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Ameisensäure

14.08.2015

Geschichte ist eine Idee männlicher und patriarchalischer Prägung. Sie kann gleichsam eingeatmet werden mit dem Fluidum und Aroma eines sanktifizierten und glorifizierten Namens: Alba Longa, Roma aeterna, Colonia Claudia Ara Agrippinensium.

Osker, Picener, Umbrer, Sabiner, Messapier und einige andere sind Namen von Völkern, die italischer oder anderer Herkunft sich die römischen Latiner unterwarfen. Die Größe Roms ist gleichursprünglich und gleichsinnig mit der Liste solcher Namen, deren Glanz im Glanz des römischen verblaßte.

Woher die Verehrung des Namens? Woher das Streben, Größe zu finden in der Ausstrahlung und im Ruhm des Namens? Wir wissen es nicht.

Die Nation und eine sie beherrschende Gens sind die natürlichen Wurzeln von Völkern, die nach dem Imperium streben und ihre Anrainer in das Joch ihres Rechts, ihrer Sitten, ihrer Sprache spannen wollen. Han, Maya, Azteken, Khmer, Hethiter, Perser, Ägypter, Römer, Goten, Langobarden, Franken, Burgunder, Alemannen, Angelsachsen, Russen …

Der Untergang Roms läßt sich an den Namen der späten Kaiser ablesen, die zunehmend orientalische oder germanische Herkunft verraten.

Die Religion des heiligen Namens ist die Religion des Volkes, das sich zum Imperium berufen fühlt. Der Kult des Staatsgottes Jupiter Optimus Maximus diene dieser These als Erläuterung.

Einer der großen Dichter deutscher Zunge schreibt für seinen hochgemuten Schrieb die Kleinschreibung vor, gründet einen geheimen Orden – und wird marginal. Einer der kleinen Dichter parfümiert die Papierrosen seiner Reime mit Kölnisch Wasser, schreibt für die Journale – und wird populär.

In den Schulen wird nur noch gelesen, was auch dem dümmsten Bauernschädel einleuchtet, was der frechste Rotzlöffel gerade noch akzeptiert. Gemäß diesem Verfahren ist leicht vorauszusehen, daß dort bald nicht mehr gelesen wird.

Wenn Krethi und Plethi über den Volksempfänger mit dem Thema „Liebe“ unterhalten wird, bekommen der Lustmörder und der Perverse die längste Redezeit.

Als bedeutende Dichter gelten Selbstdarsteller und Performance-Künstler, die coram publico mit dem Sand abstruser Metaphern gurgeln und die Zuschauer mit dem Schlamm obszöner Pointen bespucken – großer Applaus ist ihnen gewiß.

Was in der großen Oper als geistreicher Inszenierungseinfall brilliert, sind – Fäkalien.

Die Mater Magna mit dem Knaben auf dem Schoß war einmal einschließlich ihrer katholischen Variante das geheime Ausstrahlungszentrum der europäischen Kultur. Heute hat das kinderlose Mannweib ihre Stelle eingenommen.

Ob bei Insekten, Schlangen oder Pflanzen – Gifte sind natürliche Substanzen zur Selbsterhaltung durch Abwehr des Feindes. Wer alles und alle begrüßt, wer alles und alle willkommen heißt, hat sich selber aufgegeben.

Tabu heißt: Hier darfst du nicht weiter nach Gründen fragen. Wer hier nicht die Augen zukneift und unbelehrbar nach Licht ruft, gilt nicht als unerschrockener Denker, sondern als Verräter und Nestbeschmutzer, als gefährlicher Staatsfeind.

Als barbarisch dünkt es uns, beim Introitus des mozartischen Requiems einen Jodler auszustoßen, während der heiligen Handlung der Eucharistie laut zu rülpsen, eine Synagoge mit obszönen Graffiti zu entweihen – aber sie faseln weiter von der Gleichsinnigkeit und Gleichgültigkeit aller Werte.

Vermische die Farben der Völker oder der Wappen und Flaggen der Nationen – und du erhältst einen widerwärtigen Mischmasch. Die Scheu vor der wahllosen Vermischung der Körper und Seelen ist nicht nur ein hygienisches Gebot, sondern eine ästhetische Forderung.

Statt der Tiara trägt der Pontifex jetzt eine Narrenkappe.

Unbedenkliche Nachsicht und Toleranz sind das Signum gemeiner Seelen.

Wer nichts sich zu eigen pflegt, wer nichts sein eigen nennt, ruft: „Allen gehört alles!“

Rom ging nicht am ungebremsten Zustrom der Barbaren zugrunde, es mußte lang zuvor den Glauben an sich selbst und die eigene Größe und Berufung unter den Völkern aufgegeben haben, damit es so weit kommen konnte.

Das Latein der klassischen Autoren verschwindet heute aus den Curricula, weil die alten Schriften zu viel an unangenehmen Wahrheiten über uns selbst enthalten.

Es sind stets dieselben Lästerzungen, ob sie nun den ehelichen Bund von Mann und Frau als Traditionsplunder verhöhnen, Liebe für ein hormonelles Ereignis ausgeben, den im Weinberg seines Werks sich plagenden Autor als autoritäre Mißgeburt entlarven, die Pflege der eigenen Kultur für eine unzumutbare Last auf zarten Kinderseelen erklären oder Nation und Volk als antiquierte Begriffe verleumden.

Wie wird die schöpferische Seele frei? Durch Vergessen der Qualen, die all ihr Erdenwallen gekostet, aller Zumutungen und niederziehenden Lehren seitens der Unschöpferischen. Durch ein immer wieder gesuchtes, herbeigesungenes, herabgebetetes Verweilen und erfülltes Entsagen im Augenblick des reinen Empfindens, in dem sich das Ding wie eine ins Wasser geworfene Boje ins Gleichgewicht findet. O, sie schwankt ja! Laß sie nur schwanken, sie geht nicht unter!

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