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Die Aura des Leibes

24.03.2024

Philosophische Sentenzen und Aphorismen

Die natürliche Intelligenz ist die conditio sine qua non der künstlichen. – Doch natürliche Intelligenz vollzieht sich nach anderen Prinzipien als maschinelle, denn sie ist in die leibhaftige Gegenwart des Menschen und ihrer Rhythmen, Gesten und Zeichen eingebunden.

Ein Roboter hat keine Überzeugungen, keine Erwartungen, Befürchtungen, Absichten und Erinnerungen, keine Gefühle von Dankbarkeit oder schuldhafter Verfehlung, der Stoff, von dem wir uns geistig ernähren. – Eine rein algorithmische Maschine kann nicht glauben, daß sie von verwandten und doch fremden Mächten erzeugt worden ist, daß sie einst nicht existiert hat und auch einmal nicht mehr existieren wird. Ein Roboter macht keine Fehler, sondern funktioniert nicht auf Befehl, er stirbt nicht, sondern geht kaputt.

Das Rind zeugt ein Rind, der Mensch einen Menschen, aber der Staat den Leviathan.

In der degenerierten Kulturbetriebsschickeria schillert der Abschaum, der aus den Abwasserkanälen der Vulgarität und Perversion aufgestiegen ist.

„Am Knochen haben wir keinen Befund“, sagt der Orthopäde zum Patienten, „demnach rühren die Schmerzen von den Muskeln“ – Nein; sie könnten auch Symptom geistiger Erkrankung sein.

Wenn Ähnliches nur Ähnliches hervorbringt, wie hätte Gott die Welt und den Menschen erschaffen können, ohne eine Spur seines Wesens zu hinterlassen?

Satan, sollte er, was angesichts seiner monströsen Taten und Untaten nicht unwahrscheinlich ist, bei der Erschaffung des Menschen hineingepfuscht haben – war er dabei Gottes hämisch grinsender Assistent oder sein demiurgischer Gegenspieler?

Das Wort ist herabgesunken zum flatus diaboli.

Die Sprachquader römischer Inschriften, eines Horaz, eines Caesar und Tacitus bedürfen keines rhetorischen Mörtels.

Der große, der gepriesene Name wird zum Gespenst seines Trägers, das nach seinem Ableben unter den Dächern der Gelehrten und Geliebten umgeht.

Manche Frauen wirken bekleidet nackter als unbekleidet.

Der Wind spricht anders mit den Dünen, anders mit den Schilfen des Strands.

Tiere und Roboter können sich nicht selbst mißtrauen, verachten und hassen.

Die Aushöhlung der Mechanismen der Auslese führt zur Verdummung der Eliten und zur allgemeinen Nivellierung des ästhetischen Geschmacks.

Cultura facit saltus.

Der Charakter des Mannes spiegelt sich im urtümlich-anonymen Gewimmel der luxuriös verschwendeten Samenzellen; der Charakter der Frau in der physiologischen Hut und der beschränkten Anzahl der zur Befruchtung vorgesehenen Eizellen. – Aggressivität, Heroismus und Abenteuerlust des Mannes sind ebensowenig ein kulturelles Konstrukt wie die Vorsicht, Sanftmut und Liebes- und Bindungsfähigkeit der Frau.

Flatus diaboli. Was Kain verübte, kann nicht ohne Einflüsterung Satans geschehen sein.

Das Mal der Seele läßt sich nicht wegschminken.

Die tausendfach bezeugte Tatsache des Ethnozids bestätigt die Bedeutung ethnischer Identität.

Mors ultima Musa.

Mittels eines Pakts mit dem Satan wähnt der vertriebene Mensch, ihm werde das Tor zum Garten Eden wieder aufgetan.

Klingt die dämonisch inspirierte Musik eines Adrian Leverkühn nicht himmlisch?

