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Nov 28 25

Metamorphosen des Dichters

Was aus der Grotte Schädel ihm einst sproß
und wogte in den Nacken, wüste Strähnen,
verzwirnte Knäuel, schien ein Widerspiel
des wirren Sinnens, das im Dunkel floß.

Bald wand das Wuchern er zum Dichterschopf.
Im Jambenmaß sah man ihn heiter hüpfen.
War, was er sann, auch kraus, Wind strich durchs Gras,
schon rief im Versgebüsch ein Wiedehopf.

Dann glänzte jäh, ein Amazonenschild,
des blanken Schädels spiegelnde Rotunde.
Wahn knirschte bacchisch-nackt an Pontos Strand,
Blutnägel rupften Büschel wollustwild.

Auch diese hat ihm Schwermut abrasiert,
als ihm der Liebe Sternenlied erloschen,
er sah den Trauerbaum am Ufer kahl,
und wie der Sage grüner Strom gefriert.

Da wurden ihm die Augenbrauen grau,
und spröde, die einst weich gebebt, die Lippen.
Nur selten hing an Verses Wimpern noch,
ins Schweigen rinnend, matter Wehmut Tau.

Als man ins bleiche Bahrtuch ihn gehüllt,
hat fahl sein Antlitz wie ein Blatt geschimmert,
leer und vergilbt, als Wasserzeichen nur
trat stumm hervor ein Lächeln, mondlichtmild.

 

Nov 27 25

Der Erde treu

Ob Cirrus, Cumulus, ob Stratus: hehre
Metaphern eines alten Weltgedichts.
Luft, Feuchte, Strahlung, kristalliner Glanz:
Chimärenflug vor Himmels blauer Leere.

Der Erde treu geh mit dem Gang des Lichts,
denn hinterm Blau des Himmels blaut uns nichts.

Wir mögen nicht im Mittelpunkte stehen,
die Kunde hat gemindert nicht die Frucht,
ihr goldnes Schwellen, nicht der Knospe Drang,
sich aufzutun, wenn Eos’ Seufzer wehen.

Der Erde treu geh mit dem Gang des Lichts,
denn hinterm Blau des Himmels blaut uns nichts.

Traum Gaias: wieder blühen nach dem Welken.
Was Schweiß auf dem gequälten Angesicht,
ist an der Lilie zarter Lippe Tau,
des Dichters Wermut Bienen Seim von Nelken.

Der Erde treu geh mit dem Gang des Lichts,
denn hinterm Blau des Himmels blaut uns nichts.

Die Götterbilder: fluoreszierende Schwämme,
fern überm Meeresabgrund Ewigkeit.
Uns aber, Wandrern auf dem Grat der Zeit,
frißt immerfort die Brandung weg die Dämme.

Der Erde treu geh mit dem Gang des Lichts,
denn hinterm Blau des Himmels blaut uns nichts.

 

Nov 26 25

Später Gang zum Waldfriedhof

Nah ein Zwitschern, zwielichtbang,
nah ein Seufzen weicher Wasser,
um uns Rebenlaubgeflamm.

Fern der Birkenlende Splittern
und das Knirschen ihres Schnees
unterm Totentanz der Axt.

Harsch ins Dickicht brach das Holz,
und sein Ächzen hat erstickt
weicher Knebel Dunst.

Uns bogen sich die Schatten zart
um einer Quelle Felsenmund,
milden Träufelns Traumgelall.

Da hab den Vers ich hergesagt:
„Gesang der Flammen muß verrauchen.“
Hast jählings du geweint?

Durchs Dämmergrau des Waldfriedhofs
zog eine Schneise Veilchenlicht
Kuckucks trunkenes Geschluchz.

Moos rieb ich ab vom Mal und Farne,
und der Zwillingsvers schien auf:
„Duft stummer Blüten will ich hauchen.“

 

Nov 25 25

Wohin denn

Wohin denn! Tag ist ja zur Hälfte Nacht,
und an den Wimpern klebt die Dämmerung.
Nur jene Wolke, fern und weich und weiß,
gibt Ahnung uns von blauen Südens Licht.
Wir liegen einsam, dumpf gefällte Hölzer,
Scheiten gleich im Hinterhof der Nacht,
die auf die Glut des Herdes warten, einmal
bevor sie fahl zerfallen noch zu singen.
Doch keiner hebt uns auf zum letzten Dienst,
auf blasse Wangen Schimmer hinzustreuen,
zu spenden Augen, die schon dunkeln, Glanz.
Nein, wir treiben hin wie tote Blätter,
unser Sang ist trocknes Rascheln bloß,
und der Rest des fast ertaubten Fühlens
vager Traum von ausgerauschten Wipfeln,
da wir geatmet mit den Schwestern still,
den Sinn des Daseins herrlich zu begrünen.
Nein, Nebel sind wir schon und kalter Dunst,
der niedersinkt auf öde Fensterscheiben,
und bald gefriert im schneebetörten Wind
zu Blumen eines vorgetäuschten Lebens.
Daß wir seufzend bald doch niedertauten,
schwach noch glitzerten im Gnadenstrahl
eines Sommers, weit und reich und golden,
und im Dunkel nährten lichtes Grün.

 

Nov 24 25

Somnambule Blicke

Ein Fenster hat im Hof des Traums geklirrt.
Ins Dunkel taumelte
die Blüte einer Bougainville.

*

Schlafgemach,
wo Mondes Wehmuthauch
umsonst den Spiegel trübt,
der für die müde Seele lang schon blind.

*

Goldnen Hornes Ruf,
Herold, der unterwegs
die Botschaft schon vergaß
und sich im Rauschen
fahlen Laubs verlor.

*

Der am Saum des Tags gezagt,
weicher Tropfen Abendlicht,
fällt im Nu. Die Rose schließt,
das noch sonnenwarm, ihr Lid,
und der Schwermut Aug erglänzt.

*

Das durch Flammen ging,
reiner Liebe Kind,
steigt empor
ins Geflirre
hymnischen Gesangs.

*

Kaum ans Herz gestrichen,
Bogen sanfter Glut,
und schon rötet sich
samtenes Meer der Nacht.

*

Von Sternengischt umschäumt,
die Jade hoher Woge steht,
wie auf den Bildern alter Meister,
als wär erstarrt die Zeit.

*

Das Siechtum nickt,
gleich einer kranken Puppe,
in die unterste Lade
vom Überdruß gelegt,
und nuschelt zahnlos,
wenn auf dem Smartphone
flimmert
Menetekel,
Mene, Mene, Tekel.

*

Wollust, die sich windet
in unsichtbarer Boa
Würgegriff.

*

Ein Kokon baumelt
an Klothos Faden
in der Fensternische,
die Raupe starb darin.
Kein Flügel brach ins Licht
ihm, der hier einsam
hauste.

*

Auf den Kopf gestellte
Karyatide.
Weh, wenn der Architrav
die Ferse kitzelt.

*

Ein Kinderkopf trägt einen Turm,
da wohnen Eltern und Verwandte.
Ferner Ahn ruft von den Zinnen:
„Schlaf ein, mein Herz, schlaf ein!“

*

Auf dem Regal in ihrer Küche
in Reih und Glied
märchengrünen Schimmerns
Einmachgläser
mit niedlich eingeschrumpften
Embryonen.

*

Ein femininer Beau lehnt,
devot wippt sein Eunuchenschopf,
zwischen den Tatzen einer Tigerin,
schaut in ihr kaltes Raubtierauge,
das eigne feucht vor Dankbarkeit,
daß sie ihn hat noch nicht zerfetzt.

 

Nov 23 25

Früher Bilder Pracht

Dem Andenken an Johann Hilten

Der Bottich schien von Algen grün und Tang,
auf einem Blatt trieb glitzernd eine Mücke.
Warst du’s, der vor sich hin gen Abend sang
von Sommertags unnennbar süßem Glücke?

Wir Kinder haben um das Ohr geschmiegt
uns Büschel, schwer von Kirschen oder Beeren.
Der Quell der Freude war noch nicht versiegt,
was Abschied nahm, es wollte wiederkehren.

Nun ist verfault der Bottich in der Nacht,
der sternenlosen, die Bäume umgehauen,
verblichen ist der frühen Bilder Pracht,
trüb stiert der Abschaum auf geteerten Auen.

Verklungen ist, was weich getropft, und stumm
ins zarte Moos der Dämmerung geronnen.
Wo sich gebeugt des Ahnen Rücken krumm,
schwirrt toter Fittich unter fahlen Sonnen.

Weißt, Dichter, du noch jene Melodie,
die deiner Mutter Vater einst gesungen?
Hebt dich die Seele in die Elegie,
als liehe Atem sie den müden Lungen?

 

Nov 22 25

Lichter Schleier

Herabgesunken von Dianas Wangen
scheint einer Wolke lichter Schleier,
der langsam vor dem Saphirblau der Nacht hinschwebt,
als hätte ihn Vermeer gemalt.

Wir wollen noch ein wenig weilen,
wo uns herauf das Wasser tönt,
als wär’s in heimatlichen Auen
oder uns vertraut von Pindars Quell.

Auch von Schilfes dunklem Wehen
magst du sanfte Schauer fühlen,
wenn Glitzern, Tropfen trunkner Nacht,
daran herniederrinnt.

Wie eine Seele, die in stiller Andacht betet
für eine, die entschlafen ist,
blüht lilienfahl die Knospe Mond,
um dem Grabmal bald sich hinzuneigen.

Ein Funken sank in eine graue Lache
wie aus der Locke Berenikes.
Im Abendrot stieg aus dem Staub
der Anmut keusches Inkarnat.

Vom Schleier blieb ein Flaumgeflimmer,
als hätt’s der Knabe hold gezupft
von seiner Mutter jenseitsblauem Samt
auf einem Bildnis von Bellini.

