Die schmale Schneise
Berger Straße, Frankfurt am Main
Die Lippen aprikosenrosig,
die großen leeren Augen
von weißer Aura dicht umschäumt,
in starrer Beter-Haltung
wie in Ägyptens Ewigkeit,
und auf das graue Fell gefaltet
andachtsvoll der nackte Schwanz –
so starrte auf dem Bürgersteig der Berger Straße,
gleich vor dem schicken Herrenausstatter,
schamlos öffentlich krepiert,
die fette tote Ratte.
Du bist, ein schüchtern Herz,
ungläubigen Ausdrucks,
fast hingestolpert, drangestoßen,
und hast im letzten Augenblick
den rechten Fuß noch spastisch
drüberweggehoben.
Am nächsten Morgen war die Ratte weg –
der Kadaver war entsorgt,
die Bahn war wieder frei für die Prozession
der Bummler und Passanten.
Wer hat sie weggeschippt?
Mit welchem Grauen im Herzen,
mit welchem Ekel im Gesicht?
Ich aber sitze hier bei Schummerkerzenlicht
im Café Ypsilon und denke allem Schicksal nach,
der Lebenden, der Toten,
dem deinem und dem meinen.
Gegenwelten sind uns Enterbten nicht beschert –
wir bleiben ängstlich frei
in dieser schmalen Schneise,
aus der verklärt oder vernebelt
der immer heutige Tag uns lächeln mag.