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Denkzettel

14.01.2020

Philosophische Sentenzen und Aphorismen
Dem Andenken an Jakob von Uexküll

Dem noch Kuhmist an der Sohle hing, sprach von der großen Reinigung.

Im Maul der Aktualität verklumpt alles Bedeutsame zu einem klebrigen Einheitsbrei.

Wachset und mehret euch! Nein, nur die Guten, Edlen, Begabten.

Die heutigen Pazifisten und Europa-Fanatiker, Wölfe im Schafspelz, wollen die kulturelle und ethnische Auslöschung der Völker unter dem fadenscheinigen Vorwand, solange sie bestünden, wäre die Gefahr des Krieges nicht gebannt.

Die keine Völker, Kulturen, Stilformen mehr anerkennen, träumen von der apokalyptischen Zerstampfung und Zermatschung aller Unterschiede im Mörser des allmächtigen Weltstaates.

Promiskuitive Vermischung als neues Heil der Völker im Darkroom des evangelischen Kirchentags.

Der gemischt-ethnische Pöbel ist die Wahrheit der europäischen Idee.

Die barbarischen Ausdrucksmuster des gesichtslosen gemischt-ethnischen Demos liegen längst in Elementen und Mustern der Werbe- und Pop-Art, den Klangfratzen von Jazz und Techno oder den Glossolalien der Slam-Poetry bereit.

Sicher, man muß den Menschen entkleiden, auskultieren, durchleuchten und sezieren, damit man die Wahrheit des Körpers, der Organe, ihres Schwellens und Verfallens sowie den Unterschied von Mann und Weib, also den animalischen Sinn des Lebens, erkennt. Aber daß er in urbanen Kreisen nicht nackt, sondern bis ins Putzige, Absonderliche oder Abgeschmackte verkleidet herumläuft, ist eben ein Erkennungszeichen seiner sonderbaren Artung.

Anders als Elias Canetti glaubte ist die Schia keine Religion der Klage; jedenfalls, insofern Klage Trauer meint und Trauer bewältigter, verinnerlichter Schmerz, wie wir es im frühen Christentum vor Konstantin gewahren, das sich um seine Märtyrer scharte. Die schiitische Klage dagegen ist aufs peinlichste und gräßlichste vermengt mit Wut, Abscheu und Niedertracht.

Es ist eine Wesensunterschied, den eigenen Körper im Abbild eines Fotos zu erkennen oder ihn bei geschlossenen Augen im Halbschlaf innerlich zu spüren, ohne daß man seiner genauen Ausmaße innewird.

Wir zeigen auf ein Foto, auf dem wir in heiterer Runde mit Freunden um einen gedeckten Tisch sitzen. Wir sagen dem Betrachter: „Erinnerst du dich, damals beschlossen wir unseren literarischen Salon zu gründen?“ Der Entschluß ist ebenso wie die Absicht, die Erinnerung, die Erwartung und viele andere psychologische Zustände oder Vorgänge nicht auf einem Foto auszumachen; psychologische Tatsachen, die wir anhand psychologischer Prädikate benennen, scheinen in keinem Medium abbildbar, außer der Sprache, wenn wir beispielsweise unsere Absicht kundtun und ankündigen: „Ich gehe jetzt nach Hause.“ Wegen dieser gleichsam versteckten Daseinsform kommen wir zu der mythologischen Annahme, solche Zustände und Vorgänge seien unsichtbare Modifikationen einer Seele genannten unsichtbaren Substanz.

Das Foto zeigt dich als Knaben mit einem Verband um den linken Daumen. Du hattest dich geschnitten und die Wunde schmerzte. Die Verletzung war ein Ereignis in dieser physikalischen Welt; aber der Schmerz? Er ist kein Ereignis der Art wie die Verletzung, die ihn hervorruft.

Wir können keine energetische, biosemantische oder libidinöse Gesamtbilanz des Lebens ziehen, die uns berechtigte, ständig optimistisch in den Tag zu grinsen oder defätistisch vor dem nächstbesten Passanten auszuspucken.

