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Meditationes vespertinae

31.12.2021

… sed carmina tantum
nostra valent, Lycida, tela inter Martia, quantum
Chaonias dicunt aquila veniente columbas.

Vergil, Bucolica IX, 11–13

 

Blaß war das Blau des entfliehenden Tags,
rötet sich auch die flüchtige Wolke,
an den härenen Rändern gesträhnt
vom silbernen Kamm des launischen Winds.

Tief sirren die Schatten der Schwalben,
die Knospe hat sich geschlossen,
Lid für Lid um den Schmerz,
der umsonst sich Pollen erfleht hat
fernen Geblüts an sehendem Fühler,
der nahe die Narbe betastet,
ungestillt schwankt sie ins Dunkel,
aber betäubend strömen sich aus
Violen der Nacht.

Steh nur still an der moosigen Schwelle,
auf die ein wächserner Mond
Glanz der Vergeblichkeit hinstreut.

Oder wache am dämmernden Fenster,
ob niederwehen noch Funken
auf die dürftigen Halme der Demut,
o Flamme, die statt ihr zu singen
zischend der Liebe die Wimpern versengt hat.

Was du erhofft dir, was du befürchtet,
tropft, ein unschuldig Wasser,
von Lorbeers bitteren Blättern,
zittert, ein fauliger Nachglanz
seelenzerschäumenden Weins,
an blauen Krugs gesprungenem Mund,
bevor er wie glimmende Tränen verrinnt
und im Trüben sich auflöst.

Ein laulichter Wind kommt auf
mit fernerer Botschaft von Süden,
und du gedenkst Dodonas heiliger Eichen,
wie sie flüsternd geredet
an Ioniens Ufern einem sinnigen Mann
vom Licht seines künftigen Tags,
Flattern hörst du von Tauben,
ein Flügeln des sapphischen Melos,
das Chaoniens Sehern
heitere Flocken geschneit hat.

Du aber schließest das Fenster
und gewahrst, bevor du dich wendest
zum blütenlosen Karste des Schlafs,
was wie Schaum chimärisch noch haftet
auf der schimmernden Iris der Scheibe,
das Bild deines nichtigen Daseins,
von dämonischem Odem gehaucht,
Ungestalt einer Seele,
die immer vergebens noch hofft
auf das Antlitz der Sonne des Guten,
daß selig sie schmelze dahin.

 

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