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Schiefe Bilder

13.08.2018

Philosophische Sentenzen und Aphorismen

Könnten wir uns eine Sprache denken, in der wir über alle Arten und Ausdrucksformen des Lebens, vom Atmen, Gehen, Greifen, Essen, Küssen bis zum Reden, Schlafen, Träumen, Sterben verfügten, aber über keinen Begriff des Lebens?

Wir wüssten nicht, was alle diese Dinge wie ein Faden zusammenhält und umschlingt, die Erlebnisse wären Fransen und Flusen, doch ohne Teppich.

Wäre das Bewusstsein ein Fluss und der Fluss bestünde aus all unseren Erlebnistropfen, was verbände sie? Besteht nicht Wasser aus H2O-Molekülen, zwischen denen leerer Raum ist und kein Wasser?

Du fragst mich etwas und ich antworte fast ohne zu zögern. Doch in den schmalen Zwischenraum dieses kurzen Zögerns, ist nicht so viel RINGSUM geschehen, mehr als du oder ich in einer Lebenszeit erleben könnten?

Überbrücken wir die Leere, die Lücke, das Ohne-uns durch Gedankenlosigkeit und Absencen oder eine Art absentia mentis?

Als hätten wir eine Zeit im Spiegel gelebt und würden daraus erwachen.

Erst ist es eine Stimme, ein Mund, Augen und ihr Leuchten. Dann hallt die Stimme kurz nach, die Gestalt und das Leuchten verschwimmen in einen abstrakten Hintergrund. Dann tauchen sie, aber kleiner, dürftiger, gestreut und verzerrt auf diesem Hintergrund wieder auf, um erneut zu erlöschen. Ist es das, was wir Gegenwart, Vergangenheit, Erinnerung, Sterben nennen?

Wir können die Strecke teilen und wieder teilen und wieder teilen. Hört dieser Prozess der Division bei einem kleinsten, unteilbaren, unausgedehnten Punkt auf, dem Atom härtester, strengster gedanklicher Verdichtung?

Der Punkt am Ende des Satzes, am Schluss des Gedankens.

Können wir den Punkt als Kreuzungspunkt zweier Linien bestimmen? Aber Linien setzen das gedankliche Unding des Punkts schon voraus, denn was sind sie anderes als Verbindungslinien zwischen Punkten?

Oder denken wir uns eine Linie, aus dem Nirgendwo kommend, ins Nirgendwo sich immer weiter hinziehend?

Ist der Kreuzungspunkt zweier Linien Bestandteil beider Linien? Wenn er echter Bestandteil der Linien wäre, könnten wir die Linien als Menge solcher Punkte bestimmen.

Wie kann eine Linie aus einer Menge ausdehnungsloser Teile bestehen?

Wie müsste ich einen Bleistift spitzen, um mit ihm einen euklidisch-unausgedehnten oder axiomatischen Punkt aufs Blatt zu setzen?

Wenn ich auf meinen Freund Peter mit der Fingerspitze zeige, ist es ziemlich egal, ob ich auf seine Nase, seine Stirn, seinen Kopf, seinen Hals, seine Brust deute, sogar seine Beine, Knie oder Füße ließen wir noch durchgehen, solange ich nicht auf Peters Nachbarn zeige.

Doch wenn ich auf Peter zeigen kann, gleichgültig ob ich seinen Kopf, seine Brust oder von weitem seine Beine erwische, ist augenscheinlich, dass wir mit „Peter“ keinen Teil seines Körpers meinen.

Aber ich kann ja auf Peter zeigen, indem ich auf seinen Körper oder einen seiner Teile zeige. Hingegen verfehle ich den Gemeinten, wenn ich blind mit dem Finger in der Luft herumstochere.

Ich kann auch ein Foto zeigen, das meinen Freund Peter abbildet, um meinen Freund Hans darauf hinzuweisen, vom wem ich ihm gerade erzähle. Allerdings muss das Foto auf eine kausale Wirkung seiner vergangenen körperlichen Gegenwart zurückgehen, um ein Foto von Peter zu sein.

Doch das Foto ist ein Bild des Körpers, nicht der Körper.

Wenn Peter gestorben und eingeäschert wäre, erinnerten wir uns an ihn, wenn wir seinen Namen erwähnen würden.

Wenn wir Peter auf dem Foto zeigen, zeigen wir wohl auch auf das Foto, reden aber nicht von dem Foto als dem Träger des Bilds von Peter.

Wenn wir über Peter reden, ob er nun lebt oder schon im Grabe liegt, reden wir von Peter, nicht von seinem Namen, sondern von dem Träger dieses Namens.

Was wir von Peter sagen, gilt auch von seinem Hund, seinem Hut und allen möglichen natürlichen Gegenständen wie Bäumen und Blumen.

Ebensowenig wie Peters Hand Peter ist die Knospe die Blume oder das Blatt der Baum.

Doch das Wasser, der Schnee oder die Luft sind in allen Teilen, ob in einem Tropfen, einem Kristall oder einem Atemzug, dieselben Dinge.

Keiner sieht jemandem ähnlicher als sein eineiiger Zwilling. Niemand ist leichter mit jemandem zu verwechseln als ein eineiiger Zwilling mit seinem Geschwister.

Das Gleiche ist nicht das Selbe: Es gibt kein begriffliches Kontinuum zwischen Ähnlichkeit und Identität.

Peter ist 1 Person und sein Zwillingsbruder Paul ist 1 Person. Dass sie Zwillinge oder ein genetisch identisches Duo sind, kommt ihnen nicht als Peter und Paul zu, sondern dem Duo (Peter/Paul).

