In den Wind gesprochen
Philosophische Sentenzen und Aphorismen
Wer den Mißton hört, weiß um den richtigen.
Der Deutsche ist stets in Gefahr, der eigenen Wahrnehmung, der natürlichen Intuition und dem gesunden Menschenverstand zu mißtrauen und sich von selbsternannten Experten und gefeierten Ideologen eines Besseren belehren zu lassen.
Der Deutsche klammert sich an den Felsbrocken der Angst, der Pfad der Gelassenheit ist ihm zu schlüpfrig, die Gartenlandschaft der Heiterkeit zu langweilig.
Die auf dünnem Eis panisch schlottern, brechen als erste ein.
Der Unglückliche ist keinen vernünftigen Argumenten zugänglich.
Welche Tiefe der Verzweiflung an der menschlichen Natur, welche maßlose Hoffnung auf die sie heilende Gnade spricht aus der christlichen Botschaft.
Der reife ästhetische Geschmack ist wie die Haut der Finger, die kleinste Unebenheiten, Rauhigkeiten und Risse, aber auch die feinen Valeurs von Stoffen wie Seide, Taft und Samt gleichsam reflexionslos erfühlt.
Der Zeitgeist verdirbt das Sensorium für den guten Geschmack mittels medialer Injektion von betäubendem Gerede.
Das Tier tappt in die Falle, der Mensch verstrickt sich in Rätsel.
Die Fähigkeit, Fehler zu machen, sie einzusehen und sie bisweilen sogar zu korrigieren, zeichnet die menschliche Spezies aus.
Die Sprachkunde belehrt uns über den korrekten und wohlgeformten Bau der Sätze, die philosophische Grammatik über die sinnvolle Struktur menschlicher Lebensformen.
Der alte Fado-Sänger kennt die Griffe, auch wenn er keine Noten lesen kann.
Die Trense der Grammatik hält den ungebärdigen Ausdruck davor zurück, sich wild aufzubäumen und durchzugehen. – Wie sie unterm anarchischen Unmut knirscht.
Das Kind hat die allgemeine Semantik der Metapher erfaßt, wenn es die Sonne mit einem strahlenden Lächeln versieht oder die Zweige des Baums als Arme malt, deren Hände sich zur Sonne recken.
Der ironische Rokokofächer Verlaines verkörpert eine andere Metaphorik als der symbolistische eines Mallarmé.
In der schwarzen Kohle vermutet man nicht die Möglichkeit der Brillanz des Diamanten.
Was Gischt bei Beethoven, ist bei Schubert sanfte Welle.
Das Äquivalent gedanklicher Knoten in metaphysischen Fragen sind die seelischen Knoten der Neurose.
Die Egalitären leugnen die Krankheit, indem sie die Gesundheit pathologisieren.
Wie die Anosognosie des Geisteskranken ist die fehlende Einsicht des Zeitgeists in seine Erkrankung eines ihrer wesentlichen Symptome.
Wo der unfruchtbare Geist eine Wüste, sieht der fruchtbare einen Garten Eden.
Radikale Skepsis hinsichtlich moralischer und ästhetischer Urteile ist so töricht wie der hyperrationalistische Aberglaube an die Existenz universeller ethisch-ästhetischer Normen und Werte.
Die Affen Nietzches, die immer noch die Grenzen einreißen und die Regeln überschreiten wollen, gehören in die schützenden Käfige eines Zoos, wo sie der brave Bürger gegen ein geringes Entgelt sich lausen und Grimassen schneiden sehen kann.
Das Épater le bourgeois ist längst zu einer faden Konvention des etablierten Kunstbetriebs verkommen.
Sprachen sind das Lebenselement von Kulturen, die sich nicht isomorph aufeinander abbilden lassen, sondern nur asymmetrisch verzerrt.
Die ungeheure Menge an Übersetzungen des Buchs der Bücher zeugt von seiner Unübersetzbarkeit.
Goethe erobert im Divan der deutschen Dichtung den Orient, doch hütet sich davor, seine Dichtung orientalischen Versformen zu unterwerfen.
Mit nur einer Wortart lassen sich keine Sätze bilden, mit nur einer Gepflogenheit, Konvention oder Institution keine Kulturen.
Die semantisch-logische Mannigfaltigkeit grammatischer Formen ist die Bedingung gelungenen sprachlichen Ausdrucks.