 

Nov 21 25

Lacrimae rerum

Philosophische Sentenzen und Aphorismen

Sagen, wir, der eigentliche Gedanke entspreche der Fleisch- oder Fischeinlage mit einem gewissen Nährwert, das bedeutungsvoll klingende, aber inhaltsleere Gerede darum herum dem mit Gelatine gebundenen Gallert, wie man sie bei Aspikgerichten findet; berechnen oder taxieren wir jeweils das Verhältnis von geistiger Substanz und rhetorischem Blendwerk. – Bei etlichen Meinungsbekundungen sind wir, denn wir kennen die Verkünder, nicht überrascht, unter einer schillernden Hülle wabernder verbaler Schwellkörper nach mühsam-unappetitlicher Suche auf einen kümmerlichen Brocken und Bodensatz zu stoßen, der so nahrhaft ist, wie das Triviale tiefsinnig. – Das gilt allen anderen voran für Pastoren, Politiker, Journalisten und Zeitgeistdenker.

Der einst besonnene Löwe (Th. M.) ließ sich von der geifernden und blindwütigen Hyäne (A. H.) solchermaßen reizen, daß er den zwielichtigen Äther über der Wüste mit seinem erschreckend-monotonen Gebrüll erfüllte.

Die instinktive Scheu des Halbgebildeten vor dem linguistischen Kleinod namens Genitiv führt zu grammatischen Ungetümen wie „des Ereignis“, „des Nachlaß“ oder auch „des Geheimnis“, ja selbst „des Geheimnis’“ und entblödet sich nicht „den Opfern zu gedenken“.

Wo dem Bedeutungsschwindler der Atem schwillt, schwillt dem nüchternen Sprachkritiker der Kamm.

Der November 1918, spätestens der November 1938 trägt den Epocheneintrag „Ende der alteuropäischen Kultur“.

Er versprach ihr, sie auf Rosen zu betten, doch sie stachen Dornen.

Vom sogenannten kommunikativen Austausch in sogenannten sozialen Medien abgegriffene geistige Physiognomien.

Die da geheimnistuerisch Türen zu öffnen vorgeben, die vom Beben der Geschichte längst aus den Angeln gehoben sind.

Kein Morphem ohne Phonem, kein Sinn ohne Laut, keine Seele ohne Leib.

Den Klassikern nachtrottende Poeme, Gespenster, die vergebens zu lächeln versuchen.

Lacrimae rerum – Wimpern der Wehmut, an denen sie glänzen.

Nur gewässertes Holz kann man biegen; wie die von Tränen befeuchteten Zweige des elegischen Gedichts.

„Die Sprache spricht.“ – „Die Sprache lügt nicht.“

Die Lüge verrät sich im Mißbrauch der Sprache.

Das pseudoedle Geschwätz von „der moralischen Bestimmung der Menschheit“, „der Völkerversöhnung“, „der sozialen Gerechtigkeit“ und „der endlichen sozialen Befriedung durch Gleichheit“ kann uns hinter dem Ofen der Indifferenz, auch wenn seine Gluten längst erloschen sind, nicht hervorlocken.

Die Art des Sterbens wirft nicht immer dasselbe Licht auf das vergangene Leben und seine Werke – der Selbstmord des „Größten Feldherrn aller Zeiten“ und jener eines Georg Trakl.

Pseudologen, die uns aufgrund eines moralisch verbrämten geschichtsphilosophischen Epochenschwindels dekretieren, was und wie wir heute zu denken und zu empfinden, zu malen, zu komponieren und zu dichten haben – nach Kandinsky abstrakt, nach Schönberg atonal, nach Mallarmé und Rimbaud enigmatisch.

Es wandelt nicht grundlegend unser Fühlen, Sinnen und Trachten, ob wir glauben, die Sonne drehe sich um die Erde oder die Erde um die Sonne.

Die angeschlagene Saite des Verses bringt Obertöne zum Erklingen, die wir bewußten Sinnes nicht mehr vernehmen; doch etwas in uns schwingt ihnen nach.

Im Gerichtsverfahren mit der Sonne kann die Erde nur den Mond als schwachen, beschwichtigenden Zeugen ihrer Unschuld vorladen.

Ohne Sonne keine Wahrheit, ohne Mond keine Dichtung.

Am Abendhimmel, der noch im Untergang der Sonne blutet, blitzt manchmal die Sichel des Monds, als habe sie die Wunde geschlagen.

Die Treppe der Sprache führt tief hinab zum Ufer des Stroms, und um uns ist nur noch Rauschen.

Der Hüter des Seins liegt in der Dämmerung auf der Ottomane, als würde er auf dem grauen Meer der Ungewißheit treiben, und murmelt vor sich hin: „Nur noch ein Gott kann uns retten!“

Wort der Lichtung, Lichtung des Worts, Feuersäule, Brot und Wein, feste Burg, Stab und Stütze – und nun: Welle, die unterm Kiel eines ruderlosen Bootes emporseufzt.

„Was ist das Wesen der Welt, der Zeit, der Zahl, der Geschichte, des Menschen?“ – „Was ist das Wesen der Bedeutung?“ – Sinnlose Fragen, an deren Beantwortung man seine Lebenszeit verschleudert, sind wie das Jucken eines Mückenstichs, an dem man immer wieder zwanghaft kratzt.

Sunt lacrimae rerum et mentem mortalia tangunt. (Vergil, Äneis, 1, 462)
„There are tears at the heart of things.“ (Seamus Heaney)

Ob wir nun den Ausdruck lacrimae rerum als Hinweis auf das Bejammerns- und Beklagenswerte menschlicher Schicksale und insbesondere jener verstehen, die in kriegerische Konflikte verstrickt sind wie auf dem Wandbild im Juno-Tempel, das dahingegangene Heroen des trojanischen Schlachtfelds wie Agamemnon und Menelaos, Priamos und Achilleus zeigt, deren Anblick Äneas zu Tränen rührt, den Genetiv demnach als subjektiven deuten, oder objektiv, wie es der irische Dichter Seamus Heaney tut, gleichsam Gaia selbst uns als trauernde Witwe vor Augen führen, diese Zweideutigkeit in der Ausdeutung des Genitivattributs gehört zum poetologischen Reichtum der Dichtersprache Vergils.

Sprachlicher Kretinismus, eine Folge des das Zentralorgan zersetzenden Zeitgeistvirus, faselt ungrammatisch von den „Geflüchteten“ (von Verben wie flüchten, gehen, stehen oder regnen lassen sich ähnlich wie von reflexiven Verben wie sich flüchten, sich waschen, sich schämen keine sinnvollen Passivformen bilden; sie haben sich geschämt, sie wurden beschämt, aber sahen nicht aus der Wäsche wie Geschämte, höchstens wie Unverschämte) oder den „Forschenden“ und „Studierenden“ (das Partizip Präsenz drückt die Aktualität der genannten Tätigkeit aus), als gehörten diejenigen, die das Labor oder das Seminar nicht aufsuchen, weil sie den Termin verbummelt haben, nicht zur Gruppe der angestellten Forscher und immatrikulierten Studenten.

Die kleinen Götter der Italiker, der Etrusker, Sabiner, Osker, die noch keine Römer unter dem kulturellen Druck der Griechen waren, die Verehrung von Manen und Penaten, die religiöse Aura um die alltäglichen Dinge und Tätigkeiten, Pflug und Türschloß, Furchen des Ackers ziehen und die Türe auf- und zuschließen, läßt uns gleichsam in eine mysteriöse Zwischenwelt blicken, die uns von Dichtern wie Hölderlin und Rilke, aber auch Mörike und Hofmannsthal erschlossen werden kann.

Der allegorische Blick. Sehen, wie in der träumerisch-selbstvergessen Einherschreitenden Aglaia oder Euphrosyne erscheint. Die Dichtung kann ihn evozieren, doch nur bei jenen, die, ohne es hellen Sinnes zu bemerken, gleichsam schon eingeweiht sind.

Im zähen Fluß des Geredes offenen Augen dösen. Die harte Fügung oder die zweideutige Formel des Gedichts (lacrimae rerum), an dem der Fluß wie an einem Katarakt stockt und der Hörer in ein helleres, gleichsam aufgischtendes Fühlen gerückt oder entrückt wird.

Die Aufteilung der Welt in Lebendes und Totes, Himmel, Erde, Unterwelt, Gewesenes, Anwesendes und Kommendes, Heiliges und Profanes, Götter und Menschen, ist sie eine unwillkürliche Widerspiegelung des Ungesagten, der Struktur der indoeuropäischen Grammatik oder wie Heidegger meint, die Schickung der Moira im Ereignis? – Man könnte freilich auch die Sprache selbst als dieses schicksalhafte Ereignis auffassen.

Phänomenologie der Dämmerung. Zwischen Tag und Traum wandelt sich das Antlitz der Dinge; es wird wohl fahler, doch ausdrucksvoller. Die Stimme ist gedämpft, das Auge befeuchtet schon ein dunkleres Wasser, die Schritte tönen leiser, vager, verlangsamen sich, scheinen sich zu besinnen, als spürten sie, wie sie einen somnambul durchmessenen Kreis beschrieben haben. Ein Wind kommt auf, der kaum noch Duftpollen des verlöschenden Sommers mit sich trägt, dafür aber silberne Flocken aus den Tälern ausgerauschter Wasser. Und wir reden, als sprächen wir mit unserem Schatten, und wir schweigen, wenn er sich mit dem dämmernden Laub, dem Schatten der Stille, vermischt.

Gewiß, in der Abendstunde, im Dämmerlicht ahnen wir eher, was Heidegger unter Seinsverlassenheit verstanden haben mag. Doch ist in dieser Leere auch eine andere Fülle, der nicht die Leere eines Verlangens korrespondiert, sondern die voll ist wie die obere Schale eines Brunnens, die überfließt, um sich in die untere Schale zu ergießen, voll wie die Wabe des Tags, deren goldener Honig schon in die Ritzen und Furchen des Traumes herabrinnt.

