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Herr, deine Steine sind weich

16.12.2013

Wie schnell die Bilder verlöschen.

Bist nicht auch du ein Bild und bleibst im Leben nur,
solange auf dir weilt der Blick, der lebendig macht,
doch Schatten und Rauch wirst, wenn er sinkt?

Wie schnell die Bilder verlöschen –
der nasse Teig verklumpten Wissens
ohne Anfang und Ende, ohne Gesicht –
der Meister verdöste den Tag,
als die Töpferscheibe sich geisterhaft drehte.

Die Kontinente schwimmen und gleiten.

Dir gelang einstweilen nur mühsam,
am Rande des Tellers aus dem Chaos
der Buchstabensuppe ein paar sinnige Silben zu reihen:
„fühlsam“ liest es sich da, und „Wohnort“, „goldgrün“,
„altrosa“ „Birkenhain“, „behutsam“ oder „Geduld“ …

Die Kontinente schwimmen und gleiten.

Der Tisch mit dem Teller, aus dem du die Suppe löffelst,
das Zimmer mit dem Tisch und das Haus mit dem Zimmer
und die Stadt mit dem Haus rasen
um die Achse der Erde und die Erde rast um die Sonne,
und die Sonne rast …

Die Kontinente schwimmen und gleiten.

Du stolzierst auf den schwankenden Blättern
der Rose deines Bewusstseins,
die auf dem Weltenteich wogt.
Und der Teich hat ein Bleiben im Garten des Herrn nur,
solange auf ihm weilt sein Blick, der lebendig macht,
doch Dunst und Steppe wird, wenn er sinkt.

Die Kontinente schwimmen und gleiten.

In tausend Mündern wird das Wort wie ein Kirschkern
gedreht und gewendet, gesäuert und zermürbt,
und wenn ihn einer ausspuckt vor dir,
wendest du dich angewidert ab,
er bleibt liegen, ein Kern, den die Erde verschmäht.

Die Kontinente schwimmen und gleiten.

Der Schnee auf dem Monte Soratte,
in dessen Glanz sich der Ruhm des Dichters gespiegelt,
schmolz dahin. Der Himalaya steigt und steigt
in ein Schneelicht jenseits der Menschen.

Die Meere drängen ineinander und fluten zusammen,
immer tiefer sinkt die Argo und das goldene Vlies
ins Sprachlose hinab.

Die Kontinente schwimmen und gleiten.

Wie schnell die Bilder verlöschen.
Morgen steht ein anderer mit deinem Anzug
und deinem Gesicht an derselben Theke
und redet daher mit deinen Worten,
du aber bist schon fern, auswärts gereist,
weit weg, nicht mehr rufbar mit Namen,
das verwischte Nachbild
eines lautlosen Blitzes in der hohen Sommernacht,
ein sanftes Geheimnis, verlöscht,
das sich noch eben am Himmel entlangschrieb.
 
Die Kontinente schwimmen und gleiten.

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