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Blutstropfen

30.08.2020

Philosophische Sentenzen und Aphorismen

Zu viele Worte, zu viele Bilder, zu viele Menschen.

Das ferne Rauschen eines Baches in der Nacht, wässriges Gold der Dämmerung in einem schmalen Spiegel, der Schatten eines Flügels auf dem Teich, der schon versinkt – genug, genug.

Wie feiner Sand im Stundenglas, so rieseln Korn um Korn die Worte aus dem Mund.

Keiner weiß, ob die Worte auf fruchtbaren Boden fallen und keimen, weder, der sie sagt, noch der sie vernimmt.

Das fern Geschaute, schwach Erlebte, kaum Gefühlte – ein Fleck, ein kleiner Riß auf einem Blatt, und ringsum ranken sich die Schatten kommentierenden Dickichts.

Der Gekränkte stirbt der Welt in dem Maße ab, wie er über seiner Wunde meditiert.

Das Denken kann sich nicht an einem Einfall, einem Bilde, und seien sie noch so kühn, noch so farbenfroh, sättigen.

Der melancholisch Erstarrte ist weniger als der Käfer, der unterm warmen Anhauch wieder sich regt.

Die lebendige kann die tote Hand nicht mehr erwecken.

Die Blume, die geblüht hat, kann getrost verwelken; doch der unerblühte Mund …

Und versehrt sie nur ein kaum sichtbarer Riß, der Ton der Glocke ist verstimmt.

Unter dem Schwulst des Verses, den die ästhetische Kritik erfolgreich wegoperiert hat, tritt eine nichtssagende Trivialität ans Licht.

Manch eine glänzende Metapher enthüllt sich bei näherem Hinsehen als eitriger Ausschlag auf dem geschwächten Leib der Sprache.

Wenn die zarten Sprossen artikulierter Laute vom Ächzen eines entfesselten Rhythmus verschluckt werden.

Die da an den Wassern Babels seufzen und klagen, können ihr monotones Gurgeln, das klingt wie ein ewiges „Ja, ja, nein, nein“, nicht übertönen.

Der vom Leben freudig Umarmte und der ins Dunkel Verstoßene haben sich nichts zu sagen.

Am Kuß der Muse erstickt.

Ins dämmernde Wasser versenkt der Mond seine toten Lilien.

Die Panik des Triebs, in der sich Molche und Frösche umklammern, um zu laichen.

Die fast tödlichen Züge und Wanderungen der Vögel und Lachse, um eine Zukunft zu retten, die ohne sie stattfinden wird.

Jener, der nachts das Geflecht der Seele wieder auftrennt, das er tags mühsam gewebt hat, um, vergebens, den unerbittlichen Freier Tod zu betrügen.

Gran Partita am Strom der Dämmerung, in dem Leichenteile treiben.

Eros, Wespe, die sich im Haar verfing.

Der Philosoph, der als über ein Sakrileg entsetzt war, ein Klavier im Kirchenraum vorzufinden, konnte doch das Knie nicht beugen.

Ein schartiges Messer, des Vaters Strahl, den der fromme Dichter zu fassen wähnte.

Blutstropfen, was im Dunkel wie Rosen gefunkelt.

Keiner fand noch die Partitur, nach der die zerrissenen Teile der Seele wie die Hörner, Fagotte und Klarinetten einer Mozartischen Serenade harmonisch zusammenklingen.

Was im Dunkel wie ein Nachbild des wirren Sonnentages schimmert, Einsicht, bittere Träne.

Auf dem Kalvarienberg blättert der Philosoph verlegen in seinem Lexikon nach dem hier anwendbaren Lemma.

Welche erhabene Aussicht, ohne Hoffnung auf Auferstehung, das Festmahl der Würmer.

Der Ernüchterte kehrt wie Sisyphos am Morgen zu seinem Felsbrocken zurück.

Des Dichters Lorbeer schmerzt wie eine Dornenkrone.

Zwischen Grauen und Grauen nur die rasch sinkenden Knospen eines unfaßbaren Lichts.

Auf verschlungenen Pfaden, der Käfer sagt es mit seinem grünen Schimmer, der Baum mit wehenden Zweigen, der Schatten des raschen Flügels auf dem Wasser, das laute Wort dessen, der deinen Weg kreuzt, bleibt stumm und weiß nichts von der Heimat, die du meinst.

Das Wasser des Gedichts spiegelt die flüchtigen Wolken, die wehenden Schatten des Lebens und das schöne Antlitz der Liebe, die einmal, o einmal sich darüber beugt; aber wie Tau verrinnt die Zeit und die Erscheinungen weichen zurück, bis nur das blasse Blau des Himmels, die Hortensie sanfter Stille, ihm noch bleibt, und bald schon wird es grau, denn der Abend, Adieu für immer, er ist nah.

Der Übertritt und das Unmaß bleiben nicht ungesühnt, das allzu gierige Feuer verzehrt sich selbst, das böse Grinsen zerfällt in ein schmerzvolles Lächeln, die krakeelende Stimme erstickt in Röcheln.

Das Gedicht ist wie der Stein im Bach, um den das Wasser sich teilt und aufschäumt und rauscht, doch hinter ihm glätten sich die Strudel und es fließt wieder sanft dahin.

Unendlich ist die Fuge des Lebens, Glück, wenn wir uns als eine ihrer zahllosen Stimmen, ob klein oder groß, ob führend oder respondierend, begreifen.

 

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