Der Sommer war sehr groß
Dem Andenken an Rainer Maria Rilke
Hier der Vers, ein Strunk, gereckt
aus dem Schnee der Asche,
und mit Teer dein Sinngrün
von Schlafwandlern überdeckt.
Kühlung sucht umsonst das Wild
unterm kahlen Aste.
Rauch ist und kein Wasser,
was aus Erdenschründen quillt.
Spiegelte nicht hier ein Teich
Silber der Plejaden,
sangen Nachtigallen
hier nicht trunkner Muse gleich?
Gingen sie nicht Hand in Hand,
Psyche leicht und Amor,
wo ein Blau entsprossen,
das dein müder Reim noch fand?
Wir vergehn gedächtnislos,
haben schon vergessen,
wie des Wortes Honig
tropft: Der Sommer war sehr groß.
Nun ist’s Zeit
Knospen, die als blauen Gruß wir sandten,
bleiche Wehmut sieht sie grau.
Verse, die von Liebesflammen brannten,
kühlen ihren Schmerz im Tau.
Was als Kinder wir zu wissen schienen,
eine Sphinx starrt es uns an.
Was in Waben wir geschmiegt gleich Bienen,
süßer Reime Seim zerrann.
Blank die Tenne, wo die Körner sprangen,
aufgezehrt das warme Brot.
Was vorm Grauen noch die Ahnen sangen,
fahlt, ein stummes Abendrot.
Nun ist’s Zeit, zum Quell des Lieds zu gehen,
still zu lauschen Gaias Mund,
an Sternbildern hoher Nacht zu sehen,
schön quillt menschenferner Grund.
Wogen dunkler Schollen
Wogen dunkler Schollen,
Pflug, o harter Kiel.
Sonnensänge, Schaum,
Brunnennacht entquollen.
Sank in Gaias Wunde
Samen, nährt ihr Blut.
Ähren rauschen sacht,
Gold der Abendstunde.
Schnitten rauhe Hände,
lasen sanfte Korn.
Glocken, Weiheklang,
daß wer irrt heimfände.
Auf dem Schneelichtlinnen
Brot und irdner Krug.
Glanz im Laub des Traums,
Reime, die verrinnen.
Tiefer noch wird dringen
Wasser, das geweiht,
Feuervogel Herz
höher auf sich schwingen.
Schwestern eines Geschicks
Schwermut steht am Fenster lang,
in den braunen Herbst zu schauen.
Von erloschenen Sonnenauen
kommt ein einsamer Gesang.
Ist die Seele ihr verwandt
und besingt, was sie verloren?
Klagt wer vor verschlossenen Toren,
von des Herdes Glut verbannt?
An demselben Fenster stand
jüngst die Schwester, und sie lauschte,
was im Laubwerk Sommer rauschte,
blau schlang sich durchs Haar ein Band.
Liebe war es, und ihr Blick
ward erhellt vom Glanz der Auen,
weich vom Tau verliebter Frauen,
ahnungslos um ihr Geschick.
Wie ihr Arm in Arm nun geht
Pfade, die sich fernhin winden,
davon mag ein Dichter künden,
der jetzt an dem Fenster steht.
Dichter, pflück den Mohn
Müde lehnst du an der Linde,
und ein lichtes Blatt
taumelt dir zu Füßen,
krümmt sich und wird matt.
Siehst den Mond du untertauchen
in das schwarze Maar,
steigen auf die Schreckensschreie
einer Krähenschar.
Gehst du auf verfallenen Wingerts
Kreuzweg hügelan,
starrt, ans kahle Holz genagelt,
ein verlassener Mann.
Geh nicht weiter in den Abend,
Dichter, pflück den Mohn,
bette dich ins Laub der Linde,
Schatten rufen schon.
Verhallendes Echo
Philosophische Sentenzen und Aphorismen
„Alles fließt.“ – „Doch dies steht fest?“
Analysieren wir die Tat bis hinab zu den kleinsten determinierenden Momenten, verflüchtigt sich der Täter.
Es ist trügerisch, im selben Sinn vom Ursprung des Universums wie vom Anfang einer Geschichte zu reden. Unser Reden von Zeit, Ereignis, Geschichte ist auf unterschiedlichen Skalen und Registern abzutragen.
Was wir wirklich oder real nennen, ist ein integraler Bestandteil semantischer Verknüpfung; es wird indes dadurch nicht unwirklich oder irreal.
„Es regnete“ – im Tagebuch mit Orts- und Zeitangabe verzeichnet oder in einer fiktiven Erzählung.
„So geschah es“ – elementare grammatisch-semantische Synthesis.
Die Symmetrie von Kristall, Rose und Auge; und die Mächte der Auflösung wie Hitze, Sturm und Verwesung.
Wir unterscheiden Grade der Bewußtheit und der Egoität; Wach-Ich und Traum-Ich.
Das Geheiß, die Gründe der Tat und die Abgründe des Daseins zu erhellen, ist apollinisch; das Ergebnis, wie die Selbsterforschung des Ödipus bekundet, dionysisch-tragisch: die Entdeckung eines ursprünglichen Schattens.
Der Vergil der Äneis ist der Tiefenpsychologe des antiken Mythos.
Wir stehen am sich auflösenden Saum der Begegnung von christlicher und hellenisch-römischer Kultur.
Rhythmische Urintuitionen – wir unterteilen das Fallen von Tropfen unwillkürlich in Takte, rhythmische Einheiten. Muster des Gehens, Laufens, Zögerns, Verweilens in Jambus, Trochäus, Daktylos, Adoneus und Bakcheus.
Physiognomische Urmuster; das Kind malt einen Kreis und darin drei Punkte für Augen und Mund.
Die grammatische Morphologie und Musterbildung erzeugt die Morphologie des Sinns.
Sätze über die Form von Sätzen sind metasprachliche Schein-Sätze.
Der Schatten des Kreuzes, den das gleisnerische Licht der Aufklärung nicht aufzulösen vermochte, liegt noch auf dem Schnee unseres geistigen Winters.
Der Herrscher von Theben, Ödipus, hinkt.
Die anmutig-züchtige junge Muslima stand vor mir in der Warteschlange und las in ihrem Buch der Bücher, einer Ausgabe des Koran mit ornamental umrankten Schriftzeichen. Kaum vorstellbar, ihre christliche Schwester täte desgleichen mit unserem Buch der Bücher in der Hand.
Ich gedachte des wahren, wenn auch wahnhaften Leidens eines Pavese und der unheimlichen Tiefe, die es seinem mürben Geist verlieh, verborgene Schichten des antiken Mythos zu berühren.
Genius der Sonne und Anima des Monds. – Goethe war beides.
Die sich in den Wellen der ligurischen Küste spiegelnden einsamen Säulen hohen klassischen Stilempfindens – Phantasmagorien der Geschichte.
Jeder lebt seinem Mythos nach, ohne Hoffnung auf endgültige Entschlüsselung.
Aus den vergossenen Tropfen Bluts ihres Geliebten Adonis läßt Aphrodite Rosen entsprießen.
Die Glieder der Sprache verrenken heißt die Mutter schänden.
Die ihn gebar, bleibt stumm angesichts des Leidens ihres Sohns am Kreuz. – Wie anders? Sie selber ist der Stamm, der ihn trägt.
Die Wahrheit läßt sich nicht photographieren.
Mach einen Schnappschuß – die Geste der wahren Empfindung bleibt, so gestochen scharf die Bildauflösung sein mag, verwischt.
Die klassischen Autoren waren wie die Gelehrten, die Historiker, die Politiker in den humanistischen Fächern geschult, allem voran in der Rhetorik. Doch Vergil, der Meister der epischen Sprache, versagte als Redner.
Wer hätte noch unter den Sprachbildnern den erhaben-demütigen Antrieb, sein Werk einer höheren Macht als Gabe auf den Altar zu legen (so wie Wittgenstein beabsichtigte, es Bach nachzutun und das seine unter das Motto zu stellen: Ad maiorem gloriam Dei)? – Schon Wittgenstein scheute wie vor einer Anmaßung davor zurück; wie lächerlich würde uns heute die Tollkühnheit eines Zeitgenossen anmuten, der sich dessen erdreistete.
An allem irre geworden, was harmonisch resoniert und architektonisch wohlgefügt ist, lassen sie sich für die Pervertierung und Herabwürdigung dessen feiern, was Goethe das Vortreffliche nannte, auch wenn es an Leichenfledderei gemahnt.