 

Nov 20 25

Wo noch Kräfte Heils

Wo noch Kräfte Heils,
zwischen Mühlensteine
dumpfen Dröhnens
sich zu stemmen,
bevor Gesicht und Rosenwort
zermahlen sind.

Wo noch blauer Hauch,
Schnee des Bahrtuchs
aufzuwirbeln,
bevor es um der Sehnsucht Schlaf
gewickelt fahlt.

Wo noch Stromgesang,
uns zu feuchten
ausgedörrten Sinn,
bevor der Mnemosyne Bucht
versandet ganz.

Wo noch süßes Licht,
Purpurknospe Herz
uns zu öffnen,
bevor der Schöpfung edler Keim
im Finstern fault.

 

Nov 19 25

Stein und Zweig

Durchs Dickicht kriech ins Dunkel ein.
Berühr den Stein.
Berühr den Stein.

Fühl in den Adern Gaias Pochen,
leit in dein Mark es, deine Knochen.

Durch greiser Eichen Wipfel steig.
Ächz mit dem Zweig.
Ächz mit dem Zweig.

Reck deinen Kopf in Ariels Wehen,
in süßem Sang magst du vergehen.

Ob Leid, ob Liebe, einerlei.
Herz brach entzwei.
Herz brach entzwei.

Das Dunkel heile dich, die Helle,
aus Tiefen, Höhen quillt die Quelle.

 

Nov 18 25

Der Nacht entgegen

Keine Seele hat noch Odem
unter truggewebten Netzen,
und wenn scharfer Kalk und Schatten
sich auf Fühlens Poren setzen.

Käm wer, das Gewirr des Sirrens,
Krusten, die das Wort ersticken,
abzutun getrübte Linsen,
daß wir still in Fernen blicken.

Doch sie wollen, Somnambule,
irren Blicks und tauben Ohres
schleichen hin zu dumpfen Takten
eines Eumenidenchores.

Ihn, der wagt, an goldnen Fäden
sich ins Rauschen zu versenken,
dunklen Brunnens helles Quellen,
wird des Pöbels Wut ertränken.

Und wer gläubig sah ihn schweben,
Wunder kündend, den Kometen,
sein verklärtes Antlitz werden
stumpfe Stiefel blind zertreten.

Angeführt von Wahnpropheten
wankt die Schar der Nacht entgegen,
und Verzückung reckt die Zunge,
taumelt nieder Ascheregen.

 

Nov 17 25

Gaukler Mond

Was geseufzt die Wasser leise,
floß ins Schilf der Dämmerschneise,
da wir spät ans Ufer gingen.

Und ich sah ein sanftes Leuchten,
deine Blicke Tränen feuchten,
die an scheuen Wimpern hingen.

Als wir in den Kahn gestiegen,
uns dem Wogen anzuschmiegen,
ließen wir die Ruder sinken.

Schwäne hat ein Traum geschaukelt,
lilienfahl der Mond gegaukelt,
daß wir Duft der Ferne trinken.

Und wir wähnten ihn zu hören,
Sang von graziösen Chören,
die am andern Ufer harrten.

Doch der Kahn stieß seine Rippen
wund an kahlen Felsenklippen,
und die sich gewiegt erstarrten.

 

Nov 16 25

Ferner Schimmer

„Alle Sehnsucht will nun träumen“
Gustav Mahler, Das Lied von der Erde: Der Abschied

Still ging sie, still in der Hand
eine weiße Blüte,
leuchtend wie von Sapphos Strand
orphisch-trunkne Mythe.

Weher Duft wob in der Nacht
Licht im öden Zimmer.
Wie aus Traumes tiefstem Schacht
sahst du fern den Schimmer.

Als am Fenster du gelehnt,
Wasser rauschten leise,
hast ins Südland dich gesehnt,
wo sie sang die Weise.

Lauschtest in den Briefen lang
auf den Ton, den reinen.
Was sich deiner Brust entrang,
war nur stilles Weinen.

Unter Schatten müd vom Warten,
Herz, es wird ertauben.
Liebe weiß in einem Garten
goldne Frucht von Trauben.

 

Siehe:
https://www.youtube.com/watch?v=pupM0j67Rxo&list=RDpupM0j67Rxo&start_radio=1

 

Nov 15 25

Ausgelallte Zunge

Schleppe, Schnee auf matten Fliesen,
somnambule Schöne.
Unerlöste Nymphe,
Nebel, Schauer feuchter Wiesen.

Honig, Gold der Wehmutwaben,
schwarze Knäuel, Bienen.
Ausgelallte, taube
Zunge hat verschmäht die Gaben.

Heißen Schlafs zerknülltes Laken,
Traum voll süßer Rufe.
Namen, zart versenkte
Angeln mit den Widerhaken.

Grüne Augen, tiefe Maare,
Wolke, Purpurfransen,
die im Nachtwind zärtlich
flattern um des Mondes Bahre.

Nebel rissen auf die Zähne
einer wilden Sonne.
Nur ein Reif aus Silber
tönte nach im Schlaf der Schwäne.

 

Nov 14 25

Der Sommer war sehr groß

Dem Andenken an Rainer Maria Rilke

Hier der Vers, ein Strunk, gereckt
aus dem Schnee der Asche,
und mit Kalk dein Sinngrün
von Schlafwandlern überdeckt.

Kühlung sucht umsonst das Wild
unterm kahlen Aste.
Rauch ist und kein Wasser,
was aus Erdenschründen quillt.

Spiegelte nicht hier ein Teich
Silber der Plejaden,
sangen Nachtigallen
hier nicht trunkner Muse gleich?

Gingen sie nicht Hand in Hand,
Psyche leicht und Amor,
wo ein Blau entsprossen,
das dein müder Reim noch fand?

Wir vergehn gedächtnislos,
haben schon vergessen,
wie des Wortes Honig
tropft: Der Sommer war sehr groß.

 

Nov 13 25

Nun ist’s Zeit

Knospen, die als blauen Gruß wir sandten,
bleiche Wehmut sieht sie grau.
Verse, die von Liebesflammen brannten,
kühlen ihren Schmerz im Tau.

Was als Kinder wir zu wissen schienen,
eine Sphinx starrt es uns an.
Was in Waben wir geschmiegt gleich Bienen,
süßer Reime Seim zerrann.

Blank die Tenne, wo die Körner sprangen,
aufgezehrt das warme Brot.
Was vorm Grauen noch die Ahnen sangen,
fahlt, ein stummes Abendrot.

Nun ist’s Zeit, zum Quell des Lieds zu gehen,
still zu lauschen Gaias Mund,
an Sternbildern hoher Nacht zu sehen,
schön quillt menschenferner Grund.

 

Nov 12 25

Wogen dunkler Schollen

Wogen dunkler Schollen,
Pflug, o harter Kiel.
Sonnensänge, Schaum,
Brunnennacht entquollen.

Sank in Gaias Wunde
Samen, nährt ihr Blut.
Ähren rauschen sacht,
Gold der Abendstunde.

Schnitten rauhe Hände,
lasen sanfte Korn.
Glocken, Weiheklang,
daß wer irrt heimfände.

Auf dem Schneelichtlinnen
Brot und irdner Krug.
Glanz im Laub des Traums,
Reime, die verrinnen.

Tiefer noch wird dringen
Wasser, das geweiht,
Feuervogel Herz
höher auf sich schwingen.

 

Nov 11 25

Schwestern eines Geschicks

Schwermut steht am Fenster lang,
in den braunen Herbst zu schauen.
Von erloschenen Sonnenauen
kommt ein einsamer Gesang.

Ist die Seele ihr verwandt
und besingt, was sie verloren?
Klagt wer vor verschlossenen Toren,
von des Herdes Glut verbannt?

An demselben Fenster stand
jüngst die Schwester, und sie lauschte,
was im Laubwerk Sommer rauschte,
blau schlang sich durchs Haar ein Band.

Liebe war es, und ihr Blick
ward erhellt vom Glanz der Auen,
weich vom Tau verliebter Frauen,
ahnungslos um ihr Geschick.

Wie ihr Arm in Arm nun geht
Pfade, die sich fernhin winden,
davon mag ein Dichter künden,
der jetzt an dem Fenster steht.

 

Nov 10 25

Dichter, pflück den Mohn

Müde lehnst du an der Linde,
und ein lichtes Blatt
taumelt dir zu Füßen,
krümmt sich und wird matt.

Siehst den Mond du untertauchen
in das schwarze Maar,
steigen auf die Schreckensschreie
einer Krähenschar.

Gehst du auf verfallenen Wingerts
Kreuzweg hügelan,
starrt, ans kahle Holz genagelt,
ein verlassener Mann.

Geh nicht weiter in den Abend,
Dichter, pflück den Mohn,
bette dich ins Laub der Linde,
Schatten rufen schon.

 

Nov 9 25

Verhallendes Echo

Philosophische Sentenzen und Aphorismen

„Alles fließt.“ – „Doch dies steht fest?“

Analysieren wir die Tat bis hinab zu den kleinsten determinierenden Momenten, verflüchtigt sich der Täter.

Es ist trügerisch, im selben Sinn vom Ursprung des Universums wie vom Anfang einer Geschichte zu reden. Unser Reden von Zeit, Ereignis, Geschichte ist auf unterschiedlichen Skalen und Registern abzutragen.

Was wir wirklich oder real nennen, ist ein integraler Bestandteil semantischer Verknüpfung; es wird indes dadurch nicht unwirklich oder irreal.

„Es regnete“ – im Tagebuch mit Orts- und Zeitangabe verzeichnet oder in einer fiktiven Erzählung.

