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Fernando Pessoa/Alberto Caeiro, O Guardador de Rebanhos IX

04.12.2016

Sou um guardador de rebanhos.
O rebanho é os meus pensamentos
E os meus pensamentos são todos sensações.
Penso com os olhos e com os ouvidos
E com as mãos e os pés
E com o nariz e a boca.

Pensar uma flor é vê-la e cheirá-la
E comer um fruto é saber-lhe o sentido.

Por isso quando num dia de calor
Me sinto triste de gozá-lo tanto,
E me deito ao comprido na erva,
E fecho os olhos quentes,
Sinto todo o meu corpo deitado na realidade,
Sei a verdade e sou feliz.

 

Ich bin ein Hüter von Herden.
Die Herde sind meine Gedanken,
und meine Gedanken sind alle sinnenhaft.
Ich denke mit den Augen und mit den Ohren
und mit den Händen und den Füßen
und mit der Nase und dem Mund.

Eine Blume denken heißt, sie sehen und sie riechen,
und eine Frucht essen heißt, ihren Sinn zu schmecken.

Wenn mich in der Sommerschwüle
Traurigkeit befällt von so scharfer Sinnlichkeit
und ich mich ausstrecke ins Gras
und meine warmen Augen schließe,
fühle ich meinen Körper ganz hingestreckt in das, was wirklich ist,
ich kenne die Wahrheit und bin glücklich.

 

Kurze Erläuterung:
Fernando Pessoa hat sich Namen und Bioagraphien von Schriftstellern erfunden, die ihm Erfahrungs- und Gestaltungsräume eröffneten, gleichsam Pfade durch imaginäre Landschaften, deren Topographie und Atmosphäre, deren Pflanzen und Blumen, deren Bewohner und Lokalitäten keine Projektionen romantischer Sehnsucht darstellen, sondern Wörter und ihre sinnhaften Bezüge, Projektionen von Möglichkeiten dichterischer Aussage.

Roberto Caeiro ist eine dieser Figuren, Pessoa sandte sie auf die Reise in eine antike Bewußtseins-, Erfahrungs- und Ausdruckswelt, die gewiß an die bukolische Welt der Hirten des Theokrit und Vergil erinnert, aber ein genaues und gleichsam sensualistisch protokollierendes poetischen Aussagen evoziert, in dem das Glück oder Unglück der sinnlichen Empfindung und ihrer verbalen Kundgabe das ganze Universum des Sag- und Denkbaren erfüllt.

Wir finden in dem Hirten Caeiro daher keinen Idylliker, sondern einen Philosophen, der statt elegisch die erloschene Blüte der Geliebten zu beschwören, die Lichtstrahlen ausmißt, auskostet und dichterisch übersetzt, die von einer noch so unscheinbaren Blüte am Wegesrand ausgehen: Sie verkörpern ihm die ganze Wahrheit, und so auch die Wahrheit des eigenen Selbst; erlischt der Schein der Blüte, vergeht mit dem Bild auch das Sein des Bewußtseins.

Sicherlich ist Caeiro ein Epikureer und Sensualist, aber überschattet oder verhalten von der tiefen Melancholie seines Schöpfers; das Glück der intensiven, rückhaltlosen, scheinbar irreflexiven Empfindung kostet den Preis der Resignation der Freiheit und Selbstherrlichkeit des Ich, das sich nur ausgestreckt ins Gras des augenblicklichen Rauschens wiederfindet, atemlos an sich hält und sogleich in die Blindheit seines Spiegels verliert, der von keiner transzendenten Sonne Licht und Bedeutung empfängt.

Das Aufscheinen der Blüte des sinnlichen Glücks erfolgt gleichsam am Abgrund des Unmöglichen, wo der Schatten des Ungesagten wächst. Der dichterische Gedanke, so er eine wachsende Brücke ins Ungesagte darstellt, bricht vorzeitig ab, wenn die Ahnung, Hoffnung oder Zuversicht, daß am jenseitigen Ufer der deus absconditus des Gedichts, der Sinn, aufkeimt, aufbricht oder wartet, um Antwort auf das zugerufene Wort zu geben, der reinen Gegenwart der Sinneswahrnehmung geopfert wird. Insofern sind die Gedichte Caeiros glückliche, schmerzlich-schöne Funde auf dem Pfad des seiner selbst vergessenen unglücklichen Bewußtseins.

 

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