Die genaue, geduldige, sorgsame Betrachtung der vegetabilen, animalischen und ästhetischen Rhythmen und Gestalten, Muster und Strukturen entschädigt für so manchen Webfehler im eigenen Dasein.

Das Kind wirft den Ball an die Wand und fängt den zurückprallenden wieder auf; dem rational konstruierten Außerirdischen erschiene dieses Verhalten widersinnig oder unverständlich, doch wir verstehen, was uns daran spielerisch-selbstvergessen anmutet.

Ein Grund, unter dem stets zum Zuschnappen bereiten Riesenmaul des Molochs Stadt unglücklich zu werden, ist es, als Kind unter den sanften Blütenlippen des heimatlichen Gartens glücklich gewesen zu sein.

Das Lächeln der Kurtisane verrät ebenso viel über das Wesen der Frau wie der Schleier der Nonne.

Wir finden kein allgemeines Gesetz wie das Streben nach Lust oder die Vermeidung von Unlust, welches uns das Seelenleben nackt auf den Labortisch höbe. Aber wir stoßen auf psychologische Regeln, Muster, Sinnfälligkeiten wie die Kompensation, den Kontrast, die Umkehrung, die Verneinung, das Surrogat, die Assoziation und Anspielung oder die Verzerrung, die seltsamerweise mit manchen Gestaltungsmustern dichterischer und musikalischer Sprache übereinstimmen.

Ein Messer läßt sich nicht physikalisch beschreiben; es ist das Gebrauchsding, dessen Bedeutung darin besteht, daß wir damit Äpfel und Kartoffeln schälen oder eine Figur schnitzen können.

Der Mensch ist nicht das Tier, das werkelt oder spricht; er ist das Tier, das handeln und sprechen KANN.

Das handwerkliche, sprachliche und künstlerische Können des Menschen ist keine funktionelle Antwort auf die Frage und Reizbedeutung der Umwelt, wie es der Wabenbau oder Schwänzeltanz der Biene darstellt, sondern Ausdruck in frei gewählten Mustern und Rhythmen.

Wenn der Töpfer die halb geformte Figur verwirft, handelt er aufgrund besseren Wissens; wenn der Biene der Bau der Wabe mißlingt, ist sie erkrankt.

Wir sehen dem Messer an, was wir damit verrichten können; dem Menschen nicht, was er zu tun und zu sagen in der Lage ist. Wir erkennen es, wenn er handelt und redet oder seine Absichten kundtut.

Was eine Blume, ein Tier für sich sind, wissen wir nicht; wie die Rosen, die wir in der Vase ordnen oder auf dem Stilleben bewundern, wie die Amsel, deren Gesang wir bewundernd lauschen, nehmen wir sie als Elemente in die Struktur unserer Welt auf. Doch leben sie in eigenen Welten, von denen wir weder wissen noch uns durch Einfühlung ein Bild machen können.

Wir können die fremden Welten der Pflanzen und Tiere konstruieren, wie wir eine geometrische Figur konstruieren.

Wie schälen wir eine Kartoffel? Wir müssen geschickt das Messer handhaben, es genau mit seiner scharfen Schneide ansetzen und die Schale möglichst dünn rund um die ganze Frucht wegschneiden. Wir benutzen dabei unsere Augen, unseren Tastsinn, die Ennervationen unserer Arm-, Hand-, Fingermuskulatur versorgen uns mit den fast unwillkürlich wirkenden Impulsen, die Kartoffel in der einen Hand zu halten und harmonisch gemäß dem Schälverlauf zu drehen. Wenn wir sehr geübt sind und uns die Sache wie spielend von der Hand geht, können wir, während wir die Kartoffel schälen, uns unseren Gedanken und Phantasien hingeben, Musik hören, etwas singen, uns mit einem Gast unterhalten.

Wir können immer fragen, wozu. Wir schälen die Kartoffel, um sie zu kochen, wir kochen sie, um sie zu essen, wir essen sie, um unseren Hunger zu stillen, wir stillen unseren Hunger, um zu leben. Doch hier bricht das Fragen ab, denn es gibt keine eindeutige Antwort auf die Frage, wozu wir leben.