Der hemmungslose Subjektivismus ist nicht weniger töricht als der disziplinierte Realismus. Man kann nicht alles Wahrgenommene als Schein abtun, ohne sich selbst hinters Licht zu führen. Und alles für bare Münze und evident anzusehen, ist der kurze Weg in die vollständige Bedeutungslosigkeit.
Wer alles zugleich in Frage stellt, bleibt im Sinnleeren hängen.
Der Farbenblinde sieht keinen ästhetischen Wertunterschied zwischen einem Kitschbild und einem van Gogh.
Wir akzeptieren Kriterien des Richtigen und Falschen, wenn wir uns die Korrektur eines sinnwidrigen sprachlichen Ausdrucks gefallen lassen, auch wenn wir den Fehler nur intuitiv erfassen und nicht in klaren Definitionen explizieren können.
Wie Kant zu behaupten, das hinter dem Phänomen verborgene Ding an sich sei uns auf immer unzugänglich, ist ein logisch-grammatischer Unsinn.
Wir haben die Grenzen des Phänomens gleichsam von innen immer schon ausgemessen; ähnlich dem scharfen Beobachter, der das Schiff am Horizont des Ozeans allmählich verschwinden sieht und daher auf die Kugelgestalt der Erde schließt.
Das dichterische Wort ist die Variation eines seelisch-geistigen Themas, das nur indirekt erscheint, sich fühlbar macht erst, wenn der letzte Reim verklang.
Die Teichrose erblaßt nicht angesichts der Tiefe, über der sie still dahinschwebt.
Das dichterische Wort evoziert symbolische Echos, wie der angeschlagene Ton der Taste Obertöne erzeugt.
Die Metren sind rhythmische Muster auf der Tastatur des seelischen Ausdrucks.
Man kann nur ein gewisses Quantum an Tönen und Gehalten in das Gefäß einer metrischen Einheit gießen; tut man zuviel des Guten, läuft sie voll und über den Rand wie ein Glas Wasser.
In mancher Lyrik, wie der eines Pindar, treten Moira und Charis, Schicksal und Gnade, Schwere und Anmut in ein Zwiegespräch. Spricht die eine, schweigt die Schwester; am Ende sehen wir ineinander verschlungene Bänder, Linien, Ranken, die den Eindruck eines glänzenden Rätselwerks hinterlassen.
Der Star geistiger Augentrübung und der Schleier der Melancholie lassen uns die goldenen Blüten Pindars nur mehr wie rhetorisch blasse Bilder sehen.
Zuviel Würze oder die Sucht nach Originalität überdeckt den Wohlgeschmack der schlichten Worte, mit denen alte Dichtung uns die Welt erschließt.
Die Gier nach Zweideutigkeit ist oft nur das Symptom einer seelischen Krankheit, die den Befallenen zu fahrigen Gesten verdammt.
Der sehschwache Philologe kann trotz der dicken Brille seiner akademischen Bildung den Weg durch Pindars Mythen- und Gnomendickicht nicht finden und deklariert seine Dichtungsart für hermetisch und dunkel.
Hölderlins Hymnendichtung – die Wasserscheide für den hohen Ton in deutscher Poesie.
Das Volk der Dichter und Denker hat – zurecht, wie einen der Blick in eine beliebige Talkshow belehren kann – den Glauben an seine Auserwähltheit aufgegeben, das Volk der Propheten, dem es beinahe den Garaus gemacht hat, kämpft weiter um seine historische Existenz.
Die Elamiter, Ammoniter, Kanaaniter, zu schweigen von den Assyrern, Babyloniern und Hethitern, all diese Völker (und tausend andere) sind untergegangen, die Juden haben, trotz der Gefangenschaft und der Zerstreuung, trotz der Pogrome überlebt. Wer spricht noch altägyptisch, assyrisch, hethitisch? Das alte Hebräisch ist in einer seiner Varianten noch lebendig.
Die Welt der baltischen Sagen lebt nur noch im beschwörenden Dunkel der Dichtung Johannes Bobrowskis.
Assimilation ist der bequeme Weg in den Untergang. So faulte die Wurzel der Frömmigkeit, als man die Sprache der alten lateinischen Liturgie per Dekret durch die jeweiligen Volkssprachen ersetzte.
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