Das Spezifikum der Conditio humana bekundet sich in der Tatsache, daß nur der Mensch, nicht aber das Tier (geschweige denn der Roboter) geisteskrank werden kann.

Die Geisteskrankheit und die Neurose gleichen der zerrissenen oder durchlöcherten Aura des menschlichen Leibes.

Große Dichtung ist durchhaucht von der Aura des menschlichen Leibes, ihre Rhythmen sind seine Rhythmen.

Der gestörte, unterbrochene, diffus gewordene Rhythmus, ob des menschlichen Leibes oder der Dichtung, ähnelt dem Stottern und allmählich verstummenden Glucksen einer Quelle.

Enttäuschte kindliche Gemüter wähnen, vor dem gänzlichen Erlöschen der christlichen Glaubensglut zu den alten heidnischen Gottheiten flüchten zu können. Doch wie lächerlich, im Zeitalter forstwissenschaftlich gehegter Wälder und globaler Elektrifizierung in die Haine Dianas zurückkehren oder im Donner wieder das Grollen Thors vernehmen zu wollen.

Die neuheidnischen Bewegungen der vorletzten Jahrhundertwende gipfelten entweder in wenig graziösen Tänzen nackter Vegetarier oder mündeten im Judenhaß.

Im Jammertal wird das Holz des Heiles nicht ergrünen.

„Komm!“, „Geh weiter!“, „Hier entlang!“, „Achtung, dort lauert der Feind!“ – solche und viele Aufforderungen und Mitteilungen dieser Art vermag die menschliche Geste stumm auszudrücken; sie in Worte zu fassen scheint dann nur wie ein kleiner Sprung.

Der Abstand, den wir unwillkürlich von Mensch zu Mensch einzunehmen pflegen, ist instinktiv vorgeprägt; im natürlichen oder konventionellen Umgang zwischen Mutter und Kind, Freunden und Liebenden oder Arzt und Patient verringert er sich auf ein Minimum, ohne daß die Leine der Scham, der Ehrfurcht oder Angst an uns zerren würde.

Lesen wir Puschkins „Eugen Onegin“, „Väter und Söhne“ von Turgenjew oder die Erzählungen von Tschechow, meinen wir, Rußland gehöre zur europäischen Kultur; verstört und bezaubert von den „Brüdern Karamasow“ oder den „Dämonen“ Dostojewskis fühlen wir uns in asiatische Steppen versetzt.

Zeichen titanischer Europäisierung war die Gründung von Petersburg durch seinen Namensgeber Zar Peter den Großen; Zeichen der Rückkehr zu den asiatischen Ursprüngen war die Umbenennung der Stadt unter den roten Zaren.

Zeichen der Abkehr von der Rezeption der Antike in Architektur, Dichtung und Kunst sind der Verfall des künstlerischen Geschmacks in den Betonwüsten der Städte und die Verkümmerung des Studiums der antiken Sprachen und Kunstwerke an Schulen und Hochschulen sowie die zunehmende Mißachtung oder Diskreditierung klassischer Autoren, deren Formenstrenge sich am Vorbild von Ode und Elegie maß.

Wer an Gestalten wie Rudolf Borchardt, Gottfried Benn oder Ernst Jünger misogyne, homophobe und bellophile Wirkungen des Giftes toxisch-weißer Männlichkeit diagnostiziert, darf sich der berechtigten Hoffnung hingeben, hohe mediale Aufmerksamkeit oder akademische Würden zu erlangen.

Insekten bilden nur in einem schwachen analogen Sinne Staaten, nicht im faktischen; denn ihren Gemeinschaften fehlt die Institution des staatlich verankerten und sanktionierten Gesetzes. Die wachhabende Ameise, die ihren Staat nicht mehr wehrhaft unter Einsatz ihres Lebens vor feindlichen Eindringlingen verteidigt, begeht im Gegensatz zum Politiker, Soldaten und Offizier keinen mit der Kapitalstrafe zu ahndenden Hochverrat, sondern leidet unter einem den Instinkt beeinträchtigenden physiologischen Defekt.