So ist es mit allem. Wir gelangen fragend stets an die Grenze des Sagbaren und stoßen an eine unübersteigbare Grenze, die uns manchmal wie die Wand am Ende einer trivialen Sackgasse erscheint, manchmal wie das Dorngestrüpp eines Rätsels, oder je nach Blickwinkel, bald so, bald so.

Gewiß sehen wir dem geflügelten Vogel an, daß er wohl fliegen, mit seinem Schnabel die Erde aufwühlen und Würmer picken kann, am Hörorgan und den Krallen der Eule, daß sie wohl das Huschen und Wispern der Mäuse auch im Dunkeln registriert und sich zielscharf auf ihre Beute stürzen kann. Doch was sagen uns Augen, Ohren und Mund des Menschen, was seine Hände und Beine und Füße, was seine Geschlechtsorgane? Nun, einen elementaren biologisch-funktionellen Sinn und Gebrauch der Organe zum Sehen, Hören, Reden, Greifen, Laufen und zur sexuellen Vermehrung können wir postulieren. Aber nicht aus der physiologischen Beschreibung kulturelle Tatsachen ableiten wie Malerei, Plastik und Musik, das Vergnügen an perversen sexuellen Ausschweifungen oder den freiwilligen Verzicht zugunsten mönchisch-kontemplativer Askese.

Beobachten wir den Orchestermusiker bei einer Aufführung, nehmen wir den Geiger, gewahren wir, wie die Bewegungen der Hände und Finger bei der Führung des Bogens und dem Gleiten und Drücken der Finger auf die Saiten einen Tast- und Greif-Raum bilden; gleichzeitig muß der Musiker sein Tun mit dem Hör-Raum integrieren, in dem er sich hörend mit den von seinen Mitspielern hervorgebrachten Tönen synchronisiert; dabei ist sein Seh-Raum gleichsam aufgefaltet durch Blicke zu den Anweisungen des Dirigenten und auf die Partitur.

Der Geiger vollzieht sein Tun nicht mechanisch, als könnte man die von ihm erzeugten Töne durch eine mechanische Spieluhr oder einen künstlichen Apparat hervorbringen. Vielmehr interpretiert er das Musikstück. Er achtet also beispielsweise auf die vom Komponisten angegebenen Vortragsformen und Ausdruckswerte wie Allegro oder Adagio, Legato oder Vibrato und gibt sie in einer Weise wieder, daß wir im besten Falle sagen können, er habe den Geist des Stückes erfaßt und wiedergegeben. Dieser Geist ist nichts Mystisches, sondern die gleichsam molekulare Organisation und sublime Verdichtung der Zeit, in der das Stück verwirklicht und interpretiert wird.

Die einfachste Organisation der Zeit ist das Intervall, das wir als Strecke zwischen zwei betonten akustischen Zeichen definieren. So tun wir es beim Hören von regelmäßig fallenden Wassertropfen oder Glockenschlägen. Wir hören eine Melodie im Vogelgesang aufgrund der intervallförmigen Organisation der Zeit; weil wir schon als Kinder Lieder gesungen und später viele Melodien gehört haben, erkennen wir im Vogelgesang eine musikalische Form der Zeitverdichtung. – Was immer der Vogel hören mag, der des Nachbarn Zwitschern vernimmt, ist funktionell durch sein Geschlecht bestimmt: Dem Männchen sagt das Geräusch nichts Musikalisches, sondern: „Bleib weg, hier ist mein Land!“, dem Weibchen: „Komm zu mir, ein Nest habe ich schon gebaut!“

Der Musiker muß mittels Integration und Synchronisierung seines akustischen, haptischen und visuellen Raums mit dem seiner Mitspieler im Takt und im Rhythmus bleiben. Es ist kein Zufall, daß der Zeit-Zähler, das Metronom, wesentlich für unsere Auffassung des musikalischen Taktes ist. Hier können wir einen Bogen schlagen von der Taktung der musikalischen Zeit zur Fähigkeit des Menschen, nach gemessenen Einheiten überhaupt zu zählen. Die Zahl könnte man das grundlegende Zeichen und die operationelle Form für die Organisation der Zeit nennen; sie bewegt sich, wie jede taktförmig gegliederte Partitur belegt, auf der Grenze zwischen visuellem und akustischen Raum.

