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Stromschnellen

12.05.2019

Philosophische Sentenzen und Aphorismen

Wer Grautöne und Zwischentöne der Geschmacklosigkeit der Regenbogenfarben und der obszönen Aufdringlichkeit der Marktschreier vorzieht, wird in diesem verwilderten Land nicht als abgehobener Feingeist verachtet, sondern als perverser Immoralist gebrandmarkt.

Sie trepanieren den eigenen Schädel, löffeln ein Stück Hirn heraus und werfen es den Hunden hin; lecken sie es auf und schlingen es hinunter, gelten sie für Wahrsager und Propheten.

Die wahnwitzige Idee, wir hätten alles daranzusetzen, um glücklich zu sein, ist die Ursache des größten Unglücks.

Wenn man Christus vom jüdischen Schöpfergott erlöste, fände er, wie Hölderlin und Nietzsche meinten, seine Brüder in Herakles und Dionysos?

Plötzlich war er frei und konnte alles sagen, die Worte schlugen auf wie Regentropfen auf das Dach, die Gesten vereinigten sich mit ihren Schatten und wehten auf und nieder wie das Gras im Wind.

Die reif gewordene Existenz, die in die Tiefe fällt und sich wie eine harte Frucht in den weichen Grund bohrt.

Wir können nicht lange im blendenden Licht leben, sondern bedürfen der Dämmerung, um uns zu besinnen, des Zwielichts, um zu träumen, zu vergessen.

In Platons Sonne des Guten verhüllt sich ein böser, ein tödlicher Gedanke.

Was wäre denn der entscheidende Unterschied zwischen uns und Puppen aus Fleisch und Blut, die reden und handeln wie wir, nur daß in ihren Köpfen Stroh steckte? – Denken wir uns, wir, denen einige überflüssige graue Zellen immerhin noch solch exquisite Spekulationen erlauben, wüßten selbstredend nicht, ob es sich bei der aparten Dame in unseren Armen um ein Exemplar mit oder ohne Stroh handelte!

Es geht letztlich um Stil, nicht um Wahrheit. So stand es um die Strahlkraft und exemplarische Gestalt der homerischen Götter und Helden.

Man vergißt leicht, daß Sprachen natürliche Sprachen sind, und eine Nationalsprache die ist, welche das kulturell und politisch herrschende Volk spricht, das sich zur Nation konstituiert hat. Wären Sprachen rein künstliche Mittel zur Verwendung rein konventioneller Zeichen, gäbe es entweder mehr oder weniger Sprachen, als es Völker gibt.

Was den Nationalcharakter einer Sprache wie des Deutschen ausmacht, mag schwierig oder nur dem dichterischen Ingenium zu bestimmen möglich sein, aber unmöglich kann es nicht sein.

Den Charakter eines Volkes findet man in den Stimmungen, den Atmosphären, dem Wetterleuchten, das über die Gefilde seiner Dichtung zieht.

Sie singen frohgemut, während sie den Ast der Sprache absägen, auf dem sie sitzen.

Die Lilie schwimmt auf dem See, unbekümmert darum, wie tief er ist.

Der Trauernde drückt seine Trauer aus, er weint, er schweigt, er zieht sich zurück; ohne die Möglichkeiten des leiblichen Ausdrucks könnten wir nicht von ihm sagen, er trage Trauer.

Das richtige Bild der Sprache ist nicht ein solches, das wir etwa dem Bericht eines Theaterbesuchers über all das entnehmen, was sich auf der Bühne abgespielt hat. Wir stehen selbst auf der Bühne und unsere Worte zählen; es gibt keine Originalversion des Texts, die wir hätten auswendiglernen können; wir wissen nicht, was als nächstes geschieht; es gibt kein den ästhetisch-moralischen Wert des Dramas würdigendes Publikum, für das wir unsere Rolle zum besten geben, sondern diejenigen, zu denen wir reden und mit denen wir umgehen, entscheiden über den Wert des Gesagten und Getanen.

