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Humpelnd zwar, doch ambulant

22.11.2013

Ambulanz, Heilig-Geist-Hospital, Frankfurt am Main

Irgendwo in einer Ecke wird gestorben,
irgendwo in einer Ecke wird geboren,
zur gleichen Zeit, jetzt, morgen, übermorgen.

Bist doch nicht mit einem Taxi hin, humpelnd
hast dein Ziel du noch vollendet.
Es hätt dir auch zur Scham gereicht,
protzig vor einem Bürgerhospital
vorzufahren mit Chauffeur.

Wenn du nach dem Menschenwesen suchst
und wie das leibt und west und rasch verwest
nach unbestechlichem Gesetz,
hier springt und zappelt, döst und stöhnt
es vor deinen milde-tristen Augen
nackt und ungeschönt.

Venus winkt und Eros schlüpft
am dunklen Blick des Thanatos vorbei.

Die blonden Nymphen, reich bezopft und üppig onduliert,
mit zartem Rosenschmelze auf den Wangen,
schieben mit den blumenweichen Händen
den Rollstuhl des verkoteten Dementen.

Die strammen Kerle in den blauen Schürzen,
mit einem Silberring im Ohr,
am wohlgewölbten Arm, am straffen Hintern
bunt bemalt mit mythischen Motiven,
sie schieben aus dem OP die Facies hippocratica
der Greisin, um ein vereitert Gliedmaß leichter,
und biegen zotenwiehernd um die Ecke.

Hier schaut mit schwarzen Augen der Meduse
die Röntgen-Wahrheit weißer Kittel
von der Decke des U-Raums Nummer 2
auf dich armen Schlucker, der seinen Fuß umfasst
und einen unfassbaren Schmerz.

Dein Bleiberecht auf unbestimmte Zeit,
das schneller abläuft als die Uhr des Herzens,
mit welchem Antrag kannst duʼs denn verlängern
wider der Zellen und Gedanken fröhliche Zersetzung?

Das Röntgenbild zeigt dir Mysterien fernster Zeiten
in einem Wuchs graziös gespreizter Knochen,
die deiner Bauern-Weisheit schweigend spotten.

Drei muntere Mamsellchen hörst du kichern
im Besprechungszimmer nebenan –
ein Korken knallt und Scherze schäumen auf,
ein Antrag auf Verlängerung ward abgewiesen
und zerschreddert zwischen Moiras blitzenden Zähnen –
wollüstig-süß die Gläser aneinander klirren.

Du humpelst heimwärts, erleichtert,
doch leichten Sinnes nicht – die wahren Gründe
für dein Bleiben kennt wohl nur dein Schmerz.

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