Deshalb können wir die duale Eigenschaft in diesem wie in anderen Fälle nur als Relation, nicht als einstelliges Prädikat von Peter oder Paul ausdrücken: Peter hat nichts an sich, was ihn als Zwilling auszeichnen würde, sondern er steht im Zwillingsverhältnis zu Paul.

Dies gilt natürlich sinngemäß auch für das Triple-Verhältnis der eineiigen Zwillinge Peter, Paul und Hans oder das Quadrupel-Verhältnis der eineiigen Zwillinge Peter, Paul, Hans und Joachim.

Ein schiefes Bild von idealer Verständigung entsteht, wenn wir den Zwillingen eine Art Spiegel-Sprache unterstellen, in der jeder Gedanke seinen Zwilling im Gedanken des anderen fände.

Das Irrationale kann in unser Denken und Fühlen durch den Spalt einer letzten Ungewissheit über die Grundlage unserer Existenz einbrechen: Denn sie hat keine Grundlage, und wir verfügen nicht über die letzte Gewissheit, dass die Sonne morgen wieder aufgeht oder dass die Erde nicht plötzlich nachgibt, wenn wir über die Schwelle des Hauses treten.

Man könnte meinen, das Irrationale sei wie ein Luftzug, der durch einen Spalt der Ungewissheit geht, den wir nicht abdichten können. Aber nicht einmal der radikale Skeptiker schaut beim Übertreten der Hausschwelle bang nach unten, ob sich nicht ein gähnender Abgrund vor ihm auftut.

Zenon wäre zur Bewegungslosigkeit oder der psychiatrischen Krankheitsform der Katatonie verdammt, würde er glauben, es sei vergebens, sich auf den Weg zu machen, um seinen Lehrer Parmenides zu besuchen, denn er müsse zunächst die Hälfte des Weges zurücklegen, und zuvor die Hälfte dieser Hälfte, und zuvor wieder die Hälft dieser Hälfte ….

Können wir sagen, der Beginn sei das, dem nichts voranging, wie der Nullpunkt des Koordinatenkreuzes der Punkt ist, von dem aus wir die Verzweigungen in den Dimensionen der Fläche oder des Raums als definite Strecken betrachten?

Der Nullpunkt deiner Existenz ist sicher der Augenblick, an dem der Same deines Vaters in die Eizelle deiner Mutter eindrang. Sollen wir sagen, der Akt der Zeugung sei die erste elementare Tatsache eines individuellen Lebens?

Aber die Zeugung ist kein echter Teil deines Lebens, wie der Nullpunkt kein echter Teil der Strecke darstellt, ähnlich wie zu sterben gewiss Teil deines Lebens ist, nicht aber der Tod oder gerade gestorben zu sein echter Teil deines Lebens sein wird.

Zeichen wie Bilder oder Wörter zu verstehen heißt nicht Zeichen oder Wörter zu interpretieren. Denn sonst wäre etwas zu verstehen dasselbe wie zu glauben, etwas zu verstehen.

Zu glauben, was die Leute um einen reden, bedeute, dass sie sich zu einem Anschlag gegen den Hörenden oder Lauschenden verabreden, ist in den meisten Fällen keine hinzunehmende Interpretation, die so gut ist wie jede andere, sondern das Symptom eines Verfolgungswahns.

Verstehen ist keine Interpretation, und etwas zu verstehen geben heißt nicht, zu sagen, was man zu sagen glaubt, oder zu sagen, was man sich bei den Zeichen oder Wörtern, die man verwendet, denkt und vorstellt.

Du kannst, wenn du mir etwas von deiner Freundin Petra erzählst, dabei an alles Mögliche denken oder dir vorstellen, doch das fügt der Bedeutung dessen, was du sagst, nichts hinzu.

Könnte Gott all deine Gedanken lesen, verstünde er nicht besser als ich, was du sagst.

Was du mit einem Satz zu verstehen gibst, muss nicht identisch mit dem sein, was du zu sagen meinst.

Wir müssen nicht von einem diskreten Zeitpunkt zum nächsten springen, um nicht in der Ewigkeit steckenzubleiben.

Wenn es keine atomaren Teile der Welt (wie elementare Tatsachen) oder atomaren Teile des sinnvollen Satzes (wie elementare Bedeutungen) geben kann, können wir wolkenhafte Begriffe wie das Bewusstsein oder die Sprache nicht als eine Komplexion solcher Teile definieren, wie wir Wolken als Ansammlungen winziger Wassertropfen auffassen können.

Fragt der zerstreute Gelehrte seine heimliche Geliebte, ob sie unterwegs jemand gesehen habe, und die Geliebte antwortet, es habe sie niemand gesehen. „Ich habe es geahnt“, sagt darauf der Gelehrte, „vor diesem Niemand müssen wir uns in Acht nehmen.“

Der Bräutigam antwortet auf die Frage des Standesbeamten, ob er gewillt sei, die hier Anwesende zur Frau zu nehmen, „Ja!“, denkt aber während er dies sagt „Nein!“, und die Braut antwortet „Ja!“ und denkt dabei gleichfalls „Nein!“. Dennoch verlassen sie als frisch verheiratetes Paar das Standesamt. Der zerstreute Gelehrte wird vielleicht sagen: „Na klar, nein und nein ergibt ja, wie minus mal minus plus!“

Unsere Vorstellungen, Phantasien und Erinnerungen, kurz unsere Gedanken, sind nicht entscheidend für den Sinn und die Geltung unserer Äußerungen und sprachlichen Handlungen.

 

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