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Hinter vorgehaltener Hand

01.05.2020

Philosophische Sentenzen und Aphorismen

Sie sagen: Erst Kopernikus, dann Darwin, dann Freud – so wurdet ihr aus der angestammten Heimat und geistigen Idylle vertrieben, solche Kröten galt es zu schlucken.

Doch wenn sich die Enge, aus der man mich verschleppt hat, als eingebildetes Gefängnis erwies, warum sollte ich mich unbehaglich fühlen?

Auch wenn ich die gemeinsame Herkunft nicht leugne: Die Sprache der Tiere verstehe ich nicht und vice versa; nur Orpheus oder der Heilige Franz kannten die Masche oder hatten die Gnade.

Und macht es einen spirituellen, ästhetischen oder moralischen Unterschied, ob sich die Sonne um mich oder ich mich um die Sonne bewege?

Ob nun ein Tropfen im Krug oder ein Tröpfchen im Meer, ein Sandkorn in der Hand oder in der Wüste, eine Stimme im tragischen Chor oder ein kleines O und Ach im Stimmengewoge der Jahrtausende …

Sie mimen Bescheidenheit und sagen: Wenn wir die große Wahrheit nicht erreichen, nähern wir uns doch dem Lichtstreif am Horizont immer weiter an. Toren! Der Horizont wandert stetig mit, und wäre die Linie, der sie sich approximativ zu nähern wähnen, das Wahre, müßten sie es als solches schon erkannt und die Linie längst berührt haben.

Wäre die Semantik Homers grundlegend von unserer verschieden, warum ihn übersetzen, nein, wie ihn übersetzen, nein, wieso ihn lesen?

Etwas, was sich ganz außer Proportion mit uns befindet, wie die Unzahl der Galaxien oder der physikalische Anfang der Welt, bildet zu unserem Lebenskreis keine Tangente.

Wie, vor einem Monstrum niederknien und ihm Opfer bringen?

Bei aller Ferne des Höchsten bedarf es einer inneren Nähe, um es anzurufen. – Deus caro.

Im Schlaf können wir den Traum nicht interpretieren.

Wir können nur interpretieren, was in unserer oder einer der unseren verwandten Sprache zu uns spricht.

Wer die Bedeutung von Wasser mit der von Feuer vertauscht hätte, würde dennoch stutzen, wenn wir ihn auffordern, sich am kalten Quell zu wärmen oder die Zigarre am Wasserhahn zu entzünden.

Vom Inkommensurablen können wir nichts wissen.

Die Wendung von den bitteren Brunnen (Clemens Brentano) erhält den Stempel „Unikat“ im Vergleich mit all den Brunnen, deren süßes Wasser wir trinken.

Nicht die Farben der Fäden bezeugen den dichterischen Ursprung, sondern die rhythmischen Muster und mythischen Bilder, zu denen sie verschlungen und verwoben worden sind.

Nur geläuterte Töne bilden tragende Harmonien.

Krumme Halme tragen nicht den Himmel des Gedichts.

Die Katharsis des Feuers, der Entschlackung, der Passion und Auferstehung.

Wo sich der Fluß des Lieds nicht am Fels des Leidens staut, kann sich kein Stern im stillen Teiche spiegeln.

Der Historismus in der Altertumskunde, klassischen Philologie und Geschichtswissenschaft, der den Wert des Werks in den Augen der Gegenwart unbefragt ließ, war das Vorspiel zur Endzeit-Komödie greller, grotesker, hohler Masken.

Die kein Alter Ego mehr sehen in Dido, Ophelia, Gretchen, sondern Opfer, in deren Blut und Tränen sie genüßlich plätschern.

Die Eudämonisten, die Demokraten, die Vulgären.

Die Glück mit Selbstbefriedigung verwechseln.

Der Leviticus, das Gesetz der Spartaner, die Ordnung des Heiligen Römischen Reiches, sie ragen wie Eichen über die Kohlköpfe demokratischer Verfassungen.

Welche geistige Leere und seelische Kälte umgibt jene, die dem Ideal der Selbstverwirklichung frönen.

Wahre Freiheit liegt nur im geistvollen Entschluß, einer höheren Ordnung zu dienen.

Der Mönch ist frei, nicht der Rebell.

Gedichte – Ordnungsentwürfe in Rhythmen, Gesten, Nuancen des Gefühls – Spiel im Hauch des Abends wehender, sich überschattender, wieder aufleuchtender Ranken, sich umschlingender, lösender, sich freudiger findender Muster.

Die erhabene Strenge – und gelöste Heiterkeit im heiligen Spiel des Rituals.

Künstler als Bekenntnisstümpfe – sie nötigen einen, sie zu tragen, empor, ins Scheinwerferlicht zu heben.

Alle wollen mit allen auf Augenhöhe reden, eins das andere im trüben Lichte gleichen Ranges sehen – sie fürchten den bedrohlichen, den enigmatischen Schatten von oben.

„Kenn ich schon. Hab ich schon. War ich schon.“ – Dumpfe Sklaven des Massengeschmacks.

Die Venezianer, um sie als pars pro toto zu nehmen, sind Verräter an ihrer großen Vergangenheit, sonst würden sie ihre Hotels und Häfen schließen und nicht bei all den touristischen Kretins schmarotzen, die zu Millionen an ihren großen Kunstwerken vorübertrampeln.

Von Hölderlin kennen die Zeitgeistigen nur ein grelles Klischeebildchen für das Kitschalbum eines sich an Greueln und Schweinereien gütlich tuenden Bürgertums und intellektuellen Mobs – die böse, pietistisch engstirnige Mutter, die ihn ins Pfarramt pressen wollte, den pubertären Reigen hohläugig-verwegener, als Sansculotten maskierter Stiftszöglinge um den Freiheitsbaum, das arme Weibchen Susette Gontard, das unter der Knute des Geldsacks von Ehemann stand und durch repressive Sexualmoral daran gehindert wurde, dem verklemmten Schwärmer aus der Hose zu helfen, die Autenriethsche Maske, unter der der Halberstickte ein schizophrenes Stammeln simulierte, die Armensuppe, die er, von zarter Mädchenhand vor die Tür gestellt, im Turmzimmer grimassierend löffelte … vom Feuer des Himmels, das nur der Kelch der Hand des Erwählten auffängt, von den Blüten Deutschlands, von der Ekstase des tragischen Untergangs, dem Opfer für die Manen, den Tränen und dem Tod für das Vaterland, vom heiligen Herz der Völker, davon wollen sie nichts wissen.

„Aber Susette“, lassen sie ihren vergötterten Sinclair die Verdatterte fragen, „ihr hättet doch einfach das Haus verlassen, all dem entfliehen und irgendwo ein neues Leben beginnen können!“ – Wie, noch dümmer als Madame Bovary?

Der pensionierte Rhapsode, an einem lauschigen Sommernachmittag in kurzen Hosen, die Pfeife schmauchend, begießt die Gemüsebeete vor der trauten Hütte, während Frau Susette Hölderlin auf der Terrasse sitzt und im Hyperion die Passage vom seligen Dahinsiechen und Abscheiden der Diotima liest.

 

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