἐξαίφνης ἐγένετο σὺν τῷ ἀγγέλῳ πλῆθος στρατιᾶς οὐρανίου αἰνούντων τὸν θεὸν καὶ λεγόντων·δόξα ἐν ὑψίστοις θεῷ καὶ ἐπὶ γῆς εἰρήνη ἐν ἀνθρώποις εὐδοκίας.
Lukas, 2, 8–14
Und da waren Hirten auf dem Feld, die hüteten des Nachts ihre Herde. Und der Engel des Herrn trat zu ihnen und die Herrlichkeit des Herrn umstrahlte sie und sie ängstigten sich sehr. Und der Engel sprach zu ihnen: „Fürchtet euch nicht. Siehe, ich verkünde euch eine große Freude, die allem Volk zuteilwird: Es ist euch heute der Retter geboren, der ist Christus der Herr, in der Stadt Davids. Und dies ist für euch das Zeichen: Ihr werdet ein Kindlein finden, gewickelt in Windeln und in einer Krippe liegend. Und plötzlich war um den Engel die Menge der himmlischen Heerscharen und sie priesen Gott und sprachen: Ehre sei Gott in der Höhe und Frieden auf Erden den Menschen, die guten Willens sind.
Laß, Liebe, uns aus dieser Dürre flüchten,
wo Rauschen schläft tief unter dem Asphalt.
Hier bleibt das Herz an greller Lampe kalt,
verzerrt sieht eins des anderen Gestalt.
Laß uns aus dieser Dürre, Liebe, flüchten.
Wir wollen, Liebe, nach Arkadien wandern
und sehen, ob noch Quellen, blaue, sind,
der Mond noch küßt umschilfte Knospen blind
und süßen Liedes Duft uns bringt der Wind.
Wir wollen nach Arkadien, Liebe, wandern.
Laß, Liebe, uns vergilsche Hirten fragen,
wenn sie im milden Abendsonnenschein
uns Becher reichen voll mit goldnem Wein,
ob sie gehört das hohe Benedein.
Laß uns vergilsche Hirten, Liebe, fragen.
Wir wollen, Liebe, heimwärts nicht mehr kehren,
wenn auch die Hirten sagen: „Ach, hier war
kein Glanz, kein Sang aus hoher Engelschar,
wir wandeln trostlos, aller Gnaden bar.“
Wir wollen heimwärts, Liebe, nicht mehr kehren.
Laß, Liebe, uns bei bittern Quellen schlafen,
wo ausgespien das Lied vor Zeiten schon
der Überdruß, der Schwermut wüster Sohn.
Lang ist der Schlaf, genährt von schwarzem Mohn.
Laß uns bei bittern Quellen, Liebe, schlafen.
Tote Herzen
Ἐὰν ταῖς γλώσσαις τῶν ἀνθρώπων λαλῶ
καὶ τῶν ἀγγέλων,
ἀγάπην δὲ μὴ ἔχω,
γέγονα χαλκὸς ἠχῶν ἢ
κύμβαλον ἀλαλάζον.
1 Korinther 13, 1
Schwadronierte ich, wie Menschen tun,
und schluchzte auch mit Engelszungen,
doch kennte stille Liebe nicht,
hohl dröhnend Blech wär ich,
scheppernd eine Rassel.
Es kann uns kein Geschwätz der Not entreißen,
nicht die durch Phrasendickicht schlängeln, Zungen,
nicht was sirenenhaft die Nacht gesungen,
wenn dürstend wir die Lippen blutig beißen.
Die Spiegel trüben uns Verwesungsdünste.
Was wir im irren Blick der Wollust sehen,
sind Gluten, die um Lethes Wasser flehen.
Im Leeren schweben wir wie Traumgespinste.
Daß aufgetan uns würde jene Schneise,
die Lichtung, wo das Kreuz der Liebe ragt
und um uns flockt das Wort wie Schneien leise,
bleibt uns, vom eignen Maulen taub, versagt.
Wir schlagen blind aufs Blech von hohlen Becken,
die toten Herzen können wir nicht wecken.
Gerank von Versen
An überkreuzten Maßwerks zarten Gittern,
erweckt von milden Himmels milder Leuchte,
genetzt von wehmutblauer Abendfeuchte:
Gerank von Versen, leiser Reime Zittern.
Ins Dunkel hat gesenkt der Gärtner Samen,
ob sie geerbt, ob sie ihm zugeflogen,
das Erbe hat, den Fund er aufgezogen,
er kennt des Wachstums Nacht, der Sterne Namen.
Uns aber freut, das weiche Grün zu sehen,
und wenn sich strahlend aufgetan die Augen,
still atmend, einsam oft, entlangzugehen,
mit holder Liebe auch, um einzusaugen
tief Düfte, deren Zauber sanft entrücken,
die Blüte ihr, der Anmut Bild, zu pflücken.
In jenen Welten
In jenen Welten, sprach er, ist Kristall
der Schmerz geworden und ihn bringen
erglühter Monde Strahlen zum Erklingen,
erloschen ist der Drangsal Feuerball.
Dort wandeln wir, der Liebe Schattenspiel,
vor sanften Himmels sanft erhellten Weiten,
dort beben wir wie orphisch-trunkne Saiten,
Akkorde, steigend, sinkend, sonder Ziel.
Das sagte er, da er im Sterben lag.
Blaß war sein Antlitz wie die letzte Rose,
die du ihm noch gepflückt im stillen Hag,
wo eure Wangen kühlte einst im Moose
Tau, fahlem Laub der Dämmerung entronnen,
dem Abendlicht sein goldnes Vlies gesponnen.
Kein Grund zu weinen
Ich sah der Rose müdes Haupt sich senken,
und taumelten im Halbschlaf schon die Bienen,
noch kreisten auf dem Teich, vom Mond beschienen,
zwei Schwäne. Und ich mußte dein gedenken,
wie du sie mir gereicht, Adonisblüten,
süß war der Duft, der ihre und der deine.
Wie schnell war er verweht wie Flusen, feine,
wie Rauch von fahlen Aschen, ausgeglühten.