Der vernunftfromme, kartesianisch gesinnte Freud ward angesichts der schwellenden Brüste der Erdmutter Gaia impotent und mythenblind.
Die wir gestern sahen, die Spuren des Wilds, hat der Neuschnee verwischt.
Gedichte, allmählich verlöschende Nachbilder des Traums.
Das Echo der Rufe aus dem Abgrund der Zeit, das an den kahlen Wänden einer müden Gegenwart verhallt.
Der ausgeschöpfte Brunnen der Erinnerung.
Die in Abwasserkanäle geleiteten Ströme des Helikon.
Die feinhörige Hand des Chirurgen und Physiognomikers tastet den Verwachsungen unter den verhornten Hautschichten nach; das überlärmte Ohr des Zeitgenossen findet für die leisen Zwischentöne im Vers des Vergil keine Resonanz.
Eine Erschütterung, ein Erdbeben läßt die Wände der römischen Villa erzittern; da bröckelt der Putz wie aufgeklatschte Tünche, und die farbigen Mosaike einer untergegangenen Welt treten ans Licht.
Ich hörte. wie Großvater im wuchernden Gras des Felds die Sense dengelte, Knabe, der auf dem Dach des Schuppens lag, und mir war, als stiegen geisterhafte Stimmen aus dem heiß geschabten Eisen.
Von den herbstlichen Feuern stoben Funken in den dunkelblauen Samt des Abends und brannten Löcher in den Vorhang, durch die sich schon der schwarze Schaum der Nacht ergoß.
Was Nachtwind ins Gras geschrieben, die Seele liest es, eine Eule, die nach ihrer Schwester ruft.
Der Dichter sah im Schnee die Spuren und ihm war, sie müßten von einer verwandten Seele stammen, einem Sternenbruder in der Winternacht, und ging ihnen nach; doch kam er dunkel kreisend an die Stelle zurück, von der er ausgegangen.
Wer abgewichen ist vom ausgetretenen Pfad des Sagens, sieht sich jählings einsam unter fremden Sternen, und die Blüten rings, das grüne Leben scheint ihm unbenannt nur schwach zu atmen, schwach zu duften. Nur eines Orpheus Huld kann ihm den Zauber leihen, die Dinge wieder zu beleben, daß sie ihm mündig geworden neue Namen künden.
Der Sinn des Todes entblößt den Wahn der universellen Machbarkeit und Verfügbarkeit.
Die Behausungen und Gehäuse, vom Haus bis zum technischen Gestell, können uns nur vorübergehend bergen; die Angst und der Tod schlüpfen durch das Schlüsselloch, nisten in den Fugen und Gelenken unserer blitzenden Geräte, wo unheimlich zu knacken und knirschen beginnt, was schließlich zerbricht.
Die natürliche Sprache ist historisch-kontingent und kulturrelativ; sie kann nicht am Reißbrett entworfen und mittels Algorithmen aufgebaut werden.
Der Geist der natürlichen Sprache weht uns an, belebt oder ängstigt; die Sprache der künstlichen Intelligenz atmet nicht.
Wir werden skeptisch gegenüber dem Wunsch nach Unsterblichkeit, wenn uns das Schicksal des Tithonos zu dauern beginnt, dem die Gemahlin Eos dank Zeus zu ewigem Leben verhalf, der aber alt geworden immerdar weiter vergreiste, verschrumpelte und den Zikaden gleich stets schriller seine Stimme erhob, weil ihm ewige Jugend nicht vergönnt war.
Flüchtige Epiphanie
Aufgeschimmert war ein Antlitz
an der kahlen Mauer.
Und ein Lächeln ließ erzittern
die erstarrte Trauer.
Und wie Knospen, die sich öffnen,
wenn die Schatten weichen,
schrieben Blicke in die Herzen
lichte Wunderzeichen.
Die es fühlten, knieten nieder,
bange Lippen lallten,
wie noch hohe Mächte Trunkne
nah am Abgrund halten.
Und ein Stern begann zu glimmen
überm Haupt der Holden.
Schlafes Gaze schien zerrissen,
graue Wolke golden.
Als sie abends Kränze brachten,
kindlich-fromm gewunden,
Kerzen, dem Gesang zu leuchten,
war das Bild verschwunden.
Quelle, Strom, Gesang
Dem Andenken an Cesare Pavese
Nur ein Lidschlag, der es jäh entscheidet.
Ihrer ist’s, und er verhext.
Du, der unter Wimpernschatten leidet,
bist der Frucht gleich, die nicht wächst.
Bohrt ihr Schweigen Löcher ins Entzücken,
stopft sie schwarzen Rauschens Samt.
Scheite schleppst du auf gekrümmtem Rücken,
und sie singen, Herz, es flammt.
Wein ist sie, im Südland aufgesprossen,
Traube, die dem Durst sich reicht.
Du der Brunnenmund, der ausgeflossen,
noch bevor ihr Mark erweicht.
Sie ein Strom aus blauer Nächte Quellen,
in das Delta hingedehnt.
Unterm Eis willst du, ein Rinnsal, schwellen,
Schluchzen, das Gesang ersehnt.
Öde Karste, milde überflutet,
leuchten fern von sattem Grün.
Und du hast vergebens nicht geblutet,
sieh, Adonisrosen blühn.
Trinke, Dichter, goldnen Wein
Taube, die gegurrt hat dumpf
auf der Balustrade,
flattert zu den Schwestern heim,
Einsamkeit schmeckt fade.
Durch das offne Fenster weht
lauer Hauch aus Gärten,
die verschollen lange schon,
Ruf von Weggefährten.
Zitternd glimmt die Lampe spät
in der Milchglasscheibe,
so als harrte sie noch bang,
da ich ferne bleibe.
Sanfte Muse, traurig-froh,
die des Nachts gesungen,
und mir war, ein Porzellan,
ist das Herz zersprungen.
Treibe nicht mit Blüten hin
stumm ins Uferlose,
neige müde nicht das Haupt,
fahle Winterrose.
Trinke, Dichter, goldnen Wein,
golden wird die Kehle,
lösche mit dem süßen Sang
düstre Glut der Seele.
Sehnsucht träumt
Deiner Blicke süße Funken
machten mich wie trunken.
In den Wogen deiner Locken
bin ich gern versunken.
Sehnsucht träumt, sind wir verlassen.
Sangst du, wollten helle Flocken
mich ins Weite locken,
und aus grünen Teichen klangen
heimatliche Glocken.
Sehnsucht träumt, sind wir verlassen.
Als wir durch das Schilf gegangen,
sah auf deinen Wangen
ich den Tau der Wehmut glimmen,
Nachtigallen sangen.
Sehnsucht träumt, sind wir verlassen.
Nun bedrängen Geisterstimmen
mich hinauszuschwimmen,
und das Ufer, wo dich Feen
bargen, zu erklimmen.
Sehnsucht träumt, sind wir verlassen.
Einmal will ich dich noch sehen
zwischen Blumen gehen,
Asphodelen, die erblassen,
weil sie dich verstehen.
Sehnsucht träumt, sind wir verlassen.
Das Grauen vergilischer Nacht
Äneis, 7. Buch, 389 ff.
Wie ins Laub der Unschuld glitt die Schlange,
die voll Gifts des Orkus Wahnsinn spie.
Daß Vergil nicht mit Mänaden schrie,
wand er Thyrsosranken dem Gesange.
Schwachen Atems aber, Dichter, flieh,
zischt im Versgestrüpp des Chaos Schlange.
Lose darf das Haar im Nachtwind wallen,
wenn der Vers sich auf die Wunde preßt,
Mund, der nicht von blinden Küssen läßt,
bis ins Dunkel Tropfen Lichtes fallen.
Du indes, halt sie am Fenster fest,
siehest du ihr Haar im Nachtwind wallen.
In die Wildnis zog der Vers voll Grauen,
aufzustöhnen Bakcheus Evoe.
Und er sank in Mondes stummen Schnee,
den Bellonas Blutstrahl bald wird tauen.
Schwankt dir, Dichter, noch ein Kahn am See,
eil dich, um zu flüchten aus dem Grauen.
Stimme, goldne, süße
Orchislippen, weiche,
streifen dich im Traum.
Glanz an Schlafes Wimpern,
Flocken fühlst du kaum.
Glockenklang, versunken
in der Heimat Maar,
wo ins Blaue steigen
Chöre, Lerchenschar.
Flammenzungen flüstern,
Briefe heißer Hand.
