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Wenn er keinen mehr hochkriegt – Horaz, Epode 8

18.12.2019

Rogare longo putidam te saeculo,
viris quid enervet meas,
cum sit tibi dens ater et rugis vetus
frontem senectus exaret
hietque turpis inter aridas natis
podex velut crudae bovis.
sed incitat me pectus et mammae putres
equina quales ubera
venterque mollis et femur tumentibus
exile suris additum.
esto beata, funus atque imagines
ducant triumphales tuom
nec sit marita, quae rotundioribus
onusta bacis ambulet.
quid? quod libelli Stoici inter Sericos
iacere pulvillos amant,
inlitterati num minus nervi rigent
minusve languet fascinum?
quod ut superbo provoces ab inguine,
ore adlaborandum est tibi.

 

Du fragst, grad du, von einem langen Leben welk,
warum er mir denn nicht mehr steht,
ist dir der Zahn doch schwarz und über deine Stirn
zieht Furchen grauen Alters Pflug
und scheußlich klafft dir zwischen Runzeln am Gesäß
das Loch wie einer Kuh voll Blut.
Doch stachelt mich der Brüste faules Fleisch etwa,
wie einer Stute Zitzen spitz,
der aufgequollne Bauch, der Schenkel, welcher dürr
auf feister Waden Blase steckt?
Sei nur beglückt, daß man bei deinem Leichenzug
siegreicher Ahnen Masken trägt
und keine Frau mit schweren Klunkern kommt daher,
die so perfekt geschliffen sind.
Was denn, weil gern ein Stoiker-Traktätchen ziert
dein Kissen aus Chinesen-Taft,
bockt, Lesens ganz unmächtig, das Gemächt nicht mehr,
hängt schlaff nicht mehr herab der Schwanz?
Damit du ihn hervorlockst aus der Hoden Pracht,
darfst du nicht faul sein mit dem Mund.

 

Anregungen zur Interpretation:

Das iambisch stoßsichere Gedicht über das schlaffe Glied im Bett einer lang dahingewelkten Schönen wurde von Übersetzern (wie „Dingsda“ für „Schwanz“) und Kommentatoren aus ersichtlichen Gründen schamhaft behandelt oder gleich ganz verschwiegen; natürlich durften damit die holden Wangen der pubertär zur Erregung neigenden Knaben humanistischer Gymnasien, geschweige denn der Zöglinge kirchlicher Internate oder von Klosterschulen, nicht zum Erröten gebracht werden.

Man schlüpfe einmal kurz in die von keinem Kuß betaute Haut eines Benediktinermönches, der es zur Zeit der Karolingischen Renaissance abschrieb – und vielleicht eine winzig hingekritzelte Kopie heimlich mit auf seine Zelle nahm.

Das Gedicht ist ein Monolog, auch wenn es ihn in den fiktiven Rahmen eines Dialoges rückt, als Antwort auf die den Betroffenen offensichtlich bestürzende und von Madame keck vorgebrachte Frage aller Fragen, warum er schlaff bleibt. – Sie sagt kein Wort, er sagt alles, hart, scharf, gnadenlos. Im Angriff versteckt ist aber die Verteidigung verletzter Mannesehre, das Kreisen um den einen wunden Punkt. – Er kann nicht, und sie ist schuld. Er spitzt den Mund, um ihr moralisch die Luft zu nehmen, sie soll den ihren ründen, auf daß er ihm wieder anschwelle.

Die reimlose antike Lyrik bedient sich metrisch-rhythmischer Einheiten, um den Ausdrucksgehalt des Verses plastisch zu modellieren und ihn gleichsam mit einem Muskel- und Nervenspiel zu umhüllen, zu begaben. In der 8. Epode des Horaz finden wir dieses Spiel (nach dem Muster des griechischen Iambendichters Archilochos) verdichtet auf einen sechshebigen iambischen Langvers, dem jeweils ein vierhebiger iambischer Kurzvers (Epodos = der Nachklang) folgt.