Ach was, aus Worten hab ich bloß gewoben
den Garten, Blumen, Bienen und den Teich,
aus Wortes dunklem Spiegel es gehoben,
der Liebe Antlitz, süß und wehmutbleich.
Warum denn weinen, weil es rasch verblaßte?
Es sind nur Reime, die ein Narr verpraßte.
„Seelenfrieden“
Das einzig Echte, sagt er, war die Wunde,
sie hielt ihn wach, ließ fühlen ihn und schreiben,
es konnte ihm das Wort sich nur verleiben,
quoll es wie Blut hervor, Blut aus dem Munde.
Sie ist auf seiner tauben Haut gewandert,
sagt er, gleich Furchen, die das Wort sich schürfte,
als ob Empfindung überfließen dürfte,
bevor sie langsam hin zum Meer mäandert.
Vernarben soll sie nun und ganz verheilen,
in einer Klinik namens Seelenfrieden.
Ein Pharmakon soll gnädig sie zerteilen,
das Wort, den Schmerz, zu hausen abgeschieden.
Wie Plastikkitsch am Bett von Sterbensmatten
ist, sagt er, blutleer nun sein Vers, ein Schatten.
Anämie
Dort trug durch Ginster dich ein Hauch so lau
zum See, wo dir der Morgen feenzarte
Gespinste im betauten Schilf verwahrte,
und wie der Azur war dein Auge blau.
Dort war die Stimme, die den Knaben rief,
an Bord zu kommen, heimlich wie die Pforte,
die nie verriegelte am Rebenhorte,
wo auf der Schieferglut die Echse schlief.
Hier hat dich Dämmerdickicht eingeschlossen,
ein Zwielicht, das dir Tag und Traum verwehrt,
die goldne Stimme Sommer ist verflossen.
Hier graut das Herz, wenn es das Blut entbehrt,
in dem ins Südland lockend Sonnen singen,
der Geist durch Aschen schleift die matten Schwingen.
Der Honig südlichen Lichts
… die schattenumrankte, unheilvolle deutsche Seele.
Denn alles, was nicht ins Bewußtsein steigt, kommt als Schicksal zurück.
Christian Kracht, Eurotrash
Blieb dunkel, was gefühlt sie und gedacht,
gleich Abgrundwassern, Trank von Schattenseelen,
was aber niederrann von Asphodelen,
war dunkler Glanz vom Tränenstrom der Nacht.
Vergiftet sei das Blut vom schwarzen Mohn,
den sie im Fusel mit der Asche mischen,
der steten Wolke über deutschen Tischen,
sagst du, des Chaos und der Moira Sohn.
So sind sie aufgebrochen denn vergebens,
im Südland Honig, goldenen Sanges Waben,
uns heimzubringen, Licht erfüllten Lebens,
sie, Dichter, die dem Versfuß Anmut gaben,
und wir im Dickicht wilden Stammelns schauen,
wie in der Lichtung stille Veilchen blauen?
Der alte Eichenstamm
Blind abgeschabt der Rinde Palimpsest,
nur lesbar noch dem Mond. Verschränkt sich biegen
zwei wie im Krampf erstarrte Wurzeln. Doch wiegen
im Wipfel Winde sacht ein Vogelnest.
Rings rupfen Kühe Löwenzahn und Klee,
sie zucken manchmal, ächzt es im Gezweige,
als quille Mark, zersplittre eine Geige.
Der Eicheln Bitterkeit scheut selbst das Reh.
Der alte Stamm, er scheint schon zu verwittern,
doch will am süßen Licht ein Blatt ergrünen.
So rankt an dämmerzarten, morschen Gittern
die Knospe Vers, umsummt von trägen Bienen,
hat aufgetan sie sich den späten Strahlen.
O Blume mit dem müden Lid, dem fahlen.
Der nächtliche Gast
Wirst in der Nacht wohl an die Türe klopfen,
wohnst in der Nähe ja, hast es nicht weit.
Zu gehn mit dir, ich wäre schon bereit,
doch trinken wir zuvor noch goldne Tropfen.
Dieweil magst du von jenen mir erzählen,
die sich versteckt vor dir, dich ängstlich flohn.
Wie du Verlaine geträuft ins Blut den Mohn,
sich Karoline wollt mit dir vermählen.
Das Glas ist leer, du breitest deine Schwingen,
ich klammre mich an ihren Purpurflaum,
wir fliegen hoch, fern höre ich dich singen.
Tief rauscht der Strom, an seinem Ufersaum
seh ich die Pappeln noch, seh Rebentrassen.
Dann alles still, die frühen Bilder blassen.
Inspiriert durch Franz Schuberts Klaviersonate B-Dur, D 960, erörtert von Sir András Schiff, insbesondere 1:19 ff.
Siehe:
https://www.youtube.com/watch?v=ViZu8ATTqc8&t=575s
(Hinweis zum Verständnis: Karoline = Karoline von Günderode)
Gebrüll von Gnomen
οὐκ ἔσθ’ οὗτος ἀνὴρ διερὸς βροτὸς οὐδὲ γένηται, ὅς κεν Φαιήκων ἀνδρῶν ἐς γαῖαν ἵκηται δηιοτῆτα φέρων· μάλα γὰρ φίλοι ἀθανάτοισιν. οἰκέομεν δ’ ἀπάνευθε πολυκλύστῳ ἐνὶ πόντῳ, ἔσχατοι, οὐδέ τις ἄμμι βροτῶν ἐπιμίσγεται ἄλλος. Odyssee, 6, 201–205
Wahrlich, der lebt noch nicht, und niemals wird er geboren, Johann Heinrich Voß |
|
Der Dichter schläft, sein Auge aber wandert
durch Farne, Dämmerung der Endmoränen.
Vergebens sucht nach Schneelicht es bei Schwänen,
solang es feucht vom Tau des Monds mäandert.
Und wacht er auf, liegt auf zerknülltem Linnen
das Buch, die Odyssee, noch aufgeschlagen.
