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Walther von der Vogelweide, Nemt, frouwe, disen kranz!

18.09.2016

‚Nemt, frouwe, disen kranz!‘
alsô sprach ich zeiner wol getânen maget.
‚Sô zieret ir den tanz,
mit den schœnen bluomen, als irs ûffe traget.
Het ich vil edele gesteine,
daz müest ûf iur houbet,
obe ir mirs geloubet.
seht mîne triuwe, daz ichz meine.‘

Si nam daz ich ir bôt
einem kinde vil gelîch daz êre hât.
Ir wangen wurden rôt
same diu rôse, dâ si bî der liljen stât.
Do erschampten sich ir liehten ougen:
doch neic si mir schône.
daz wart mir ze lône.
wirt mirs iht mêr, daz trage ich tougen.

‚Ir sît sô wol getân,
daz ich iu mîn schapel gerne geben will,
So ichz aller beste hân.
wîzer unde rôter bluomen weiz ich vil.
Die stênt sô verre in jener heide.
dâ si schône entspringent
und die vogele singent,
dâ suln wir si brechen beide.‘

Mich dúhte daz mir nie
lieber wurde, danne mir ze muote was.
Die bluomen vielen ie
von dem boume bî uns nider an daz gras.
Seht, dô muost ich von fröiden lachen,
do ich sô wünneclîche
was in troume rîche,
dô taget ez und muos ich wachen.

Mir ist von ir geschehen,
daz ich disen sumer allen meiden muoz
Vast under d’ougen sehen:
lîhte wirt mir einiu: so ist mir sorgen buoz.
Waz obe si gêt an disem tanze?
frouwe, dur iur güete
rucket ûf die hüete:
owê gesæhe ichs under kranze!

 

„Nehmt, meine Dame, diesen Kranz“,
so sprach ich zu einer jungen Schönen.
„Ihr zieret mit ihm den Tanz,
wenn schöne Blumen euer Haar verwöhnen.
Wären Edelsteine mir zu eigen,
die müßten Euch zu Häupten prangen,
das dürftet Ihr verlangen.
Meine Treue würde so ich zeigen.“

Sie nahm, was ich ihr bot,
einem Kinde gleich, das Artigkeit bezeigt.
Ihre Wangen wurden rot,
wie die Rose, der die Lilie sich neigt.
Sie schlug die Augen schamhaft nieder,
und machte einen anmutigen Knicks.
So ward mir die Gunst des Augenblicks.
Gewährt sie mir noch mehr, vertrau ichʼs keinem meiner Lieder.

„Ihr wollt mir so gefallen,
daß ich meinen Kranz Euch gerne geben will,
es ist der schönste von meinen allen.
Ich kenne der weißen und roten Blumen viel.
Sie blühen auf jener Heide,
wo sie voll Anmut entspringen
und wo die Vögel singen,
da wollen sie pflücken wir beide.“

Mir dünkte, was mein Gemüte
da erfüllte war Glückes Übermaß.
Es schneite Blüte um Blüte
nieder von dem Baume auf das Gras.
Seht, da hab ich vor Freude gelacht,
als ich so wunderbar
im Traum beglücket war,
dann brach an der Tag, ich bin erwacht.

So verzaubert bin ich von ihr,
daß ich diesen Sommer allen Mädchen groß
in die Augen schaue hier:
Vielleicht erscheint sie mir: Dann bin ich allen Kummer los.
Was, wenn sie sich mischt in diesen Tanz?
Meine Lieben, tut mir die Güte
und hebt ein wenig eure Hüte:
Ach, erblickte ich sie unter dem Kranz!

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