Geisterhafte Funken,
Herz, das sich verbrannt.
Stimme, goldne, süße,
Honiglicht verfließt,
wenn die Dämmerpforte
sacht Selene schließt.
Linnen, Schneegeflimmer,
monden-fahle Glut,
wenn des Mundes Knospe
seufzend auf sich tut.
Trunkner macht als Eos
blasser Rosen Duft
Herz an Herz zu atmen
blauer Nächte Luft.
Geh hinaus, es war ein Traum
Pflücken Winde Blüten leicht,
weh mit ihnen, Ichgespinst.
Schnee, den kühles Mondlicht bleicht,
Tauwind kommt, und du verrinnst.
Blatt, getaumelt jäh im Schlaf,
war vergilbt es, war es rot,
als es kalt die Stirn dir traf,
glaubtest du die Liebe tot.
Und entsetzt bist du erwacht,
aus dem Fenster weit gelehnt,
sahest du bestirnt die Nacht,
Venus auch, vom Gram ersehnt.
Eos träufte Rosen Tau,
bis die Knospen Glanz erfüllt.
Doch du flehtest nach dem Grau,
das dir Glut und Gold verhüllt.
Geh hinaus, es war ein Traum,
Blatt des Schlafs verweste schon,
geh bis an des Sagens Saum,
wo dir purpurn sprießt der Mohn.
Dichters Gaben
Von des Pindar Quelle
geisterhafter Schaum.
Von Vergilschen Herden
süß betauter Flaum.
An des Sagens Säumen
Rilkes Enzian.
Wasser grüner Stille,
wiegend Gertruds Schwan.
Am Altar die Chöre,
Fackeln in der Nacht.
Feuchter Trauben Bronze,
Bacchus dargebracht.
Gras, das unter Linden
beugte Walthers Reim.
Rose, die’s gelitten,
Glut von Sesenheim.
Nah beim Dorf die Eichen,
Rauschens voll das Laub.
Was vorm Grabe Loerke
sah an Glanz im Staub.
Aus dem Fenster Rufe,
bang um Hölderlin.
Eingetunkt in Wermut,
weh, Verlaine, dein Spleen.
Von Novemberrosen
Sehnsucht nach dem Schnee.
Trakls Trauerweide
am umschilften See.
Aus dem Haar der Sappho
Spange oder Kamm.
Eines Grautiers Scheu vorm
scheuen Francis Jammes.
Die feurigen Dämonen
Wir sind durchs Schilf der Dämmerung gegangen,
als Aschenrauch mich machte jäh benommen.
Für wilder Blicke Düsternis erglommen,
rann heißes Glitzern ihr auf blassen Wangen.
Und gierig schob ihr die behaarte Kralle
ein Dämon unters Hemd, der andre spuckte
ins Haar ihr Funken. Lippe schwoll und zuckte,
den Schoß durchpulste eine Feuerqualle.
Drei Schatten tanzen um ein Kreuz im Sand,
wo Glut von Scheiten fahl zerfallend kündet:
„Den dunklen Kien, den reckte die Mänade,
hat leiser Verse Anmut nicht entzündet.
Nun hat ihn angefacht Dämonenhand.
Des Chaos Flamme frißt das Holz der Gnade.“
Die rächenden Engel
Die Engel gingen neben uns schon lange.
Es raunten fremde Zungen, doch dazwischen
stob in das Dunkel funkenhelles Zischen.
Da strich ein kühler Flügel meine Wange.
Du hast noch vag nach meiner Hand getastet,
schon hatten sie dich jäh emporgehoben.
Selbdritt umschlungen schwebtet ihr nach droben.
O dunkler Fluch, der einem Joch gleich lastet.
„Sie ist dem Dunstkreis deines Geists entronnen,
die Schwester, die wir gnädig dir gesandt.
Du hast sie nicht erschaut, die edle Blume,
die sich nur auftut makellosen Sonnen.
In deiner Schwermut Düsternis gebannt,
sog sie nach Tau umsonst in karger Krume.“
Um ihren Abgrund kreisen alle Dinge
Wer lange schreit, dem wird die Kehle heiser.
Wer hoch getönt, spricht leise, immer leiser,
der Welle gleich, die morgens gischtend sprang,
die Schilfe schüttelte und zarte Reiser
und seufzend ebbt im Sonnenuntergang.
Wer lange schreit, dem wird die Kehle heiser.
Um ihren Abgrund kreisen alle Dinge.
Der Tropfen fällt, es schwellen, schwinden Ringe.
Die Verse auch, geflochten zart zum Kranz,
zerrupft wie unter dunklen Dämons Schwinge
Mänade heiß in bacchisch-wildem Tanz.
Um ihren Abgrund kreisen alle Dinge.
Uns bleibt als Nachbild schwaches Traumgeflimmer
an leerer Wand im öden Krankenzimmer.
Die Rosen uns ans kahle Bett gebracht,
ihr süßer Name stürzt ins Schmerzgewimmer,
ihr Antlitz blaßt dahin im Mond der Nacht.
Uns bleibt als Nachbild schwaches Traumgeflimmer.
Flügelnd zwischen Traum und Tag
Schneit es Flocken, sind es weiße Blüten?
Feuchten Augs verschwimmt dir Bild und Zeit.
Knistert Glut, wo Hirten Herden hüten,
stürzen Flügel durch die Ewigkeit?
Worte, zweifelnd zwischen Tag und Traum,
glitzern wie der Tau im Schwanenflaum.
Sind es Trauben, die im Dunkel glühen?
Sie zu pflücken ist dein Vers zu schwach.
Rosen, die für Mnemosyne blühen,
und ihr weher Duft hält dich noch wach?
Faltern, taumelnd zwischen Schmelz und Staub,
wird der Hoffnung zarter Fühler taub.
Nein, es waren Rosen nicht noch Trauben,
Sehnsucht loderte im grauen Dunst.
Traumes Bild verblaßt vorm Grün der Lauben,
übergoldet von Kybeles Gunst.
Verse, flügelnd zwischen Traum und Tag,
ziehen zwitschernd in den Sonnenhag.
Das heitere Abschiedslied
Da wir entrückten Freundes still gedachten,
glomm einer Kerze honigsüßer Schein,
uns aber war, erglüht von goldnem Wein,
daß Engel über uns im Dämmer wachten.
Und einer hob zu singen an, ganz leise,
alsbald erkannten wir das letzte Lied,
das er gedichtet hat, bevor er schied.
Da floß ins Dunkel hell die heitre Weise.
„Laßt sanft, o Freunde, mich bei euch ermatten,
war dornig auch der Pfad bis an die Schwelle,
die einsam ich erklomm auf harten Stufen,
weich sind, den Schmerz zu kühlen, Abendschatten,
mild ist der Trank elysisch-reiner Quelle
im Hain der Ahnen, die nun nach mir rufen.“
Traum, des Armen Dichtung
Der Traum, des Armen Dichtung, ist ein Boot,
das ruderlos auf Schlafes Wogen treibt.
Die Angst vorm Scheitern, die ihm einverleibt,
wähnt nah ein Eiland, das kein Sturm bedroht.
Kaum sieht er grüner Insel Schilfe winken,
fühlt schwer von eigner Last das Boot er sinken.
Doch kühnen Dichters träumerischer Kahn
dringt in das Schilf der Dämmerzonen tief,
leicht wie die Lust, nach der ein Schimmern rief,
der Hesperiden Frucht, ein süßer Wahn.
Kaum hat gelangt er nach dem goldenen Flitter,
weckt auf ihn ein Geschmack so faul, so bitter.
Fasces, Laurea, Portenta
Rutenbündel, hoher Herrschaft Zeichen,
machen rohen Pöbels Andrang weichen.
Und der in den Azur taucht, der Aar,
hebt ins Licht empor nur seinesgleichen.
Doch zum Orkus sinkt sinistre Schar.
Rutenbündel, hoher Herrschaft Zeichen.
Lorbeer darf die reine Stirn bekränzen,
und ein Gott den schwachen Hauch ergänzen,
wenn des Dichters Atem selig stockt,
sieht Chariten er entrückt in Tänzen.
Doch was kläglich kläfft, bleibt angepflockt.
Lorbeer darf die reine Stirn bekränzen.
Menetekel, Untergangssymbole.
Chaos wuchert, Wildnis Metropole.
Der Parolen dunklem Mob krakeelt,
Gluten speit der Dämon auf die Kohle,
die von Selbsthaß schon und Weltangst schwelt.
