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Mrz 19 24

Perlmutt und bunter Schaum

Perlmutt wie matt, der bunte Schaum verschwunden,
Barock der Sommer, Herbst ein Rokoko.
Weißt du, wieso die stille Anmut floh,
die mit den Blüten, keck ins Haar gewunden?

Sie nahm im Park beim Rauschen der Fontänen
aus einer Schale Obst in Karamell,
ein kleiner Hund, ein Spitz mit weißem Fell,
hat leis geknurrt, Schnee blendete von Schwänen.

Die zart sie hob aufs Wasser, Orchideen,
sind lang versunken, und ihr Haar ward grau.
Dir blieb, auf winterkahler Trift zu gehen,

die lieblich sang, ward keines Dichters Frau.
Hat sie den Spielgefährten stumm begraben,
quoll Süße noch aus des Erinnerns Waben?

 

Mrz 18 24

Ein Tag der Liebe

Da rosig schon Magnolienblüten prangen
und Duft wölkt wie der Veilchen Frühgebet,
hat Schauer auch den Efeu überweht,
ein Tag der Liebe scheint uns aufgegangen.

So magst du wohl, als wär dein Fuß beflügelt,
leicht streifen Tau von Halm und zartem Gras,
der Wassersturz, wie hell zerklirrend Glas,
ruft uns zum Teich, wo still ein Schwan sich spiegelt.

Ich streue nur von Versen schwache Funken
dem Pfad, der deinen Schritten Anmut windet,
doch wenn die Dämmerung herabgesunken,

sind sie wie Mücken, die verworren kreisen,
sie glimmen noch, doch ihre Seele schwindet.
Mag uns der Venus Glanz den Heimweg weisen.

 

Mrz 17 24

Goldener Bilder Verlöschen

Aus einer Nische Dämmerung und Staub
schaut noch ein Engel auf die Trümmer nieder,
der Schwestern Flügel und zerbrochne Glieder,
es rankt um ihn schon dunklen Efeus Laub.

Die Hymne, die mit Weihrauchwolken stieg,
ist wie die Glut, die stirbt, kurz aufgelodert,
die Zungen des Gesanges sind vermodert,
der Irrsinn schreit, der lang im Zwielicht schwieg.

So müssen, Liebe, wir denn Abschied nehmen
von goldner Bilder kindlich-reinem Trost,
und wandeln durch die Nacht wie leere Schemen

in hohen Dämmers Schilf am Lauf der Lethe,
den Trank zu trinken, der uns zugelost,
des Dufts vergessen, der im Psalm uns wehte.

 

Mrz 16 24

Aus den Angeln

Philosophische Sentenzen und Aphorismen

Sinn: weder Faktum noch Konstrukt.

Jemand, der trotz faktischer Zugehörigkeit zum männlichen Geschlecht als Frau angesprochen zu werden wünscht, ist entweder krank oder der deutschen Sprache nicht mächtig.

Wir werden einen, der eine Fichte als Tanne bezeichnet, aufgrund des Hinweises auf gewisse botanische Merkmale eines Besseren belehren.

Benennungen oder im Jargon gesprochen performative Sprechakte sind korrigierbar.

Zu glauben, performative Sprechakte machten, was sie benennen, allererst zu einem Faktum, gilt nur bei Benennungen bestimmter sozialer Institutionen, beispielsweise der Freundschaft; nenne ich Hans nicht mehr meinen Freund, ist es mit der Freundschaft vorbei. – Ansonsten, wie im Falle physikalischer und biologischer Tatsachen, ist die Annahme, der Name bringe das Benannte ans Licht der Welt, eine Form magischen Denkens.

Was wir Sinn, Bedeutung und Norm nennen, ist keine natürliche Tatsache; der Evolutionsbiologe, mag er auch eine weltweit anerkannte Koryphäe seines Fachgebietes sein, der behauptet, aus der Lehre Darwins folge, daß der Sinn des Lebens, also auch des menschlichen, in der Optimierung der biologischen Fitness bestehe, ist ein philosophischer Kretin.

Wenn die polygame Lebensweise des Mannes darwinistisch betrachtet von größerem biologischem Vorteil ist als die monogame (mit mehreren Frauen können eben mehr Nachkommen desselben genetischen Musters erzeugt werden), folgt daraus nicht, daß wir, eingeschüchtert durch das pseudophilosophische Geschwätz eines die Grenzen seines Fachgebiets hochnäsig überschreitenden Meisterdenkers, am sozialen Sinn der abendländischen Errungenschaft der Einehe verzweifeln müßten.

Wären normative Gehalte wie Treue, Fürsorgepflicht, Verantwortung und Opferbereitschaft nichts als ein Ausdruck natürlicher Anlagen, müßten sie nicht in Gesetzestafeln gemeißelt, in moralischen Kodizes aufgeführt, gelernt und verinnerlicht werden.

Erwiesen sich die Zurückhaltung und Rücksichtnahme eines Menschen als Ausdruck pathologischer Schüchternheit oder als Form von Masochismus, wären wir ihm nicht zur Dankbarkeit verpflichtet.

Die menschliche Sprache ist ein sowohl faktisches wie normatives Gebilde.

Das grammatische Faktum der deutschen Sprache zu leugnen, daß Substantivbildungen wie „der Lehrer“, „der Arzt“, „der Kunde“, „der Fahrer“ oder „der Bürger“ das natürliche Geschlecht der jeweils benannten Person nicht markieren, ist entweder ein Ausdruck von Dummheit oder ideologischer Verblendung. Ausdrücke dieser Art künstlich und zwanghaft zu sexualisieren („die Büger:innen“) verformt das grammatische Skelett der Sprache und ist somit normwidrig.

Die obszöne Sexualisierung der Sprache ist keine konventionelle Bereicherung ihres Wortschatzes, sondern eine Deformation ihrer grammatischen Struktur.

Der Sprachgeist, der uns gegenwärtig anweht, ist giftig und verursacht Brechreiz.

Der lyrische Rhythmus haucht dem alltäglichen Wort Anmut und Würde ein.

Dichtung vermag das gewöhnliche Wort in eine außergewöhnliche, ja transzendente Atmosphäre zu tauchen.

Der heutzutage beliebte unreine Reim ist ein Ausdruck der Verlegenheit und der Resignation angesichts der Verschmutzung der medial geschändeten Sprache.

Das grammatische Genus für ein geschlechtliches Wesen zu halten blieb den illiteraten Narren des Zeitgeistes vorbehalten.

Allgemeinbegriffe wie Verantwortung, Feindschaft oder Liebe sind Verdichtungen und Kristallisationen von Tätigkeiten. So ist ja Liebe, was Eltern tun, die sich um ihre Kinder kümmern.

Das alte Rom hatte einen sublimen Sinn nicht nur für Abstraktionen, sondern auch für ihre Personifikation. – „Bonus Eventus“ bezeichnet eine ländliche Gottheit, der man für einen guten Ernteertrag Dankopfer darbrachte.

Dummheit folgert aus der Nachricht, daß der Bankräuber eine Geisel genommen habe, es müsse sich dabei um eine Person weiblichen Geschlechts handeln.

Allerdings, als mythische Wesen und als Gottheiten personifizierte Allgemeinbegriffe wie „die Horen“, „die Musen“. „die Parzen“, „die Eumeniden“ oder Allegorien wie „Caritas“, „Bona Fides“, „Spes“ und „Iustitia“ sind Feminina – und diese grammatische Eigenschaft verdankt sich gewissen natürlichen Eigenarten des weiblichen Geschlechts.

Die neuronale Struktur der Sprachzentren des menschlichen Gehirns hat keine Ähnlichkeit mit der grammatischen Struktur der menschlichen Sprache.

Grammatiken sind keine bloß konventionellen Gebilde, auch wenn die artikulierten Laute in Bezug auf die gemeinten realen oder irrealen Gegenstände mit Ausnahme der Onomatopoesien konventionell sind. Sie wurzeln tiefer, beispielsweise im Thymos, im Ethos und der Weltsicht der Sprecher.

Es gibt gereimte und ungereimte Gedichte; aber es ist kein Zufall, daß die antiken Sprachen aufgrund der quantitativen Silbenmessung die ungereimten lyrischen Gattungen der Ode, der Elegie und des hexametrischen Epos ausgebildet haben, die akzentuierenden germanischen und romanischen Sprachen aber den Stabreim und den Endreim.

Grammatische Formen ermöglichen uns, nicht nur konkrete und abstrakte Gegenstände und Ereignisse zu bezeichnen, sondern auch, sie in temporale, modale und logische Bezugssysteme einzuordnen.

„Die gestrige Examensprüfung hat der Student bestanden.“ – „Daß der Geselle die morgen anberaumte Meisterprüfung bestehen wird, darf er wohl hoffen, weil er sich hinreichend darauf vorbereitet hat.“ – „Obwohl er fleißig gebüffelt hat, wurde dem Schüler die Klausur zu einem Debakel.“ – „Hätte der Kandidat nur eifrig gepaukt, wäre er nicht durch die Prüfung gefallen.“

Insbesondere die grammatische Möglichkeit zur Bildung des irrealen Konditionalis ist ein Eckstein für das philosophische Leistungsvermögen unserer Sprache. – Beispiel: Wären die Anfangsbedingungen der Entstehung des Kosmos um ein Jota von den tatsächlichen abgewichen, würden wir nicht existieren.

Je stärker das Gefälle, umso heller rauschend der Strom. – Die Steigerung des dichterischen Ausdrucks ist eine Funktion der Beschränkung seiner metrisch-rhythmischen Bedingungen.

Wir können das Präsens als unmarkiertes Tempus verwenden; so wenn wir sagen: „Wir sind miteinander befreundet“ oder „Ich pflege in der Nacht zu schreiben.“ In der Dichtung finden wir den Gebrauch des Präsens als Form der Evokation einer unbestimmten, unwirklichen, ja traumhaft zeitlosen Gegenwart, wie etwa bei Stefan George:

Der hügel wo wir wandeln liegt im schatten ·
Indes der drüben noch im lichte webt ·
Der mond auf seinen zarten grünen matten
Nur erst als kleine weisse wolke schwebt.

Die Dichtung vermag die Sprache gleichsam aus den Angeln der temporalen und logischen Alltagsverortung zu heben. – Daher ist sie den Zwängen und Engen der Alltagsprosa entrückt, deren Pforten leicht zu öffnen, aber auch zu schließen sein müssen, aus welchem Grund sie in den festen Angeln grammatisch-logischer Strukturen aufgehängt sind.

Wenn indes prosaische Geister die Sprache aus den Angeln der Grammatik heben, ist das Ergebnis alles andere als poetisch.

Die Sprachquader eines Livius, Caesar, Sallust oder Tacitus; der Quark, der aus den Spalten der Gazetten quillt.

In vielem ähneln die Psychiatrie und die Psychoanalyse einer rationalisierten Form des Exorzismus.

Die Pschoanalye ist der vergebliche Exorzismus jener Geister, die sie selbst heraufbeschworen hat.