Zu matt mag er Delphinen nach nicht jagen,
nicht Salzflut fühlen in den Nacken rinnen.
Er blättert, möchte heitern Spielen nah
den Rufen scheuer Mädchenanmut lauschen,
den Namen nennen, ihn, Nausikaa.
Da bricht er los, der Lärm der Erdmaschinen,
er hört statt ferner Meereswellen Rauschen
Gebrüll von Gnomen, die dem Mammon dienen.
In die Fremde gehen
ἔσσεται ἦμαρ ὅτ’ ἄν ποτ’ ὀλώλῃ Ἴλιος ἱρὴ
Ilias VI 448
Einst wird kommen der Tag, da Ilios fällt, das uns heilig
Gerhard Fink
Im Wissen, Ilios, die heilige, müsse fallen,
nimmt Hektor Abschied von Andromache,
ihr Bild verschwimmt schon in Hesperiens Schnee,
Astyanax hört er von fern noch lallen.
Sie aber würde in der Fremde tragen
Amphoren von den rätselbittern Quellen,
mit Tränen netzen die verhaßten Schwellen,
nie mehr ein Wort der Muttersprache sagen.
Auch du wirst, Dichter, in die Fremde gehen,
als Wegzehr müssen dir die Flocken dienen,
die aus erloschenen Himmels Abgrund wehen.
Die Waben laß, den Honig goldner Bienen,
die um der Heimat holde Blüten summten.
Die dich genährt, die Lieder, sie verstummten.
Verse, Flocken
Verse atmen, ohne zu verstehen,
Flocken, sanft wie leisen Abschieds Wehen,
und des Abends dunkle Pfade leuchten.
Laß uns schweigend Hand in Hand noch gehen
und die Stirn von lichtem Schaum befeuchten.
Perlen, die an trunknen Wimpern glimmen,
wehmutsüße Lichter, die verschwimmen,
und die Verse schmelzen hin wie Flocken.
Lauschen still wir weichen Wassers Stimmen,
die uns in das Schilf des Schlafes locken.
Mußt du einsam durch beschneite Weiten,
über denen Schwermutnebel gleiten,
in die dämmernde, die Ferne gehen,
mögen Stimmen, helle, dich geleiten,
Verse, Flocken, die herniederwehen.
Ein Herz voll dumpfem Mull
Verblichener Samt, Kopfkissen wie zerstochen.
Er liegt gekrümmt, zerfleddert liegt das Buch,
und fand ihn nicht, den Vers, den Wohlgeruch,
ist jäh ins Loch des Schlafes eingebrochen.
Es wird ihm schwer, ins Wirkliche zu kriechen,
wo seiner nichts als Schmerzroutine harrt,
wo Lust am Firnis trüber Bilder scharrt,
auf mürben Decken zittert, die schlecht riechen.
Er lauscht nicht mehr, ob auf der morschen Stiege
ein Knarzen von vertrauten Schritten kündet.
Ihm ist, als ob sein Schatten ferne liege,
wo sie ihm einst den dunklen Sinn entzündet.
Daß er nichts fühlt, wenn Tau der Milde tropft,
hat er sich dumpfen Mull ins Herz gestopft.
Der klare Trank
Zu fernen Gipfeln wölken Chorgesänge,
wie Veilchen blau und weiß wie Schnee von Schlehen.
Wenn einsam wir zu dunklen Ufern gehen,
erglüht im Abendrot noch ihr Gepränge.
Die aber weicher tönen, Edens Wasser,
sie wecken Halm und Moose, daß sie leuchten,
doch können unsern Mund sie nicht befeuchten,
sieh, seine Blume ward nur immer blasser.
Glänzt aber, Dichter, dir noch Tau im Kruge,
geronnen aus dem Blattwerk grünen Lichts,
laß trinken uns die Klarheit Zug um Zuge,
scheu nicht die Trübsal unsres Angesichts.
Doch sparen wir, was du hinab kannst gießen,
daß helle Knospen Erdennacht entsprießen.
Versgespinste
Die alte Spinne hat ihr Netz gesponnen,
im kühlen Sternlicht zittert es, im Sonnen-
schein aber schwingt’s die Schar vermummter Mücken.
Ein ephemeres Leben, kaum begonnen,
träumt, bis es Kiefer, schmatzende, zerdrücken.
Die Katze rollt das Knäuel feiner Wolle,
stößt mit der Tatze, faucht, als ob sie grolle,
und balanciert es auf wachsweichen Ballen.
Als riefe Nacht, daß sie ihr dienen solle,
läßt sie es indigniert ins Leere fallen.
Der spinnt die Verse, Sonnenfäden, weiche,
sie glitzern, silberdistelflusengleiche,
doch müssen sie im Abendhauch ermatten.
Der salbt das nackte Wort wie eine Leiche,
hüllt’s ins Gespinst vom Mond gereimter Schatten.
Frost der Einsamkeit
Bizarre Knospen, Frostes Traumbuchskizzen,
Gespinst an blind gehauchten Fensterscheiben.
Die Sonne brennt, und nichts davon wird bleiben,
kein Tropfen Glanz vom Schmelz der Blütenspitzen.
Die Tränen, die als Kinder wir einst weinten,
wir saßen vor der Tür, von Gott verlassen,
sind fern wie Schweißgeruch in Dorfschulklassen
und Wimpel bunt, die unsre Schar vereinten.
Doch was du mir ins weiche Mark geschrieben,
mit einem Flammendolch aus hohem Mut,
ist nie verblaßt, ist lesbar stets geblieben.
Die Träne, deines Abschieds feuchte Glut,
sie ist im Frost der Einsamkeit geronnen,
zu fahl sind, daß sie schmelze, meine Sonnen.
Perlmutt und Schorf der Einsamkeit
Dichters Gang zum Bürgeramt
Er liegt da wieder,
unter dem Laternenpfahl,
da liegt er,
am vielbegangenen Zebrastreifen,
und keiner ist, der sich dran störte,
liegt hingestreckt, gefällt im Regen,
der sanft an seinen Plastikschlafsack pocht,
zu sanft, daß er davon erwachte.