Horaz war etwa 35 Jahre alt, als er das kleine Buch der Epoden herausbrachte; nach antiken Begriffen nicht mehr jung (ab 40 galt man als senex), doch in der vollen Reife seines Schaffens, das stufenweise von den Sermones (Satiren) über die Epoden zu dem großen Zyklus der Oden und dem Alterswerk der Briefe, allen voran des Briefes an die Pisonen (Ars poetica) in die Höhe singulärer Sprachkunst stieg; er war seit kurzem Mitglied des Freundeskreises um Maecenas und konnte die Parfumwolken der elitären Salons und die Höhenluft der römischen Machtzentrale um Augustus atmen.

Greift der antike Dichter zur Lyra oder Laute, um seinem Vers einen hohen, erhabenen, funkelnden oder auch weichen, zarten, schimmernden Klang zu verleihen, so bedient er sich der iambischen Maße als eines Floretts, um gezielt unliebsame Zeitgenossen, Neider, Sittenstrolche, Scharlatane und Miesepeter mit pointierten Hieben und entlarvenden Vergleichen anzugreifen und zur Strecke zu bringen. Im Gegensatz zu seinem griechischen Vorbild ist Horaz freilich zurückhaltender und nennt selten einmal Roß und Reiter; auch in unserer Epode bleibt die angegiftete Dame anonym. Daß sie oder ihr Typus seine Wege gekreuzt haben muß, dafür spricht das heiße Blut der Verse, auch wenn oder gerade weil es dem fatalen Gliede mangelt.

Auch wird ihre soziale Stellung deutlich markiert: Wenn bei ihrer Leichenfeier, die der Dichter während dieser wenig galanten Bettszene die Chuzpe hat, ihr kaltherzig vor Augen zu führen, Totenmasken der Ahnen, die sich eines Triumphzuges auf dem Forum rühmen durften, vorangetragen werden, wissen wir, daß wir in allerhöchste senatorisch-elitäre Kreise vorgedrungen sind; bei der Dame handelt es sich demnach um die Ehefrau (marita) eines mächtigen Mannes, die sich einen jüngeren Liebhaber hält. Der Hinweis auf ihr kostbares Geschmeide, das so leicht keine andere Dame der besseren Gesellschaft vorzuzeigen hat, macht das Bild komplett.

Horaz kann als Poeta doctus, als Dichter der gesteigerten sprachlichen Bewußtheit und der erlauchtesten Distinktion in der Auswahl seiner dichterischen Ausdrucksmittel und der durch raffinierte Wendungen und überraschende Bilder erzielten poetischen Wirkung bezeichnet werden. Wir erläutern dies an zwei Beispielen:

femur tumentibus/exile suris additum
dürrer Schenkel, schwellenden Waden aufgesteckt

Zunächst erkennen wir die für die römische Lyrik typische Stilfigur des Hyperbatons oder der Sperrung von Substantiv und zugehörigem Attribut: femur … additum, wodurch ein Spannungsbogen entsteht, in dem die Füllung: tumentibis/exile suris (die selbst ein Hyperbaton darstellt: tumentis … suris) gleichsam zusammengepreßt und als kompakte Sinneinheit umschlungen wird.

Als zweites Beispiel betrachten wir folgende Zeilen:

quid? quod libelli Stoici inter Sericos
iacere pulvillos amant,
inlitterati num minus nervi rigent
minusve languet fascinum?

Was denn, weil gern ein Stoiker-Traktätchen ziert
dein Kissen aus Chinesen-Taft,
bockt, Lesens ganz unmächtig, das Gemächt nicht mehr,
hängt schlaff nicht mehr herab der Schwanz?

Wir erfahren, daß die augenscheinlich hochgebildete Dame (wenn sie solch geistigen Höhenflüge nicht nur prätendiert) der damaligen Mode huldigt, sich seelisch an stoischer Lebensweisheit und ihrer kontemplative Ruhe predigenden Resignation aufzurichten; und ein Traktat über die Seelenruhe oder die resignative Hinnahme und Bewältigung profaner Widerborstigkeiten und fataler Verluste, wie sie Unglück, Krankheit, Alter zeitigen, findet der gereizte Liebhaber ausgerechnet auf ihrem mit kostbaren Seidenkissen gepolsterten Lager der Lust. Ein gewollter Mißklang zwischen stoischer Bedürfnislosigkeit und verwöhntem Luxusleben.