Es sind die alten, aus dem gelichteten Wald der Aufklärung geflohenen Geister und Dämonen, die im Dickicht kranker Nerven und im verhedderten neuronalen Netzwerk des Psychotikers Unterschlupf gefunden haben. Dort hört er sie wimmern und klagen oder muß schmerzhaft fühlen, wie sie verzweifelt an seinen Empfindungsfasern zerren.

Die groteske Epiphanie der Musen im Stimmenhören des Wahns.

 

Mrz 15 24

De multa desperationis nocte

Hat nachts gepocht wer an das Fenster?
Es war ein Zweig, vom Wind zerbrochen.
Hat unterm Dach nicht wer gesprochen?
Geschwätzig sind die Angstgespenster.

Es löst sich ab der Silberfaden,
der deinen Geist einst fest umwickelt,
du siehst dein eigen Bild zerstückelt
von einem Richter sonder Gnaden.

Sind Quellen noch dem Hoffnungslosen,
die unterm Kuß Selenes singen,
sind Knospen übrig, Hauch zu schwingen,
ward kalt dir auch die Glut der Rosen?

Nein, niemand kommt, mußt einsam liegen,
umsonst den Schwamm Erinnerung pressen,
der Liebe harte Kruste essen,
kein Vers rauscht, mit dir aufzufliegen.

 

Mrz 15 24

Something beautiful

(Gospel, Autoren: Gloria/Bill Gaither)

Something beautiful, something good,
All my confusion He understood.

All I had to offer Him was brokenness and strife
But he made something beautiful of my life.

If there ever were dreams
That were lofty and noble,
They were my dreams at the start,
And hopes for life’s best were the hopes
That I harbor down deep in my heart.

But my dreams turned to ashes
And my castles all crumbled, my fortune turned to loss.
So I wrapped it all in the rags of life
And laid it at the cross

 

Der Gnade Strahl verklärt mein Angesicht,
und meines Irrsals Dunkel macht Gott licht.

Scherben, Splitter nur konnt ich Ihm geben,
Er fügt den Krug, gießt ein mir neues Leben.
Und wurden Träume je geträumt,
die edle Knospen auf ins Blaue sprossen,
so waren’s meine, Saat aus goldnem Korn.
In Ströme, die ins Fruchtland flossen,
quoll mir der Hoffnung tiefer Born.

Ein Sumpf der Quell, die Blüten bittre Aschen.
Sturm hat mein Heim verheert, die Tenne leergefegt.
Ich hatte nur noch Spreu in meinen Taschen
und hab sie unters Kreuz gelegt.

 

Siehe auch (mit variiertem Text):
https://www.youtube.com/watch?v=T3Qb829-kZM

 

Mrz 14 24

Verblaßte Blume

Der weiche Dunst der Dämmerung war Schnee,
im Schlaf ein kaltes Knirschen wie von Kufen,
dann hörtest du in heißem Zwitschern rufen,
bald taue auf der zugefrorene See.

Die Sonne, ein Rubin auf blauem Samt,
geschliffen wie Dionysos zum Ruhme,
du aber dachtest an die Purpurblume,
wie sie in ihrem schwarzen Haar geflammt.

Ein Seufzen zwischen Schilfen war der Mond,
wo ihr in hoher Sommernacht gegangen,
die dunkle Parze hat euch nicht verschont,

auch wenn von Wiederkehr die Wellen sangen.
Die Blume blaßt, gepreßt im Buch der Lieder,
ein toter Glanz geht deine Sonne nieder.

 

Mrz 13 24

Die Besessenen

Es sind die Geister, Götter und Dämonen
geflohen aus dem aufgeklärten Wald,
mit ihnen zog der Mythen Bildgewalt,
als Irrlicht in der Seele Nacht zu wohnen.

Dem Kranken tropft es von der Schädeldecke,
der Nymphe hörbar, nicht dem Stethoskop,
wem Fluch und Zischen in die Rede stob,
ahnt nicht, daß ihn des Bacchus Schlange necke.

Der Kriegsgott ward zum Flammenmenetekel,
das ins Gehirn von Somnambulen zuckt,
und Venus läßt erbrechen sich vor Ekel

den edlen Sinn, der Genderbrei geschluckt.
Die Seele, die der Quelle Glanz vergessen,
siecht hin, von Schatten ihrer selbst besessen.

 

Mrz 12 24

Ruina venustatis

Die weiße Orchidee im schwarzen Haar,
hat zart die Knospe Anmut dir geschwungen,
still lächelnd hast du vor dich hin gesungen,
aus blauen Quellen trank dein Blick sich klar.

Und was du sagtest, war wie grünes Laub,
wenn Blätter unter Tropfen dunkel zittern,
in lauer Luft von Sommernachtsgewittern
stob, was du fühltest, auf im Blütenstaub.

Ich sah dich wieder, und dein Haar war Schnee,
die Sklavin eines Stocks bist du gehumpelt,
die Wimpern grauten, Schilf an trübem See.

Gleich einer Frucht, im Dämmerlicht verschrumpelt,
troff müden Seufzens Schaum von deinen Lippen.
Ein leeres Nest hing hinter kalten Rippen.

 

Mrz 11 24

Auf dem Kreuzweg

Da wir den alten Kreuzweg nachtwärts schritten,
Relief gab Kerzenflackern dunkler Qual,
ist unter uns ein Seufzen hingeglitten
vom Laub, das einst gegrünt am rohen Pfahl.

Und jeder Dorn an des Erwählten Schläfe
stach in der Lauheit taubgewordne Haut,
es war, als ob sein lichter Blick uns träfe,
was uns betäubte, Kaltsinn wär getaut.

Wo aus der Wunde Blut des Heils geronnen,
schien eine weiße Lilie aufgeblüht,
die roten Tropfen wären Gnadensonnen,

die unser kaltes Antlitz überglüht.
Wir küßten wie im Traum das Totenlinnen,
wir fühlten feuchten Glanz ins Dunkel rinnen.

 

Mrz 10 24

Finis gloriae

Zerfressen liegt der Mumie Verband,
gesalbt und eingewickelt für Äonen.
Unsichtbar sinkt der Bau der Pharaonen,
in Gottes Auge lang schon Sand im Sand.

Der Jungfrau Schritte auf dem Palatin,
wie rasch verhallt, zu Asche ward das Feuer.
Es bröckelt auch der Oden Prunkgemäuer,
zersprengt von Lärm und Disteln, vor sich hin.

Der Krummstab, der den Weihbezirk gerahmt,
was heilig vom Profanen abzuscheiden,
ist in der Unzucht Fäulnisschlamm erlahmt.

Stumm ist der Mund, der einst den Segen sang,
die Schlange zischt, wo keine Hirten weiden.
Am Baum des Lebens nahm das Wort den Strang.

 

Mrz 10 24

Die entlaufenen Hühner

Wer ließ sie flattern aus dem dumpfen Stalle,
daß überall ihr Scharren öd und schrill
ihr albernes Gegacker widerhalle?
Laut ward das Huhn, der Gockel aber still.

Der Hahn hat selbst den Kamm sich abgeschnitten,
den stolz geschwellten, sich gekappt den Sporn,
als Schatten seiner selbst nur noch gelitten,
kräht er nicht mehr, ein Heros ohne Zorn.

Daß Füchse auf die unbewachten lauern,
die Hühner, schwärmen sie Mänaden gleich,
das graue Herz des Hahns wird es nicht dauern,

schwirrt auch Gefieder bacchisch rot statt bleich.
Wer wieder schließt sie in des Pferches Schranken,
burleske Epen sollen um ihn ranken.

 

Mrz 9 24

Aus dem Abgrund Rosen

Wie traurig-schön floß uns die Melodie,
als aus der Knospen somnambulem Wogen
das Abendrot noch süßen Duft gesogen,
du aber legtest mir dein Haupt aufs Knie.

War es die Stimme, die um Nacht gefleht,
den Schmerz im Tau des Mondes sich zu kühlen,
entquoll ein Lied aus brunnendunklem Fühlen,
daß über ihm der Stern der Liebe steht?

Du hobst den Blick zu mir, den wehmutfeuchten,
als würde nie ein Tag uns wieder leuchten.
weil Düsternis das blaue Lied erstickt.

Und aus dem dunklen Abgrund sind gestiegen,
um sich um Eos holde Stirn zu schmiegen,
die Rosen, und du lächeltest entrückt.

 

Mrz 8 24

Sapphos Frühlingslied

Sie selbst, sie lädt die hohe Göttin ein,
mit ihr zu feiern unter Blüten, weißen,
auf Marmorsitzen, die wie Monde gleißen,
der Sonne Frucht zu trinken, goldnen Wein.

Ein Wehen geht, und Himmelsanmut schneit
um jene, die aus Purpurschaum geboren.
Gestalt des Lichtes ist sie reinen Toren,
Dunst Epigonen, die nicht eingeweiht.

So dringt der Sappho Frühlingslied wie Duft
durch Ritzen unsrer dumpfen Schattengruft,
vom Garten Eden einer fremden Erde.

Wir denken uns ein Schwingen von Kristall,
der Quellen nächtlich-blauen Widerhall,
doch keiner ahmt sie nach, die Dankgebärde.

 

Mrz 7 24

Stern der Liebe

Die Mücken schwirren, glänzen schwarz und blau,
magst, Sommertag, ein spätes Glück bescheren.
Der Herbstwind wird die hohle Spreu noch kehren
von manchen Herzens Tenne, kalt und grau.

Komm, streifen wir am Uferschilf entlang
und biegen Halme uns zum warmen Schatten.
Damit wir unter Küssen nicht ermatten,
ertönt der Ruf des Kuckucks schluchzend-bang.

Gleich einem Lampion, den man vergaß,
beglänzt der Mond den Tau im hohen Gras.
Ach, wie du zitterst, weht der Wind so kühl,

der dunkle Rückweg, macht er dich verzagt:
Es ist ein Stern, der uns von Heimkehr sagt,
im Dunst wohl fahl, doch flammend im Gefühl.

 

Mrz 6 24

Tot ist Endymion

Blaß schwebt der Mond, tot ist Endymion,
an kalter Schönheit Glanz ist er erfroren,
die Erde hüllte ihn in schwarzen Mohn,
o Blume, meinen Versen auserkoren.

Sitz einsam ich auf einem Ahnenstein,
im Dickicht lauern maskenstarre Schrecken,
hoff ich umsonst, mir bergen Trauben Wein,
ein trüber Dunst nährt Disteln nur und Quecken.

Und les ich dort Eklogen des Vergil,
ist mir, des Hirten süßes Flötenspiel,
dem Dunkel eine Seele einzuhauchen,

zerrinnt wie Tau an Lethes Ufergras –
als wär die Dichtung wie ein Zauberglas,
das graue Herz in grüne Nacht zu tauchen

 

Mrz 5 24

Hundehüttenkleine Stanzen

Das Hündlein liegt nicht an der Kette, nein,
es hat ein Hüttchen wohl, doch steht’s im Warmen,
dort schlummert es auf Seidenkissen ein,
tät’s räumen gar, sich meiner zu erbarmen.
Ein müder Dichter will gern kynisch leben,
leis winselnd von der Muse Kunde geben.

