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Evidenz und Mitteilung

22.03.2019

Philosophische Sentenzen und Aphorismen

Grün verläuft nicht gleichförmig in Rot, dagegen Gelb in Grün.

Deshalb reden wir von dem Farbkontinuum „grünlich-gelb“, aber nicht von „bläulich-rot“.

Es gibt die diffuse Zone des Übergangs, wo die Grenzen verwischt sind; hier bleiben wir im Ungefähren und die Rede wird vage. (Ist grünlich-gelb gelber als gelblich-grün?)

Der Schmerz oder die Trauer hat keine diffuse Übergangszone zur Lust oder Heiterkeit und umgekehrt.

Dagegen verschwimmen die Grenzen der emotionalen Felder, die wir mit den Begriffen „traurig“, „verdrossen“, „trübsinnig“ und „melancholisch“ abstecken („vergnügt“, „fröhlich“, „fidel“ und „heiter“).

Tag und Nacht vermischen sich in der atmosphärischen Übergangszone der Dämmerung. Der blaue südliche Mittag scheint uns ein distinktes atmosphärisches Feld oder Bild abzustecken.

Wir finden in Kunst und Musik die Vorlieben der Maler und Komponisten für klare Sujets und Übergangszonen (wie die Dämmerung, das Verwischen der Tonarten).

Wir unterscheiden psychologisch und kriminologisch die Tötungsmotive von Notwehr und Habsucht, Eifersucht, Rache oder Verdeckung einer Straftat und nennen letztere niedrige Beweggründe, die das Strafmaß verschärfen.

Habsucht und Eifersucht können Hand in Hand gehen, aber vermischen sich nicht.

Der Mann lauert dem jungen Liebhaber seiner Frau auf und tötet ihn. Wir greifen eine in sich geschlossene Geschichte, einen Plot.

Doch wenn sich herausstellt, daß der Liebhaber ein Wissenschaftler ist, der für eine Entdeckung gefeiert wird, die dem gehörnten Ehemann, der auf demselben Gebiet forschte, nach Jahren mühsamer Suche nicht gelang, kommt ein neues Motiv, gekränkte Eitelkeit und Rache, hinzu.

Zwei und mehr Fäden von Geschichten wickeln sich umeinander. Es sieht in einiger Entfernung aus wie ein einziger dicker Strang, fast wie eine Biographie.

Wie lernen wir, etwas als Tier im Unterschied zum unbelebten Ding oder zur Pflanze zu benennen?

Auch hier finden wir diffuse Übergangszonen wie Viren, Bakterien, Seelilien, Korallen.

„Wauwau“ ruft das Kind. Hat es damit den Begriff von einem Hund erfaßt oder von allem, was bellt?

Wir bedürfen keiner Information, um zu fühlen, daß etwas wehtut.

Wissen wir, es war der Stich einer Biene, bleibt unser Gefühl davon unbenommen.

Keiner kann uns weismachen, unser Gefühl (wie der Schmerz) sei eine Maske eines anderen Gefühls (wie der Lust).

Was sich uns unmittelbar erschließt wie Lust und Schmerz, Licht und Farbe, Heiterkeit und Verdruß, Liebe und Haß, nennen wir selbstevident.

Was Platon die reine Form und die Scholastik Substanz nannten, führen wir auf die Trivialität solcher alltäglichen Phänomene zurück.

Was uns ursprünglich vertraut ist, lernen wir in keiner Schule; wir lernen es nur zu benennen und zu bezeichnen.

Wir können nicht wissen, daß wir als derselbe erwachen, als der wir eingeschlafen sind. Wir kommen nur nicht umhin, es zu glauben.

Was wir wissen, könnten wir auch nicht wissen, wie daß der Morgenstern der Abendstern ist; aber wir können nicht glauben, dies sei grün, ohne dessen gewiß zu sein.

Was sich zeigt, teilt uns nichts mit.

Die Ampel zeigt Rot; aber nur aufgrund der Regel, daß Rot hier als Zeichen stehenzubleiben gilt, erhalten wir die einschlägige Mitteilung.

Das Phänomen ist natürlich-evident, Regel und Zeichen künstlich-konventionell.

Wir können Zeichen auf Zeichen anwenden, aber nicht ad infinitum; so gelangen wir an der Grenze wieder zu den Phänomenen, wie mit „grün“ zu grün und mit „Hund“ zu Hund.

Freilich, da uns Hunde nicht als Manifestationen platonischer Formen gelten, steht „Hund“ nicht bloß für Hund, sondern für Pudel, Spitz oder Dackel. „Pudel“ mag wiederum für Zwergpudel und Königspudel stehen, doch kann uns dies begrifflich nicht verwirren (auch wenn neue Exoten gezüchtet werden).

Daß „grün“ grün meint, ersehen wir daraus, daß mit dem Satz „Das Gras ist rot“ (wenn er nicht in einem Band mit expressionistischer Lyrik steht) etwas nicht stimmt.