Doch gleicht, was ihn hermetisch eingeschnürt,
wohl eher einem Leichensack.
Ob dies Menschending noch atmet,
kannst schwerlich du ermessen.
Er hat das Antlitz sich,
als wär es, das entstellte,
keinem länger zumutbar,
ganz und gar vermummt.
Wie schön sind Pfützen,
trübsalgraue Augen,
die in menschenleeren Parkanlagen vor sich hin
stieren oder flüchtig Wolkenbüschel spiegeln,
sei’s auch, daß ein Sperling sich erfrischt darin,
ein Flügelpaar, ein flatterndes, von Tropfen Lichtes sprüht.
Wie schön sind menschenleere Tische, Stühle,
mit pseudojugendstilverdrehten Plastikarabesken
als Arm- und Rückenlehne.
Saget nun, Musen, flüstert’s
einem, der sich im Garten der Lüste verirrte,
welchem noch zitternden Traumkokon,
aus welcher sphärisch-blaugebauschten Gaze,
welchen Seidenkissen rosigen Seufzens
sind sie entschlüpft,
die blumenhaft-jungen Mädchen,
die Punkt 7 angetreten sind zum Morgendienst
und in alphanumerisch eingeteilten Bürgeramtsabteilen sitzen.
Wie jene, die mit Alabasterglanz betauten Nägeln,
unter samtener Schatten Wimpernbaldachin
verbirgt, enthüllt sie nymphengrüne Blicke,
dir den Ausweis überreicht,
der dich, die heimwehkranke Seele,
wie den dünnen Faden einer periodisch
unendlich gebrochenen Zahl
in das wirre Knäuel Deutschland schlingt,
Knäuel, welches Moira, die unzähmbare Katze,
gelangweilt rollt und wieder fängt
und wieder von sich stößt.
Nahmst du das Flackern eines Lächelns mit
in deine Dichterdämmerstube,
Duft gar, einen Hauch
aus knospenblättrig weich gestuftem Haar,
das nie ein Sturm zerzauste,
Lockengeflecht von Händen,
denen Hornhaut fremd und banges Heimwärts-Tasten?
Er lag noch da,
als den Rückweg du gegangen,
starr und regungslos
lag er noch da,
ein Wrack aus taubem Mark und ausgestöhnter Qual,
wie dafür bestimmt, demnächst von Herkulessen, die krakeelen,
in den dunklen Schlund des Kehrichtwagens
gekippt zu werden.
Du hast ihn scheu umrundet,
doch witternd, ob schon Fäulnis von ihm weht.
Nie werden Muschelschalen-Fingernägel
rokokograziösen Schimmers,
vom Perlmutt der Reime Paul Verlaines,
in Rhythmen mondgewiegter Wollustwellen
ihm den Schorf der Einsamkeit vom Rücken kratzen.
Gehüllt in Schatten
ἐπάμεροι: τί δέ τις; τί δ᾽ οὔ τις; σκιᾶς ὄναρ
ἄνθρωπος. ἀλλ᾽ ὅταν αἴγλα διόσδοτος ἔλθῃ,
λαμπρὸν φέγγος ἔπεστιν ἀνδρῶν καὶ μείλιχος αἰών:
Pindar, Pyth. 8, 95–97
Tagwesen! Was ist Sein? Was ist Nichtsein?
Eines Schattens Traum ist der Mensch.
Aber wenn gottgeschenkter Glanz kommt,
Liegt helles Licht auf den Männern und freundliche Lebenszeit.
Uvo Hölscher
Tagwesen. Was aber ist einer? Was aber ist einer nicht?
Der Schatten Traum sind Menschen. Aber wenn der Glanz
Der gottgegebene kommt,
Leuchtend Licht ist bei den Männern
und liebliches Leben.
Friedrich Hölderlin
Wo hochgemut durchs Schilfreich wir gegangen,
nah schwebten Liebesschauer, Knospen, helle,
ist längst versiegt, was sie genährt, die Quelle,
wie fern sind wir, wie fern, was wir dort sangen.
Als wir uns wiedersahn an Dichters Grabe,
verlockte mich der zarte Schmelz der Augen,
vom Honig der Erinnerung zu saugen,
doch war dein Herz wie eine leere Wabe.
So hüll in Schatten ich mich, Schlafes Schwestern,
es malt der Mond sie mir aufs Traumschneelinnen.
Das Heute blaßt, es blaßt das heitre Gestern.
Ich habe nichts als Taues Niederrinnen,
den schwachen Glanz an schwermutdunklen Ranken,
von Asphodelen, die am Nachtsaum schwanken.
Papierne Sprachgebirge
Sie wischen Schatten von den Markenblusen.
Geschmeiß des Ungesagten will nicht weichen.
Sie zupfen an verräterischen Zeichen,
die unvernäht geblieben, Zwielichtflusen.
Der Schrei, verschluckt von Pappmaschee-Kulissen.
Aufs Sprachgebirge wirbeln Ascheflocken,
sie schmelzen nicht, die Täler bleiben trocken,
und ist kein Gras, kein Blatt, das sie vermissen.
Kannst du’s durchstoßen mit dem Horn der Mythen,
daß Lüfte in das Irreale fließen,
durchflirrt vom Duft, vom hellen Geist der Blüten,
die auf den Auen des Gesanges sprießen?
Wie, Dichter, ward das Wort zum kahlen Knochen,
das nicht mehr singt, nur ächzt, wird es zerbrochen?
Duftgenährter Vers
Es sind uns Sonnenwinde, grünes Glühen,
der Erdennacht versprühend Himmelssagen.
Es sind, die aus dem Schlamm des Schlafes ragen,
die Muscheln, Traumgeseufz von Meeren, frühen.
Wir gingen über Höhn, Tau troff von Beeren,
durch Lauben, flüsternd schon von Goldgeprängen.
Uns riefen Geister von den Rebenhängen,
daß sie im Wein des Dichters wiederkehren.
Es sind umschlungner Reime blaue Venen,
sind Quellen, dürre Sprache zu befeuchten.