Doch freudig wedelt mir das Hündelein,
ich hoff, der Sommertag mag freundlich werden.
Laß, krummes Holz, die Fünfe grade sein,
die Sonne soll mir kreisen um die Erden.
Ward auch verschluckt der Ball vom hohen Grase,
sie spürt ihn auf, die feine Schnüffelnase.

Am Ufer ist gut sitzen, weich umspült
der Fuß und auch der Seele trockne Rinde,
ihr ist, als ob sie Jugendfrische fühlt,
dreht sich ins Leere auch das Herzgewinde.
Das Hündchen aber kaut an einem Stecken,
bis er zerbröselt, müssen Zähne blecken.

Zieht auf der Welle träumerisch hinab
ein Blütenkelch, denk ich der Zeit, der frühen,
da sie die Lippen mir zu trinken gab
und feuchter Glanz ertränkte dunkles Glühen.
Wie dankbar bin ich, weckt mich heißes Kläffen,
daß bleiche Larven mich nicht länger äffen.

Der volle Mond hängt schon im Busch und glotzt,
nun geht’s nach Haus, wo niemand unser harret.
Hab ich dem Tag noch Verse abgetrotzt,
tief ist das Grab, wo sie die Nacht verscharret.
Wie lieblich klingt dem Schlaflosen das Keuchen,
wenn Schatten einen Hund im Traume scheuchen.

 

Mrz 4 24

Schatten-Madrigale

Was abwesend, mag ins Wort noch scheinen,
lieber Schatten, den wir hören weinen,
und ein goldner Tropfen ist, der schwimmt
über einer Zeile grünen Saum.
Schwach im Dunkel unterm Blattwerk glimmt,
was dem Sinn verloren, Schaum.

Daß verloren sei kein Hauch der Frühe
und das Wort im Abendrot erglühe,
ist ein Vers von Reben zart umrankt,
wo der Reim herabtropft gleich dem Tau,
wo die Traube goldner Stille schwankt,
bis die Nacht kommt, veilchenblau.

Bleibt auch duftlos, was auf schmalem Raine
des Gedichtes keimt, es blüht zum Scheine,
wie der Mond auf weich beschneitem Hang,
doch was unter Frühlingsschauern quillt,
ist wie ferner nächtlicher Gesang,
der den leeren Abgrund füllt.

 

Mrz 3 24

Wenn Unzucht malt

Traurige Madrigale

Wenn Unzucht phantasiert und malt,
verschmiert den Blick sie, der noch strahlt,
mit trübem Brei,
dem dumpf-sterilen Einerlei,
das bangen Hoffens Adern stopft,
wo dunkel noch ein Puls geklopft.

Und was an kalten Schimmern sie verspritzt,
hat sie dem trocknen Hirn sich abgewitzt.
Es kennt der Liebe Tränen nicht
das spöttisch grinsende Gesicht.
Und wo versiegelt hat das Wort den Mund,
zischt züngelnd eine Schlange aus dem Schlund.

Wenn Unzucht deliriert und schreibt,
beugt sich der Sinn, den Worten einverleibt,
in einen Abgrund leerer Zeit,
aus dem der Dämon der Verneinung schreit:
„Ich drehe alles Wahre um,
das Salz ist schal, die Liebe dumm.“

Und was sie lodern läßt in toter Nacht,
sind Opfer, Satan dargebracht,
Ikonen hoher Schau,
der Blüten reines Blau,
bis auf den Zeilen graut
verkohlten Wortes Haut.

 

Mrz 2 24

Hüter der Schwelle

Die, was unberührbar, sollen wahren,
rufen Heilige an und Engelscharen,
daß der hohe Geist mit ihnen sei.
Und sie hüten des Altares Schwelle
vor der Trübsal seufzend-grauer Welle
und gemeinen Jammers Litanei.

Still verborgen unter Schattenlauben
schwellen süßen Liedes goldene Trauben,
und die Perle schläft im Muschelschaum.
Nur erwählte Hand darf sie uns pflücken,
nur dem Meister kann die Kelter glücken,
und das Kleinod ziert der Schönsten Saum.

Pöbelgeist soll nicht den Duft verseuchen,
Unzucht nicht bei Hymnenknospen keuchen,
so verschleiert Weisheit ihren Blick.
Denen Efeu an den Klagemauern
Lüfte blauer Tiefen überschauern,
Frommen zieht den Schleier sie zurück.

Es vermaßen feierlich Auguren
mit dem Krummstab die geweihten Fluren
für den Tempel, das geheime Bild.
Gläubig bitten Schatten nicht vergebens
um das lichte Wort erfüllten Lebens,
Licht, das aus der Liebe Wunde quillt.

 

Mrz 1 24

Erweckt aus Finsternissen

Gesichter, rissiger Lehm und matter Ton,
die bangen bröckeln und die dumpfen starren,
die einen wie die andern Todes Narren,
der leere Blick spricht vollem Munde Hohn.

Doch jene straffte, hellte auf ein Strahl,
das Lied, das sie erweckt aus Finsternissen,
und goldener Glanz wie Tau auf Blütenkissen
hat sie gelockt zum abendlichen Mahl.

Die ausgebleichten Larven fallen ab,
wenn Flügel dunkler Engel Nachtwind fächeln,
die Sonnengeste läßt die Frommen lächeln,
da Brot sie ihnen, Wein der Liebe gab.

Schab, Dichter, ab den Grind der trocknen Silben,
laß unbeweint die Knospe Lied nicht gilben.

 

Feb 29 24

Flucht in die Wüste

Die Wüste glüht, dann kühlt des Mondes Glanz.
Es engt den Dichter im Metaphernkleide,
sieht funkeln er der hohen Nacht Geschmeide,
den Prunk des Nichts, verzückter Sonnen Tanz.

Huscht auch die Wüstenmaus, kreuzt der Skorpion,
wischt zuckend eine Schlange ihre Kreise,
das Sandmeer rauscht wie Dichters Verse leise,
weit vom Geschrei der Schlacht um Ilion.

Vers-Wandel ist wie Dünung monoton,
sieht er auch manchmal wie in grünem Glase
fern Palmen wehen: eine Wahn-Oase –
ihm hat den Durst gestillt der Nachttau schon.

Schneid, Dichter, ab den medialen Faden,
geh einsam auf den Spuren von Nomaden.

 

Feb 28 24

Der Teufel als Dichter

Ein Falter klebst du dumpf an Blumenlippen,
da schon das Gift brennt zwischen Herz und Rippen.
Der Dämon tändelt, bis sein Kotmund küßt.
Wenn Feuerzungen deine Stirn umschnalzen,
mußt bald ins Abseits du mit Schatten walzen.
Wild ist der Wirbel, daß du dein vergißt.

Und hängst dem Gaukeldenker du am Munde,
träuft lichte Tropfen er in deine Wunde,
die dunkler gluckst, in stummer Nacht allein.
Diabolos mag mit Metaphern protzen,
den Widersinn dem wahren Sinn abtrotzen.
Was schön, verblaßt, was schmutzig, leuchtet rein.

Im Hecheln und im Sirren soll nicht dauern
der reine hohe Ton, soll niederkauern
vorm grellen Stimmenwirrwarr Babylon.
Den Spiegel zu zerschlagen blauer Stille,
den Vers in bunte Splitter ist sein Wille,
er quetscht das Wort wie ein Akkordeon.

Von Todesschwulst siehst du den Versfuß schleimen,
ein Popanz will auf Talmiglanz sich reimen:
Der Teufel schäumt, ein Dichter dionysisch.
In süßem Schwindeln dreht sich aus der Mitte
der Sinn des Worts, als ob’s zum Orkus glitte.
Besessenen duftet Vers-Dung paradiesisch.

 

Feb 27 24

Spät auf dem Dornenpfad

Dem Andenken an Charles Baudelaire

Spät ächze ich noch auf dem Dornenpfad,
allein, gesanglos, ohne Weggefährten.
Verfallen sind der Ahnen Rebengärten,
der Wein des Einsamen, er schmeckte fad.

Aus der Erinnerung dumpfem Fluidum,
wie wölken auf die Bilder, gleisnerische:
Die Schatten dort an ländlich-kargem Tische,
sie bricht das Brot, er küßt die Stirn ihr stumm.

Und wie die Schöne mir das Bild gezeigt,
das Marterbild, den Dichter der Franzosen.
Der Mutter Antlitz, hell vom Brand der Rosen,
und war ihr Herz ins Dunkel schon geneigt.

Laß wölken hin, der Pfad steigt himmelan,
daß ich vom Rand noch mag im Abgrund schauen
den Strom der Heimat in der Dämmerung grauen,
weiß nicht, wann mir zu rauschen er begann.

Weiß nicht, wann mich das Rauschen hat betäubt
und konnte nicht der Worte Sinn mehr fassen,
den Faden, der mich hielt, mußt fahren lassen,
und ward ein Sproß, von fremdem Keim bestäubt.

Und komm ich dann zur Höhe, atemlos,
glänzt sie wie eine Muschel, mondenhelle,
im hohen Grase noch, die Waldkapelle –
das Haupt, o birg es in der Jungfrau Schoß.

 

Feb 26 24

Hinabgestoßen

Was dir das Aug hat überfeuchtet,
du weißt es nicht und fühlst es kaum.
Mir aber hat es noch geleuchtet
in einem wirren, bangen Traum.

Wie Münzen matt und abgegriffen
sind Worte um- und umgewandt.
Die Sinnkristalle, lichtgeschliffen,
hat überweht des Chaos Sand.

Das Gras, da wir ihn sahen rinnen,
den goldnen Tau, ist abgemäht.
Der Rosen purpurrote Minnen
zerriß die Hand, die sie gesät.

Umrankte Runen, unlesbare,
ergrauten Herzens Jugendschrift.
Des Liedes Zug ins Heiter-Klare,
erlahmt auf überwachsner Trift.

Wie Muscheln, die sich nächtlich schließen,
wer weiß, ob eine Perle reift,
stößt uns hinab ins dunkle Fließen
der Meergott, der, was glänzt, ergreift.

 

Feb 25 24

Zürnen, wem Zorn gebührt

Die uns ständig auf der Nase tanzen,
was wir denken sollen und wie sprechen,
uns zu dekretieren sich erfrechen:
Bonzen, Parasiten, Medien-Schranzen.

Die obszön vor uns die Glottis schlagen,
schamlos uns bedrängen, all dem abzuschwören,
was wir Papageno haben singen hören,
Mephistopheles soll sie zum Blocksberg jagen.

Geistig Pervertierte, die uns zwingen,
das Gesetz polarer Zeugung zu verneinen,
daß nur Mann und Frau sich echt vereinen,
sollen in den Abort der Chimären springen.

Die das Muttertum, die Ahnenehre ächten,
Unfruchtbare, die den Trost bespeien,
den sich gleichen Schoßes Schößlinge verleihen,
sollen einem Mannweib Zöpfe flechten.

Und die Kinder pädagogisch schänden,
Schamgefühles zarte Haut zerfetzen,
ihren holden Sonnensinn zersetzen,
mögen wie die Hex im Märchen enden.

