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Kitschmenschen

05.05.2015

Sie sind betroffen, wenn man die Frage, wie es ihnen gehe, nicht todernst meint, sondern als Konvention.

Sie verstehen nicht, dass der Jongleur des Daseins auch angesichts der Grausamkeit des Hoch- und Blutgerichts sein Rad mit Händen und Füßen oder Worten schlägt.

Sie leben im Widerspruch wie die Made im Speck: Fremde Kulturen preisen sie als exotisch und danken heimlich Gott, dass sie in ihrer Wüste oder Strenge nicht leben müssen. Die eigene wird dagegen unter das Fallbeil eines gespenstischen Ideals von Gerechtigkeit gelegt.

Sie nehmen es als persönlichen Affront, wenn wir ob des Elends der Leute in Hinterkaukasien gleichmütig oder gleichgültig bleiben, nicht aus Grausamkeit, sondern aus Lebensklugheit.

Sie meinen, weil sie nun einmal existieren und so sind, wie sie sind, hätte die Welt anders zu sein, als sie ist.

Sie glauben, man müsse dem Verbrecher, auch wenn er durch ärgste Kapitalvergehen sein soziales Leben verwirkt hat, die Chance des Neubeginns schenken. Das eigene Volk dagegen lassen sie täglich über die Zeichen seiner vermeintlich unsühnbaren Verbrechen in eine heillose Zukunft stolpern.

Kunst dulden sie nur als pädagogische Maßnahme – das freie Spiel der Einbildungskraft ist ihnen suspekt und verhasst.

Sie geben vor, mit der Gründung einer neuen Partei, einer neuen Schule, einer neuen Sekte ließe sich die Welt ins Lot bringen. Aber eigentlich wollen sie nur fotografiert werden.

Sie baden mit Vergnügen in dem schmutzig-lauen Wasser, in dem schon andere gebadet haben, sie sagen am liebsten, was andere schon tausendmal gesagt haben, und verkünden als ihre unerhörte Wahrheit, was in den Massenblättern auf der Titelseite steht.

Sie missverstehen als genial, womit gerissene Scharlatane um Aufmerksamkeit buhlen, sie verkitschen als Größe, was Marketender des Abnormen zur Abweichung von der schlichten Wahrheit des Lebens an mutwilliger Verzerrung einsetzen: grüne Socken zum gelben Sakko zu tragen, Negerinnen ins Dirndl zu stecken, dem Papst eine Schlafmütze aufzusetzen.

Die letzte Stufe der Verkitschung ist das Gegenbild der ausgebleichten Formen der Verleugnung durch Überzuckerung und Verhüllung: das böswillige Herabziehen der Masken, die Verhässlichung des Daseins durch Verkotung aller Sinnes- und Horizontöffnungen, die Verhöhnung von Feinheit und Eleganz durch Aufweis innerer Fäulnis und Verlogenheit.

Sie können das Wort, den Menschen, das Leben nicht stehen lassen. Immer ist etwas nicht genug, da fehlt noch ein Schnörkel, hier ein Kommentar und am guten Schluss das dicke Fragezeichen.

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