Menetekel, Untergangssymbole.
Insel Dichterwort
Dichtung baut vor hoher Brandung Deiche.
Goldnes Korn durchblitzt die dunkle Welle.
Schaum singt, daß sich schwarzer Sand erhelle.
Netz des Rhythmus fängt die Gischt, die weiche.
Tränen sind, die Bilder sanft befeuchten,
Träume, die durch Schattenriffe leuchten.
Insel Dichterwort blaut grausen Fluten.
Aus der Grotte Dämmer zuckt die Schlange,
daß sie nach dem Tau des Lichtes lange,
Tropfen Nacht, wenn Mohnes Lippen bluten.
Wimpern sind, die Schatten spenden, stille,
bis der Verse Schilf Selene fülle.
Der frühe Hirte
Ungepanzert, Feingefühl der Haut.
Augen, jäh vom Gegenlicht geblendet.
Unschuld, unbewachte, schon geschändet.
Schlaflos von der Wölfin Klagelaut.
Höhle, der Bedrängnis Zwielichtheim,
Ruß der Flammen, der die Masken schwärzte.
Blauer Lufthauch, der mit Faltern scherzte,
fand auf herben Lippen keinen Reim.
Einen Kühnen rief’s, daß er entspränge,
und er ging dem Monde nach zum Born,
schöpfte aus dem Schaum sich reine Klänge.
Schafe trotteten mit krummem Horn.
Und er ward ein Hirte. Seine Sänge
wehten in ihr Herz ein goldnes Korn.
Der Nachtmahr
Grinsend saß der Nachtmahr auf dem Schoß.
Seufzen troff wie Gift an deine Wangen,
ein Gebein aus Eis hielt dich umfangen.
Wie der Stirn kristallene Schale klirrte,
als die Motte Kuß darüberschwirrte.
Da goß Eos ihre sanfte Glut,
Rosen streuend auf die bleichen Laken,
daß hinweg die Albtraumfratzen schraken.
klebte auch am Mund noch etwas Blut.
Brechen nächtens auf die alten Wunden,
laß nur faden Saft Gespenstern munden.
Da glomm am Vers noch Moos
Da glomm am Vers noch Moos, ein schlichtes Grün,
das in das Dunkel unsrer Bängnis schien.
Da war ein Schimmer noch von feuchten Blicken,
als Hauchen bog die Schilfe des Gedichts,
den Wanderer am Ufer zu entzücken
mit einem Funkeln südlicheren Lichts.
Und als die Nacht ein schwarzer Menhir schien,
glomm ihm am Fuß noch Moos, ein schlichtes Grün.
Die in die irdne Schale sie gesetzt,
die Blüte war von Tropfen jäh benetzt.
Tau stand ihr in den Augen, dunkles Wasser,
worin der Funken Sehnsucht unterging,
Geschmeiden gleich, nur matter, fahler, blasser,
an einem abgestreiften Liebesring.
Kein Nachttau hat den Tränenglanz ersetzt,
der ihrer Blüte sanftes Lid benetzt.
Erinnerung, verweh
Wo Gläser klirrten, unter Festsaaltischen
wand sich gekrönter Vipern eitles Zischen.
In Augen, sommerabenddämmerfeuchten,
von Schatten einer dunklen Glut umrankt,
sahst du des Mondes scharfe Sichel leuchten,
die fahle Knospe Mund, wie sie geschwankt.
Ans Ufer bist du einsam fortgegangen,
da Nachtigallen wie im Traume sangen.
Auf schwarzen Wogen glommen süße Funken,
entrückter Blüten monderhellter Schnee.
Selenes Schleier war hinabgesunken.
Das Dunkel sprach: Erinnerung, verweh.
Wermut der Resignation
Philosophische Sentenzen und Aphorismen
Die historisch kontingente, aber epochal beglückende Koinzidenz von Macht, Reichtum und erlesenem Kunstgeschmack ist die Bedingung der Möglichkeit kultureller Höchstleistungen in Architektur, bildender und redender Kunst, wie die römische Klassik unter Augustus, der Hof von Versailles, Potsdam, Dresden oder das Bündnis zwischen Carl August von Weimar und Goethe belegen.
Daß horribile dictu der kriminelle Triebtäter, der Perverse und der Geistesschwache dasselbe Gewicht bei der demokratischen Wahlentscheidung einbringen, ist dem aristokratischen Geist ein Greuel.
Der künstlerische Wille ist die Maßgabe für den individuellen sprachlichen Ausdruck; so gebrauchte Stefan George außer bei Namen die Kleinschreibung, um sich ein Markensiegel zu schaffen. Dem Sprachstümper, dem typischen Produkt demokratischer Massenbildung, unterläuft die Verkennung des Anredepronomens mit dem Pronomen der dritten Person Plural unwillkürlich – im Doppelsinne.
Und doch ist sie wie der Untergang des Genetivs oder die Unfähigkeit, zwischen dem Konjunktiv der indirekten Rede und dem Konditionalis zu unterscheiden, ein Signum des Sprachverfalls.
„Hätte ich nicht so gebummelt, wäre mir die Bahn nicht vor der Nase davongefahren.“ – Solche grammatischen Bildungen zum Ausdruck des irrealen Bedingungsgefüges geben den sprachlichen Anstoß zu philosophischen Erwägungen über den Begriff der mehr oder weniger freien Handlung.
Die Betrachtung der komplexen epischen Struktur der Äneis, die man insgesamt in einen odysseeförmigen und einen iliasähnlichen Teil, aber wie bekannt auch triadisch gliedern kann, darf auf erhellende Analogien aus der Architektur antiker Großbauten wie des Apollontempels auf dem Kapitol oder des Athenatempels der Akropolis zurückgreifen.
Virum mihi, Camena, inseces versutum. – Uns ist in alten maeren wunders viel geseit. – The Queen was in the parlor eating bread and honey. – Wir finden verwandte metrische Gebilde und Klangeffekte wie beim altrömischen Saturnier, in der Nibelungenstrophe und im englischen Nursery Rhyme, die nicht auf Beeinflussung zurückgehen können, sondern aus der gemeinsamen Tiefenstruktur des Indogermanischen fließen.
Die orphische Schlange beißt sich in den Schwanz. – Dem Mythos gemäß kehrt der trojanische Flüchtling Äneas in die alte Heimat Ausonien zurück. – In der Ringkomposition der Sonate findet sich die Wiederholung des Anfangs als Reprise, doch nun in einer von der Durchführung geprägten eigentümlichen Stimmung.
Die keine Laren und Manen mehr verehren, werden unfruchtbar und sterben als Sippe und Volk aus.
Der Gleichheitswahn ist ein Symptom absterbenden Lebens.
Mantua me genuit, Calabri rapuere, tenet nunc/Parthenope; cecini pascua, rura, duces. – Hirten, Bauern, Feldherren galt mein Gesang: Ist dies eine geschichtsphilosophisch deutbare Folge evolutionären Typs vom Zeitalter der Nomaden und Jäger über die neolithische Phase des Ackerbaus bis zur historischen Schwelle urbaner Zivilisation oder der Ritter und Fürsten, wie das Mittelalter den Grabspruch Vergils deutete?
Ohne die Geburt von Bethlehem hätte Kaiser Konstantin die 4. Ekloge nicht messianisch gedeutet und wäre Vergils Dichtung nicht vollständig über die Wirren der Zeit gerettet worden. – Ist dies eine Form von Providenz?
Infolge der Egalitätsobsession und der Schleifung aller geistig-kulturellen Hierarchien mittels Quotenregelung und Gleichstellungsbeauftragung sinkt der durchschnittliche Intelligenzquotient auf voraussehbare Weise, bis das mathematisch-technologische Fundament des modernen Produzierens, Konsumierens und Kommunizierens nachgibt.
Die zum Klischee herabgesunkene Schmähung des Pater familias und die Entwürdigung der Matrone erinnern an die vergeblichen Bemühungen des Augustus, qua Sittengesetz ähnlichen Phänomenen der Dekadenz seiner Zeit Einhalt zu gebieten.
Kristalle, Muscheln, Blüten – Strukturen, die den dichterischen Geist beflügeln.
Die leise bebende Statik der klassischen Säule; das von eigner Schwere und Bedeutung getragene dichterische Wort.
Duft südlicher Gärten, der durch das offene Fenster des Sommers weht; die wunderlich von lauen Lüften bewegten Ranken der Verse.