Die in edlen Geistes blaue Venen
der Gemeinheit Lymphe injizieren,
daß der Dichter kriecht auf allen Vieren,
werfen wir zum Fraß vor den Sirenen.

Die uns Fusel in den Wein der Dichtung kippen,
was wie Stromgesang noch konnte gleißen,
mit barbarischem Gekreisch zerreißen,
stoßen wir von Lores schroffen Klippen.

Fragen magst du, was der Herr wohl dazu meinte:
War sein Zorn das Rückgrat nicht der Güte?
Denk, was ihm gemäß den Pharisäern blühte,
wenn er auch, was uns versagt, um Zion weinte.

 

Feb 24 24

Das späte Glück

Es rieselt über Moos und Steine,
dir ist, als ob die Waldnacht weine,
weil ihr kein Mond geschienen hat.
Am Quietschen ferner Straßenbahnen,
dem Knattern morscher Wetterfahnen
hört sich die Wehmut niemals satt.

Auf Kindheitsfotos zu betrachten,
wie die geschminkten Masken lachten,
es macht dich froh und etwas bang.
In Jugendbriefen zu entziffern
die albern-süßen Liebeschiffern
läßt fühlen dich verklungnen Klang.

Vernimmst du die chinesische Flöte,
den Zauberton von Hafis-Goethe,
bist du erfüllt vom Augenblick.
Gehst du im Abendrot selbander
mit ihr in stillem Traummäander,
umhaucht es dich, das späte Glück.

 

Feb 23 24

Das Verstummen der Gesänge

Wie in der Dämmerung Wasser singen,
als wollten sie uns Kunde bringen
von reinen Ursprungs dunkler Qual.
Die Blüten, die auf ihnen treiben,
sind wie Geliebte, die nicht bleiben,
und ihre Wangen werden fahl.

Und in den Nächten rieseln leise
durch zartgebognen Grases Schneise
Gesänge, hell und rätselsüß.
Die wunde Liebe will sie deuten,
den Schaum der Linderung erbeuten,
und sinkt ins stumme Herz-Verlies.

 

Feb 22 24

Gestalt des Lebens

Du siehst an Baum und Blatt, an Blütenblicken
kein Zeichen, das ins Grübeln will verstricken,
ob die Gestalt des Lebens sich verneint.
Mag heißer Strahl, die Peitsche Sturm es quälen,
kein Leben mag den Schatten sich vermählen,
auf daß es liebeskrank sich selbst beweint.

Wenn Schicksal eine Pfote auch zerfetzte,
der treue Hund reckt hin die unverletzte,
und offen glänzt sein Auge deinem Blick.
Der Dorfidiot, dem nie ein Weib sich schenkte,
fand Trost, wenn sich der Pferdenacken senkte,
ein Schnauben hielt vorm Abgrund ihn zurück.

Doch die ihn suchen, werden ihn nicht finden,
der Sinn kann sich nur wie die Ranke winden
um einen Stamm, den dunkle Erde nährt.
Die eitel eignes Mark zerdachten, fliehe,
ihm danke, daß er dich ins Blaue ziehe,
dem Duft des Worts, der allen Zweifeln wehrt.

 

Feb 21 24

Wie träumerisches Blumenstecken

Wie durch das Riedgras weich die Schneise
entführte dein Gesang uns leise,
als gaukelte der Mond im Ried.
Das Gras hat aufwärts sich gebogen,
als wär es aus dem Nest geflogen,
entschwand es uns, das süße Lied.

Wie träumerisches Blumenstecken,
mit dunklem Mohn die Rose necken,
war, was du sagtest, schwerelos.
Und mußten all die Blüten fallen,
das lichte Wort mit Schatten wallen,
es blieb der Nacht Tauglanz im Schoß.

Wie Kinder sich im Nebelgrauen
auf dunklem Pfad nicht weitertrauen,
schien uns, daß wir verloren sind.
Doch sahen wir die Schleier reißen
und Blüten rings, die blau und weißen,
trug fernen Sang uns zu der Wind.

 

Feb 20 24

Gezählte Takte

Wer wie der Dichter sieht mit wachen Ohren,
der weiß, des Lebens Takte sind gezählt,
nicht geht das Jawort ihm, das Ach verloren,
wenn sich die Liebe mit dem Tod vermählt.

Verzückter Seelen gleichgestrichne Saiten,
smorzando führt den Bogen er, Zigan.
Die in das Schilf der Dämmerung muß gleiten,
der Welle Elegie, sie schäumt dem Schwan.

Des Orpheus Leier, treibend auf den Fluten,
tönt noch, am Strahl des Silbermonds erwacht.
Die Rosen Rilkes scheinen zu verbluten,
als tropften Verse aus der Wunde Nacht.

Reiß, Dichter, zwischen Ja und Nein die Lücke
aus blauer Stille, daß sie uns entrücke.

 

Feb 19 24

Das Heil in der Flucht

Wir rütteln Sankt George auf im Grabe,
ob er ein Heilkraut für die Schwären habe,
wovon die Muttersprache faulig näßt.
Ein müder Wink kommt nur, es sei vergebens,
er habe schon die Glut des Dichterlebens
umsonst auf den Gespenstermund gepreßt.

So müssen wir das Kauderwelsch ertragen,
wenn irre girrend sie die Glottis schlagen,
hinunterschlucken, was zum Speien reizt,
verschleiern Herthas nordisch-blonde Locken,
daß keine dumpfen Zwitterhaften stocken,
wenn sie mit Funken nicht und Blicken geizt.

Vielleicht, daß wir mit jenen kindlich Frommen
in das Verlies, das dämmernde, entkommen,
wo lichtes Wort die Dunkelheit bezwingt,
daß wir auf fernen unentweihten Auen
wie Eremiten graue Zelte bauen,
dort, wo der Wind dem Grase Psalmen singt.

 

Feb 18 24

Vor und hinter den Kulissen

Der Himmel veilchen- oder fliederblau,
Hügel davor, zerlaufene Soufflés.
Nicht auch ein Bach? Ach was, ein Teich,
Blumen von Monet? Nein, von O’Keeffe.

Der Junge liegt im Gras. Im Heu? Im Gras.
Die Waden nackt, die Bluse offen, liest.
Kleines weißes Knäuel gleich daneben,
Hündchen, das nach Mücken schnappt.

Was mag der Bub wohl lesen?
Der Titel ist verdeckt, muß heiter sein,
das Büchlein, hin und wieder
hört man ihn lauthals lachen.

Hinrollt das Knäuel und es bellt
herzzerreißend im Diskant.
War’s ein Hase, der vorbeigehoppelt?
Das Dickicht ist recht hoch. Lugt dort ein Löffel?

Kleine weiße Wolke auf azurnem Grund,
sie färbt sich langsam rot.
Es will, scheint’s, Abend werden, Vers um Vers,
peu à peu, auch ohne Reim.

Geht denn der Junge nicht nach Haus?
Noch nicht. Kramt einen Apfel
aus der Tasche, reibt ihn am Ärmel ab.
Hört man das Fruchtfleisch knacken?

Nein, den lauten Biß deckt Rauschen zu,
das nun durch Büsche geht und Bäume. Verschluckt
sogar das Schlabbern, wenn die rote
Hundezunge übers weiche Wasser leckt.

Da, er wirft den Grotzen hinter sich,
das Knäuel pest gleich hintennach.
Der Junge aber pfeift durch seine Finger.
Es rast, der Butzen fällt ihm aus dem Maul.

Sie gehen heim, zwei Kameraden,
die Tasche baumelt an der Schulter.
Dann und wann springt das Tier danach,
alle Viere in die Luft gestreckt.

Endlich nimmt der Bub etwas heraus.
Der Hund sitzt andachtsvoll und gibt die Pfote.
Er hält’s ihm hin. Ein Würstchen? Wir können’s
aus so weitem Abstand nicht erkennen.

Jetzt sind sie nur noch kleine Flecken
in der Ferne. Da muß das Dorf sein
mit dem Zwiebelturm der Kirche. Ob Früh-,
ob Spätbarock, zu spät, die Dämmerung obsiegt.

Wie Tropfen Milch, die man in dicker
brauner Schokolade hat verrührt,
im dunklen Trank verschwinden,
sind sie verschwunden.

 

Feb 17 24

Das Weltbild

Wie Pulse von des Lebens Fülle künden,
muß seine Strahlkraft im Geheimnis gründen,
was wir bezeugen, sang in unserm Blut.
Das blanke Wasser kann getreu uns spiegeln,
der Wolke Schatten wird das Bild versiegeln,
der Pfeil des Blicks, er kehrt zurück und ruht.

Aus Nebeln tauchen Spiele, Rituale,
im Abendlicht erglänzt die Opferschale,
und goldner Tropfen rinnt zur Erdennacht.
Das zähe Wort löst sich in Traumgesängen,
gedämpfter Flötenklang aus Tempelgängen,
dem Starren ward ein weicher Hauch entfacht.

Ein Dichter-Philosoph mag es erschauen:
Wie Ströme sind wir, die durchs Dunkel blauen,
die Welle, sie begrünt und sie zernagt.
Ans Ufer schwemmen wir die fremden Keime,
wie an der Verse Ränder leise Reime,
bis uns das Schilf des Dämmers überragt.

 

Feb 16 24

Dämmern, Zögern, Säumen

Wir wandeln Pfade nun, die sacht sich winden,
wie Ströme, die in blaue Tiefe münden,
und was wir fühlen, ist so leicht wie Luft.
In uns ist Nacht, umstrahlen uns auch Sonnen,
wir schweigen, rauschen dunkel ferne Bronnen,
und was wir sagen, schwindet hin wie Duft.

Und mögen Worte uns wie Laubwerk streifen,
wir sehen nicht die Frucht des Lichtes reifen,
wir zögern, wenn die Dämmerung noch singt.
Die zarten Blüten mag nur Gluthauch pflücken,
ihr Schneien kann den Säumenden entzücken,
wie heller Ton, wenn Porzellan zerspringt.

 

Feb 15 24

Geduld des Dichters

Wie fauler Fusel nach dem Saufgelage
stinkt jedes Wort, vom Ahnengeist geliehen,
das sie gegurgelt und dann ausgespien,
im Abort schäumen Mär und Wundersage.

Barbaren, die auf Herthas Veilchen spucken
und Romas edlen Lorbeer niederreißen,
Gedichte, die wie Schnee auf Gipfeln gleißen,
und sich nicht in ihr Phrasendickicht ducken.

Doch sagt ein Wehen schon vom Ungewitter,
und stumme Blitze sind wie Götterboten,
daß auferstehen aus der Nacht die Toten,
hell blühen wird das Wort am Schattengitter.

In Katakomben harre mit den Frommen,
bis, Dichter, deine Engel wiederkommen.

 

Feb 14 24

Indianer spielen

Sie strahlten blau und rot und grün, die Federn,
wie eine Aureole um dein Haupt.
„Howgh!“ rufen, das war damals noch erlaubt,
verzierter Tomahawk, ein Gürtel, ledern.