Daß „Hund“ Hund meint, ersehen wir daraus, daß mit dem Satz „Der Hund schnurrt“ (wenn er nicht in einem Band mit Märchen steht) etwas nicht stimmt.

Wir nehmen die syntaktischen Zeichen und Partikel wie den Punkt, das Fragezeichen, die Konjunktionen „und“ und „oder“ als Zeichen für den Ausdruck und die Verbindung der Gedanken.

„Hans schüttelte Peter die Hand.“ Der Punkt sagt uns, der Ausdruck des Gedankens ist umgrenzt und abgeschlossen, auch wenn er beliebig durch rhetorisches Dekorum erweitert werden kann, wie „Hans schüttelte Peter herzlich die Hand” oder „Am Neujahrsmorgen des Jahres 1973 schüttelte Hans seinem Freund Peter herzlich die Hand.“

Die transitive und symmetrische verbale Wendung „schüttelte die Hand“ stellt das grammatisch-logische Gelenk des relationalen Ausdrucks dar, denn wie bekannt können wir sie so schreiben: X (die Hand schütteln) Y, wobei die Art und der Umfang der Kandidaten für jene Namen, die für die Variablen X und Y eingesetzt werden können, durch die Bedingung eingeschränkt werden, daß sie alles umfaßt, was sich die Hand schütteln kann.

Wir sagen nicht, daß wir bei der Auswahl der Kandidaten auf die Anzahl der menschlichen Individuen beschränkt sind, sondern können die Zugehörigkeit zum Kreis menschlicher Individuen über die Anzahl dieser Kandidaten bestimmen, nämlich eben solcher, die sich mittels symbolischer Handlungen wie des Händeschüttelns (oder anderer konventioneller Gesten) begrüßen.

Wir können ja den Vorgang oder das Ereignis, das mit jenem Satz bezeichnet wird, wiederum bezeichnen, nämlich als Begrüßung.

Vorgänge und Handlungen wie die Begrüßung sind auf der Ebene des sozialen Umgangs ebenso elementar wie einfache Wahrnehmungen und Empfindungen auf der psychischen Ebene.

Sich die Hand schütteln, zum Abschied winken, einladend die Tür öffnen, lächeln oder finster die Stirn runzeln und tausend andere Gesten sind der physische Ausdruck symbolischer Handlungen.

Es gelten gewisse grammatisch-semantische Regeln, deren Einhaltung die Ausdrucksfülle und Wirksamkeit symbolischer Handlungen garantiert. Wir pflegen nicht jemanden per Handschlag herzlich zu begrüßen und uns dann abrupt abzuwenden oder zum Abschied zu winken und zu erwarten, daß die Person gleich wieder vor unserer Türe steht.

Tun wir dergleichen absurde Dinge, haben wir entweder die Grammatik der Handlung nicht verstanden oder sind verrückt.

Symbolische Handlungen können verkettet, kombiniert und verschachtelt werden. Wir können dem Gast lächelnd die Türe öffnen, herzlich die Hand schütteln und mit einer freundlichen Geste ins Wohnzimmer geleiten.

Wir können sowohl diese Serie von symbolischen Handlungen „Begrüßung“ nennen als auch jedes willkürlich gewählte Element einer solchen Reihe wie den einfachen Akt des Händeschüttelns.

Die grammatisch gegliederte Abgeschlossenheit der symbolischen Handlung finden wir auf der elementaren Ebene als Abgeschlossenheit und Evidenz der Wahrnehmung einfacher Phänomene. Es fehlt nichts, wenn wir eine Farbe sehen, einen Duft riechen, die Wärme der Glut fühlen.

Der Eindruck, daß dies grün ist, teilt mir nicht mit, daß es sich um Gras oder Moos handelt; während der Eindruck des Lächelns und Händeschüttelns mir mitteilt, daß mich mein Freund herzlich begrüßt.

Wir können dem Blinden nicht den Eindruck des frischen Grüns einer Sommerwiese vermitteln; und ebensowenig demjenigen, der blind für die Bedeutung symbolischer Akte wie das Händeschütteln ist, das, was wir mit „Begrüßung“ meinen.

Man kommt von Grünlich-Gelb zum reinen Grün, indem man sagt: „Denk dir den Farbwert in dieser Richtung immer satter“ – jedoch nicht umgekehrt.

Die Bedeutungen und die grammatische Verknüpfung unserer symbolischen Handlungen liegen wie ein dichtes, feingesponnenes Netz auf unserem Dasein. Wir wissen nicht, von wannen es herrührt noch wer es gewebt hat. Zerreißt es an einer Stelle, werden auch andernorts unsere Gesten verwackelt und unsicher.

Es zu flicken und nachzubilden erfordert einen Aufwand ähnlich dem, ein vom Wind verworrenes Spinnennetz mit bloßen Händen neu zu ordnen.

 

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