„So geschah es“ – elementare grammatisch-semantische Synthesis.

Die Symmetrie von Kristall, Rose und Auge; und die Mächte der Auflösung wie Hitze, Sturm und Verwesung.

Wir unterscheiden Grade der Bewußtheit und der Egoität; Wach-Ich und Traum-Ich.

Das Geheiß, die Gründe der Tat und die Abgründe des Daseins zu erhellen, ist apollinisch; das Ergebnis, wie die Selbsterforschung des Ödipus bekundet, dionysisch-tragisch: die Entdeckung eines ursprünglichen Schattens.

Der Vergil der Äneis ist der Tiefenpsychologe des antiken Mythos.

Wir stehen am sich auflösenden Saum der Begegnung von christlicher und hellenisch-römischer Kultur.

Rhythmische Urintuitionen – wir unterteilen das Fallen von Tropfen unwillkürlich in Takte, rhythmische Einheiten. Muster des Gehens, Laufens, Zögerns, Verweilens in Jambus, Trochäus, Daktylos, Adoneus und Bakcheus.

Physiognomische Urmuster; das Kind malt einen Kreis und darin drei Punkte für Augen und Mund.

Die grammatische Morphologie und Musterbildung erzeugt die Morphologie des Sinns.

Sätze über die Form von Sätzen sind metasprachliche Schein-Sätze.

Der Schatten des Kreuzes, den das gleisnerische Licht der Aufklärung nicht aufzulösen vermochte, liegt noch auf dem Schnee unseres geistigen Winters.

Der Herrscher von Theben, Ödipus, hinkt.

Die anmutig-züchtige junge Muslima stand vor mir in der Warteschlange und las in ihrem Buch der Bücher, einer Ausgabe des Koran mit ornamental umrankten Schriftzeichen. Kaum vorstellbar, ihre christliche Schwester täte desgleichen mit unserem Buch der Bücher in der Hand.

Ich gedachte des wahren, wenn auch wahnhaften Leidens eines Pavese und der unheimlichen Tiefe, die es seinem mürben Geist verlieh, verborgene Schichten des antiken Mythos zu berühren.

Genius der Sonne und Anima des Monds. – Goethe war beides.

Die sich in den Wellen der ligurischen Küste spiegelnden einsamen Säulen hohen klassischen Stilempfindens – Phantasmagorien der Geschichte.

Jeder lebt seinem Mythos nach, ohne Hoffnung auf endgültige Entschlüsselung.

Aus den vergossenen Tropfen Bluts ihres Geliebten Adonis läßt Aphrodite Rosen entsprießen.

Die Glieder der Sprache verrenken heißt die Mutter schänden.

Die ihn gebar, bleibt stumm angesichts des Leidens ihres Sohns am Kreuz. – Wie anders? Sie selber ist der Stamm, der ihn trägt.

Die Wahrheit läßt sich nicht photographieren.

Mach einen Schnappschuß – die Geste der wahren Empfindung bleibt, so gestochen scharf die Bildauflösung sein mag, verwischt.

Die klassischen Autoren waren wie die Gelehrten, die Historiker, die Politiker in den humanistischen Fächern geschult, allem voran in der Rhetorik. Doch Vergil, der Meister der epischen Sprache, versagte als Redner.

Wer hätte noch unter den Sprachbildnern den erhaben-demütigen Antrieb, sein Werk einer höheren Macht als Gabe auf den Altar zu legen (so wie Wittgenstein beabsichtigte, es Bach nachzutun und das seine unter das Motto zu stellen: Ad maiorem gloriam Dei)? – Schon Wittgenstein scheute wie vor einer Anmaßung davor zurück; wie lächerlich würde uns heute die Tollkühnheit eines Zeitgenossen anmuten, der sich dessen erdreistete.

An allem irre geworden, was harmonisch resoniert und architektonisch wohlgefügt ist, lassen sie sich für die Pervertierung und Herabwürdigung dessen feiern, was Goethe das Vortreffliche nannte, auch wenn es an Leichenfledderei gemahnt.

Der vernunftfromme, kartesianisch gesinnte Freud ward angesichts der schwellenden Brüste der Erdmutter Gaia impotent und mythenblind.

Die wir gestern sahen, die Spuren des Wilds, hat der Neuschnee verwischt.

Gedichte, allmählich verlöschende Nachbilder des Traums.

Das Echo der Rufe aus dem Abgrund der Zeit, das an den kahlen Wänden einer müden Gegenwart verhallt.

Der ausgeschöpfte Brunnen der Erinnerung.

Die in Abwasserkanäle geleiteten Ströme des Helikon.

Die feinhörige Hand des Chirurgen und Physiognomikers tastet den Verwachsungen unter den verhornten Hautschichten nach; das überlärmte Ohr des Zeitgenossen findet für die leisen Zwischentöne im Vers des Vergil keine Resonanz.

Eine Erschütterung, ein Erdbeben läßt die Wände der römischen Villa erzittern; da bröckelt der Putz wie aufgeklatschte Tünche, und die farbigen Mosaike einer untergegangenen Welt treten ans Licht.

Ich hörte. wie Großvater im wuchernden Gras des Felds die Sense dengelte, Knabe, der auf dem Dach des Schuppens lag, und mir war, als stiegen geisterhafte Stimmen aus dem heiß geschabten Eisen.

Von den herbstlichen Feuern stoben Funken in den dunkelblauen Samt des Abends und brannten Löcher in den Vorhang, durch die sich schon der schwarze Schaum der Nacht ergoß.

Was Nachtwind ins Gras geschrieben, die Seele liest es, eine Eule, die nach ihrer Schwester ruft.

Der Dichter sah im Schnee die Spuren und ihm war, sie müßten von einer verwandten Seele stammen, einem Sternenbruder in der Winternacht, und ging ihnen nach; doch kam er dunkel kreisend an die Stelle zurück, von der er ausgegangen.

Wer abgewichen ist vom ausgetretenen Pfad des Sagens, sieht sich jählings einsam unter fremden Sternen, und die Blüten rings, das grüne Leben scheint ihm unbenannt nur schwach zu atmen, schwach zu duften. Nur eines Orpheus Huld kann ihm den Zauber leihen, die Dinge wieder zu beleben, daß sie ihm mündig geworden neue Namen künden.

Der Sinn des Todes entblößt den Wahn der universellen Machbarkeit und Verfügbarkeit.

Die Behausungen und Gehäuse, vom Haus bis zum technischen Gestell, können uns nur vorübergehend bergen; die Angst und der Tod schlüpfen durch das Schlüsselloch, nisten in den Fugen und Gelenken unserer blitzenden Geräte, wo unheimlich zu knacken und knirschen beginnt, was schließlich zerbricht.

Die natürliche Sprache ist historisch-kontingent und kulturrelativ; sie kann nicht am Reißbrett entworfen und mittels Algorithmen aufgebaut werden.

Der Geist der natürlichen Sprache weht uns an, belebt oder ängstigt; die Sprache der künstlichen Intelligenz atmet nicht.

Wir werden skeptisch gegenüber dem Wunsch nach Unsterblichkeit, wenn uns das Schicksal des Tithonos zu dauern beginnt, dem die Gemahlin Eos dank Zeus zu ewigem Leben verhalf, der aber alt geworden immerdar weiter vergreiste, verschrumpelte und den Zikaden gleich stets schriller seine Stimme erhob, weil ihm ewige Jugend nicht vergönnt war.

 

Nov 8 25

Flüchtige Epiphanie

Aufgeschimmert war ein Antlitz
an der kahlen Mauer.
Und ein Lächeln ließ erzittern
die erstarrte Trauer.

Und wie Knospen, die sich öffnen,
wenn die Schatten weichen,
schrieben Blicke in die Herzen
lichte Wunderzeichen.

Die es fühlten, knieten nieder,
bange Lippen lallten,
wie noch hohe Mächte Trunkne
nah am Abgrund halten.

Und ein Stern begann zu glimmen
überm Haupt der Holden.
Schlafes Gaze schien zerrissen,
graue Wolke golden.

Als sie abends Kränze brachten,
kindlich-fromm gewunden,
Kerzen, dem Gesang zu leuchten,
war das Bild verschwunden.
 

Nov 7 25

Quelle, Strom, Gesang

Dem Andenken an Cesare Pavese

Nur ein Lidschlag, der es jäh entscheidet.
Ihrer ist’s, und er verhext.
Du, der unter Wimpernschatten leidet,
bist der Frucht gleich, die nicht wächst.

Bohrt ihr Schweigen Löcher ins Entzücken,
stopft sie schwarzen Rauschens Samt.
Scheite schleppst du auf gekrümmtem Rücken,
und sie singen, Herz, es flammt.

Wein ist sie, im Südland aufgesprossen,
Traube, die dem Durst sich reicht.
Du der Brunnenmund, der ausgeflossen,
noch bevor ihr Mark erweicht.

Sie ein Strom aus blauer Nächte Quellen,
in das Delta hingedehnt.
Unterm Eis willst du, ein Rinnsal, schwellen,
Schluchzen, das Gesang ersehnt.

Öde Karste, milde überflutet,
leuchten fern von sattem Grün.
Und du hast vergebens nicht geblutet,
sieh, Adonisrosen blühn.

 

Nov 6 25

Trinke, Dichter, goldnen Wein

Taube, die gegurrt hat dumpf
auf der Balustrade,
flattert zu den Schwestern heim,
Einsamkeit schmeckt fade.

Durch das offne Fenster weht
lauer Hauch aus Gärten,
die verschollen lange schon,
Ruf von Weggefährten.

Zitternd glimmt die Lampe spät
in der Milchglasscheibe,
so als harrte sie noch bang,
da ich ferne bleibe.