Von Mutters Schminke bronzen Stirn und Backen,
darauf geritzt die Runen edlen Stamms,
und Fransen flatterten am Kriegerwams,
auf Ärmeln und Schlaghosen wilde Zacken.

O Tanz-Geheul ums wachtraumhelle Feuer,
das Herz des Wandlungszaubers hat gebrannt.
Von Sittenwächtern ward der Spaß verbannt:
Indianer spielen – Frevel ungeheuer.

Wir wollen fesseln sie an Marterpfählen,
den Skalp von ihren hohlen Schädeln schälen.

 

Feb 13 24

Tau des Nachtgesangs

Wenn wir dem Leid des Tags nachsinnen,
hat’s auch in Farben sich zerstreut,
schenkt Dämmerung uns Trost erneut,
mag Tau des Nachtgesanges rinnen.

Gedenken wir, die von uns schieden,
gleich Blüten, barsch vom Wind gepflückt,
blieb uns ein Duft, der sanft berückt,
zu wähnen, daß sie ruhn in Frieden.

Wenn wir sie niedersinken fühlen
des Lebens hohe Knospe auch,
mag währen noch ein süßer Hauch,
ein Vers, das heiße Herz zu kühlen.

Noch lauschen wir dem leisen Tropfen
in schwanken Schlafes Schattenlaub,
doch Wirbel sind wir, trunkner Staub,
wenn dunkler Erde Adern klopfen.

 

Feb 12 24

Wie Sang aus Jugendtagen

Und jenseits abendlicher Schatten: Töne,
als fließe in die Ferne süßes Klagen,
als ströme goldner Sang aus Jugendtagen,
doch keiner hört es noch, das Schmerzlich-Schöne.

Als woge Rauschen aus versunkenen Gärten,
gesprudelt von verzückten Schaum-Delphinen,
als träufe Traum Wohlklang von Sonatinen
ins Herz der Liebenden, der Weggefährten.

Nun gehst du einsam auf verwaistem Pfade,
kein Laut ist als das Knistern dürrer Halme,
verdüstert wird das hohe Blau vom Qualme,
kein Strahl bricht durch, kein Stern sagt dir von Gnade.

Magst, Dichter, du die Töne noch vernehmen,
im Blut, das singt, erlösen blasse Schemen.

 

Feb 11 24

Dichters Elend

Sanfte Matten, überblaut,
hüllt ein Schnee der reinen Stille.
Daß er glitzernd niederquille,
Frühlingsluft hat ihn getaut.

Und das Glitzern rinnt zu Tal,
früher Veilchen Glocken schwingen,
Quellen haben Lust zu singen,
seufzen darf die stumme Qual.

Doch der tief im Elend liegt,
tief in Traumes dunklem Bronnen,
fühlt nicht, was aus Licht gesponnen
sich um seine Schläfen schmiegt.

Gleiten schon auf grünem Teich
weiße Schwäne, Blütenschalen,
seine Lippen müssen fahlen,
und sein Antlitz ist so bleich.

Milde Flamme wurde Rauch,
die den Schatten ihn entrückte,
der erweckende erstickte,
holder Muse süßer Hauch.

 

Feb 10 24

Der falsche Hase

Es war einmal ein Hündelein,
das Fell wie Schnee, kohlschwarz die Nase,
Da rief es jählings: „Nennt mich Hase!“
Es mocht partout kein Hund mehr sein.

Die Katze fragte: „Lieber Hund,
was findest du am Hasentume?“
Sprach’s: „Duftest bald wie eine Blume,
lebst du vegan, ißt dich gesund.

Es ist nicht gut, nach Katzenart
von Blut und Fleisch sich nähren,
die Seele, sagen Weisheitslehren,
wird nur durch Halm und Blüten zart.“

Da ging es hin ins Wiesengrün
und rupfte Gras, schlang Immortellen,
hat leis geschnieft, statt laut zu bellen,
sprang hold ein Häschen zu ihm hin.

Am Abend lief’s zum Frauchen heim,
es mochte kaum das Pfötchen heben,
ach, das vegane Hundeleben
gab ihm bloß einen mageren Reim.

Das Frauchen hat es lieb geküßt,
sein wirres Fell ihm glattgestrichen,
es schien ein Spuk von ihm gewichen,
als sanft es eingeschlummert ist.

Am Morgen hielt ein Würstelein
sie ihm vor seine Schnuppernase,
vergessen war der Buddha-Hase,
es bellte laut, das Hündelein.

 

Feb 9 24

Faden und Knoten

Philosophische Sentenzen und Aphorismen

Das leicht verständliche Bewegtbild setzt sich ja, ohne daß wir es bemerkten, aus vielen Einzelbildern zusammen. Das einzelne Bild in der Filmrolle ist uns dagegen ein Rätsel – oder noch weniger als dies.

Fröre die Geste plötzlich ein, verstünden wir sie nicht; oder mißverstünden wir sie.

Der Satz oder die satzartige Äußerung müssen, um verständlich zu sein, eine abgeschlossene semantische Gestalt bilden, nicht unbedingt eine vollständige grammatische Gestalt. Denn „Bitte schön!“ oder „Wie bitte?“ genügt schon.

Er hat im Schlaf gesprochen. – Wirklich? Können wir von Sprache reden, wo wesentliche Bedingungen sprachlicher Äußerungen fehlen? Einer bittet im Traum den Partner, der ihn verlassen hat, zu ihm zurückzukehren. Aber dies ist keine echte Bitte; eine echte Bitte kann bewilligt oder abschlägig beschieden werden.

Was im Traum gesprochen wird, hat nicht das semantische Gewicht der alltäglichen Rede; mag es auch bisweilen hohen symbolischen Rang einnehmen (Wahrsageträume, Träume in der griechischen Tragödie, in der Bibel).

Über stumme Dinge reden, ohne ihren ontologischen Rang zu verzerren.

Man sagt, ein Bild habe einen angesprochen. Eine verfängliche Metapher.

Sätze als Bilder der Sachverhalte verstehen, die sie meinen, ist der erste, fatale Schritt in die semantische Mythologie.

Das Bild der Rose zeigt die Rose, das Wort „Rose“ zeigt nichts. Die Aussage „Diese Rose ist weiß“ zeigt nichts, auch wenn sie in der gegebenen Situation wahr sein mag.

Es ist augenfällig, daß negative Aussagen wie „Der Regen hat aufgehört“ nichts zeigen, aber je nach Lage der Dinge entweder wahr oder falsch sein können.

Die stumme Geste, jemandem die Tür aufzuhalten, ist aus sich heraus verständlich, nämlich als Akt höflichen Entgegenkommens. Dabei „Bitte sehr“ zu äußern verstärkt die stumme Geste. Doch „Bitte schön!“ zu sagen, ohne die Höflichkeitsfloskel in den Rahmen einer Geste einzufügen, bedeutet nichts.

„Er hatte furchtbare Schmerzen.“ – Wir wissen nicht, was das heißen soll. Steht der Satz in einem Roman, wissen wer, daß er nicht wahr ist, denn er handelt von fiktiven Schmerzen einer fiktiven Figur; freilich kann er äußerst sinnvoll sein. Finden wir den Satz in einem Tagebuch, können wir seine Wahrheit unterstellen, falls es von einem seriösen Menschen geführt worden ist, der unter einem bestimmten Datum vom Leiden seines Freundes berichtet.

„Der Mond ist der einzige Erdtrabant.“ Ist dieser Satz immer wahr, gleichgültig, wo er steht, von wem er geäußert oder gedacht wird? (Diese Annahme bildet den ersten, fatalen Schritt in den semantischen Idealismus.) – Wäre der Satz die deutsche Version einer Äußerung des Bewohners eines erdähnlichen Planeten in einem entfernten Sonnensystem, der keinen Mond hat, wäre er falsch.

„Ich mußte den ganzen Tag an ihn denken.“ – Was heißt das? Gibt es im Geist eine Art inneren Kompaß, der einen Tag lang in diese bestimmte Richtung gezeigt hat?

An etwas denken heißt nicht etwas denken.

Glauben, hoffen, befürchten und erwarten haben einen anderen zeitlichen Horizont als Sehen und Hören.

Ein kurzes Aufleuchten des Gesichts genügt, um sagen zu können: „Sie hat gelächelt.“ – Wie lange muß man unruhig im Zimmer auf- und abgehen, wie oft aus dem Fenster schauen, daß ein Beobachter sagt: „Er wartet auf jemanden“? – Aber er kann auf jemanden warten und ganz ruhig dasitzen und in seinem Buch lesen.

Wir müssen den Gegenstand unseres Glaubens, Erwartens, Hoffens und Befürchtens nicht wie eine noch so schwache Phantasie unentwegt vor unser geistiges Auge halten.

Wir können den Bauplan des Lebewesens nachzeichnen, indem wir seine DNA im Labor analysieren. Um den Bauplan der menschlichen Seele nachzuzeichnen, steht uns kein Labor zu Verfügung. – Doch gibt es so etwas wie den Bauplan, die Gliederung, die Struktur der menschlichen Seele.

Können wir die Seele analysieren, in ihr lesen wie in einem Buch, darin blättern? In welcher Sprache ist es geschrieben?

Wir haben nur den Leitfaden unserer gewöhnlichen psychologischen Begriffe wie Glauben, Erwarten, Hoffen und Befürchten oder Beabsichtigen – oder ist er ein Fadenbüschel, ist er ein Netz aus Fäden, die sich an gewissen Stellen verknoten? Gibt es Grundbegriffe und davon abgeleitete Begriffe?

Nähmen wir mit den idealistischen Philosophen an, das Bewußtsein, das Selbstbewußtsein, die Subjektivität oder das transzendentale Ego sei ein Grundbegriff. Indes, können wir psychologische Begriffe wie Hoffen, Befürchten und Erwarten auf ihn beziehen, von ihm ableiten? – Ich glaube, hoffe, befürchte, erwarte, daß mich heute mein Freund besuchen wird. Bin ich mir der Tatsache, daß ich in den genannten seelischen Zuständen bin, die ganze Zeit über bewußt, jede Minute, jede Sekunde?

Ich habe den Tag über dies und jenes unternommen, an dies und jenes gedacht – und dennoch kann ich sagen, ich habe den ganzen Tag lang auf die Ankunft meines Freundes gewartet (sie erhofft oder befürchtet).

Man könnte sagen, der Faden der Befürchtung oder Hoffnung schlingt sich hier um den Faden der Erwartung, ohne daß sich beide mit den Fäden anderer seelischer Zustände berühren oder gar verknoten.

Naturalistische Philosophen glauben, alle seelischen Zustände, alle psychologischen Begriffe auf einen psychologisch primitiven oder elementaren Zustand und Grundbegriff zurückführen zu können. –
Eín Modell dieses Verfahrens bildet bekanntlich die Psychoanalyse mit der Annahme des sexuellen Triebs oder Begehrens als des elementaren Begriffs. Der Trieb ist hier nicht das bewußte erotisch-sinnliche Verlangen, sondern eine unbewußte Struktur, die sich allerdings in allerlei Maskeraden des Bewußtseins gefällt, wie sich insbesondere an Fehlleistungen und Traumbildern, an die wir uns erinnern, zeigt.

