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Logische Schneisen VI

22.01.2014

Nuancen nennen wir die im logischen Raum möglichen Verbindungen deskriptiver und klassifizierender Begriffe. Solche Verbindungen können zum Beispiel Farbmischungen oder Überkreuzungen und Überschattungen von Empfindungen und Gefühlen darstellen.

Wenn jemand sagt „Ich sehe an derselben Stelle in meinem Sehfeld gleichzeitig einen roten und einen grünen Fleck“, kannst du daraus – wie schon erwähnt – schließen, dass die Person nicht weiß, was sie sagt, das heißt, dass sie sich nicht darauf versteht, unsere Einteilung des logischen Farbraumes anzuwenden. Deshalb kannst du aus dem geäußerten Satz nicht einmal folgern, dass der Sprecher entweder einen roten oder einen grünen Fleck gesehen haben muss.

Wenn du aber jemanden sagen hörst „Ich bevorzuge für meinen Schal statt eines schlichten Graus ein elegantes Graublau“, kannst du daraus schließen, dass es sich um einen Zeitgenossen mit gutem Geschmack und feinem, entwickelten Farbsinn handelt.

Schön nennen viele trivialerweise die Wirkung von Objekten und Ereignissen auf die Wahrnehmung und das Gefühlsleben, die sie als angenehm, lustvoll und entspannend beschreiben. Hierbei handelt es sich augenscheinlich um den Ausdruck einer einfachen Emotion. Währenddessen beschreibt jemand, der von seinem Erlebnis des ungeheuren Sternenhimmels in einer lautlos-einsamen Wüstennacht erzählt, ein komplexes Gefühl, wenn er vom Eindruck des Erhabenen spricht, der sich zumeist aus einer Mischung und Überkreuzung lustvoll-entspannender und beunruhigend-spannender Emotionen ergibt.

Erhaben dünkt uns eine Art lustvoller Überwältigung, eine ekstatische Weise der Selbstauflösung, ein Art Triumphgefühl inmitten vollständiger Niederlage – oder wie immer du diese Komplexion von Gefühlen beschreiben magst. Feststeht, dass Gefühlsregungen solch komplexer Natur von bestimmten Künstlern, Genres und Epochen bevorzugt gesucht und dargestellt worden sind. Denke nur an Caspar David Friedrich, die Grusel- und Horrorgeschichte und den Schauerroman oder den Expressionismus in Dichtung und Malerei.

Du lässt dir die blaugraue Farbnuance deines Schals, des Blütenblattes einer Orchidee oder des Hintergrunds eines niederländischen Landschaftsgemäldes gern gefallen. Ein anderer aber kommt daher und macht viel Aufhebens von einer exquisiten und raffinierten oder subtilen Farbnuance, nämlich einer graublauen Fläche, die vom vagen Blühen eines altrosa Lichtes wattiert und durchtränkt ist.

Natürlich lässt der Farbraum ungeheuer viele Mischungen dieser Art zu – doch würden wir bescheidenen Menschen angesichts einer solchen Neigung zu extravaganten, erlesenen Farbnuancen vielleicht von Manieriertheit oder Snobismus sprechen. Doch wir wissen, dass solche hochkomplexen Farbnuancen und die ihnen korrespondierenden Empfindungen von bestimmten Künstlern in bestimmten Epochen gern gesucht und dargestellt worden sind. Denken wir an Tintoretto, El Greco oder Pontormo, an die Epochen von Barock, Manierismus und Rokoko der europäischen Kunstgeschichte, aber auch an den erlesenen Geschmack der feinen japanischen Hofgesellschaft, wie er sich in der sublimen Farbgebung kostbarer Seidenstoffe in dem sogenannten „Kopfkissenbuch“ der Hofdame Sei Shonagon zur Geltung bringt.

Kannst du zugleich und aus derselben Richtung einen hohen und einen tiefen, einen lauten und einen leisen Ton hören? Kannst du zur gleichen Zeit aus derselben Richtung einen Dur- Akkord und einen Moll-Akkord hören? Gibt es, sollte dies nicht der Fall sein, demgemäß einen dem logischen Farbraum ähnlichen logischen Klangraum oder besser gesagt eine auf das Hören und Bestimmen von Tönen und Klängen bezogene logische Form, gemäß der wir die Hörbarkeit und Bestimmbarkeit von Tönen und Klängen festlegen und gemäß der wir die Begriffe für Töne, Klänge und Akkorde richtig oder unrichtig anwenden? Dass sich an der Komplexität in der Kombinatorik der Klänge das Raffinement des musikalischen Geschmacks erweist, scheint jedenfalls evident zu sein.

Kannst du angesichts eines Andachtsbild, einer segenenden Geste, eines Weiherituals zur gleichen Zeit den Eindruck des Heiligen und des Profanen, des Göttlich-Großen und des Widergöttlich-Niedrigen, des Versöhnten und Erlösten und des Verfluchten und Verdammten haben? Ist aber Aaron nicht der Bruder des Moses, wenden manche ein, und wurde aus Saulus nicht Paulus? Sollte Luzifer der ewige Schatten Christi sein? Sind die sogenannten Urworte und Urszenen, sagen andere, nicht doppelsinnig, zwiespältig, ambivalent? Verlassen uns auf diesem Feld die menschlichen Maße? Können wir hier keine logischen Schneisen mehr schlagen?

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