Sanfte Muse, traurig-froh,
die des Nachts gesungen,
und mir war, ein Porzellan,
ist das Herz zersprungen.

Treibe nicht mit Blüten hin
stumm ins Uferlose,
neige müde nicht das Haupt,
fahle Winterrose.

Trinke, Dichter, goldnen Wein,
golden wird die Kehle,
lösche mit dem süßen Sang
düstre Glut der Seele.

 

Nov 5 25

Sehnsucht träumt

Deiner Blicke süße Funken
machten mich wie trunken.
In den Wogen deiner Locken
bin ich gern versunken.

Sehnsucht träumt, sind wir verlassen.

Sangst du, wollten helle Flocken
mich ins Weite locken,
und aus grünen Teichen klangen
heimatliche Glocken.

Sehnsucht träumt, sind wir verlassen.

Als wir durch das Schilf gegangen,
sah auf deinen Wangen
ich den Tau der Wehmut glimmen,
Nachtigallen sangen.

Sehnsucht träumt, sind wir verlassen.

Nun bedrängen Geisterstimmen
mich hinauszuschwimmen,
und das Ufer, wo dich Feen
bargen, zu erklimmen.

Sehnsucht träumt, sind wir verlassen.

Einmal will ich dich noch sehen
zwischen Blumen gehen,
Asphodelen, die erblassen,
weil sie dich verstehen.

Sehnsucht träumt, sind wir verlassen.

 

Nov 4 25

Das Grauen vergilischer Nacht

Äneis, 7. Buch, 389 ff.

Wie ins Laub der Unschuld glitt die Schlange,
die voll Gifts des Orkus Wahnsinn spie.
Daß Vergil nicht mit Mänaden schrie,
wand er Thyrsosranken dem Gesange.
Schwachen Atems aber, Dichter, flieh,
zischt im Versgestrüpp des Chaos Schlange.

Lose darf das Haar im Nachtwind wallen,
wenn der Vers sich auf die Wunde preßt,
Mund, der nicht von blinden Küssen läßt,
bis ins Dunkel Tropfen Lichtes fallen.
Du indes, halt sie am Fenster fest,
siehest du ihr Haar im Nachtwind wallen.

In die Wildnis zog der Vers voll Grauen,
aufzustöhnen Bakcheus Evoe.
Und er sank in Mondes stummen Schnee,
den Bellonas Blutstrahl bald wird tauen.
Schwankt dir, Dichter, noch ein Kahn am See,
eil dich, um zu flüchten aus dem Grauen.

 

Nov 3 25

Stimme, goldne, süße

Orchislippen, weiche,
streifen dich im Traum.
Glanz an Schlafes Wimpern,
Flocken fühlst du kaum.

Glockenklang, versunken
in der Heimat Maar,
wo ins Blaue steigen
Chöre, Lerchenschar.

Flammenzungen flüstern,
Briefe heißer Hand.
Geisterhafte Funken,
Herz, das sich verbrannt.

Stimme, goldne, süße,
Honiglicht verfließt,
wenn die Dämmerpforte
sacht Selene schließt.

Linnen, Schneegeflimmer,
monden-fahle Glut,
wenn des Mundes Knospe
seufzend auf sich tut.

Trunkner macht als Eos
blasser Rosen Duft
Herz an Herz zu atmen
blauer Nächte Luft.

 

Nov 2 25

Geh hinaus, es war ein Traum

Pflücken Winde Blüten leicht,
weh mit ihnen, Ichgespinst.
Schnee, den kühles Mondlicht bleicht,
Tauwind kommt, und du verrinnst.

Blatt, getaumelt jäh im Schlaf,
war vergilbt es, war es rot,
als es kalt die Stirn dir traf,
glaubtest du die Liebe tot.

Und entsetzt bist du erwacht,
aus dem Fenster weit gelehnt,
sahest du bestirnt die Nacht,
Venus auch, vom Gram ersehnt.

Eos träufte Rosen Tau,
bis die Knospen Glanz erfüllt.
Doch du flehtest nach dem Grau,
das dir Glut und Gold verhüllt.

Geh hinaus, es war ein Traum,
Blatt des Schlafs verweste schon,
geh bis an des Sagens Saum,
wo dir purpurn sprießt der Mohn.

 

Nov 1 25

Dichters Gaben

Von des Pindar Quelle
geisterhafter Schaum.
Von Vergilschen Herden
süß betauter Flaum.

An des Sagens Säumen
Rilkes Enzian.
Wasser grüner Stille,
wiegend Gertruds Schwan.

Am Altar die Chöre,
Fackeln in der Nacht.
Feuchter Trauben Bronze,
Bacchus dargebracht.

Gras, das unter Linden
beugte Walthers Reim.
Rose, die’s gelitten,
Glut von Sesenheim.

Nah beim Dorf die Eichen,
Rauschens voll das Laub.
Was vorm Grabe Loerke
sah an Glanz im Staub.

Aus dem Fenster Rufe,
bang um Hölderlin.
Eingetunkt in Wermut,
weh, Verlaine, dein Spleen.

Von Novemberrosen
Sehnsucht nach dem Schnee.
Trakls Trauerweide
am umschilften See.

Aus dem Haar der Sappho
Spange oder Kamm.
Eines Grautiers Scheu vorm
scheuen Francis Jammes.

 

Okt 31 25

Die feurigen Dämonen

Wir sind durchs Schilf der Dämmerung gegangen,
als Aschenrauch mich machte jäh benommen.
Für wilder Blicke Düsternis erglommen,
rann heißes Glitzern ihr auf blassen Wangen.

Und gierig schob ihr die behaarte Kralle
ein Dämon unters Hemd, der andre spuckte
ins Haar ihr Funken. Lippe schwoll und zuckte,
den Schoß durchpulste eine Feuerqualle.

Drei Schatten tanzen um ein Kreuz im Sand,
wo Glut von Scheiten fahl zerfallend kündet:
„Den dunklen Kien, den reckte die Mänade,

hat leiser Verse Anmut nicht entzündet.
Nun hat ihn angefacht Dämonenhand.
Des Chaos Flamme frißt das Holz der Gnade.“

 

Okt 30 25

Die rächenden Engel

Die Engel gingen neben uns schon lange.
Es raunten fremde Zungen, doch dazwischen
stob in das Dunkel funkenhelles Zischen.
Da strich ein kühler Flügel meine Wange.

Du hast noch vag nach meiner Hand getastet,
schon hatten sie dich jäh emporgehoben.
Selbdritt umschlungen schwebtet ihr nach droben.
O dunkler Fluch, der einem Joch gleich lastet.

„Sie ist dem Dunstkreis deines Geists entronnen,
die Schwester, die wir gnädig dir gesandt.
Du hast sie nicht erschaut, die edle Blume,

die sich nur auftut makellosen Sonnen.
In deiner Schwermut Düsternis gebannt,
sog sie nach Tau umsonst in karger Krume.“

 

Okt 29 25

Um ihren Abgrund kreisen alle Dinge

Wer lange schreit, dem wird die Kehle heiser.
Wer hoch getönt, spricht leise, immer leiser,
der Welle gleich, die morgens gischtend sprang,
die Schilfe schüttelte und zarte Reiser
und seufzend ebbt im Sonnenuntergang.
Wer lange schreit, dem wird die Kehle heiser.

Um ihren Abgrund kreisen alle Dinge.
Der Tropfen fällt, es schwellen, schwinden Ringe.
Die Verse auch, geflochten zart zum Kranz,
zerrupft wie unter dunklen Dämons Schwinge
Mänade heiß in bacchisch-wildem Tanz.
Um ihren Abgrund kreisen alle Dinge.

Uns bleibt als Nachbild schwaches Traumgeflimmer
an leerer Wand im öden Krankenzimmer.
Die Rosen uns ans kahle Bett gebracht,
ihr süßer Name stürzt ins Schmerzgewimmer,
ihr Antlitz blaßt dahin im Mond der Nacht.
Uns bleibt als Nachbild schwaches Traumgeflimmer.

 

Okt 28 25

Flügelnd zwischen Traum und Tag

Schneit es Flocken, sind es weiße Blüten?
Feuchten Augs verschwimmt dir Bild und Zeit.
Knistert Glut, wo Hirten Herden hüten,
stürzen Flügel durch die Ewigkeit?
Worte, zweifelnd zwischen Tag und Traum,
glitzern wie der Tau im Schwanenflaum.

Sind es Trauben, die im Dunkel glühen?
Sie zu pflücken ist dein Vers zu schwach.
Rosen, die für Mnemosyne blühen,
und ihr weher Duft hält dich noch wach?
Faltern, taumelnd zwischen Schmelz und Staub,
wird der Hoffnung zarter Fühler taub.

Nein, es waren Rosen nicht noch Trauben,
Sehnsucht loderte im grauen Dunst.
Traumes Bild verblaßt vorm Grün der Lauben,
übergoldet von Kybeles Gunst.
Verse, flügelnd zwischen Traum und Tag,
ziehen zwitschernd in den Sonnenhag.

 

Okt 27 25

Das heitere Abschiedslied

Da wir entrückten Freundes still gedachten,
glomm einer Kerze honigsüßer Schein,
uns aber war, erglüht von goldnem Wein,
daß Engel über uns im Dämmer wachten.

Und einer hob zu singen an, ganz leise,
alsbald erkannten wir das letzte Lied,
das er gedichtet hat, bevor er schied.
Da floß ins Dunkel hell die heitre Weise.

„Laßt sanft, o Freunde, mich bei euch ermatten,
war dornig auch der Pfad bis an die Schwelle,
die einsam ich erklomm auf harten Stufen,

weich sind, den Schmerz zu kühlen, Abendschatten,
mild ist der Trank elysisch-reiner Quelle
im Hain der Ahnen, die nun nach mir rufen.“

 

Okt 26 25

Traum, des Armen Dichtung

Der Traum, des Armen Dichtung, ist ein Boot,
das ruderlos auf Schlafes Wogen treibt.
Die Angst vorm Scheitern, die ihm einverleibt,
wähnt nah ein Eiland, das kein Sturm bedroht.
Kaum sieht er grüner Insel Schilfe winken,
fühlt schwer von eigner Last das Boot er sinken.