Wittgenstein machte Anstalten, die aufgeregte Diskussion im Wiener Kreis vorzeitig zu verlassen; der Gastgeber versuchte ihn aufzuhalten; er fragte ihn, warum er schon so früh gehen wolle. Wittgenstein gab zur Antwort: „Der Lärm und die aufgeheizten Reden stören mich, ich gehe nach Hause, denn ich bin im Moment sehr ruhebedürftig.“ – Die Antwort fußt auf einer Begründung, deren Berechtigung man nicht anfechten kann. Wittgensteins Absicht zu gehen ist für diese Gründe gleichsam transparent; sie ist keine Maske für etwas „Tieferes“, das sich der oberflächlichen Kenntnisnahme entzöge. – Natürlich könnte der Philosoph die genannten Gründe nur vorgeschoben haben, um seine eigentliche Absicht zu verbergen, etwa um eine Verabredung mit einer in diesem Kreis unbeliebten Person einzuhalten; doch dann wäre die vorgeschobene Absicht, hach Hause zu gehen, nicht die Maske der wahren, sondern ihre schlichte Verhüllung.

Die Erklärung des Bewußtseins als Protuberanz oder Maske des Unbewußten ist nicht weniger mythologisch als die Annahme, die Welt sei dem göttlichen Ur-Ei entsprungen.

Die Psychoanalyse (vor allem in ihrer von Carl G. Jung vertretenen Version) ist noch ein Teil oder Reflex des Mythos, den sie zu erklären versucht.

Als würden alle begrifflichen Fäden Schleifen bilden, um sich in einem Grundbegriff zu verknoten: gordischer Knoten der idealistischen und naturalistischen Philosophie, der nicht aufgelöst, sondern nur zerschlagen werden kann.

Die Feststellung eines Teilnehmers bei der erregten Sitzung des Wiener Kreises „Herr Wittgenstein hat die Absicht zu gehen“, ist semantisch nicht gleichsinnig mit der Äußerung dieser Absicht aus dem Munde Wittgensteins: „Ich gehe jetzt!“

Wittgenstein hat die Absicht, die Gesellschaft zu verlassen, schon vor geraumer Zeit gehegt, aber aus Rücksichtnahme auf den Gastgeber noch länger in der Situation ausgeharrt, bevor er den Entschluß faßte, mit dem er seine Absicht in die Tat umgesetzt hat.

Vom Entschluß können wir auf die Absicht schließen; dagegen hegen wir mancherlei Absichten, die niemals spruchreif werden, wie die Absicht, trotz mangelnden Talents ein umjubelter Pianist zu werden oder Frau N. N. bei der nächsten Begegnung einmal gehörig die Meinung zu geigen.

Manch einer wälzt sich nachts schlaflos auf dem Kissen, aufgepeitscht von blutrünstigen Rachephantasien, doch tagsüber gilt er seinen Mitarbeitern und Bekannten als die Sanftheit und Freundlichkeit in Person.

Die Deutung des Gebarens einer Person als das Hegen einer Absicht kann fehlgehen; während die Äußerung eines Entschlusses („Ich gehe jetzt!“) die Verwirklichung der Absicht darstellt; die Äußerung ist ein inhärentes Moment des Entschlusses.

Die Aussage über das Verhalten einer Person, die es als Hegen einer Absicht deutet, ist eine Vermutung oder Hypothese, die wahr oder falsch sein kann. Kommt die Person zu dem Entschluß, ihre Absicht in die Tat umzusetzen, indem sie sagt „Ich gehe jetzt“, und dann geht sie, können wir die Mitteilung ihres Entschlusses einschließlich seiner Verwirklichung als Beleg für die Wahrheit unserer Vermutung auffassen. – Hier ist der springende Punkt, daß wir aufgrund der Interpretation von Äußerungen über die Wahrnehmung („Er packt seine Sachen zusammen, er schaut mehrfach nervös auf seine Uhr“) als Hypothese über seelische Zustände („Er hat die Absicht, gleich aufzubrechen“) auf den Begriff der Wahrheit oder Falschheit stoßen, der für diese Überlegungen unverzichtbar und elementar ist, auch wenn wir ihn nur im engeren Sinne als Möglichkeit guter oder plausibler Belege auffassen.

Zu sehen, wie einer seine Sachen packt und mehrfach nervös auf die Uhr schaut, und aus dieser Wahrnehmung auf einen seelischen Zustand der Person zu schließen, ist etwas anderes, eine andere Art des Sehens, als in einer Galerie Bilder zu betrachten.

Wenn uns einer freundlich die Tür offenhält, vermuten wir in dieser Geste nicht die Absicht oder Verwirklichung der Absicht, freundlich oder höflich zu sein, sondern sehen sie als ein Moment oder Teil dessen, was wir Freundlichkeit und Höflichkeit nennen.

Die Äußerung des Entschlusses macht die Absicht wahr; doch ist sie nicht wahr im Sinne der Wahrheit eines Satzes, sondern authentisch und wahrhaftig.

Der Entschluß ist kein Scheitelpunkt der ansteigenden Kurve, in der sich das Hegen einer Absicht abbilden würde; Wittgenstein war schon in der Tür, da hat er sich angesichts der bedauernden Miene von Friedrich Waismann eines Bessern besonnen und ist doch noch geblieben.

Dem Triebtäter oder Geisteskranken rechnen wir die Tat wohl zu, aber nicht im Sinne einer freien Handlung, insofern sie zwar auf einer Absicht beruhte, aber nicht Folge eines Entschlusses war, den er hätte revidieren können.

Wer alle Eventualitäten, Unwägbarkeiten und Gefahren bei der Ausführung einer Absicht, und sei es nur, in den Supermarkt einkaufen zu gehen, unentwegt hin- und herwälzt, wird seine Wohnung nicht mehr verlassen und Hungers sterben.

Die Fäden des Zweifels, der Angst und des Selbstzweifels verschlingen sich zum Knoten unauflösbarer Apathie oder Katatonie.

Die Psychose macht die Äußerungen und Absichtserklärungen des Kranken nicht unwahr, sondern raubt ihnen den Sinngehalt und die Authentizität.

„Ich bin ganz mager, an mir ist nichts dran, ich bin innen hohl“ oder „Ich bin giftig, ich bin aus Glas“ sagt die schizophrene Angst dem Bekannten oder dem Psychiater, der ihr als gefräßiger Beutefänger erscheint.

Wenn der Geist der Unzucht Farben anrührt und vor der Leinwand steht, malt er den aufgeschnittenen weiblichen Unterleib, aus dem das Gekröse quillt, in das sich der verhaßte Embryo aufgelöst hat.

Eine Weltkultur kann es nicht geben, nur eine Weltzivilisation. – Kulturen sind wie ihre Sprachen, Sitten und Kulte regional, völkisch, provinziell.

Der Sieg der Weltzivilisation ist der Untergang der menschlichen Kultur.

Der Wein von den Hängen der Mosel schmecket anders als der Wein aus Südafrika.

Ohne dialektalen Zungenschlag und provinzielle Einfärbung ihrer Bilder, ohne jegliches Nachwehen der Melodien des Volkslieds stirbt die Dichtung aus.

Keine Kultur ohne ihr ethnisches Substrat. – Die Chinesen löschen die tibetanische Kultur aus, nicht nur, indem sie ihre Tempel schänden, ihre Kulte verbieten und ihre Sprache unterdrücken, sondern auch, indem sie systematisch Han-Chinesen in das von den Ureinwohnern besiedelte und von ihnen okkupierte Land verpflanzen.

Der aufstrebende Homo globalis ähnelt dem digitalen Homunculus seiner Technologie; er hat keinen Eigengeruch, keine prägnante Physiognomie, keine erdverwurzelte Sittlichkeit, keine dichterische Sprache.

Panschen, Verdünnen, Verwässern – Unarten geistloser Universalisten und Globalisten: nach Art von Barbaren schütten sie billigen Fusel in edlen Riesling.

Im Geschrei der Slogans und Parolen hört man sie nicht mehr, die dichterische Nachtigall.

Parolen und Phrasen sind vom Zeitgeist konditionierte Reflexe der anonyme Masse.

Die Engstirnigen predigen Weltoffenheit, die Perversen preisen naturgemäß die Zügellosigkeit, die Eunuchen und Unfruchtbaren verordnen sich Maßnahmen zur sexuellen Verhütung.

Die Amusischen verpflichten die Kunst auf moralische Inhalte und politische Programme.

Der Wahn, alles sei machbar, der Wahn, alles sei beliebig zu konstruierende und wieder zu dekonstruierende Konvention, ob nun Symbol und Zeichen, Kleidung und Geste oder Charakter und Geschlecht, steht am Ende der westlichen Zivilisation.

Am Anfang finden wir die Harmonie der gegensinnigen Kräfte, Bogen und Leier, Himmel und Erde, Sonne und Mond, Licht und Dunkel, Mann und Frau, Systole und Diastole, Leib und Geist; wenige haben sie, in den Spuren eines Mozart, eines Goethe, bis auf die Schwelle der Gegenwart hinübergerettet.

Die Pervertierung des natürlichen Verhältnisses zwischen den beiden Geschlechtern, aber auch zwischen Eltern und Kindern zu einem rein sozialen Rollen- und Maskenspiel deutet auf die endgültige kulturelle Auflösung in einem apokalyptischen Karneval und einem blutigen Satyrspiel.

Die Öffnung der letzten Festung der weißen Rasse, der Wissenschaft, für das trojanische Pferd der Ideologie wird am Ende auch ihre Waffe, die Technik, schwächen und zu einem stumpfen Schwert machen.

Hoffnungslos, auf Esperanto Gedichte hervorbringen zu wollen wie die Römischen Elegien oder die Sonette an Orpheus.

 

Feb 8 24

Sterne wie Blumen

Frühling, wozu denn erwacht?
Knospe und Wort, schon verloren.
Still aber hat uns die Nacht
Sterne wie Blumen erkoren.

Wem aber liebend ein Blick,
wenn ihn bald Feuchte verschleiert?
Liebe ist mehr als das Glück,
das unter Sonnen sich feiert.

Sommer, o Brandung des Lichts,
schäumend von glühenden Bildern,
Süße, vertropfend ins Nichts,
kann uns die Weltangst nicht mildern.

Glimmend im dämmernden Laub,
Beere, sie schwillt, um zu schwinden.
Verse, wie goldener Staub,
wehen mit nachtblauen Winden.

Herbstliche Milde im Strahl,
wenn sich mit Rosen verklären
dornige Wege ins Tal,
wo wir zu Schatten heimkehren.

Über den Gräbern der Dunst,
Kerzen, ihr mögt ihn erhellen.
Sternbilder hat nur die Kunst,
harrt sie auf dunkelnden Schwellen.

Winter, o Linnen so weiß,
unseren Schmerz zu umhüllen,
brennt auch die Wunde noch heiß,
Mond hoher Nacht mag sie stillen.