Eichendorffs rauschende Brunnen; die trockenen Karste kaum noch rhythmisch zu nennender pseudopoetischer Phrasen.
Wer den Atem in die dünnen Kanäle der Mitteilung preßt, hat das dichterische Wort schon erstickt.
Hündische Gesinnung leckt die Hand, die sie füttert.
Schlichte irdene Schale, worin die Hand der Anmut zarte Blüten auf das Wasser setzt.
Das Motiv des katastrophalen Zusammenbruchs aus dem 1. Satz der Achten Bruckners kehrt im letzten wieder, um wie das finstere Grollen und die Düsternis des Endzeitgewitters von der Glorie einer überirdischen Sonne überstrahlt zu werden.
Alt werden heißt, die Häute der Meinung nach und nach abgestreift zu haben. – Wie, nackt bleibst du zurück? – Ja, wie ich auf die Welt kam, um den ersten Schrei auszustoßen, so auch den letzten.
Die Geschichte der Verklärung der Armut und des Armen ist noch ungeschrieben. Denken wir an den kynischen Philosophen mit seinem Wanderstab und dem kleinen Gepäck seiner Weltweisheit; die Worte der Bergpredigt „Kommet zu mir, die ihr mühselig und beladen seid“, die fröhlichen Bettelmönche der Franziskaner oder den armen Toren Parsifal; denken wir auch an den Mißbrauch des verklärten Bildes zu schändlichen Zwecken bei den Weltrettungspropheten von Lenin über Mao bis Pol Pot.
Pascal kannte die trügerischen Inszenierungsrituale der Pariser Salons, die Masken und Kostümierungen einer augenzwinkernden Rhetorik; umso verstiegener seine Weisung, der wesentlichen, Täuschung und Selbsttäuschung abstreifenden Einsamkeit zu pflegen, indem man am besten sein Zimmer nicht verläßt. Die zweideutige Radikalität dieser Authentizitätsverpflichtung kehrt in Rousseaus und Nietzsches Gestalten des einsamen Wanderers, aber auch in Heideggers ontologisch subtiler Analyse der Eigentlichkeit wieder.
Wir können nicht alle Wege gleichzeitig beschreiten, die sich uns eröffnen. Dies ist der triviale Grund der menschlichen Tragikomödie, wenn wir es dennoch vergebens in spastischen Scheinbewegungen und phantasmatischen Verstiegenheiten versuchen.
Die Komik Schopenhauers: Der Überzeugung, daß kein Dasein der Mühe wert und in allem Lebensgenuß der bittere Tropfen der Resignation enthalten sei, ließ er sich doch die feine Küche im Frankfurter Hof täglich munden.
Auf die universalen Ansprüche weltumspannenden Wissens und welterneuernden Wirkens müssen wir Verzicht tun und den bitteren Tropfen der Resignation schlucken.
Nur der einsame Denker ist solcherart souverän und streift ohne weiters die schmeichelnden Ideenkostüme der Welterklärung, der Selber-Lebens-Durchleuchtung, der Transformation des opaken sozialen Körpers in einen auratisch-lichten Leib der Gerechtigkeit und Gleichheit von sich ab.
Ihm kann der süße Honig der Illusion den bitteren Geschmack der Erkenntnis auf Dauer nicht überdecken.
Der Grund, auf dem wir gleich Schlafwandlern umhergehen, ist ein gefrorenes Wasser, das je länger die Sonne der Wahrheit brennt, dahinschmilzt.
Wir müssen den vorletzten Grund als letzten hinnehmen.
Worauf ruht er? Wie die Atome, die Sterne, die Planeten, auf nichts.
Wir sehen die Taube auf dem Dach, und sie scheint erregt hin und her zu trippeln, als würde sie sich freuen, weil wir Körner in den Hof streuen. – So blicken wir, Narren und Marionetten kindlicher Wünsche und urtümlicher Mythen, auf die Fremdheit des Daseins.
Wir sehen Muster und Schemen wie in Wolkenballungen, Ornamenten, Gesichtern, Handlungen, grammatischen Strukturen. – Doch wir könnten all dies auch nichtanalog und algorithmisch als Zahlenreihen und Funktionen auffassen, ohne einem dieser Aspekte den unbedingten Anspruch auf Geltung und Wahrheit zuzusprechen.
Die großen Versprechen beruhen auf falschen Gewißheiten und trügerischen Evidenzen, die aufgrund ihrer giftig strahlenden Simplizität die Masse nicht nur der Mühseligen und Beladenen, sondern neuerdings auch der Wohlstandsverwahrlosten faszinieren: Die Juden sind die Parasiten am geschundenen Volkskörper von ihnen unterjochter Nationen, die Reichen sind die Blutsauger der Armen, also wird uns ihre Vernichtung eine neue soziale Heilsordnung heraufführen.
Gefährlich an der Halbbildung sind nicht die Löcher im Wissen, sondern der purpurfarbene Talmi-Samt des ideologischen Scheinwissens, mit dem sie gestopft werden.
Der erkenntniskritische Grund unserer nicht kompensierbaren Resignation liegt in dem Umstand, daß wir grundlegende Begriffe wie Raum und Zeit nicht definieren können oder nur in der Weise umschreiben können, daß ihre Umschreibung die Geltung des Begriffs schon voraussetzt. Wir können nicht mehr oder Tiefgründigeres sagen, als daß Raum dasjenige ist, was wir mit einem beliebig konstruierten Längenmaß messen, Zeit dasjenige, was wir mit einer beliebig konstruierten Uhr, ob Sand- oder Atomuhr, messen.
Wir können den Menschen nicht anthropologisch objektiv beschreiben; denn wir müßten auch die Tatsache beschreiben, daß er es ist, der sich selbst beschreibt.
Es gibt kein letztes oder einzig gültiges und relevantes Kriterium zur Bestimmung dessen, was wir mit Begriffen wie „wirklich“, „wahr“ oder „exakt“ meinen. Wir können sagen: „Ich habe ihn wirklich gesehen“, wenn wir damit meinen, daß wir ihn zu sehen nicht geträumt haben, ohne zur letzten Gewißheit zu gelangen, daß wir ihn „wirklich“ (unabhängig von jedweder Relativität) gesehen haben. Wir können sagen: „Die Aussage, daß ich ihn (da und dort und zu dieser bestimmten Zeit) gesehen habe, ist wahr“, wenn wir damit implizieren, daß die Aussage, ihn nicht gesehen zu haben, falsch ist, ohne genau angeben zu können, welcher Unterschied zwischen der Aussage „Ich habe ihn (da und dort und zu diesem bestimmten Zeitpunkt) gesehen“ und der Aussage „Die Aussage: Ich habe ihn (da und dort und zu diesem bestimmten Zeitpunkt) gesehen, ist wahr“ hinsichtlich ihrer Wahrheitsbedingungen besteht. Wir können sagen: „Ich habe ihn genau an diesem Ort und zu dieser bestimmten Zeit gesehen“, ohne über ein absolutes Maß für die Orts- und Zeitbestimmung zu verfügen.
Wir können allerdings eine parallele Welt derart konstruieren, daß die in unserer Welt gültige Aussage „Ich habe ihn an diesem Ort zu diesem bestimmten Zeitpunkt gesehen“ falsch ist, weil die Person an dem Parallelort zur Parallelzeit nicht anwesend war.
Wenn wir um die Relevanz der Polarität der Geschlechter für den Erhalt von Familien, Sippen, Ethnien und Nationen und die identitätsstiftenden Lebensformen bei der Weitergabe der Tradition des je eigentümlichen Erbes in Sitten und Gebräuchen, Mythen und Folklore wissen, können wir eine ethische Einstellung und eine politische Maxime ableiten, die zur Förderung der traditionellen Familie beitragen, ohne über ein letztes Kriterium für die Beantwortung der Frage zu verfügen, ob wir den Erhalt dieser und jener Gemeinschaft in einem absoluten Sinne befürworten sollen. Denn wir können nicht behaupten, zu existieren und weiter zu existieren sei für jene Gruppe oder diese Person (wie uns selbst) eine absolute Forderung (wie sie der göttliche Auftrag an das frühe Israel auf dem Weg aus der ägyptischen Gefangenschaft enthielt).
Jener sieht in der Kippfigur einen Hasen, dieser eine Ente, ohne daß wir über ein letztes Kriterium für die Beantwortung der Frage verfügen, welches Bild „wirklich“ und „wahr“ oder eigentlich gemeint ist.