Doch kühnen Dichters träumerischer Kahn
dringt in das Schilf der Dämmerzonen tief,
leicht wie die Lust, nach der ein Schimmern rief,
der Hesperiden Frucht, ein süßer Wahn.
Kaum hat gelangt er nach dem goldenen Flitter,
weckt auf ihn ein Geschmack so faul, so bitter.

 

Okt 25 25

Fasces, Laurea, Portenta

Rutenbündel, hoher Herrschaft Zeichen,
machen rohen Pöbels Andrang weichen.
Und der in den Azur taucht, der Aar,
hebt ins Licht empor nur seinesgleichen.
Doch zum Orkus sinkt sinistre Schar.
Rutenbündel, hoher Herrschaft Zeichen.

Lorbeer darf die reine Stirn bekränzen,
und ein Gott den schwachen Hauch ergänzen,
wenn des Dichters Atem selig stockt,
sieht Chariten er entrückt in Tänzen.
Doch was kläglich kläfft, bleibt angepflockt.
Lorbeer darf die reine Stirn bekränzen.

Menetekel, Untergangssymbole.
Chaos wuchert, Wildnis Metropole.
Der Parolen dunklem Mob krakeelt,
Gluten speit der Dämon auf die Kohle,
die von Selbsthaß schon und Weltangst schwelt.
Menetekel, Untergangssymbole.

 

Okt 24 25

Insel Dichterwort

Dichtung baut vor hoher Brandung Deiche.
Goldnes Korn durchblitzt die dunkle Welle.
Schaum singt, daß sich schwarzer Sand erhelle.
Netz des Rhythmus fängt die Gischt, die weiche.
Tränen sind, die Bilder sanft befeuchten,
Träume, die durch Schattenriffe leuchten.

Insel Dichterwort blaut grausen Fluten.
Aus der Grotte Dämmer zuckt die Schlange,
daß sie nach dem Tau des Lichtes lange,
Tropfen Nacht, wenn Mohnes Lippen bluten.
Wimpern sind, die Schatten spenden, stille,
bis der Verse Schilf Selene fülle.

 

Okt 23 25

Der frühe Hirte

Ungepanzert, Feingefühl der Haut.
Augen, jäh vom Gegenlicht geblendet.
Unschuld, unbewachte, schon geschändet.
Schlaflos von der Wölfin Klagelaut.

Höhle, der Bedrängnis Zwielichtheim,
Ruß der Flammen, der die Masken schwärzte.
Blauer Lufthauch, der mit Faltern scherzte,
fand auf herben Lippen keinen Reim.

Einen Kühnen rief’s, daß er entspränge,
und er ging dem Monde nach zum Born,
schöpfte aus dem Schaum sich reine Klänge.

Schafe trotteten mit krummem Horn.
Und er ward ein Hirte. Seine Sänge
wehten in ihr Herz ein goldnes Korn.

 

Okt 22 25

Der Nachtmahr

Grinsend saß der Nachtmahr auf dem Schoß.
Seufzen troff wie Gift an deine Wangen,
ein Gebein aus Eis hielt dich umfangen.
Wie der Stirn kristallene Schale klirrte,
als die Motte Kuß darüberschwirrte.

Da goß Eos ihre sanfte Glut,
Rosen streuend auf die bleichen Laken,
daß hinweg die Albtraumfratzen schraken.
klebte auch am Mund noch etwas Blut.
Brechen nächtens auf die alten Wunden,
laß nur faden Saft Gespenstern munden.

 

Okt 21 25

Da glomm am Vers noch Moos

Da glomm am Vers noch Moos, ein schlichtes Grün,
das in das Dunkel unsrer Bängnis schien.
Da war ein Schimmer noch von feuchten Blicken,
als Hauchen bog die Schilfe des Gedichts,
den Wanderer am Ufer zu entzücken
mit einem Funkeln südlicheren Lichts.
Und als die Nacht ein schwarzer Menhir schien,
glomm ihm am Fuß noch Moos, ein schlichtes Grün.

Die in die irdne Schale sie gesetzt,
die Blüte war von Tropfen jäh benetzt.
Tau stand ihr in den Augen, dunkles Wasser,
worin der Funken Sehnsucht unterging,
Geschmeiden gleich, nur matter, fahler, blasser,
an einem abgestreiften Liebesring.
Kein Nachttau hat den Tränenglanz ersetzt,
der ihrer Blüte sanftes Lid benetzt.

 

Okt 20 25

Erinnerung, verweh

Wo Gläser klirrten, unter Festsaaltischen
wand sich gekrönter Vipern eitles Zischen.
In Augen, sommerabenddämmerfeuchten,
von Schatten einer dunklen Glut umrankt,
sahst du des Mondes scharfe Sichel leuchten,
die fahle Knospe Mund, wie sie geschwankt.

Ans Ufer bist du einsam fortgegangen,
da Nachtigallen wie im Traume sangen.
Auf schwarzen Wogen glommen süße Funken,
entrückter Blüten monderhellter Schnee.
Selenes Schleier war hinabgesunken.
Das Dunkel sprach: Erinnerung, verweh.

 

Okt 19 25

Wermut der Resignation

Philosophische Sentenzen und Aphorismen

Die historisch kontingente, aber epochal beglückende Koinzidenz von Macht, Reichtum und erlesenem Kunstgeschmack ist die Bedingung der Möglichkeit kultureller Höchstleistungen in Architektur, bildender und redender Kunst, wie die römische Klassik unter Augustus, der Hof von Versailles, Potsdam, Dresden oder das Bündnis zwischen Carl August von Weimar und Goethe belegen.

Daß horribile dictu der kriminelle Triebtäter, der Perverse und der Geistesschwache dasselbe Gewicht bei der demokratischen Wahlentscheidung einbringen, ist dem aristokratischen Geist ein Greuel.

Der künstlerische Wille ist die Maßgabe für den individuellen sprachlichen Ausdruck; so gebrauchte Stefan George außer bei Namen die Kleinschreibung, um sich ein Markensiegel zu schaffen. Dem Sprachstümper, dem typischen Produkt demokratischer Massenbildung, unterläuft die Verkennung des Anredepronomens mit dem Pronomen der dritten Person Plural unwillkürlich – im Doppelsinne.

Und doch ist sie wie der Untergang des Genetivs oder die Unfähigkeit, zwischen dem Konjunktiv der indirekten Rede und dem Konditionalis zu unterscheiden, ein Signum des Sprachverfalls.

„Hätte ich nicht so gebummelt, wäre mir die Bahn nicht vor der Nase davongefahren.“ – Solche grammatischen Bildungen zum Ausdruck des irrealen Bedingungsgefüges geben den sprachlichen Anstoß zu philosophischen Erwägungen über den Begriff der mehr oder weniger freien Handlung.

Die Betrachtung der komplexen epischen Struktur der Äneis, die man insgesamt in einen odysseeförmigen und einen iliasähnlichen Teil, aber wie bekannt auch triadisch gliedern kann, darf auf erhellende Analogien aus der Architektur antiker Großbauten wie des Apollontempels auf dem Kapitol oder des Athenatempels der Akropolis zurückgreifen.

Virum mihi, Camena, inseces versutum. – Uns ist in alten maeren wunders viel geseit. – The Queen was in the parlor eating bread and honey. – Wir finden verwandte metrische Gebilde und Klangeffekte wie beim altrömischen Saturnier, in der Nibelungenstrophe und im englischen Nursery Rhyme, die nicht auf Beeinflussung zurückgehen können, sondern aus der gemeinsamen Tiefenstruktur des Indogermanischen fließen.

Die orphische Schlange beißt sich in den Schwanz. – Dem Mythos gemäß kehrt der trojanische Flüchtling Äneas in die alte Heimat Ausonien zurück. – In der Ringkomposition der Sonate findet sich die Wiederholung des Anfangs als Reprise, doch nun in einer von der Durchführung geprägten eigentümlichen Stimmung.

Die keine Laren und Manen mehr verehren, werden unfruchtbar und sterben als Sippe und Volk aus.

Der Gleichheitswahn ist ein Symptom absterbenden Lebens.

Mantua me genuit, Calabri rapuere, tenet nunc/Parthenope; cecini pascua, rura, duces. – Hirten, Bauern, Feldherren galt mein Gesang: Ist dies eine geschichtsphilosophisch deutbare Folge evolutionären Typs vom Zeitalter der Nomaden und Jäger über die neolithische Phase des Ackerbaus bis zur historischen Schwelle urbaner Zivilisation oder der Ritter und Fürsten, wie das Mittelalter den Grabspruch Vergils deutete?

Ohne die Geburt von Bethlehem hätte Kaiser Konstantin die 4. Ekloge nicht messianisch gedeutet und wäre Vergils Dichtung nicht vollständig über die Wirren der Zeit gerettet worden. – Ist dies eine Form von Providenz?

Infolge der Egalitätsobsession und der Schleifung aller geistig-kulturellen Hierarchien mittels Quotenregelung und Gleichstellungsbeauftragung sinkt der durchschnittliche Intelligenzquotient auf voraussehbare Weise, bis das mathematisch-technologische Fundament des modernen Produzierens, Konsumierens und Kommunizierens nachgibt.

Die zum Klischee herabgesunkene Schmähung des Pater familias und die Entwürdigung der Matrone erinnern an die vergeblichen Bemühungen des Augustus, qua Sittengesetz ähnlichen Phänomenen der Dekadenz seiner Zeit Einhalt zu gebieten.