Die Platane, die Buche, die Birke, die Eiche, der Apfelbaum – jedes dieser Gewächse verbreitet eine eigene Atmosphäre von Licht und Dunkel, Farbigkeit und Duft, Offenheit und Dichte der Gestalt, in jedem, könnte man sagen, schwingt eine eigene Melodie. So auch, wenn sie gesund sind, sich aus angestammten Wurzeln nähren und grüne Worte und reife Taten treiben, der Mensch, die Familie, das Volk.

Das Unglück des Einzelnen entstammt entweder seinem nicht zur Reife und Harmonie gediehenem angeborenen Charakter oder ist der Schatten seiner gestörten oder zerstörten kulturellen Umwelt.

Der Refrain auf die kulturelle Zerstörung der westlichen Kultur scheppert als industriell erzeugte und triebkonform konfektionierte Klangmaske aus den Lautsprechern der Cafés, Warenhäuser, Supermärkte, Fahrstühle.

Plastik, Beton, Blech, Asphalt – die empfindungslose Haut dieser zur Barbarei verdammten Zivilisation.

Verschmierte Bilder, gequetschte Klänge, geschundene Phrasen – mentaler Abfall ohne Lokalfarbe, ohne atmosphärische Spannung, ohne natürlichen Zungenschlag.

Das Messer und jedwedes Gebrauchsding reduziert sich uns nicht ontologisch auf die Summe seiner akzidentellen (Farbe, Ornament) und essentiellen Eigenschaften (Griff und Schneide), sondern es geht als Wirk-Ding ein in die Welt unseres Tuns. Desgleichen sind wir selbst und der Mitmensch ontologisch nicht reduzierbar auf die Eigenschaften eines homo sapiens oder animal rationale, sondern begegnen uns als Mann und Frau, Vater und Kind, Freund und Geliebter, Kamerad und Kollege. Wir verwirklichen uns in der Rolle, die wir spielen, mit der Maske, die wir tragen, wenn die Bühne, die Kulisse und das Stück, kurz unsere kulturelle Umwelt, die gegebene Situation tragen, stimmig und transparent machen.

Ein sicheres Anzeichen dafür, daß uns die Situation nicht mehr trägt und unsere kulturelle Umwelt gleichsam Risse und Löcher hat, ist das Gefühl der Einsamkeit, Verlorenheit, Orientierungslosigkeit.

Tiere, Kinder, Primitive scheinen vor dem von Mystikern wie Blaise Pascal und Endzeitdenkern wie Emil Cioran ins Metaphysische gesteigerten Gefühl der kosmischen Einsamkeit verschont zu bleiben.

Der große Künstler malt keine Berge, Bäume, Tiere, sondern ihren Rhythmus.

Die Polarität von Teilchen und Welle erscheint nicht nur physikalisch ein gutes Modell zur Erklärung der Lichtphänomene, sondern auch psychologisch als eine Gesetzmäßigkeit des Seelenlebens. Auf der einen Seite finden wir differentielle Minima und Maxima der Empfindung, der visuellen und akustischen Wahrnehmung, bei denen gleichsam punktförmig die Schwelle des Bewußtseins unter- und überschritten wird. Auf der anderen Seite breiten sich die Muster, Rhythmen und Gestalten des Empfundenen und Wahrgenommenen wellenförmig zwischen Intervallgrenzen aus.

Das Gesehene ist physiologisch ein Produkt aus der Wirkmacht der Lichtwellen und der Merkkraft unserer Nervenbahnen; psychologisch ist es die Erprobung und Bewahrheitung einer Bedeutung, wenn wir (zurecht oder irrtümlich) den Ausdruck eines Gesichts als lächelnd oder traurig, eines Gartens als öde oder romantisch, eines Gemäldes als heiter oder kitschig verstehen.

Wir können das Gesehene, Gehörte, Gelesene mißverstehen und uns eines besseren belehren lassen; diese Fähigkeit zum Irrtum und zur Korrektur ist eine spezifisch humane Exzellenz.

 

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