Und daß nach Sapphos Hainen wir uns sehnen,
sind Monde, die durchs Abenddickicht leuchten.
Schloß sich die Knospe auch, die früh erblühte,
noch nährt ihr Duft den Vers uns im Gemüte.
Im hohen Schnee
Im hohen Schnee siehst du die Linie kaum,
dort muß den Hügel sie vom Himmel trennen.
Du kannst, was unten, oben, nicht benennen,
verwischt die Grenze zwischen Tag und Traum.
Ein Tropfen, der aufs weiße Kissen fällt,
versickernd höhlt er einen Schattenstollen.
Wie die Kristalle in die Erdnacht rollen,
mit ihnen, was gesprüht im Glanz der Welt.
Das Wort erbleicht, die frostbehauchte Rose,
bald schmilzt sein Sinn dahin in süßes Tauen.
Ein Schneeball hängt dein Kopf, der augenlose,
an einem Strahl des Monds im Orphisch-Blauen.
Fern hörst du aschenfahler Zunge Lallen:
O Sommernacht, durchglüht von Nachtigallen.
Fadenscheinig
Das Kleid, wie fadenscheinig, abgetragen,
bleich, ausgewaschen sind die Blütentupfen.
Nur nicht am Saum an losen Fäden zupfen,
es löst sich auf, Gespinst aus Jugendtagen.
Du kannst getrübten Sinns sie kaum mehr lesen,
die noch nach Veilchen duften, alte Briefe,
es ist, als ob in Laubes Dunkel schliefe,
was einst dir Glut von roter Frucht gewesen.
Kleid, Briefe mag der Truhe Dämmer bergen.
Verwirf das Wort, gewalkt von tauben Zungen,
zermatscht zum Kauderwelsch von Zeitgeistzwergen.
Es ist ein Kleid, dem Anmut ausgewrungen,
ein Brief, unleserlich, weil ihn geschrieben,
dem reiner Liebe Zeichen fremd geblieben.
Der wahre Reichtum
ἄριστον μὲν ὕδωρ, ὁ δὲ χρυσὸς αἰθόμενον πῦρ
ἅτε διαπρέπει νυκτὶ μεγάνορος ἔξοχα πλούτου
Pindar, Ol. 1, 1–2
Das Beste ist das Wasser, und das Gold,
Wie brennendes Feuer in der Nacht,
Strahlt es hervor aus männergroßmachendem Reichtum.
Wolfgang Schadewaldt
Höchstes Gut ist Wasser, aber das Gold,
Wie blinkendes Feuer zur Nacht,
Sticht es hervor aus dem prunkenden Reichtum.
Uvo Hölscher
Über Alles ist Wasser, und Gold, gleich flammendem Feuer
Der Nacht, stralet vor der mannadelnden Fülle des Reichtums.
Friedrich Hölderlin
Scheint reicher nicht als Gold die grüne Feuchte?
Auch sie erglüht an abendlicher Röte.
Damit dem Irrsal sich die Schneise böte,
netzt sie des Mundes Blume, daß sie leuchte.
Ergreift uns nicht, wenn ausgerauscht die Welle,
wie Gischtes Pfeile leisem Tröpfeln weichen,
das stumme Funkeln über glatten Teichen,
sehn nachts wir sie von traumbemooster Schwelle.
Wie dünkt uns süßer nun im Abendlicht
die Knospe, die sich Eos bang verschlossen,
das Wort, das leise von dem Schimmer spricht,
der ihm im Tau des Monds ins Herz geflossen.
Mehr als das Gold von Pindars Ruhmeskränzen
wiegt uns der Wehmut Tau, der Träne Glänzen.
Der Blick ins Jenseits
In halb versteppten, dünn begrünten Schneisen,
wo abends Greise ihren Hündchen rufen,
sitzt du auf Traumes eingebrochnen Stufen,
und Wehmut lechzt umsonst nach süßen Weisen.
Vor gleisnerisch getünchten Bruchsteinmauern,
der Grenze kargen Tags, von drüben dringen
nur dunkles Schluchzen, geisterhaftes Singen,
siehst du den Schatten deiner Liebe kauern.
Du liegst allein, und ist kein Mund, kein warmer,
das Salz dir aus der Wunde Nacht zu saugen.
Da ist kein Engel, ist kein Allerbarmer.
Du blickst ins Jenseits schon mit klaren Augen,
wie sie die Arme reckt, die schneeig bleichen,
von Asphodelen dir den Kranz zu reichen.
Die Flucht zu den Eremiten
Nach einem Gang durch die Innenstadt
Statt Herthas Auen Wüsten dürren Lebens,
wo an gigantischen Betonkakteen
die Fäden ausgefranster Träume wehen.
Oasen sucht der Seele Durst vergebens.
Durch Bauten von Termiten hasten Schatten,
die leichten, flügelzarten Ephemeren.
Dämonen, fette, sind, die sie verzehren,
wenn flügelnd sie vor ihrem Thron ermatten.
Wo Schauer uns geweht tauglänzend Laub,
starrt der Asphalt, die Quellen zugeschüttet,
erstickt, der sang, Mund, erdenfeucht, am Staub.
Laß ab vom Wohllaut, ist der Geist zerrüttet,
und fliehe, Dichter, zu den Eremiten,
dir Honig süßen Schweigens zu erbitten.
Der Sinn des dichterischen Worts
Wenn Worte sich am Gitter Versmaß ranken,
tropft durch den Dämmer manchmal stilles Licht.
Sie zittern leicht, von Traumes Scheingewicht,
siehst du vom Hauch des Abends sie noch schwanken.
Sie gleichen Trauben auch, ein goldnes Schweben.
Genährt hat sie der Erde dunkler Sinn,
der Sonne Glut, ein Strahl vom Urbeginn,
gab ihnen, daß sie reifen, Glanz ins Leben.
Im hohen Herbst kannst, Dichter, du sie pflücken.
Damit ihr Blut in Herzverliesen gäre,
mußt wohl die runde Frucht du bang zerdrücken.
