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Vergeudete Jugend

15.10.2015

Morgens wird die Bewegung verlangsamt,
gestaut und verzerrt,
wenn zwischen hüpfenden Gören
und den räudigen Trupps der Moslembrüder,
die Afganen bellen leiser, wie
ihre langhaarigen Hunde,
die Alten sich ins glitzernde Elend
der Konsumtempel schleppen,
die Greise kauen vor sich hin
den gelben Speichel ihres Traumrests,
um die Gehwagen der hüftlahmen Alten
aber stochern die Spatzen im Kot.

Deine Erinnerungen fließen wie Krümel
oder Bojen von Spucke
auf dem Lethestrom dahin.

Damals die modisch schicke Phrasen
dreschenden Profs,
die auf der akademischen Bühne
auf und ab gockelten.
Und das Parfum der Kommilitonin,
das dir den Atem von Kant zur Lust
auf das Unbedingte gewendet.

Damals die in Cafés und Kneipen
im Dunst der Eitelkeit und der fahlen Wollust
tot geschwätzte Zeit.

Dialektik und trocken gewrungene Zungen
bis ins Morgengrauen
eines nie anderen Anfangs.

Die Frau sagt dann: „Geh jetzt!“
Das Zischen des am Mainufer dümpelnden Schwans:
„Komm mir nicht zu nah!“

Blieb denn ein Wort, das du gehört,
ein Wort, das du gesagt,
wie die Klette voll Samen hängen?

Einmal vergabst du Zeit
im Kartenlegen mit der Alten,
die sich zärtlich um dein Gesicht
hinneigte ins Sterben,
die dann ging, du nahmst
ihren Abschiedskuß mit
in das Verlies deiner Bücherbude,
die nie mit seinem Flügelrauschen
durchlüftet hat der Engel.

Lichtmeß, Fronleichnam und die Osternachtglocken,
kein heiliger Kalender konnte furchen
den Karst verdorrter Zeit,
kein Tropfen der Gnade hat ihn befeuchtet.

Im Café Bauer hast du die Bücher gestapelt,
um Eindruck zu schinden,
mit der Brille zu blitzen.
Oder du schieltest immer wieder
auf den Spickzettel mit den kanonischen Phrasen,
den du hinter deinen Schädel gepinnt hattest,
während das Opfer ihres Vatermords,
die phallophobe Studiosa vor dir gähnte,
oder der Oberseminarist,
der dir die Ehre gab, spitz lächelte.

Während du Kippen gedreht hast im KOZ,
wo sich die vaterlosen Kinder,
juchhe wie anarchisch!, anpissten,
und du starrtest verstohlen auf den wogenden Busen
der umschwärmten Kommunardin,
unerreichbar fern wie der goldene Schaum
am Ufer der seligen Inseln,

während du sinnlos in der Dantestraße
tausend Seiten kopiert hast und der Typ Selbstverstümmler,
der wegen geistiger Unzulänglichkeit beschlossen hatte,
Philosoph zu werden,
den Salto mortale des Schaumschlägers Nietzsche
über den Kopierer hinweg nachäffte,

während du betäubt Rätselstimmen
gelauscht hast nächtelang,
das Ohr erhitzt am Telefonhörer,

blühte der Rotdorn im Garten,
den du nie wiedergesehen,
im Eulendorf deiner Kindheit,
raunte nächtlich der Rhein
von der Wehmut seiner Töchter,
überwucherten allmählich das Grab
der Eltern die Schatten der Schuld.

Nun querst du ängstlich die Zeil
einer Stadt, die dein Fremdsein
mit dem Terror der Überfremdung quittiert,
querst du das Dickicht unverständlicher Laute,
im Rucksack den Basaltstein
einer vergeudeten Jugend.

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