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Die bezauberte Raupe

22.12.2013

Eine Bürstenspinner-Raupe ziehharmonisierte ihre Segmentwülstchen mit den Krabbelfüßen gar behend über das Blatt eines Maulbeerbaumes. Goldenes Licht überglomm und überschäumte die üppigen Büschel weißer Haare, die aus den leuchtend roten Punktwärzchen hervorstrahlten. Die Rasierpinsel der buttergelben Haarsträucher auf dem Rücken tunkte sie hin und wieder in den Schaum des Abendlichts. Die Sonne ihres kleinen Lebenstages leckte sie schmeichelnd vom Kopf bis zu den Stummelbeinchen mit ihren platten Polstern und zierlichen Häkchen.

Was ist denn dies für ein neckischer Tanz, welch ein Fädchen fließt aus dem sich windenden Kopf der kleinen Raupe auf dem Nachbarblatt? Will sich das Tier mit dem Faden einhüllen und einspinnen, um in aller Ruhe und Weltabgeschiedenheit ein Nickerchen zu machen? Es ist eine kleine Seidenraupe, die begonnen hat, sich mit einem Kokon aus Seidenfäden zu umhüllen.

Das primadonnenhafte Spiel des sich einspinnenden Tieres bezauberte die Raupe, sie war ganz verzückt und dem Anblick so hingegeben, dass sie augenblicks sogar der eingefleischten Manie des schabend-nagenden Fressens entsagte. Als sie aber sah, wie die Seidenraupe sich geradezu kokett in der Luft zu drehen und dabei den Faden wie einen schicken Schal um sich zu legen schien, war es um das Tier geschehen. Fingen nicht seine Härchen und Pinselchen mit einem Male blau und grün und golden zu schillern an? Vor lauter Begeisterung stand die Raupe Kopf und klammerte sich mit einem winzigen Häkchen im Fleisch des fetten Blattes fest – da ließ sich die Raupe lustig von den spielenden Winden tupfen und lupfen.

Wie ein Windspiel trudelnd und um sich selbst kreiselnd vergaß die Raupe, dass sie die fressende Übergangsphase in der Metamorphose des Schmetterlings war – und ließ los. Und es fiel das arme Tier aus heiterem Himmel in einen mit Regenwasser bis zum Rande gefüllten Blecheimer, den die Bäuerin unter dem Maulbeerbaum hatte stehen lassen. Das war ein kühles und recht feuchtes Erwachen! Die Raupe zuckte und krümmte sich bänglich – wie wünschte sie, aus vollem Halse schreien zu können, wie Kinder es tun, wenn sie vom Fahrrad oder der Schaukel fallen. Doch sie war verdammt, stumm zu leiden.

Da war es das bedrückte Tier leid und gab es auf, wider das Unabwendbare weiterhin zu rucken und zu mucken. Und als die Raupe schon todesstarr in ihrem nassen Verlies lag – da kitzelte sie plötzlich an ihrer Nase ein Seidenfädchen, das fröhlich hin- und hertorkelte. Das Fädchen wehte gar anmutig von der Krone des Baumes herab. Da wurde die Raupe schnell wieder ins Leben gekitzelt und sie hielt sich zappelnd und ruckend an dem Faden fest und zog sich heldenhaft in die Höhe. Und mit jedem tapferen Rucke-die-Zuck kam das Tierchen der großen Erfüllung seines kleinen Lebens näher.

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