Skip to content

Das weite Tal des Gleichmuts

13.11.2019

Philosophische Sentenzen und Aphorismen

Warum um Himmels willen soll denn ALLES auf EINES (oder überhaupt auf ETWAS) hinauslaufen, das strömende Chaos sich in eine höhere Ordnung ringeln und kringeln, die schlammigen Flüsse ins Meer des Lichtes münden, die bunten sybillinischen Blätter der Seele auf der dünnen Leine einer grauen Allegorie zum Bleichen aufgehängt werden, die tausend Geschichten der Perser, Griechen, Römer, Germanen im preußischen Licht einer blassen sittlichen Sonne als EINE Geschichte lesbar werden?

Nur Sätze haben Sinn, das Dasein der Menschheit hat keinen.

Die von sich behaupten, alles von Adam bis Adolf übersehen zu können, sind blind für die Abgründe, die sich zwischen den Zeiten, den Völkern, den Sprachen auftun.

„Geschichte der Stadt Osnabrück“ – na schön; „Geschichte der Philosophie“ – das riecht schon nach Betrug.

Gewiß, wir können Abgründe der Zeit überspringen: Wenn Horaz von den unterschiedlichen Rollen, Charakteren und sittlichen Masken spricht, wie sie auf der Bühne der Welt und des Schauspieles auftreten und vom Dichter geformt werden sollen (ars poetica, 156 ff.), verstehen wir genau, was er meint; denn wie die biologische Polarität der Geschlechter stattet uns auch der natürliche Prozeß des Alterns mit den immer gleichen habituellen Gepflogenheiten, mit den bis zur Monotonie gleich gedrechselten und geschnitzten Phrasen und Physiognomien aus.

Der Kleinbürger vermag den Graben zwischen seinem idyllischen Traum von der Gartenlaube (oder bei bierseliger Laune den obszönen in derselben) und den mythischen Größenphantasien der Cäsaren oder der Vision der Symbolisten von der reinen, vollkommenen lyrischen Sprache, die leer, ohne Inhalt ist wie der rosige Schimmer der Nachmittagssonne auf welken Hortensien, nicht zu überspringen.

Unüberbrückbare Welten liegen zwischen den ohne Mörtel verfugten Quadern der Sprache Cäsars und den leise plätschernden Seufzer-Wellen Brentanos.

Seltsamerweise verbindet bisweilen das Absurde, das Irrationale, der Albtraum Menschen fernster Zeiten und Regionen mehr als Sippenangehörige die Gemeinschaft des Blutes. Denn es ist dasselbe Feuer, das in der Hölle der Buddhisten, Christen und Mohammedaner die Verdammten brät, auf daß sich die Erlösten an ihren Qualen und Schreien delektieren.

Horaz deutet an (ars poetica 203 ff.), wie der von den Griechen übernommene Aulos (eine Art Doppel-Oboe) von einem primitiven Ding aus Holz oder Knochen zu einem raffinerten Musikinstrument aus Metall mit Klappen verfeinert wurde, sodaß die auf ihm im Theater zu Gehör gebrachten Melodien präziser ausgeführt und ausdrucksreicher vorgetragen werden konnten. Dieses Detail ist in ein größeres Mosaik kulturgeschichtlicher Betrachtung eingefügt, wonach sich der schlichte Geschmack eines noch bäurisch geprägten Theaterpublikums subtilisiert, ja dekadenter Übersteigerung zugeneigt habe, nachdem sich aus einem Bauernvolk in Waffen nach der Niederwerfung der Karthager, des römischen Hauptfeindes, in der ihr zugewachsenen Muße eine Elite verwöhntester Ansprüche herausgebildet hat:

Postquam coepit agros extendere uictor et urbes
latior amplecti murus uinoque diurno
placari Genius festis impune diebus,
accessit numerisque modisque licentia maior.

Darauf begann der Sieger das Land zu vergrößern, die Städte
dehnten den Mauerring aus und an festlichen Tagen ward straflos
schon am hellen Tage getrunken, ein Hoch auf den Genius,
da sind Versmaß und Melodie ins Kraut aufgeschossen.

Horaz blickt auf die Phänomene einer luxurierenden Selbstfeier der Elite, vielleicht im Schatten der konservativen Augusteischen Kulturpolitik, ersichtlich skeptisch, der wackere, biedere Mann ist ihm, dem Artisten auf dem lyrischen Hochseil, lieber als der Spätling, der, den Kopf in farbig ausgeleuchteten Klangwolken, den Boden unter den Füßen zu verlieren droht.