 

Feb 7 24

Im Dämmerlicht

Dem Andenken an Ludwig Ch. H. Hölty

… aber ich wende mich,
suche dunklere Schatten,
und die einsame Träne rinnt.

 

Einsam steigst du herab, wo still im Schilf verebbt,
was dir dunkel gerauscht, was wie von Schwestermund
dir im Wachtraum genannt ward,
süße Namen verwelkter Pracht.

Streck dich hin in das Gras, atme noch einmal tief,
tief den Hauch, wenn er kühl über die Stirn hin weht,
und empfinde noch einmal,
wie ihr Atem getan, ihr Wort.

Schlummer ein nur, schlaf ein, Schlaf ist ein trunknes Blatt,
fällt so haltlos herab, Blatt oder müdes Lid,
wimpert’s rings auch von Schatten,
schwimmt es leicht doch auf feuchtem Glanz.

Wenn du erwachst, ist es Nacht, Nacht unterm vollen Mond,
geh nun, geh nun den Pfad, den Hand in Hand ihr gingt,
bis zur Bucht, wo der Kahn schon
dunkel schaukelt im Dämmerlicht.

 

Siehe auch:
https://www.youtube.com/watch?v=EStzNNv-e7I

 

Feb 6 24

Dämmernde Stanzen

Uns bleibt nur, Liebe, dumpfe Runden drehen
im Hof der Angst, wo uns ein trübes Licht
läßt dürre Halme, tote Wände sehen.
Und leuchtet manchmal schwach dein Angesicht,
als würden Düfte in das Dumpfe wehen,
war es ein Hauch vergessenes Gedicht.
O Wasser, die in abgelebten Jahren
den Mond gespiegelt und uns Mütter waren.

Uns bleibt nur, wie in blumenlosem Grunde
gleich bangen Waisen schlingen Hand in Hand,
die Narbe küssen auf der alten Wunde
und ohne Hoffnung auf das Heimatland
dem Seufzen folgen in die Dämmerstunde,
wo sich Camena keine Öffnung fand.
O daß wir einst in lichte Ebenen schauten,
wo Saaten grünten und die Ströme blauten.

 

Feb 5 24

Umschattetes Gefühl

Geheimnis, es mag leise beben,
behauchter Blätter Schattenspiel,
was rauschend will zur Sonne schweben,
verwirrt ein zartes Sinngefühl.

Schlaftrunkener Strahl läßt Liebe lächeln,
ein Kuß ist ihr schon Dämmerung,
der Hauch des Liedes wie das Fächeln
des Fächers der Erinnerung.

Der Abend mag die Früchte hüllen,
die gelben Sonnen voller Saft,
Nacht sie in blaue Schalen füllen,
beglänzt von Mondes weichem Taft.

Hat sie die Katze unter Fauchen
gerollt auch bis zum Überdruß,
die wahre wird empor noch tauchen –
o suchet Schatten, Lied und Kuß.
.

 

Feb 4 24

Mephistopheles spricht

Philosophische Sentenzen und Aphorismen

Mephistopheles sagt: „Das Bild des Schöpfergottes und Inspirators des menschlichen Geistes ist das Fundament der Illusion, ein freier, mit Selbstbewußtsein begabter Mensch zu sein, der befähigt (wenn auch nicht gezwungen) ist, ein mehr oder weniger sinnvolles Leben zu führen.“

Einer namens Hans, ein schon älteres Semester, sagt: „Gestern ging Hans im Stadtpark spazieren, die erste Frühlingssonne tat ihm gut.“ – Und wir würden verstehen oder hinter vorgehaltener Hand darauf hingewiesen, daß er von sich selber spricht und auf diese Weise stets von sich zu sprechen pflegt. – Denn fragt man Hans, ob er gestern im Park gewesen sei, antwortet er: „Ja, Hans ist gestern im Park gewesen“ und wir zögern nicht, ihm zu unterstellen, daß er damit meint: „Ich bin gestern im Park gewesen.“

Das kleine Mädchen mit dem Kosenamen „Mädi“ zeigt auf die große Puppe im Schaufenster und ruft: „Mädi Püppi“ und meint damit: „Gib (resp. Kauf) mir die Puppe.“ – Hier nehmen wir keinen Anstoß, denn wir kennen diese Ausdrucksweise als normales Phänomen der sprachlichen Entwicklung beim Kinde.

Anders steht es um Hans; seine seltsame Art zu reden ist kein Rückfall in die frühkindliche Sprechweise, sondern deutet auf einen semantischen Bruch oder eine semantische Verwerfung, die das ganze sprachliche Feld durchzieht. Der Psychiater versteht die semantische Abweichung als Zeichen einer Psychose.

Wir verspüren eine gravierende Veränderung im Leben eines Freundes, doch könnten wir kein besonderes gestisches oder sprachliches Verhalten aufzeigen, um unsere Intuition zu belegen. Nur eine beunruhigende Wahrnehmung läßt uns nicht los: Uns scheinen seine Augen wie erloschen, sein Blick seltsam hohl und leer.

Ein von künstlicher Intelligenz generierter Text wird uns ohne Mitteilung über seine Entstehung vorgelegt. Zunächst erscheint er unauffällig, sprachlich ohne grammatische Fehler und sachlich zwar spröde und bisweilen ungelenk, doch insgesamt stichhaltig. Allerdings beschleicht uns bei längerer Betrachtung ein Gefühl, das jenem ähnelt, welches uns bei der Wahrnehmung eines maskenhaften, erstarrten Gesichts mit leerem Augenausdruck überkommt.

Der lebendige sprachliche Ausdruck, wie er uns in der alltägliche Rede oder in Gedichten begegnet, ist kein an sich totes Material (Laute, Wörter, Sätze), dem man gleichsam wie durch künstliche Beatmung Leben eingehaucht hätte.

Hans sagt, die Frühlingssonne habe ihm gutgetan; der physiognomische und sprachliche Ausdruck elementarer Empfindungen und Wahrnehmungen kann nicht ohne jemanden gedacht werden, der diese Empfindungen und Wahrnehmungen gehabt hat.

Dieser Jemand bist du oder ich, kein niemand, dessen Glaube, jemand zu sein, eine Projektion geistloser Gehirnströme wäre.

Empfindungen und Wahrnehmungen sind, anders als die ihnen zugrundeliegenden neuronalen Ereignisse, keine raumzeitlichen Sachverhalte.

Erinnerungen sind keine Informationen über vergangene Ereignisse; hätte Hans in sein Tagebuch notiert: „Hans ging am 12.1.2024 durch den Stadtpark von N. N.“, könnten wir nicht schließen, daß er, läse er den Eintrag zwei Wochen später, sich dabei daran erinnert, an diesem Tag in jenem Park gewesen zu sein.

Man kann ebensowenig sagen „Dort ist eine Rot-Empfindung“ wie man sagen kann „Hier gibt es Zahnschmerzen.“

Man kann nicht annehmen, eine künstlich geschaffene Biomaschine stocke in der Rede aus Verlegenheit, weil sie fürchtet, bei einer Lüge ertappt zu werden, oder weil sie sich ihrer anmaßenden Ausdrucksweise schämt.

Mephistopheles, der radikale Nihilist und Naturalist, sagt: „Verlegenheit und Scham sind wie Liebe, Vertrauen und Ehrfurcht nichts als emotionale Konstrukte, das Ergebnis sozialer Dressur oder Ausdruck gesellschaftlicher Mythen. Entjungfere den kindlichen Geist mittels frühkindlicher Sexualisierung und pervertierender Zugriffe durch eine vulgäre und kriminelle Zeitgeist-Pädagogik, und alle Scham wird sich verflüchtigen.“

Wir aber wissen, die Scham ist, anders bei Jungen, anders bei Mädchen, eine natürliche Form der Scheu und Zurückhaltung, eine schützende Schale der Intimität des noch zarten seelischen Lebens, die mutwillig zu zerbrechen eine kriminelle Form des Mißbrauchs genannt zu werden verdient.

Die tote Seele oder den in tiefe Depression gefallenen Patienten können wir nicht durch mechanische oder chemische Eingriffe wiederbeleben; Medikamente lindern, doch heilen nicht (sie verdecken die Symptomatik).

Die tote Sprache können wir nicht mittels Injektionen aufputschender Rhetorik oder einer ideologisch verlogenen Phraseologie wiederbeleben; Parolen, Bekenntnisformeln, grelle Phrasen sind nur bunte Spruchbänder am Leichnam des Worts.

Mephistopheles sagt: „Das Bild vom seinem Werk zugetanen Schöpfergott, das Bild vom Erlösergott, der seinen Sohn zur verirrten Herde hinabschickt, um die verlorengegangenen Schafe einzusammeln, ist der vergebliche Einspruch gegen die todgeweihte Verlorenheit des Menschentieres und die unaufhebbare Einsamkeit des menschlichen Herzens.“

Indes, zu dem wahrhaft Gläubigen und Frommen sprechen in Liedern und Legenden, in rituellen Gesten und kultischen Zeremonien der in der Sprache aufbewahrte Geist der Ahnen und der hohe Sinn der Heiligen.

Einsamkeit oder das Zerreißen der mit einem Kollektiv verbindenden und scheinbar Halt verleihenden Fäden ist die notwendige Bedingung der Wahrhaftigkeit, nämlich dafür, man selbst zu sein und was man sagt und tut nicht in der Maskerade und einzig im Auftrag einer fremden Macht auszuführen, ob es nun eine Partei ist, eine Organisation oder eine Ideologie.

Achilleus kämpft für die Hellenen, zieht sich aber, gekränkt durch ihren Anführer Agamemnon, vom Kriegsgeschehen zurück, bis die ohne seinen Schutz über alle Grenzen brandende Woge der feindlichen Angriffe schließlich auch seinen Freund Patroklos verschlingt. Er, der Einzige, rächt seinen Tod, er, der Einzige, gibt den Leichnam des von seiner Hand gefallenen Hektor dem Flehen des trauernden Vaters heraus. – Obwohl er um seinen frühen Tod weiß, entzieht sich Achilleus nicht feige der Gefahr; er wählt das kurze, intensive Leben, weist verächtlich ein langes, aber glanzloses von sich. Achilleus verkörpert, was die Griechen unter dem Adel heroischen Daseins verstanden.

Wir können eine vornehme Haltung aber schon in der Weigerung des Einzelnen sehen, in der scheinbar bergenden, in Wahrheit verschlingenden Flut der anonymen Masse unterzutauchen.

Der depressive Hans hat sich verloren, weil ihm die Fähigkeit zu Schaden kam, vertrauend und liebend du zu sagen.

Maschinen, auch demnächst einmal biologisch zu konstruierende, werden nicht gezeugt und nicht geboren, sondern von Menschen entworfen und geschaffen, sie sterben nicht, sondern gehen kaputt.

Wir freuen uns wie an einer aufgegangenen Knospe am Lächeln des geliebten Menschen, wir trauern um seinen Verlust. – Wir mögen erfreut feststellen, daß die Algorithmen ausführen, was wir mittels Tastatur befehlen, aber wir trauern nicht, wenn die Maschine ihren Geist aufgegeben hat.