Kristalle, Muscheln, Blüten – Strukturen, die den dichterischen Geist beflügeln.

Die leise bebende Statik der klassischen Säule; das von eigner Schwere und Bedeutung getragene dichterische Wort.

Duft südlicher Gärten, der durch das offene Fenster des Sommers weht; die wunderlich von lauen Lüften bewegten Ranken der Verse.

Eichendorffs rauschende Brunnen; die trockenen Karste kaum noch rhythmisch zu nennender pseudopoetischer Phrasen.

Wer den Atem in die dünnen Kanäle der Mitteilung preßt, hat das dichterische Wort schon erstickt.

Hündische Gesinnung leckt die Hand, die sie füttert.

Schlichte irdene Schale, worin die Hand der Anmut zarte Blüten auf das Wasser setzt.

Das Motiv des katastrophalen Zusammenbruchs aus dem 1. Satz der Achten Bruckners kehrt im letzten wieder, um wie das finstere Grollen und die Düsternis des Endzeitgewitters von der Glorie einer überirdischen Sonne überstrahlt zu werden.

Alt werden heißt, die Häute der Meinung nach und nach abgestreift zu haben. – Wie, nackt bleibst du zurück? – Ja, wie ich auf die Welt kam, um den ersten Schrei auszustoßen, so auch den letzten.

Die Geschichte der Verklärung der Armut und des Armen ist noch ungeschrieben. Denken wir an den kynischen Philosophen mit seinem Wanderstab und dem kleinen Gepäck seiner Weltweisheit; die Worte der Bergpredigt „Kommet zu mir, die ihr mühselig und beladen seid“, die fröhlichen Bettelmönche der Franziskaner oder den armen Toren Parsifal; denken wir auch an den Mißbrauch des verklärten Bildes zu schändlichen Zwecken bei den Weltrettungspropheten von Lenin über Mao bis Pol Pot.

Pascal kannte die trügerischen Inszenierungsrituale der Pariser Salons, die Masken und Kostümierungen einer augenzwinkernden Rhetorik; umso verstiegener seine Weisung, der wesentlichen, Täuschung und Selbsttäuschung abstreifenden Einsamkeit zu pflegen, indem man am besten sein Zimmer nicht verläßt. Die zweideutige Radikalität dieser Authentizitätsverpflichtung kehrt in Rousseaus und Nietzsches Gestalten des einsamen Wanderers, aber auch in Heideggers ontologisch subtiler Analyse der Eigentlichkeit wieder.

Wir können nicht alle Wege gleichzeitig beschreiten, die sich uns eröffnen. Dies ist der triviale Grund der menschlichen Tragikomödie, wenn wir es dennoch vergebens in spastischen Scheinbewegungen und phantasmatischen Verstiegenheiten versuchen.

Die Komik Schopenhauers: Der Überzeugung, daß kein Dasein der Mühe wert und in allem Lebensgenuß der bittere Tropfen der Resignation enthalten sei, ließ er sich doch die feine Küche im Frankfurter Hof täglich munden.

Auf die universalen Ansprüche weltumspannenden Wissens und welterneuernden Wirkens müssen wir Verzicht tun und den bitteren Tropfen der Resignation schlucken.

Nur der einsame Denker ist solcherart souverän und streift ohne weiters die schmeichelnden Ideenkostüme der Welterklärung, der Selber-Lebens-Durchleuchtung, der Transformation des opaken sozialen Körpers in einen auratisch-lichten Leib der Gerechtigkeit und Gleichheit von sich ab.

Ihm kann der süße Honig der Illusion den bitteren Geschmack der Erkenntnis auf Dauer nicht überdecken.

Der Grund, auf dem wir gleich Schlafwandlern umhergehen, ist ein gefrorenes Wasser, das je länger die Sonne der Wahrheit brennt, dahinschmilzt.

Wir müssen den vorletzten Grund als letzten hinnehmen.

Worauf ruht er? Wie die Atome, die Sterne, die Planeten, auf nichts.

Wir sehen die Taube auf dem Dach, und sie scheint erregt hin und her zu trippeln, als würde sie sich freuen, weil wir Körner in den Hof streuen. – So blicken wir, Narren und Marionetten kindlicher Wünsche und urtümlicher Mythen, auf die Fremdheit des Daseins.

Wir sehen Muster und Schemen wie in Wolkenballungen, Ornamenten, Gesichtern, Handlungen, grammatischen Strukturen. – Doch wir könnten all dies auch nichtanalog und algorithmisch als Zahlenreihen und Funktionen auffassen, ohne einem dieser Aspekte den unbedingten Anspruch auf Geltung und Wahrheit zuzusprechen.

Die großen Versprechen beruhen auf falschen Gewißheiten und trügerischen Evidenzen, die aufgrund ihrer giftig strahlenden Simplizität die Masse nicht nur der Mühseligen und Beladenen, sondern neuerdings auch der Wohlstandsverwahrlosten faszinieren: Die Juden sind die Parasiten am geschundenen Volkskörper von ihnen unterjochter Nationen, die Reichen sind die Blutsauger der Armen, also wird uns ihre Vernichtung eine neue soziale Heilsordnung heraufführen.

Gefährlich an der Halbbildung sind nicht die Löcher im Wissen, sondern der purpurfarbene Talmi-Samt des ideologischen Scheinwissens, mit dem sie gestopft werden.

Der erkenntniskritische Grund unserer nicht kompensierbaren Resignation liegt in dem Umstand, daß wir grundlegende Begriffe wie Raum und Zeit nicht definieren können oder nur in der Weise umschreiben können, daß ihre Umschreibung die Geltung des Begriffs schon voraussetzt. Wir können nicht mehr oder Tiefgründigeres sagen, als daß Raum dasjenige ist, was wir mit einem beliebig konstruierten Längenmaß messen, Zeit dasjenige, was wir mit einer beliebig konstruierten Uhr, ob Sand- oder Atomuhr, messen.

Wir können den Menschen nicht anthropologisch objektiv beschreiben; denn wir müßten auch die Tatsache beschreiben, daß er es ist, der sich selbst beschreibt.

Es gibt kein letztes oder einzig gültiges und relevantes Kriterium zur Bestimmung dessen, was wir mit Begriffen wie „wirklich“, „wahr“ oder „exakt“ meinen. Wir können sagen: „Ich habe ihn wirklich gesehen“, wenn wir damit meinen, daß wir ihn zu sehen nicht geträumt haben, ohne zur letzten Gewißheit zu gelangen, daß wir ihn „wirklich“ (unabhängig von jedweder Relativität) gesehen haben. Wir können sagen: „Die Aussage, daß ich ihn (da und dort und zu dieser bestimmten Zeit) gesehen habe, ist wahr“, wenn wir damit implizieren, daß die Aussage, ihn nicht gesehen zu haben, falsch ist, ohne genau angeben zu können, welcher Unterschied zwischen der Aussage „Ich habe ihn (da und dort und zu diesem bestimmten Zeitpunkt) gesehen“ und der Aussage „Die Aussage: Ich habe ihn (da und dort und zu diesem bestimmten Zeitpunkt) gesehen, ist wahr“ hinsichtlich ihrer Wahrheitsbedingungen besteht. Wir können sagen: „Ich habe ihn genau an diesem Ort und zu dieser bestimmten Zeit gesehen“, ohne über ein absolutes Maß für die Orts- und Zeitbestimmung zu verfügen.

Wir können allerdings eine parallele Welt derart konstruieren, daß die in unserer Welt gültige Aussage „Ich habe ihn an diesem Ort zu diesem bestimmten Zeitpunkt gesehen“ falsch ist, weil die Person an dem Parallelort zur Parallelzeit nicht anwesend war.

Wenn wir um die Relevanz der Polarität der Geschlechter für den Erhalt von Familien, Sippen, Ethnien und Nationen und die identitätsstiftenden Lebensformen bei der Weitergabe der Tradition des je eigentümlichen Erbes in Sitten und Gebräuchen, Mythen und Folklore wissen, können wir eine ethische Einstellung und eine politische Maxime ableiten, die zur Förderung der traditionellen Familie beitragen, ohne über ein letztes Kriterium für die Beantwortung der Frage zu verfügen, ob wir den Erhalt dieser und jener Gemeinschaft in einem absoluten Sinne befürworten sollen. Denn wir können nicht behaupten, zu existieren und weiter zu existieren sei für jene Gruppe oder diese Person (wie uns selbst) eine absolute Forderung (wie sie der göttliche Auftrag an das frühe Israel auf dem Weg aus der ägyptischen Gefangenschaft enthielt).

Jener sieht in der Kippfigur einen Hasen, dieser eine Ente, ohne daß wir über ein letztes Kriterium für die Beantwortung der Frage verfügen, welches Bild „wirklich“ und „wahr“ oder eigentlich gemeint ist.

Daß wir mit dem Wort „Mond“ den Mond meinen, ist eine den Wortgebrauch betreffende triviale Aussage; nicht dagegen, daß der Mond der einzige Erdtrabant ist. Und doch ist dies nicht mehr als eine durch alle bisherigen Beobachtungsdaten abgedeckte Vermutung, der wir nicht den Rang einer ewigen oder absoluten Wahrheit zusprechen können.

Wir messen an Dingen, die sich bewegen, wie den Sandkörnern in der Sanduhr oder dem Schattenstab an der Sonnenuhr, die Zeit; dabei unterstellen wir, daß diese Bewegungen gleichförmig, homogen und eineindeutig gerichtet sind, ohne ein absolutes Kriterium zur Bestimmung dieser Bewegungseigenschaften vorweisen zu können.

Wir gelangen vom vorsprachlichen Schweigen nicht in die Dimension der Sprache, von der absoluten Bedeutungslosigkeit oder Sinnlehre nicht in die Dimension von Bedeutung und Sinn.