Wer nicht mit Japanisch als Muttersprache aufwuchs, wie soll er die Feinheiten der alten japanischen Dichtung, wie die subtile Sprache des No-Theaters und der Geisha verstehen?

Wieviel Ignoranz und Dummheit, könnte man fragen, liegt in der allgemein verbreiteten Ansicht, Denken und Reflexion seien die uns auszeichnenden Eigenschaften.

Wer geht, denkt nicht ans Gehen, sondern schaut um sich; wer frei singt, denkt nicht an Noten; wer Schach spielt, denkt nicht an Regeln (sondern handelt ihnen gemäß).

Phrasen sind eine unverbindliche Art, mit gewichtiger Miene nichts zu sagen.

Wäre die Sprache ein Haus, wir könnten es nicht verlassen und es von außen betrachten und es vermessen, etwa in Hinsicht auf seine Lage, seine Größe oder die Tragfähigkeit seiner Mauern.

Wir können nicht vor der Sprache etwas über die Sprache – sagen.

Wir sind zu Gast bei einem Gastmahl, doch wissen wir nicht, wer von den Anwesenden uns eingeladen hat.

Es gibt keinen Gastwirt, bei dem wir uns darüber beschweren könnten, daß wir nicht früher zu diesem Gastmahl eingeladen wurden – beispielsweise zu der Zeit, als begabte Sänger und Musiker ihre Stücke zum besten gaben, wie uns die älteren Gäste berichten.

Mit der Axt kann man keine filigranen Figuren ins Holz schnitzen. Mit Parolen nicht dichten.

Wenn man auf der Schwelle des Hauses steht, kann man seine Größe nicht überblicken.

Die Schwelle, dort, wo die Sprache versagt.

Gründe gelten in der Welt, nicht für die Welt.

Zuerst lernen wir diese Flüssigkeit als Wasser zu bezeichnen; dann lernen wir, daß diese Flüssigkeit, wenn sie sich in Dampf oder Eiskristalle umformt, dasselbe Wasser ist; und schließlich, daß Wasser in all seinen Erscheinungsformen H2O ist. An dieser Formel können wir festhalten, sogar wenn wir die Bezeichnung Wasser vergessen haben sollten. – Doch wir kommen von der Formel nicht wieder an die Stelle, von der aus wir sie entdeckt haben, an das Wasser des Flusses oder in den Schnee der Eiskristalle; wir gelangen von der Welt des Alltags zur Entdeckung der natürlichen Art namens Wasser, doch wir kommen von der Physik nicht zurück in die Welt des Alltags, in der wir unserem Gast ein Glas Wasser anbieten.

Die Sprache der Physik, in der wir nicht mehr von Wasser, sondern von H2O sprechen, ist gleichsam eine Sonder- oder Sperrzone in der Landschaft unserer gewöhnlichen Sprache; sie erlaubt uns, von demselben oder der Identität von Stoffen, natürlichen Arten oder molekularen Strukturen zu sprechen; während wir in der natürlichen Sprache des Alltags immer nur von einem mehr oder weniger Ähnlichen sprechen können.

Wir müssen nichts vom Wasser wissen, nicht an das Wasser denken, wenn wir es aus der Flasche ins Glas gießen und trinken; wir müssen nicht glauben, daß Wasser schwerer ist als Luft und somit prompt ins Glas fließt; ja, wir müssen unser Handeln nicht mit logischen Schlüssen garnieren und aufgrund des Wissens, daß Wasser unseren Durst löscht, es in Gottes Namen trinken.

Wenn wir dem Gast ein Wasser anbieten, denken wir an den flüssigen Stoff nicht als an ein Objekt mit diesen und jenen Eigenschaften, von denen die wesentliche Eigenschaft die ist, H2O zu sein. Wenn wir darüber nachdenken, was es mit dem Wasser auf sich hat, machen wir den Gast ungeduldig, der darauf wartet, daß wir sein Glas füllen.

Die Reflexion kann sich im Strom des Lebens als eine Stromschnelle erweisen, an der unser kleines Lebensschiff Gefahr läuft zu kentern.

 

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