Tugend impliziert die Möglichkeit des Lasters.

Sind Bienen fleißig? Ist ihr Verhalten als Emsigkeit und Opferbereitschaft zu beschreiben, wie es Vergil in seinen Georgica tat, um es als Vorbild römischer Staatsethik zu verklären? – Wären Bienen fleißig,
könnten sie tun, was ihnen ihr Instinkt verwehrt, nämlich, sich auch einmal am Nektar der Blüte egoistisch gütlich tun, statt ihn unversehens ins Nest zu transportieren, sie könnten einen Tag lang den lieben Gott einen guten Mann sein lassen, ohne die Quelle ihres heimlichen Genusses den Schwestern getreulich und dienstbeflissen mitzuteilen.

Die Dummheit der Evolutionspsychologen wird nur noch übertroffen von der Begriffsblindheit der naturalistischen Philosophen.

Die Bedeutung eines sprachlichen Ausdrucks kann nicht in Aussagen über physische und neuronale Muster übersetzt werden.

Der Affe im Zoogehege weiß nicht, daß sein Pfleger lächelt, auch wenn er die veränderten Gesichtszüge wahrnimmt, auch dann nicht, wenn er sich auf eine Weise verhält, als wüßte er es.

Naturalistische Philosophen verwechseln sprachliche Kommunikation mit Verhaltensreaktionen auf visuelle oder akustische Wahrnehmungsreize. – Sie unterstellen, die Wahrnehmung des Klingeltons interpretiere der Hund als Zeichen, daß es etwas Leckeres zu fressen gebe. Doch wenn der erwartete Leckerbissen ausbleibt, fragt sich der Hund nicht, ob er das Zeichen mißverstanden oder sich seine Bedeutung geändert hat.

Die Absonderung von Speichel ist keine Form der Erwartung, sondern das Symptom des bedingten Reflexes. – Erwarten wir den Besuch eines Freundes, sind wir nicht enttäuscht, wenn statt seiner ein Bekannter klingelt und uns mitteilt, der Freund könne nicht kommen, denn er liege krank danieder, sondern wir sind besorgt. Wir sagen nicht: „Ach, wie dumm!“, sondern: „Laß uns gemeinsam einen Krankenbesuch machen!“

Wir klären die Begriffe, indem wir sie gleichsam in modellartigen Versuchsanordnungen anwenden.

Der Versuch, Begriffe aus der Sphäre der Sittlichkeit wie Tugend und Laster oder des Rechts wie Vergehen und Strafe auf natürliche Tatsachen und Ereignisse anzuwenden, muß begriffsnotwendig scheitern; es sei denn, es handele sich um Formen des Mythos oder um dichterische Metaphern.

Das Licht der Wahrheit hat keine Wellenlänge.

Die Sonne der dichterischen Welt haben wir nur im farbigen Abglanz metaphorischer Wendungen und Bezüge, das Licht der poetischen Aussage erfassen wir im wandernden Schatten übertragener Bedeutungen.

Die Wahrheit des menschlichen Daseins enthüllt sich uns in den Formen und Mustern, in denen sich unsere leibgebundene Gegenwart kundtut.

Die Seele ist die Aura des Leibes.

Ihr war seine Gegenwart wie ein lastender Schatten; betrat sie den Raum, schien es heller zu werden.

Sein glasig-abwesender Blick schien alles Bitten und Flehen von sich abgleiten zu lassen.

Wir können, was menschliches Leben bedeutet, nicht physiologisch ableiten, allenfalls physiognomisch.

Der Geschmack der Madeleine, der Proust unwillkürlich die Erinnerung an seine Kindheit aufschließt, ist nicht der Geschmack der Speise, die unser Heißhunger hinabschlingt.

Der Schmerz um die verlorene Liebe ist dem Phantomschmerz nicht unähnlich.

 

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