In Krüge füll es uns, das Licht der Beere,
wenn wir geschwisterlich auf grünen Auen
einander in erwachte Augen schauen.
Das Altern des Dichters
Wie bog das Kind, dem aufgeschürft das Knie,
den heißen Kopf in Mutters Schoß. Rasch heilen
gewiegte Wunden. Doch das Gift von Pfeilen,
aus rotem Mund geschnellt, versickert nie.
Gepeitscht von Schreien blinder Sonnenwut,
barg Anmut dich im Flüsterlaub der Lauten.
Sogst du an Asphodelen, mondbetauten,
wie orphisch sang in Träumen dir das Blut.
Vom Star getrübtem Auge fahlen hin
die Auen, einst begrünt vom Hauch der Milde.
Der eigne Schatten überwächst den Sinn,
früh eingeleuchtet dir am Schriftgebilde.
Nun schließ die Augen, auf des Abschieds Schwelle
lausch, wie ins Dunkel strömt die Musenquelle.
Stern der Wüstennacht
Als tropfte süßes Abendlicht durch Ranken
am Saum des Rebenpfads im Heimattale.
Höb sich empor das Herz wie eine Schale,
zu sammeln milden Tau dem Schwermutkranken.
Als fändest du im Schrank, den du durchwühltest,
verstaubt von Veilchen einen Strauß, lid-blassen,
und wär ein weher Hauch ihm noch belassen,
daß du, die einst ihn band, die Sehnsucht fühltest.
Nein, heimatlos liegst du, gekrümmt ins Dunkel.
Im Traum durchblättert Wind das Buch der Psalmen,
erloschen ist das herrliche Gefunkel,
der Hymnen Rauschen unter Zions Palmen.
Schlaf tief, bis dir erfrischt der Sinn erwacht,
den hohen Stern zu sehn der Wüstennacht.
Hauch des Ungesagten
Wie muß im Durst des Karsts der Strom versiegen.
Statt daß gelöst wir zu den Quellen gehen,
sehn Staub der Angst wir in die Schneise wehen,
wo sonst besonnte Knospen Falter wiegen.
Mit Zungen rasseln wie die Klapperschlange
schließt selbst, die Böses tadeln, ein im Bösen.
Der Wust des Wahns wird sich vom Wort erst lösen,
taucht es zum stillen Ursprung im Gesange.
Magst, Dichter, du den Krug des Verses reiben,
damit sein Silber noch im Dunkel leuchte,
es wird ein Hauch des Ungesagten bleiben.
Gäb schlichter Ton ihm Form, der erdenfeuchte,
uns freut, was du erwählt, doch nicht erdacht,
die Blüten, deren Duft noch weht bei Nacht.
Der hohe Augenblick
Beherzt die Apfelsine aufgeschnitten,
wie rinnen mit dem süßen Saft die Samen.
So quillt es aus dem Schoß der Nacht von Namen,
Tau, lindernd, was im Lichte wir erlitten.
Es kündet uns, die still vorübergehen,
Duft, wo vorm Ufer Dämmerlauben ranken,
daß Blüten leuchtend auf den Wellen schwanken,
auch wenn wir sie nur atmen und nicht sehen.
Daß wir am hohen Augenblick uns laben,
dem Schimmer, gleich der Frucht, die aufgebrochen,
wie Honig saugen aus Gedächtniswaben,
was Tränen früher Liebe uns gesprochen.
Sieh, wie die Perlen schon ins Dunkel blassen.
Und wieder sind wir blind, vom Geist verlassen.
Der Scheintote
Der Moloch Stadt fletscht seine schiefen Hauer.
Die Flüsse Babels sind Kanäle, wo kein Schilf
mehr birgt, die um die ferne Heimat weinen,
Zions Waisenkinder.
Der Civitas terrena pumpt ein stählern Herz
Schleim der Unzucht und heißen Teer
der Unrast durch Adern, die sich im Nichts,
dem gliederlosen, schlängeln.
Ampel, Zebrastreifen, hochfrequentiert
um diese Morgenstunde, alles hastet, hustet,
hupt und rennt. Aktentasche, Handy, Damen-
täschchen, Einkaufsbeutel.
Ungeduschte, frisch Rasierte, Parfümierte,
Kopftuch, Haartoupet, geflammtes Hals-Tattoo,
Wulstlippen, Augenschlitze, Porno-Dutt,
Netzstrümpfe, Lederriemen, Lippenblech,
gezupfte Brauen, Plastiknägel, Wangenrouge,
Mulatten, Gelbe, Kreidebleiche, negroide
Baobabs und Nippon-Chrysanthemen.
Schulbengel, Banker, Servicegirls, Polierer,
Kappenjungs, geharnischte E-Scooter-
Flitzer, strampelnde Klein-Kind-Segler,
unterm Flugnetz ein gedämpftes Kreischen.
Und der liegt da, umgehauen, hingestreckt,
gefällt, gerollt in einen Schlafsack, schmutzig-grün,
die Beine wie im Weinkrampf um den Laternen-
mast geschlungen, das Gesicht von der Kapuze
wie in Scham verhüllt.
Könnte tot sein. Verendet. Hingeschieden.
Ohne Adieu gesagt zu haben. Wem auch?
Hat seit Jahren keinem mehr die Hand geschüttelt,
jeder wich vor Ekel gleich zurück. Lazarus,
Hiob, Geschwürenexhibitionist.
Da stakt vorbei, steil stelzend, die grellen Lampions
der Hinterbacken rhythmisch auf- und nieder-
schwenkend, ein Gazellenweib, die blondierte
Mähne singt dem Wind: Ich bin noch warm von
der burgunderroten Nacht. Was geht mich
der Kadaver an, der in sein schuldverseuchtes,
ödes Endspiel stinkt.
Ich sah noch, wie ein krummes Hauben-Muttchen
aus seiner Börse ein paar Münzen klaubte und
sie zitternd in die tellerrunde Frotteeschale warf.
Was bewog sie, sich des Kehrichts zu erbarmen?
Das Wehen eines Flügels aus der Dämmernische
bigotter Andacht, in die man statt des Engels
längst ein queeres Flitter-Püppchen rückte?
