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Die Flucht vor der Leere

09.11.2019

Schau jene heimlich an,
die sich einsam wähnen,
sie stehen lose dumm herum,
wie vor gischtendem Wasser
mit eingezogenem Schwanz
der zitternde Hund.
Sie spielen mit der Kippe
im asphaltierten Hinterhof,
oder an der Haltestelle,
wenn es dunkel wird,
zählen sie die Lichter,
die dort im Hochhaus
flackern eines nach dem andern auf:
Keiner ist ja innerlich erfüllt,
selig in sich selbst,
nein, Augen schweifen,
Blicke irren, ob es wo
doch irgendetwas gibt,
das erregt, des dumpfen Fühlens
Laken, das schlaff herabhängt,
ein heißer Windstoß bläht,
Schläfe, wo der Schlummer pocht,
ein süßer Faustschlag weckt.
Weint da nicht ein Kind,
fällt vom Dach kein Vogel,
wird kein Mensch geschlagen,
schreit es nicht im Untergrund,
quillt aus keuschem Mund kein Blut?
Dann und wann genügt ein Blatt,
das vorm Winde raschelnd rollt,
das monotone Tropfen
eines Wasserhahns,
ein dummer Gassenhauer,
den ein Witzbold pfeift –
schöner freilich wäre,
schwebte ihnen jählings
wie Dämmerlaubes Pfirsich
einer Wange weicher Flaum.
Der Käfer, der unter der Bank
aus dem Dunkel krabbelt,
ist auch sein Horn
ein Abendrot aus Ebenholz,
ist allzu fern und kann den hohlen
Geist mit seinen kleinen
Augenpunkten nicht erfüllen,
schon wirft ein eleganter Schuh
seinen Schatten über ihn,
und es knirscht.
Tötungslust ist unausrottbar
ein Trieb, seine Wurzeln
saugen Tropfen der Bitternis
aus einer Luft,
in der die Bläue nicht mehr träumt.
Denn alle Leere in der Welt
wird uns zur Hohlform einer Gier,
für die kein Reiz mehr abfällt,
Gier des nimmersatten Ohrs und Blicks,
Mutwillen, dem kein Kitzel
die Haare aufstellt,
lauernde Trübsal,
der nichts klingt und klatscht
wie wilden Sinns geworfner Stein
aus schwarzem Brunnenloch.
Es hockt der Dämon schon
am Tor des Lebens
und darüber steht:
„Die ihr tretet ein,
laßt alle Hoffnung fahren!“
Doch kein Vergil gibt uns Geleit,
und Beatrice hebt uns
auf die Schwelle nicht,
wo Gnadenstrahl erwärmt.
Uns ist des Daseins Hölle ohne Sinn
der Flammen, die bestrafen oder sühnen,
Inferno ist uns Langeweile,
das ohne Feuer brennt,
wenn flammenlos
die Seele Ödnis dörrt.
Das müde Erz des Willens schmiedet
dieser Dämon zum Hammer um
und zerschlägt die Schale
eines tauben Eis,
das voller Luft und unfruchtbar.
Man schnippt die Kippe weg,
heilfroh, wie trunken
unters Surren der Maschinen
sich zu ducken,
in den Pferch des flatternden
Geschwätzes sich zu zwängen,
man seufzt erleichtert auf,
wenn der Nachtbus hält,
seines Grinsens blöde Maske
der Nachbar ins grelle Licht uns rückt.
Nur das Kind ist nicht allein
mit des eignen Atems
Wogen oder Wolken,
im Tropfen und im Blatt,
im Käfer und im Lied
findet es sein Ebenbild,
nur der Genius ist einig
einsam mit sich selbst,
sprüht auch wunderlich
der Seele Scheit
ein letztes Mal,
bevor es ausgeglüht
zum Abgrund stürzt.

 

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