Die sprachliche Idiotie KI-gesteuerter Übersetzungsprogramme gibt die idiomatische Wendung in dem Satz „It’s raining cats and dogs“ wörtlich wieder durch den Satz „Es regnet Katzen und Hunde“, denn das Programm versteht natürlich weder Englisch noch Deutsch, sonst würde es den Satz durch eine analoge deutsche Wendung wie „Es gießt wie aus Kübeln“ wiedergeben.

Wie soll der Primitive, der nur den Unterschied zwischen süß, sauer und bitter ausdrücken kann, die subtilen Geschmacksnuancen der französischen Küche oder die feinen aromatischen Duftvariationen der symbolistischen Lyrik wiedergeben?

Vom Wermut der Resignation muß einen großen Schluck nehmen auch, wer sich von der humanistischen Illusion zu verabschieden gedenkt, die Goebbels und Goethe, Stalin und Mandelstam denselben Rang, dieselbe Würde, dasselbe Recht auf Geltung zuspricht.

Jessie und Jenny gleichen sich wie ein Zwilling dem andern, doch jede behauptet gegen die andere ein unvergleichliches Maß an Authentizität, weil Jessie sich dasselbe geschmacklose Motiv auf dem rechten, Jenny auf dem linken Hinterbacken hat tätowieren lassen.

 

Okt 18 25

Kreuz und Morgenstern

Noch einmal wollen wir den Kreuzweg gehen,
den überwuchert fast das Dunkel schon.
Das Herz erglühe uns wie roter Mohn,
wenn wir vorm dorngekrönten Heiland stehen.

Noch einmal wollen wir den Engel sehen,
die Lilie, hingeneigt der Demut Thron,
die Jungfrau mit dem segensmilden Sohn,
und fühlen hohen Geistes Flügel wehen.

Ich will den Docht im Honigwachs entzünden,
daß still die reine Liebesflamme scheint.
Mag auch dein feuchtes Aug von Nächten künden,

da ungestillte Liebe hat geweint,
sieh Ströme in die Bucht des Himmels münden,
wo Morgenstern sich blauem Tag vereint.

 

Okt 17 25

Schilfe, Dolche

propter aquam, tardis ingens ubi flexibus errat
Mincius et tenera praetexit harundine ripas.

nahe am Wasser, wo weit in trägen Windungen Mincio
schweift und die Ufer zart umwebet mit Schilfen.

Vergil, Georgica, III, 14–15

i, sequere Italiam ventis, pete regna per undas.
spero equidem mediis, si quid pia numina possunt,
supplicia hausurum scopulis et nomine Dido
saepe vocaturum. sequar atris ignibus absens
et, cum frigida mors anima seduxerit artus,
omnibus umbra locis adero. dabis, improbe, poenas.

Geh nur, folg den Winden nach Italien, das Reich such auf Wogen.
Ich indes hoffe, sind noch fromme Numina mächtig,
das Verhängnis ereilt dich unter Klippen, da rufst du noch öfters
Dido mit Namen. In düsteren Gluten bin ich nah dir, die Ferne,
und wenn eisiger Tod den Gliedern abstreift das Leben,
bin allerorten ein Schatten ich da. Du, Ruchloser, büße.

Vergil, Äneis, 4, 381–386 (Monolog der Dido)

 

Wo aus Urnacht Wasser Schilfe hebt,
die im grünen Dämmerlichte schwanken,
hauchte es dir ein den Trostgedanken,
daß vergebens Sterbliches nicht lebt,
wenn es Wurzeln nähren aus der Tiefe,
Tau des Monds von Traumes Wimpern triefe.

Als du sahst, wie zartes Gras verdorrt,
überm First der Lust ein Unstern funkelt,
hat ein Dämon listig dir gemunkelt,
Liebe sei ein ungeheurer Tort,
wenn aus süßen Blicken, die sie wecken,
Dolche werden, die uns niederstrecken.

 

Okt 16 25

Hungerträume

Da kokett sie lehnte an der Weide,
auf dem Wasser trieb das gelbe Laub,
wußtest du, das Wasser trennt euch beide,
für den Ruf vom Jenseitsufer taub.
Und ihr Mund war schon wie eine rote
Frucht, der Hungerträume herber Bote.

Daß du ihnen könntest Wärme leihen,
wie mit Schnee berieben zarter Haut,
half dir Hauchen nicht noch Benedeien,
aus gepreßten Zeilen drang nur Klagelaut.
Laß nur, Dichter, Traumlaub dich umhüllen,
bis mit Blut sich Frucht und Verse füllen.

 

Okt 15 25

Verblichene Immortellen

Blütensterne, auf ihr Tuch genäht,
Lichtreflexen gleich auf schwarzen Wellen.
Daß ergrünen mögen Immortellen,
hast du Worte ihr ins Herz gesät.
Sturm, er hat die Blüten weggerissen.
Mußt sie, Sommerdüfte, mußt sie missen.

Deiner Verse Taft ist schwermutblau.
Die du eingewebt, die zarten Reben
sind gerötet wie von trunknem Leben.
Trauben leuchten still im Abendtau.
Wie dir bangt, daß sie im Froste blassen,
von der Liebe Sonnenblick verlassen.

 

Okt 14 25

Spät ist sie, die Stunde

Gestrandet sah im Sande Platon Zeichen,
an Kreisen Linien, die sie zart berührten,
und Strahlen, die ins Grenzenlose führten,
doch keine, sich Tagwesen anzugleichen.
Da schien ihm, hoher Sinn hat hier gehandelt,
der Unverwandtes sich hat anverwandelt.

Da unter ihm die Wasser ferner Sagen
das Moos benetzten an der Ufermauer,
Gedächtnis aber gaben Efeuschauer,
sah Hölderlin die Burg ins Blaue ragen.
Da fühlte er der Schwermut Engel drängen
zum Glanz von vaterländischen Gesängen.

Du aber wandelst auf geteertem Grunde.
Ersticktes Flehen aus dantesken Reichen
vermag ein rohes Herz nicht zu erweichen.
Der Krüppel Baum spricht: Spät ist sie, die Stunde.
Und du erkennst, hier wär es wohl vergebens,
vom Keim zu singen, von der Frucht des Lebens.

 

Okt 13 25

Tag der Unbehausten

Trunkner Duft aus Blütenkronen,
dunkles Seufzen aus den Tiefen.
Zwitschern lichtet graue Zonen,
wo wir Unbehauste schliefen.

Durch des Traumes Wimpern bricht
honiggelbes Morgenlicht.

Laß uns mit den Hirten schweifen
und dem Strom der wollenen Herden,
wo die Purpurbeeren reifen,
übers weiche Moos der Erden.

Und die goldne Leier ruht
blitzend in der Mittagsglut.

Ich will sacht die Halme streichen,
die dein nacktes Knie geneckt,
bis die Quelle wir erreichen
und der Kuß nach Dämmerung schmeckt.

Still auf muschelweißem Boot
Venus schwimmt ins Abendrot.

Die gesättigt sind, sie schmiegen
eins am anderen ihr Haupt.
Uns genügt, im Freien liegen,
wo die Ödnis Traum belaubt.

Hast du, Liebe, es gefühlt,
Mond, der wilde Gluten kühlt?

 

Okt 12 25

Süße Resignation

Daß wir noch einmal dürften klimmen
im grünen Dämmerschein,
wo Tropfen goldner Trauben glimmen,
im Rebenhang am Rhein.

Doch bangt uns um die alten Knochen,
ein knirschend-zartes Glas,
ein Schieferblatt, gedrückt, zerbrochen,
geknicktes Ufergras.

Laß, Liebe, Aug in Aug uns schauen,
den Abendglanz auf fernen Auen.

Daß wir noch einmal dürften lauschen
dem hohen Stromgesang,
wenn tiefer weiche Wasser rauschen
im Sonnenuntergang.

Doch fürchten wir, uns überschwemme
mit fahler Glut der Mond,
durchstochen würden Herzens Dämme,
von Stürmen lang verschont.

Laß, Liebe, Herz an Herz uns drängen
und lauschen hellen Blutes Sängen.

 

Okt 11 25

Der unersättliche Wurm

Nachts hast du’s rieseln hören. War es Sand
in Mauerrissen? Nein, aus deinen Knochen,
von Zähnen eines Dämons aufgebrochen,
rann mürbes Mark, ein ausgelaugter Tand.

Nach Fäulnis hat geschmeckt der goldene Wein.
War er gepantscht? Nein, was in ihm gefunkelt,
der Liebe Bild ist jählings eingedunkelt,
und aus dem Dunkel glomm ein Totenschrein.

Vernimmst du aber im Geäst der Zeilen
ein Ach, frag nicht, ob Wörterwülste lasten,
woran dein scharfer Sinn noch müßte feilen.

Der es zernagt, der Wurm wird nimmer rasten,
das Faserwerk der Worte noch zerteilen,
wenn längst ihr Blattgrün und ihr Sinn verblaßten.

 

Okt 10 25

Das Schimmern der Gedächtnismale

Was durch die Erde sich, den harten Felsen frißt,
das weiche Wasser wird im Meere münden.
In Feuern, die den Dichtergeist entzünden,
schmilzt hin das Eis, die Angst im Herzgenist.

Von Versen, südlicher als jedes Wort,
das Sehnsucht hauchte in den kalten Zonen,
weht noch ein Duft bestäubter Blütenkronen,
daß uns der Traum verklärt den kargen Hort.

Und starrst du, Dichter, nur auf Kiesel, fahle,
die knirschend sich im trocknen Flußbett drängen,
die Adern schimmern, die Gedächtnismale

im Glanz von diaphanen Stromgesängen.
Die Rose auch, sie flammt in blauer Schale
und glüht noch nach, wenn sich die Schatten längen.

 



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