Ja, die Bettelschale lag, als hätte Nachtwind
sie ihm zugeweht, vor dieses Scheintoten
weltabgewandtem Antlitz.
Vielleicht erhebt er sich, wenn die Laterne ihren
trüben Schimmer mit dem Regenwasser mischt,
schält sich aus dem Sack und geistert, ein Nacht-
mahr auf der Suche nach der bangen Menschen-
brust, daß ihn das mühsam abgepreßte Keuchen
in obszönes Flimmern wiegt.
Vielleicht steigt er, wenn ich erschöpft ins Kissen
sinke, durch einen Gully geradewegs in meinen
Traum.
Dann entblößt er mir sein bronzenes Apachen-
angesicht, und ich erkenn ihn schreckensfroh,
den Freund aus Kindertagen, der mir die Wimpern,
meiner Unschuld zarte Schatten, hat versengt.
Heidnisches Abendsonett
Durch Dickicht-Schatten dringt noch blaues Rufen.
Zerzauste Wolken-Rüschen, die sich röten.
Gedämpften Schmerzes träuft Nachtvogels Flöten
den Tau des Abschieds auf bemooste Stufen.
Die Echsen flohen, die im Feuer ruhten.
Als fröre sie, hüllt Rebenlaub die Beere.
Es schwimmt der Mond, das Mal der großen Leere,
der Asphodele gleich auf Lethes Fluten.
Mag sich, was Rätsel sprach, die Wunde schließen
und Stille deinen wilden Sinn befrieden,
wenn Venus’ Tränen in das Dunkel fließen.
Erduldend, was vom Schicksal dir beschieden,
von Nacht gezeugt und Strahlen, namenlosen,
weht hin dein Tag wie weher Duft von Rosen.
Frühlingslüfte
Es harzen, treiben Milch die Knospenspitzen.
Wahr sagt der Krokus uns von lichten Sphären.
Daß wir uns recken, wenn die Schwalben kehren,
und nicht gedrückt in grauen Zimmern sitzen.
Das Fenster öffnet selbst der Schwermutkranke,
es ist daran gestreift ein Flügelschatten.
Die von zerkochtem Wissen längst nicht satten
treibt’s, Glanz zu schmecken, Tau der losen Ranke.
Was von den Höhen Tropfen Lichtes träuft,
was seufzend aus der dunklen Erde quillt,
hat Schöpfergeist im Abgrund angehäuft
und streut es aus. Wir staunen vor dem Bild,
das uns enthält wie Blüten tausend Pollen.
Daß wir, weil wir’s nicht malten, bloß nicht schmollen.
Die Insel der Seligen
μακάρων
νᾶσος ὠκεανίδες
αὖραι περιπνέοισιν,
ἄνθεμα δὲ χρυσοῦ φλέγει,
τὰ μὲν χερσόθεν ἀπ᾽ ἀγλαῶν δενδρέων,
ὕδωρ δ᾽ ἄλλα φέρβει
Pindar, Ol. 2, 71–74
wo der Seligen
Insel Okeaniden-
Lüfte umatmen; die Blüte aber
des Goldes flammt
über dem Erdreich von
glänzenden Bäumen,
das Wasser aber andere<s> nährt
Friedrich Hölderlin
Doch umatmen der Seligen Inseln
Okeanische Lüfte,
Und Blumen von Gold brennen, die einen landwärts
Von prangenden Bäumen, das Wasser aber nährt andere
Wolfgang Schadewaldt
Der zarte, herbe Pindar sah sie wehen,
an schwanken Zweigen golden Blüten leuchten,
auf Wellen auch, die wiegend sie befeuchten.
Was blieb uns Mythenblinden noch zu sehen?
Er fühlte ozeanisch Lüfte blauen
um eine ferne Insel der Beglückten,
von Charis Hauch dem Erdenleid Entrückten.
Was fühlen unsre Herzen noch, die grauen?
Den Sohn Achill trug Thetis an die Küste,
durch Gischt grub Nereus ihr die Liebesbahn,
daß er nach dunkler Qual vom Dank noch wüßte,
der ihn vom Zorn erlöst, vom Flammenwahn.
Wer netzt die Seele uns, die ruhelose,
mit trunknem Tau von Edens stiller Rose?
Abends am Strom
Wüsten Lebens Lärm, hin mag er wehen,
wenn wir abends durch das Schilflied gehen,
sanft zerteilen hoher Halme Schatten,
Licht von Blüten auf dem Wasser sehen,
bis sie unterm Tau des Monds ermatten.
Was wir sagen, Schweigen mag’s vollenden,
Augen, die sich trunkne Botschaft senden,
Düfte, wenn sich geben zarte Sprossen,
Dunkelfaltern Sonnenpollen spenden.
Nacht hat uns wie schwarzer Samt umflossen.
Treiben einsam wir auf jähen Tiefen,
Tränen sind, die hell ins Dunkel triefen,
Tränen, die den Fels der Angst erweichen,
bis uns Herzen, die in Nestern schliefen,
singen und wir uns die Hände reichen.
Das strömende Wort
Essenz aus Erde, Wasser, Feuer, Luft,
strömt hin das Wort durch helle, dunkle Zeiten,
behaucht, was müde ward, entflammt, die streiten,
bringt Liebenden von Eden Friedensduft.
Wo es entsprang, in Karsten, wüst und leer,
der Quelle gleich, erweckt von jähen Blitzen,
quillt’s, seufzt und tanzt auf schwanken Blütenspitzen,
schwillt an und mündet, Hymnenstrom, ins Meer.
Verstummst du Mensch, entsetzt von Leid und Grauen,
sinkt schon die Sonne deines Tags hernieder,
vom Hügel mit dem Kreuz siehst fern du blauen,
sich windend kühn, den Strom der Psalmen wieder.
Von ihm benetzt, kann banges Herz sich sagen:
Zerfall zu Staub ich auch, Gras will ich, Blüten tragen.