Daß wir mit dem Wort „Mond“ den Mond meinen, ist eine den Wortgebrauch betreffende triviale Aussage; nicht dagegen, daß der Mond der einzige Erdtrabant ist. Und doch ist dies nicht mehr als eine durch alle bisherigen Beobachtungsdaten abgedeckte Vermutung, der wir nicht den Rang einer ewigen oder absoluten Wahrheit zusprechen können.
Wir messen an Dingen, die sich bewegen, wie den Sandkörnern in der Sanduhr oder dem Schattenstab an der Sonnenuhr, die Zeit; dabei unterstellen wir, daß diese Bewegungen gleichförmig, homogen und eineindeutig gerichtet sind, ohne ein absolutes Kriterium zur Bestimmung dieser Bewegungseigenschaften vorweisen zu können.
Wir gelangen vom vorsprachlichen Schweigen nicht in die Dimension der Sprache, von der absoluten Bedeutungslosigkeit oder Sinnlehre nicht in die Dimension von Bedeutung und Sinn.
Die sprachliche Idiotie KI-gesteuerter Übersetzungsprogramme gibt die idiomatische Wendung in dem Satz „It’s raining cats and dogs“ wörtlich wieder durch den Satz „Es regnet Katzen und Hunde“, denn das Programm versteht natürlich weder Englisch noch Deutsch, sonst würde es den Satz durch eine analoge deutsche Wendung wie „Es gießt wie aus Kübeln“ wiedergeben.
Wie soll der Primitive, der nur den Unterschied zwischen süß, sauer und bitter ausdrücken kann, die subtilen Geschmacksnuancen der französischen Küche oder die feinen aromatischen Duftvariationen der symbolistischen Lyrik wiedergeben?
Vom Wermut der Resignation muß einen großen Schluck nehmen auch, wer sich von der humanistischen Illusion zu verabschieden gedenkt, die Goebbels und Goethe, Stalin und Mandelstam denselben Rang, dieselbe Würde, dasselbe Recht auf Geltung zuspricht.
Jessie und Jenny gleichen sich wie ein Zwilling dem andern, doch jede behauptet gegen die andere ein unvergleichliches Maß an Authentizität, weil Jessie sich dasselbe geschmacklose Motiv auf dem rechten, Jenny auf dem linken Hinterbacken hat tätowieren lassen.
Kreuz und Morgenstern
Noch einmal wollen wir den Kreuzweg gehen,
den überwuchert fast das Dunkel schon.
Das Herz erglühe uns wie roter Mohn,
wenn wir vorm dorngekrönten Heiland stehen.
Noch einmal wollen wir den Engel sehen,
die Lilie, hingeneigt der Demut Thron,
die Jungfrau mit dem segensmilden Sohn,
und fühlen hohen Geistes Flügel wehen.
Ich will den Docht im Honigwachs entzünden,
daß still die reine Liebesflamme scheint.
Mag auch dein feuchtes Aug von Nächten künden,
da ungestillte Liebe hat geweint,
sieh Ströme in die Bucht des Himmels münden,
wo Morgenstern sich blauem Tag vereint.
Schilfe, Dolche
propter aquam, tardis ingens ubi flexibus errat
Mincius et tenera praetexit harundine ripas.
nahe am Wasser, wo weit in trägen Windungen Mincio
schweift und die Ufer zart umwebet mit Schilfen.
Vergil, Georgica, III, 14–15
i, sequere Italiam ventis, pete regna per undas.
spero equidem mediis, si quid pia numina possunt,
supplicia hausurum scopulis et nomine Dido
saepe vocaturum. sequar atris ignibus absens
et, cum frigida mors anima seduxerit artus,
omnibus umbra locis adero. dabis, improbe, poenas.
Geh nur, folg den Winden nach Italien, das Reich such auf Wogen.
Ich indes hoffe, sind noch fromme Numina mächtig,
das Verhängnis ereilt dich unter Klippen, da rufst du noch öfters
Dido mit Namen. In düsteren Gluten bin ich nah dir, die Ferne,
und wenn eisiger Tod den Gliedern abstreift das Leben,
bin allerorten ein Schatten ich da. Du, Ruchloser, büße.
Vergil, Äneis, 4, 381–386 (Monolog der Dido)
Wo aus Urnacht Wasser Schilfe hebt,
die im grünen Dämmerlichte schwanken,
hauchte es dir ein den Trostgedanken,
daß vergebens Sterbliches nicht lebt,
wenn es Wurzeln nähren aus der Tiefe,
Tau des Monds von Traumes Wimpern triefe.
Als du sahst, wie zartes Gras verdorrt,
überm First der Lust ein Unstern funkelt,
hat ein Dämon listig dir gemunkelt,
Liebe sei ein ungeheurer Tort,
wenn aus süßen Blicken, die sie wecken,
Dolche werden, die uns niederstrecken.
Hungerträume
Da kokett sie lehnte an der Weide,
auf dem Wasser trieb das gelbe Laub,
wußtest du, das Wasser trennt euch beide,
für den Ruf vom Jenseitsufer taub.
Und ihr Mund war schon wie eine rote
Frucht, der Hungerträume herber Bote.
Daß du ihnen könntest Wärme leihen,
wie mit Schnee berieben zarter Haut,
half dir Hauchen nicht noch Benedeien,
aus gepreßten Zeilen drang nur Klagelaut.
Laß nur, Dichter, Traumlaub dich umhüllen,
bis mit Blut sich Frucht und Verse füllen.
Verblichene Immortellen
Blütensterne, auf ihr Tuch genäht,
Lichtreflexen gleich auf schwarzen Wellen.
Daß ergrünen mögen Immortellen,
hast du Worte ihr ins Herz gesät.
Sturm, er hat die Blüten weggerissen.
Mußt sie, Sommerdüfte, mußt sie missen.
Deiner Verse Taft ist schwermutblau.
Die du eingewebt, die zarten Reben
sind gerötet wie von trunknem Leben.
Trauben leuchten still im Abendtau.
Wie dir bangt, daß sie im Froste blassen,
von der Liebe Sonnenblick verlassen.
Spät ist sie, die Stunde
Gestrandet sah im Sande Platon Zeichen,
an Kreisen Linien, die sie zart berührten,
und Strahlen, die ins Grenzenlose führten,
doch keine, sich Tagwesen anzugleichen.
Da schien ihm, hoher Sinn hat hier gehandelt,
der Unverwandtes sich hat anverwandelt.
Da unter ihm die Wasser ferner Sagen
das Moos benetzten an der Ufermauer,
Gedächtnis aber gaben Efeuschauer,
sah Hölderlin die Burg ins Blaue ragen.
Da fühlte er der Schwermut Engel drängen
zum Glanz von vaterländischen Gesängen.
Du aber wandelst auf geteertem Grunde.
Ersticktes Flehen aus dantesken Reichen
vermag ein rohes Herz nicht zu erweichen.
Der Krüppel Baum spricht: Spät ist sie, die Stunde.
Und du erkennst, hier wär es wohl vergebens,
vom Keim zu singen, von der Frucht des Lebens.
Tag der Unbehausten
Trunkner Duft aus Blütenkronen,
dunkles Seufzen aus den Tiefen.
Zwitschern lichtet graue Zonen,
wo wir Unbehauste schliefen.
Durch des Traumes Wimpern bricht
honiggelbes Morgenlicht.
Laß uns mit den Hirten schweifen
und dem Strom der wollenen Herden,
wo die Purpurbeeren reifen,
übers weiche Moos der Erden.
Und die goldne Leier ruht
blitzend in der Mittagsglut.
Ich will sacht die Halme streichen,
die dein nacktes Knie geneckt,
bis die Quelle wir erreichen
und der Kuß nach Dämmerung schmeckt.
Still auf muschelweißem Boot
Venus schwimmt ins Abendrot.
Die gesättigt sind, sie schmiegen
eins am anderen ihr Haupt.
Uns genügt, im Freien liegen,
wo die Ödnis Traum belaubt.
Hast du, Liebe, es gefühlt,
Mond, der wilde Gluten kühlt?
Süße Resignation
Daß wir noch einmal dürften klimmen
im grünen Dämmerschein,
wo Tropfen goldner Trauben glimmen,
im Rebenhang am Rhein.
Doch bangt uns um die alten Knochen,
ein knirschend-zartes Glas,
ein Schieferblatt, gedrückt, zerbrochen,
geknicktes Ufergras.
Laß, Liebe, Aug in Aug uns schauen,
den Abendglanz auf fernen Auen.
