Der Ausflug
Gerbermühle – Waldfriedhof Oberrad – Goetheturm
Plötzlich ein dumpfer Stoß, die Tassen klirren,
der Ponton am Eisernen Steg schwappt hin und her,
da legt die „Goethe“ an.
Du erwachst aus der dumpfen Phantasie,
drei Boings jagten in die Türme der Deutschen Bank
und des Messeturms –
da quillt die Tourimasse aus dem Schiff
und endlich stürmst du zielbewusst zum Vorderdeck.
Schon wandelt sich das Ufer, der Dom, der Fluss,
der heute träge schlämmt,
in ein Abschiedspostkartenbild,
das du dir selber schickst.
Die Lautsprecherstimme erklärt dir, was du siehst:
St. Katharinen, Deutsch-Herren-Ufer, Alte Brücke,
da oben schritt der junge Dichter,
dem sich die Bilder weicher Wellen,
bunter Boote, reger Menschen
anmutig duckten wie in der Manege
vor dem Dompteur die falben Katzen.
Doch siehst du auch, was keiner dir erklärt,
was unerklärt erscheint: das Sichwiegen eines jungen Schwans,
das Licht, das goldne Fäden in die Zweige spinnt,
das Unglück einer Frau, die sich in die Sonne reckt,
und längst vergaß, wonach sie seufzt.
Wie hat sich nur, was jugendstilig sich verjüngend biegt,
beim großen Port des Westens gut versteckt!
Du staunst, wie das Hochhaus der EZB sich doppelflügelig
um die Residuen der Großmarkthalle gluckt,
oder istʼs ein schlanker Häher scharfen Schnabels,
der einen alten, grauen Maulwurf ausgeweidet?
Die Kinder kleben unter Deck an den Scheiben,
was rufen sie sich zu, und sie drängen,
wenn der Matrose das Tau anwickelt
und der schwere Kahn ächzend ans Ufer schrammt.
Hier glühte wie unter ersten Küssen Mädchenwange
die Wunderblume in persisch-deutsche Liebesnacht.
Und ihre Schönheit schmerzt,
da sie genährt die Wunde einsam-fernen Tods.
Es sind die Spuren solchen Welt-Umdichtens
spärlich hier gestreut: Ein Wimpel auf dem First
der nobilitierten Gerbermühle, in der nicht Korn
noch Träume mehr gemahlen werden,
zeigt ein Rokoko-Getändel des Dichters und der Muse.
Doch der freundlich-erbötige Kellner weist dir den Weg:
Da hinten stiert die Büste des altersgrauen Meisters
in die flüsternde Beflissenheit gedämpfter Gastlichkeit.
Wie kommst dem stillen, guten Leben du näher
unter den Toten des Waldfriedhofs!
Hier bannst du die Dämonen
mit dem milden Schrei des Vogels und des Eichhorns
süßem Knacken von Kastanien oder Nüssen.
Und doch ist die schöne Waldesdichtung
aus den Hainen von Buchen, Birken oder Kiefern
geschändet durch den Lärm der Einflugschneise,
geschändet ist die Pietät der Totenruhe
vom Gemache grenzenlos Besessener.
Nahe dem Goetheturm verhökern Kinder
„Glückssteine“, runde oder flache Kiesel,
die sie übermalt mit bunten Zeichen und Gesichtern.
„Man muss sie aber in der Tasche tragen!“
Nur dann bringen sie dir Glück, mein Lieber.
An der Haltestelle Hainerweg kniet sich der Fahrer
während der Pause, es dämmert schon,
im leeren Bus auf einen schmalen Teppich
(wie er sein Mekka ahnt!) und betet sein Gebet.
Könnte nur seine schlichte Frömmigkeit dich heilen
von den Ängsten und der Phantasie,
Flugzeuge rasten in die Bankentürme!
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