Die Sprachbildner
Wer sprach zuerst das Wort, Mann oder Frau,
das mehr war als vor Schmerz aufstöhnen,
als seufzen, wenn Erschöpfte sich versöhnen?
Sinn, der den Satz gebar: „Sieh, Himmel blau!“
Riet sie zum Aufbruch, daß die kleine Schar
in grünerm Fruchtland könne froher wohnen?
Beschwor er Mächte, die sie gnädig schonen?
Sinn schmilzt in Sinn, ein Spruchreif, golden-wahr.
Sprachbildner, Polen des Magneten gleich,
wenn zarte Muster bilden Eisenspäne.
Ein Sprachtuch webten sie mit Bildern reich,
fürs Töten Äxte und für Anmut Schwäne,
Gestirn für Ruhm und voller Mond für Stille.
Doch blieb das Zentrum schwarz: die Ich-Pupille.
Zwiegespräch mit der Sonne
„Ja, sitz hier still. Ist dein Gesicht auch fahl,
das Herz ergraut, verschorft die Haut der Seele,
ward blind die Inschrift der Gedächtnisstele,
vergiß dein selbst, küßt dich mein sanfter Strahl.
Mag’s dämmern schon, es dringt durchs Schattenlaub,
was überglitzerte die Kindheitsflüsse,
was dir gerötet hat den Samt der Küsse,
wisch dir nur vom Gemüt den eitlen Staub.“
„Es ist zu spät, ich warte auf die Nacht.
Sobald der Hoffnung Glanz wird erdwärts sinken
und Schwermut hüllt ins schwarze Tuch mich sacht,
will ich den Tau aus Mondes Schale trinken.
Dein Strahlen feiern Blumen, die nicht bluten,
mir hat’s den Geist gegerbt wie Flammenruten.“
Ein Hündchen träumt
Es reckt die Ohren gleich, wenn hell die Stiege
von seines Herrchens lieben Schritten tönt.
Das seidne Fell, vom Sonnenstrahl verschönt,
sagt einem Mädchen, deine Wange schmiege.
Es fand wohl Heimat, warm bei Napf und Kissen,
doch fühlt’s, kein Teppich atmet Thymian.
Ein Sprung geht wie in zartem Porzellan
durchs Herz ihm, Wildnis immer fern zu wissen.
Wüst wedelt es, beißt in die Leine, bellt,
heiß hastet es dem Balle nach, dem roten,
äugt treu, wenn er dem Herrn zu Füßen fällt.
Nachts träumt’s, als riefen ihm die toten
Vorfahren, Hüter einst der Rentierherde:
„Schön war das Wandern auf der freien Erde.“
Ein Mäuslein träumt
Es war ein Mäuslein, das nur immer kuschte,
wenn es da droben, wild im Blätterdunkel,
sah einer Eule lauerndes Gefunkel,
ins Erdloch vorm fatalen Schwirren huschte.
Da träumte oft es von der Ahnin Mären,
die sie, es lag in ihrem Schoß, gesäuselt,
vom Reich, wo Katze nicht, nicht Eule mäuselt,
wo ohne Bangen Tanz und Fiepen wären.
Dort müßten sie nicht dunkle Gänge wühlen,
nicht winters harren aus bei Span und Spelt.
Des offnen Himmels blauen Blick zu fühlen,
ein Garten Eden wär die Mäusewelt.
Doch aus dem Traum, wo Friedenslüfte hauchen,
reißt scharfer Tatze Scharren es und Fauchen.
Sonett von der Angorakatze
An ihres Auges lichten Bernsteingittern
verglüht dein Schatten und zerrinnt dein Bild.
Nie siehst du, daß ein leiser Tau entquillt,
nie süßer Schwermut weiche Träne zittern.
Wie Kissen leichten Schlummers sind die Ballen,
wenn träumerisch sie ihre Pfoten leckt,
wie Dornen, holden Büscheln Schnees entreckt,
die in das Herz der Unschuld stechen, Krallen.
Wenn scheues Dasein sich ins Dunkel wühlt,
vergebens, und es fiept gespenstisch-schrill,
ist es die Maus, mit der sie grausam spielt.
Satt liegt, gepreßten Lids sie, lämmerstill,
und surrt entrückt, wenn zarte Mädchen kraulen.
Nachts aber hörst du sie bacchantisch jaulen.
Dichterisch gesinnt
Die Wurzel reicht ins Dunkel tief, ins Licht
reckt aber irishelle Blüten Fühlen,
daß darin summend goldne Bienen wühlen,
doch ob den Tau sie finden, weiß es nicht.
Es rinnen Tropfen, die ihr Sehnen kühlen,
wohl über weicher Veilchen Angesicht.
Das Herz der Nachtigall fliegt, wenn sie singt,
durch Schwermutlabyrinthe blauer Schatten.
Nur unser Herz stockt, möchte schon ermatten,
wenn Krokus uns den Azur wiederbringt,
wir zittern, wenn sich Mond und Meergott gatten
und heiße Gischt in unsre Trübsal springt.
Nein, sei bereit, bleib dichterisch gesinnt,
mag denn der Herbst die zarten Knospen pflücken,
auch stiller Flocken Schnee kann noch beglücken.
Daß nicht das Blut des warmen Sangs gerinnt,
mußt du der Muse weiche Brüste drücken,
die Milch der Liebe saugen wie ein Kind.
Der Wein des Dichters
Die Gischt des Monds wäscht ab den Staub,
der Regen singt von müden Rebenranken,
woran dumpf pochend unsre Herzen kranken,
die Asche des verglühten Sinns vom Laub.
Gut ist den Nacken beugen einem Quell,
dem Felsenmund entflossen, süßem Leuchten,
wenn matte Moose sich mit Glanz befeuchten
und Lebensgeister rufen: „Nacht, wie hell!“
Sei, Dichter, uns dein Wort ein goldner Wein,
der unterm Kuß des Abendsternes sprüht.
Mag er in unsrer Brust die Sonne sein,
den Hades unsrer Ängste zu erwärmen.
Der Rose gleiche sie, die sanft verglüht,
wenn dämmerbang noch Falter um sie schwärmen.
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