Daß wir noch einmal dürften lauschen
dem hohen Stromgesang,
wenn tiefer weiche Wasser rauschen
im Sonnenuntergang.
Doch fürchten wir, uns überschwemme
mit fahler Glut der Mond,
durchstochen würden Herzens Dämme,
von Stürmen lang verschont.
Laß, Liebe, Herz an Herz uns drängen
und lauschen hellen Blutes Sängen.
Der unersättliche Wurm
Nachts hast du’s rieseln hören. War es Sand
in Mauerrissen? Nein, aus deinen Knochen,
von Zähnen eines Dämons aufgebrochen,
rann mürbes Mark, ein ausgelaugter Tand.
Nach Fäulnis hat geschmeckt der goldene Wein.
War er gepantscht? Nein, was in ihm gefunkelt,
der Liebe Bild ist jählings eingedunkelt,
und aus dem Dunkel glomm ein Totenschrein.
Vernimmst du aber im Geäst der Zeilen
ein Ach, frag nicht, ob Wörterwülste lasten,
woran dein scharfer Sinn noch müßte feilen.
Der es zernagt, der Wurm wird nimmer rasten,
das Faserwerk der Worte noch zerteilen,
wenn längst ihr Blattgrün und ihr Sinn verblaßten.
Das Schimmern der Gedächtnismale
Was durch die Erde sich, den harten Felsen frißt,
das weiche Wasser wird im Meere münden.
In Feuern, die den Dichtergeist entzünden,
schmilzt hin das Eis, die Angst im Herzgenist.
Von Versen, südlicher als jedes Wort,
das Sehnsucht hauchte in den kalten Zonen,
weht noch ein Duft bestäubter Blütenkronen,
daß uns der Traum verklärt den kargen Hort.
Und starrst du, Dichter, nur auf Kiesel, fahle,
die knirschend sich im trocknen Flußbett drängen,
die Adern schimmern, die Gedächtnismale
im Glanz von diaphanen Stromgesängen.
Die Rose auch, sie flammt in blauer Schale
und glüht noch nach, wenn sich die Schatten längen.
Verschollener Glocken Widerklang
Uns bleibt verschollener Glocken Widerklang,
ein Efeuschauer noch von Schattengittern,
verblaßter Blüten geisterhaftes Zittern
am Saum des Weges in den Untergang.
Nicht unter stummen Tränen zu verbittern,
bleibt uns verschollener Glocken Widerklang.
Und deine Hand ließ meine jählings los,
als Blick und Blick erblindend sich entglitten.
Kein Gott gab uns zu sagen, was wir litten,
das müde Haupt zu bergen, war kein Schoß.
Als wär der Liebe Banner uns zerschnitten,
ließ deine Hand die meine jählings los.
Da flogst du, Taube mit schneeweißem Band,
ich hörte schwirrend sich die Flügel breiten.
Kein Odem wehte mir, dich zu geleiten,
der flügellos am schroffen Abgrund stand.
Daß heim du zu den Schwestern mögest gleiten,
o holde Taube mit schneeweißem Band.
Was Selene mir gesagt
Wie leuchtet Schnee auf Marmorschultern still,
und feiste Putten tragen Nonnenhauben.
Zu weißem Dunst verblassen Turteltauben.
Ach, schlafen, schlafen, einzig, was ich will.
Die Welt ist kalt, mein Blut noch sehnsuchtswarm.
Ich atme bangen Duft von Lethes Fluten,
und was ich hauche, sind erloschne Gluten.
Ach, schlafen, schlafen in Selenes Arm.
Schon äugt sie schelmisch von der Wolkenmauer,
betastet die vom Gram gehöhlten Wangen,
zerfurchter Stirne Chiffren dunkler Fron –
ihr Blick gefriert und ihre Milch wird sauer.
„Du Grind und Greuel himmlischem Verlangen,
lichtloser Lehm, bist nicht Endymion.“
Im Nest der Nacht verwahrt
Principio caelum ac terras camposque liquentis
lucentemque globum lunae Titaniaque astra
spiritus intus alit, totamque infusa per artus
mens agitat molem et magno se corpore miscet.
Inde hominum pecudumque genus, vitaeque volantum,
et quae marmoreo fert monstra sub aequore pontus.
Vergil, Aeneis, 6, 724–29
Himmel und Erde zunächst, des Meeres Wogengefilde
und die leuchtende Kugel des Monds und die riesige Sonne
nährt von innen der Geist und gliederdurchflutend bewegt sein
Walten den Weltenbau, vermählt sich dem mächtigen Leibe.
Hieraus stammen Menschen und Vieh und das Leben der Vögel,
und was an Wesen der Ozean birgt unter marmornem Spiegel.
Übersetzung: Johannes Götte
Erstlich denn also: den Himmel, die Erde, die flüssigen Flächen,
Auch das Titanengestirn und die leuchtende Kugel des Mondes
Nährt im Innern der Geist. Die ganze Masse bewegt er,
In die Glieder ergossen, vermengt mit dem großen Gebilde.
Ihm entstammen die Menschen, die Tiere, das Leben der Vögel,
Was an Wundergeschöpfen der Marmorspiegel des Meers deckt.
Übersetzung: Emil Staiger
Sonett vom Nest der Nacht
Der Odem, der gelichtet hat den Dunst,
das Chaos, floß aus keines Dämons Lungen,
schien von sublimem Duft durchdrungen,
der fühlbar wird in Werken höchster Kunst,
wenn durch der Verse Ranken jäh erglänzt
ein goldner Tau auf Bacchus reifer Traube,
sich im Gedicht Vergils bezeugt der Glaube,
daß irdenes Wortfragment ein Gott ergänzt.
Dies ward den Auserwählten offenbart
in Völkern, die noch nah am Ursprung wohnten,
wo mit Semele sich der Blitz gepaart.
Doch wir sind die vom Feuergeist verschonten,
unflügge, blind, im Nest der Nacht verwahrt,
das dunkel schwankt, wo sie auf Flammen thronten.
Die entschwundene Rose
Ein Odem scheint des Talgrunds Dunst zu lichten,
der Tau sich zu Kristallen zu verdichten,
und Myriaden Mücken Lichtes schwirren.
Der See erglänzt, ein weißer Onyxstein,
wo gleich Entrückten Wolkenschatten irren.
Herniederströmt der Sonne Purpurwein,
daß feuchte Gluten trinken, die da leben.
Wirst, Dichter, du das Wort ins Blaue heben?
Noch quellen Stimmen aus dem Blattwerk, süße,
als sende Liebe Abenddämmergrüße.
Und du gehst hin, die Rose anzuschauen,
ob sie noch wie im Frühlicht dir sich neigt
und sehnsuchtsweiche Tränen sie betauen,
ihr Duft sagt, was ihr roter Mund verschweigt.
Ach, Dichter, du kannst sie nicht wiederfinden.
Hilft Mondes weißer Mohn den Schmerz verwinden?
Hinter dunstumflorten Gittern
Wir harren hinter dunstumflorten Gittern
und ahnen, die erlöschen, ferne Schimmer
von Versen, die von süßen Schauern zittern.
Doch hören wir nur trostlos das Gewimmer
erstickter Stimmen dem Morast entsteigen.
Wir haben nichts als trüber Halme Neigen.
Du sagst, wir sollen unsre Blicke wenden,
legt sich der Nebel, zu den schönen Gärten
und lauschen, wie den Sommertag vollenden
Gesänge der gefiederten Gefährten.
O Freund, wir sind durch ihren Staub gegangen,
den Lärm, daß zarte Kehlen dran zersprangen.
Heimatlicher Pfad
Schattend schlang der Pfad sich zwischen Reben.
Gold von Trauben aus dem Schlaf zu heben,
drängten zitternd warme Strahlen schon.
Tropfen blitzten aus den Traumgeweben,
und die Sonne stieg, ein roter Mohn.
„Hörtest du, wie uns aus Wolkentiefen
Liebste, süße Stimmen heimwärts riefen?“
Dankbar tranken wir das Licht der Höhe,
und uns war, ein Duft von Süden wehe.
Hell im Talgrund wogte trunkener Schaum,
heller als der reine Schnee der Schlehe.
Apfelblüte glomm von Baum zu Baum.
„Sieh nur, Liebster, was uns heim will locken,
die auf Schlafes Schwelle fallen, Flocken.“
Der Dichter bei den Hesperiden
Wart ihr des Atlas holde Töchter,
Kinder goldenen Dämmerlichts,
war eure Mutter die sternbesäte Nacht,
ihr mondbeschienener Teil gar,
Aphrodite,
graziöse Zweige seid
am erhabensten Stamme ihr
des Abendlands.