Die Zügel im Zeichen der großen Freiheit schleifen lassen führt in Verwahrlosung, Verluderung und Verbrechen; sie unter dem Banner der starren Ordnung eng um Seele und Leib zu schnüren, macht fühllos und stumpf.

Erst ließen sie Haare und Nägel wachsen, und stank es auch in der Bude, sie gaben sich genialisch; dann kamen sie kahlgeschoren in härenen Hemden nach Haus und knallten dir die radikale Phrase vor den Kopf.

Die Weisheit der Antike sieht den Moment im Wechsel und Fluß und weiß um seine Wiederkehr, auf Regen folgt Sonnenschein, erst herrscht der Monarch, dann eine Elite, schließlich der Pöbel, dann geht es wieder von vorne los. Die Borniertheit der Moderne sieht den Moment als Phase eines zielhaften Laufs, der im Idealzustand oder mindestens in der eigenen Selbstgefälligkeit gipfelt.

Weil gewisse Kleingeister abstrakte Kunst und atonale Musik für entartet ansehen, bin ich nicht gehalten, sie zu schätzen oder zu lieben.

Zwischen den Gipfeln der Neigung und Abneigung dehnt sich das weite Tal des Gleichmuts, wo die Betrachtungen stiller und flüchtiger schön die Wolken sich zeigen.

Auf dem Kuhfladen schimmern purpurne Mücken.

Hätte er anders handeln können? Wir wissen es nicht; das entbindet uns nicht der Pflicht, ihn zu maßregeln oder zu bestrafen, falls er eine Untat beging.

Der bissige Hund wird noch ärger wüten, wenn wir ihn von der Kette nehmen.

Sie überschwemmen die Seiten mit freien Versen, weil sie das Wasserzeichen der Strophe nicht fanden.

Die großmäulig und hemdsärmelig die Konventionen von Metrum und Rhythmus mißachten, grüßen brav ihren Verleger und überreichem dem Lektor einen Blumenstrauß.

De Sade wird nicht dadurch erträglich, daß beschriebener Kot nicht stinkt.

Autoren, die mit Worten ringen und ihre Niederlage penibel zu Protokoll geben, können Scharlatane oder Märtyrer sein, manchmal findet man nicht heraus, was von beidem.

Frauen wurden als das schwächere Geschlecht deklariert, weil sie fühlender als der Mann dem Sturm nachgeben, an dem dieser zerbricht, länger leben und weniger bereuen, das Schicksal aus ihren Augen blitzt und ihr Schoß die Lebensmacht birgt.

Des Mannes Ohnmacht ist seine Potenz.

Wer den Kreislauf der Eliten beschleunigen möchte, soll sich auch offen zu den Spänen bekennen, die das große Hobeln erzeugt.

In den finsteren Katakomben der Macht hält der Machthaber vor dem Wurm seine Shakespeare-Monologe.

Man muß gleichmütig wie Diogenes werden, um sich unter dem schlechten Atem der moralischen Erpressung nicht zu übergeben.

Das Monster zu Füßen, zu Häupten den Engel, das macht noch kein Weltendrama.

Zwischen nächtlichem Schweigen und dem Lärm des Tages die grauenden Nebel, in denen fremd und unverständlich Rufe hallen, man weiß nicht, wem sie gelten.

Hat alles gelesen, sinkt sprachlos ins Grab.

Wir kneten unsere Zeichen nicht in den Lehm der Natur; diese muß mitschwingen, damit sie uns mitteilen und tragen.

Das Spielkind lugt erst scheu hinter der Schürze der Mutter hervor, dann lächelt es, reißt sich los und läuft auf die Spielkameraden zu.

Das Spielkind kann bis ins hohe Alter unvermutet wieder lächeln und sich plötzlich wieder losreißen.

Bittere Armut beschmutzt die Seele genauso wie obszöner Reichtum.

Die Verklärung des Hungerleiders und Depravierten ist die Christentum und Sozialismus gemeinsame Dummheit.

Was den moralisch immer Empörungsbereiten in Harnisch bringt: ein zufriedenes Leben, das sich um andere nicht schert, sondern im Stillen sich an den Früchten des eigenen, sorgsam eingehegten Gartens gütlich tut.

 

Comments are closed.

Top