Mephistopheles sagt: „Ich habe Faust vorgeführt, wie der Homunkulus in der Retorte erwacht und munter zu plappern beginnt. Und Helena gar, ist sie nicht eine Chimäre seines monomanischen erotischen Begehrens, aus dem Totenreich heraufbeschworen, und doch Gegenstand seiner glühenden exaltierten Liebesrede? Müßte er nicht beim Verlust dieser Illusion in tiefe Schwermut versinken, würde sie am Ende nicht die Erscheinung Margaretes, der aufgrund seiner erotischen Obsession tragisch ums Leben gekommenen frühen Geliebten, ebenfalls von den Toten erstanden, ja selbst der Madonna ersetzen?“

Die Depression des Patienten mutet wie die Folge einer Kastration des Organs der Ich-Empfindung an.

Verlust der lebendigen Sprache: Er gleicht der Austrocknung und Verkarstung des nährenden Bodens, sodaß die Flora nach und nach abstirbt.

Mephistopheles sagt: „Was da immer schwatzt und schwadroniert, palavert, plappert und parliert, ist wie das unausgesetzte Ticken einer alten Standuhr auf dem dunklen Korridor. Doch diese Uhr, sie kann nur einmal aufgezogen werden.“

Das Ticken ist mechanisch, das Sprechen nicht. Wäre Sprechen eine Art Mechanismus, verlöre die Rede von Wahrheit und Bedeutung jede Berechtigung.

Der alte Meister, der mit Mephistopheles Umgang pflog, erlebte nicht eine Pubertät allein, sagt er, sondern neues Sprossen von Sprache und Empfindung auf unterschiedlichen Altersstufen.

Das Kind spricht mit der Puppe, weil die Puppe mit ihm spricht.

Mephistopheles sagt: „Betrachtet euch als Marionetten in der Hand des großen Puppenspielers, und ihr versinkt in einen wüsten Traum, aus dem kein Wort der Liebe euch erweckt.“

Wir werden zur Einsicht gelenkt und dürfen wohl an ihr festhalten, daß eine Mannigfaltigkeit von originären Begriffen, Urbegriffen im Bereich der Sprache, nicht unähnlich den Urphänomenen Goethes im Reich von Licht und Schatten, Knoten in einem Netz darstellen, die nicht aufeinander noch auf andere Begriffe zurückgeführt werden können. Zu diesen gehören Begriffe wie Bedeutung und Sinn, Wahrheit und Falschheit, Ich und Er (oder die entsprechenden Vertreter der 1. und der 3. Person im jeweiligen Sprachsystem), aber auch Gut und Böse, Schön und Häßlich.

Mephistopheles sagt: „In der Polarität der Begriffe und Phänomene muß auch die dämonische Macht von Negation und Zerstörung walten. Der Anziehung entspricht die Abstoßung, der Liebe die Abneigung, der Ordnung das Chaos. Mögen Begriffe elementar und urtümlich sein, nichts hindert, das Netz, in dem sie hängen, zu beschneiden, zu verzerren, auseinanderzureißen.“

Werden Welten, Körper, Sprachen und Kulturen auch zerfallen, erlöschen, verstummen, die Kräfte, die sie aus dem Chaos und aus dunklen Stoffen ins Licht der Gestaltung und klarer Strukturen heben, sind nicht weniger mächtig als ihre Gegenkräfte.

Mephistopheles sagt: „Mögen diese polaren Kräfte schon in der Urnacht des Universums geistern, betrachten wir sie als gleichen Wesens, als rein physikalische nämlich, dann wird die alte Ehrfurcht vor den kosmischen und organischen Ordnungen und Strukturen verblassen und das philosophische Staunen als archaischer Reflex des unreifen Menschen entlarvt werden.“

Was wir als Ordnung und Struktur in Galaxien und Planetensystemen wahrnehmen, in den Perioden der chemischen Elemente und der Abbildung ihrer atomaren und subatomaren Gliederungen und Prozesse durch mathematisch präzise Modelle, in den subtilen Aufbauten von Gen und Zelle, Organ und Organismus, Blüte und Blatt, schließlich in den logischen Strukturen der Zahlensysteme und der Aussagetypen, aber auch den kristallinen Gebilden in Kunst, Musik und Poesie – all das läßt sich nur mutwillig, unter Vernachlässigung der in ihnen waltenden logischen Mannigfaltigkeiten, in das Schema einer einzigen Bestimmung, wie der physikalischen, zwängen.

Wären alle Phänomene, einschließlich der geistigen, physikalisch-naturalistisch reduzierbar und erklärbar, verlören die für unsere Lebenswelt konstitutiven Begriffe wie Bedeutung und Wahrheit, Sinn und Unsinn, Maß und Unmaß, Recht und Unrecht, Wohltat und Verbrechen, ja selbst die Ausdrücke für Empfindungen und Gefühle all ihren Wert und Rang und müßten am Ende als überflüssiger mythologischer Dekor von der anonymen Festplatte der Evolution und unserer angeborenen und adaptiv optimierten natürlichen Verhaltensprogramme getilgt werden.

Indes, um zu deklarieren, daß diese und jene Begriffe und Konzepte notwendig als illusorisch, trügerisch, mythologisch zu tilgen seien, müssen wir die Wahrheit und Bedeutsamkeit der Aussagen unterstellen, die sie verneinen. Wir können aber nicht behaupten, Begriffe wie Wahrheit und Bedeutung seien auf physikalische Vorgänge zu reduzieren, ohne uns zu widersprechen.

Mephistopheles sagt: „Ich bin der Geist, der stets verneint! und das mit Recht; denn alles, was entsteht, ist wert, daß es zugrunde geht; Drum besser wär’s, daß nichts entstünde.“

Der Tod ist kein Einspruch wider das Leben dessen, der ihn notwendig erleidet.

Das Wissen um die Tatsache, daß in ein paar weiteren hundert oder tausend Jahren die Menschheit und die Kulturen von der Erde verschwunden sein werden und also Gedichte nicht mehr gelesen, Sonaten nicht mehr gehört und Gemälde nicht mehr angeschaut werden, ist für den schöpferischen Menschen kein Grund, sie nicht zu schreiben, sie nicht zu komponieren, sie nicht zu malen. – Gibt einer aber diesen Umstand für einen solchen Grund aus, bezeugt dies nur, daß er in Wahrheit unschöpferisch ist und er ihn zum Vorwand nimmt, um sein mangelndes Talent oder seine Faulheit zu bemänteln.

Die Schönheit steigt in ihrem Wert, je fragiler, vergänglicher und unwahrscheinlicher uns ihr Dasein anmutet.

Den mephistophelischen Bedeutungsskeptizismus kann man nicht unter Zuhilfenahme eines neu zu entfaltenden Konzepts der Natur, das anders als die bestehende Naturwissenschaft den Begriff des Geistes ab ovo enthält, widerlegen, sondern mittels klarer semantisch-logischer Überlegungen.

Ohne Entstehen und Vergehen, ohne in die zeitlichen Verläufe und Prozesse des Wachsens und Reifens, Blühens und Welkens, Erinnerns und Vergessens eingebettet zu sein, wäre unser Dasein ein schales, unwirksames Salz, ein fahles Bild ohne Schatten, eine Fuge ohne Kontrapunkt.

 

Feb 3 24

Skulptur des Winds

Skulptur des Winds,
stumm auf das stumme Moos
hinabgeflügelt,
Ranken lechzen schon,
wo es noch bebt,
Schatten.

O Symmetrie aus fiedrigem Gespinst,
Maßwerk, das in die Blaue träumt,
dem Hauch vermählter Flaum,
o grauen Sturmes
Wappen lilienhell.

Wo ist dein Pindar,
wo ist dein Horaz?

*

Wort und Kristall,
sie tauen auf zum Glanz,
um haltlos hinzurinnen
in all die Mulden
undeutbaren Traums.

*

Und tiefer in der Nacht
gefriert der Liebe Tau,
o reiner Schmerz,
zum Traumkristall.

*

Noch harret ungesagt,
was in grünen Adern sinnt,
von Rauhreif keusch verdeckt.

Mag nur der bunte Tag
mit Quellen plaudern,
gurren mit den Tauben.

Verschwiegen bleibt,
was Erde dunkel quält,
was an süßem Duft
der armen Menschenseele
die Sonnenknospe
vor dem Mond verschließt.

 

Feb 3 24

Charles Baudelaire, Recueillement

Sois sage, ô ma Douleur, et tiens-toi plus tranquille.
Tu réclamais le Soir ; il descend ; le voici :
Une atmosphère obscure enveloppe la ville,
Aux uns portant la paix, aux autres le souci.

Pendant que des mortels la multitude vile,
Sous le fouet du Plaisir, ce bourreau sans merci,
Va cueillir des remords dans la fête servile,
Ma Douleur, donne-moi la main ; viens par ici,

Loin d’eux. Vois se pencher les défuntes Années,
Sur les balcons du ciel, en robes surannées ;
Surgir du fond des eaux le Regret souriant ;

Le Soleil moribond s’endormir sous une arche,
Et, comme un long linceul traînant à l’Orient,
Entends, ma chère, entends la douce Nuit qui marche.

 

Einkehr

Sei klug, mein Schmerz, magst stiller noch dich halten.
Du riefest nach dem Abend; sieh, er sinkt ins Tal:
Die Stadt umhüllen schon des Zwielichts Dämmerfalten,
den einen Frieden bringend, den andern neue Qual.

Und lecken all die ruchlosen, die Mißgestalten,
geschunden von der Geißel Lust, dem Schinder Baal, ,
Tropfen der Bitternis, trunkne Fliegen in Abortspalten,
reich, o mein Schmerz, hier ganz entrückt, mir, deinem Gemahl,

die Hand. Sieh beugen sich die abgelebten Jahre
von Brüstungen des Himmels, allen Schmuckes bare;
sieh lächelnd das Bedauern überm Meergrund schweifen,

sich sterbend Sonne betten unterm Felsenbogen,
als ließ gen Osten sie ein langes Grabtuch schleifen,
kommt, sieh doch, Liebe, kommt die süße Nacht gezogen.

 

Siehe auch:
https://www.youtube.com/watch?v=z7hxOcoUoic

 

Feb 2 24

Jenseits von Kitsch und L’art pour l’art

Auffordernd-schlüpfrig mit dem Versfuß wippen,
mit parfümierten Reimen Hirne lähmen
gleicht Strichers Zischen, Feuchten fetter Lippen,
Spruchbändern, die den Leichnam Wort verbrämen.

Die Feder schweben lassen in der Leere,
im blauen Abgrund bleichen Wortes Wolke
macht schwindeln wie auf Charons schwanker Fähre,
erbrechen wie der Trank verschäumter Molke.

Der Muschel und was rauschend Meerflut reimte
darf des Gedichtes reine Hülle gleichen,
doch hoffen wir, es wird, was in ihm keimte,
der Perle Glanz, Perlmutt des Sinns uns reichen.

Verachten wir, was hurt mit feilen Phrasen,
uns schenke Duft, was ragt aus schlanken Vasen.

 



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