Wie hast du, Dichter, ihn gefunden,
jenseits der Säulen,
die jählings ragen
aus dem Schaum des Ozeans,
auf der Hyperboreer
schwankem Eiland,
den Wundergarten,
und streiftest deine Finger
sinnend über Gräser hin,
furchtlos wie Herakles,
dem Drachen zu begegnen,
dem schnaubenden Schrecken
aus der Erde neidischem Grund.
Der Hüterinnen lieblichste,
die des himmlischen Feuers
in süßen Dämmers Wipfeln
pflogen,
die Nymphe reichte selber dir,
von sehender Hand gepflückt,
der Pomeranzen manche,
weil sie der feuchte Glanz gespiegelt
deines Sehnsuchtsblicks.
Und eines Delphins wogender Rücken
trug heim dich an die Küste,
die wir noch Heimat nennen,
wenn Schilfe rauschen träumerisch.
Du bargst das goldene Schimmern
aus göttlich-hoher Nacht,
Stilleben alter Meister gleich,
in einer silbernen Schale,
geprägt mit wehenden Ranken
um Chiffren einer Rätselschrift,
zart bestreut mit blauen Blüten
heimatlicher Veilchen
und der keuschen Lilie
matterem Hauch,
und hast auf stille Moose sie gestellt,
betaut von Eros
somnambulen Seufzern,
nicht weit vom übergrünten Mal
mit halb schon abgebröckelten Namen
der Gefallenen.
Wir wissen wohl,
sie faulten nicht,
der Hesperiden reine Früchte,
auch wenn die Schale überwuchert ward
vom Wildgestrüpp
herbeigewehter Unkrautsamen,
und dem herabgestürzten Neste gleich
in den Brodem wilder Schwermut
tief und tiefer sank.
Von Schatten unversehrt
leuchten uns zu Häupten sie
im Sternbild Großer Wagen,
wie einst es Hellas’ Dichtergeist,
uns zum Angedenken,
huldvoll hat erschaut.
Zwiesprache bei Nacht
„Nacht hat jählings mir gestreift die Wange
mit dem Flügel einer Fledermaus.“
„Herz, mein liebes Herz, o sei nicht bange,
hab gescheucht sie schon zur Tür hinaus.“
„Eine Schlange kroch aus meinem Kissen,
zischte, ich sei, Mutter, nun ihr Kind.“
„Unsre Katze hat sie tot gebissen,
schlafe, was noch zischt, ist nur der Wind.“
„Wie’s mir graust vor deinen wilden Blicken,
Schnäbeln, tauchend nach der Schuppen Gold.“
„Will ins Dunkel sie des Meers entrücken,
wo sie schimmern, Träume, die mir hold.“
„Fremd will, Liebster, mir dein Antlitz scheinen,
und dein Mund verzerrt von Wahngelall.“
„Nah sind sich, die umeinander weinen,
Arm in Arm im endlos tiefen Fall.“
Klagesang
Wie schwach sich blassem Mund entrang
verlassener Seele Klagesang,
daß dunkle Feuer in uns glühen.
Die Tropfen sind umsonst geronnen,
kein Veilchen mocht im Abgrund blühen.
O Tau, Trank gnadenloser Sonnen.
Aus weichen Reimen form den Krug,
vom Sinnhauch fest und dicht genug,
und birg sie, daß der Klage Tränen
nicht trocknen auf verwaisten Schwellen.
Dann schweige, Dichter, mit den Schwänen,
die schwanken Schlafs die Nacht erhellen.
Kreuz auf dem Hügel
Daß es in Nacht, ins dunkle Schweigen ragt,
worin die Segenssprüche längst erloschen,
des Lichtes Garben faulten ungedroschen,
hat kalter Hohn dies, heißer Schmerz gesagt?
Als wir die Kerze dort entzündet, spät,
der Pfad war überkrustet schon vom Schlamme,
hat bang im Wind geflackert ihre Flamme,
und Löcher riß Verzagen ins Gebet.
Sag, ob umsonst der Mutter Träne floß,
ob sie im dürren Karst den Keim noch nährte
für lichterweckter Hoffnung edlen Sproß.
Sag, Dichter, ob dein Vers noch eine Fährte
zur Wunde weist, die Liebessinn ergoß,
wie ihn sein glühend Herz Herzlosen lehrte.
Herbstgefühl
Des Frühlings Klagen sind im Herbst verdampft.
Still glomm die Traube, Gier hat sie zerstampft.
Ins Dunkel rann der lichte Tau.
Ein Wolkenflaum, der Schwermut noch entzückt,
ward bald von einem Sichelmond zerstückt,
leer wölbte sich Unendlich-Blau.
Die Hand, so weiß und lilienblütenmatt,
ich hielt sie dir, ein lebensmüdes Blatt,
das, hielt ich’s nicht, ins Leere fiel.
Dein Auge, feucht von fahler Sehnsucht Glanz,
sank in der Zweige bacchisch-wehen Tanz,
o Blick der Liebe ohne Ziel.
Und als dein Haar, die blaue Finsternis,
wie eine Woge mich zum Abgrund riß,
ließ fallen mich der Schmerz, die Lust.
Wollt heben mich des Morgens roter Schrei
zum Sklavendienst am dumpfen Einerlei,
kalt läg ich an der warmen Brust.
Sibirischer Tiger
Herrscher du im Schneegefild,
immer bleibt dein Sinnen wild,
dunkel deine Glut.
Amur strömt die Kunde fern,
stets durchglimmt ein heißer Stern
deines Adels Blut.
Der schwarz zwischen Halmen blinkt,
Angstdunst von der Hirschkuh trinkt,
Töters ist der Blick.
Und du brichst mit einem Zahn,
weißer als der Sage Schwan,
jählings das Genick.
Wie das edle Fell sich bauscht,
hat der Seele Ohr erlauscht,
die im Farne schleicht.
Und der Ruf der Tigerin
saugt aus knochenhartem Sinn
Mark, vom Traum erweicht.
Springest nach dem zarten Biß
wieder in die Finsternis
hoher Einsamkeit.
Hörst nicht mehr im Nachtgeviert,
wenn sie ihren Wurf gebiert,
wie sie nach dir schreit.
Hüte dich vorm Schattenmann,
teuflisch unter Dämons Bann
spaltend Herz und Holz.
Sein Gebiß ist scharfer Geist,
Ödnis nur, was er verheißt
für der Tundra Stolz.
Deiner Schwester schönes Haupt,
ihrer Augen Glanz beraubt,
starrt auf rotem Samt.
Stapfe tiefer in den Schnee,
daß kein schnöder Mensch es seh,
wie dein Auge flammt.
Fatale Epiphanie
Gelockt hat dich vom Schulweg Katzengold,
wo mit zernarbtem Ranzen du gegangen.
Des Sommers pralle Schoten, wie sie sprangen,
und grüner Waldesodem schien dir hold.
Ah, deine Lungen preßte Schluchzen heiß,
als du wie Gischt das Haar hast flirren sehen,
die Nymphe überm Fels der Quelle stehen.
Grün war ihr Blick und ihre Brüste weiß.
Du hast das Wort vergessen, armer Schüler,
das zwischen Sapphos Lippen glühend sproß,
und wandest dich wie auf der Folterbank.
Sie sprühte mondnen Hauch nur immer kühler.
Du ranntest heim, das Fatum fiel ins Schloß,
in Kissen dich zu wühlen, fieberkrank.
Sonett für Seelenforscher
Die Seele fließt gestaltlos fast wie Gas.
Ein Schatten flog dich an, ein Duft, ein Lächeln,
du willst es dir vom müden Antlitz fächeln,
doch neigst du dich wie taubeschwertes Gras.
Der Quälgeist Ich, die Mücke, ist gemein.
Sitzt niemals still, muß, muß stets um dich schwirren.
Ein Schlag, umsonst! Noch heißer kreist ihr Sirren.
Nachts schrickst du auf, sie stach dir zart ins Bein.
Ein Fremdling ist, der unterm Dachfirst haust,
Erinnerung an früher Kindheit Tage.
Wie’s dich, hörst du ihn krampfhaft husten, graust.
Und täglich stellst du ihm vor dem Verschlage
die Armensuppe, die du selbst dir braust.
Der Löffel klirrt – o Silberton der Sage.
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