Doch was der Dichter polemisch zuspitzt, das Alter und das welke Fleisch suche vergebens Zuflucht in unverweslichen Werten, wird uns dadurch nicht weniger sinnfällig oder seiner edlen Intention beraubt.

In der kühnen Wendung: inliterati … nervi (Lesens nicht mächtig … das Gemächt) können wir eine ins Ironisch-Paradoxe gesteigerte Personifikation ausmachen: das männliche Glied, von dem mit scheinbarem Bedauern oder galliger Pointierung prädiziert wird, daß es nicht lesen könne, ein Analphabet sei oder immerdar höherer Bildung sich verschlossen zeige, geschweige denn, daß es sich von glitzernden Perlen und seidenen Kissen zu neuem Hochsinn erwecken ließe.

Einen Anflug dieser ironischen Personifikation vermittelt auch die Wendung: languet fascinum, als würde das männliche Glied nicht nur biologisch betrachtet abschlaffen, sondern psychologisch gedeutet lustlos sein. Die Frage sei nur angerissen, ob der Penis fascinum heißt, weil ein Amulett in phallischer Gestalt um den Hals getragen böse Geister abschrecken sollte oder eher umgekehrt, das pralle Glied sein eigenes Faszinosum hat …

Da hilft nur noch Fellatio: ore adlaborandum est tibi, so die gleichsam moralische Pointe der Epode, eine Aufforderung an die Dame, von der man gerne wüßte, ob sie bei ihr Lächeln, Widerwillen oder Spott hervorgerufen hat.

Wir merken auch dieses an: Die abstoßende und das sexuelle Begehren des Mannes verkühlende Häßlichkeit des welken Frauenkörpers wird ungeschminkt und derb ausgemalt; dabei tun Tiervergleiche ein Übriges; der Hintern klafft zwischen runzligen Pobacken wie der blutverschmierte einer Kuh, die Brüste baumeln welk herab wie die Zitzen einer Stute.

Soll man nun moralisch hochmögend und auf der Seite der anständigen Gesinnung von Kleingeistern und blutlosen Intellektuellen kundtun, hier werde ein bedauernswertes altes Weib von einem Liebhaber, der angesichts seiner abstoßenden Erscheinung (der schwarze Zahn, die schlaffen Brüste, der geblähte weiche Wanst) keinen hochkriegt, auf eine unser Feingefühl zutiefst verletzende Weise geschmäht, verhöhnt, diskreditiert? Nein. Denn das Gedicht verbleibt ja ohne Zimperlichkeit und Augenwischerei in jenem unzweideutigen Dunstkreis, in dem die hier maßgebliche Beziehung von Mann und Frau angesiedelt ist, dem des erotischen Spiels und des sexuellen Verkehrs. Hier ist das Fleisch in seiner Blüte und seiner Fäulnis der einzige Wahrheitszeuge, der spricht, ob er jubelt oder klagt, lobpreist oder flucht, seine Üppigkeit besingt oder seine Auszehrung verwünscht.

Gewiß, die Sprache der Liebe ist dies nicht; umso mehr verstehen wir im Kontrast zu dieser grellen Verlautbarung des verstörten Eros ihre eigentümliche Wahrheit, deren Zeugen nicht die Geschlechtsteile sind, sondern die Augen und ihre gütigen Blicke, die in den Falten und Runzeln des Alters nichts Häßliches, sondern den Aufruf zu Nachsicht und Milde angesichts des Todes sehen, die Hände und ihr versonnenes Streicheln, ihr Winken zum Willkommen und Abschied und ihre schenkenden Gesten, das Herz und seine sanfte Glut der Anteilnahme, des Gedenkens, der Hingabe.

Entfliehen wir im gleichsam schönen hesperischen Dämmerlicht der Liebe der gnadenlosen Wahrheit der biologischen Tatsachen, die der Frau die erotische Strahlkraft, dem Mann die Zeugungskraft für immer auslöschen? Aber sind nicht, können wir fragen, bis ins hohe Alter selbst noch den sublimsten Formen der Liebe Spuren der biologisch subkutan wirksamen Eigenschaften eingesenkt, die aus der mütterlichen Zuneigung und der väterlichen Sorge für das Kind entspringen?

 

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