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Philosophische Fragen und Antworten I

10.03.2014

Was ist der wesentliche Unterschied zwischen physischen Objekten und psychischen Zuständen (Erlebnissen)?

Der wesentliche psychophysische Unterschied besteht darin, dass du einen Erlebnisinhalt hast, während du an etwas denkst, etwas empfindest, etwas fühlst oder etwas vorhast. Ein physisches Ding oder Gerät wie dein PC vor dir hat keinen psychischen Erlebnisinhalt, es kann deshalb nicht wie du an die Kriegsverletzung deines Großvaters denken, ein zärtliches Gefühl bei der Umarmung deiner Freundin empfinden, vorhaben, im Bethmannpark den Chinesischen Garten zu besuchen, oder den Entschluss fassen, nach Italien zu verreisen.

Woran erkenne ich echte Inhalte von Erlebnissen und wie unterscheide ich sie anhand dieses Merkmals von Eigenschaften physischer Objekte?

Der Inhalt von Erlebnissen ist nichts, dem wir genötigt wären, Existenz zuzusprechen. Du erinnerst dich daran oder du denkst daran, wie wir uns gestern im Park begegnet sind. Aber gewiss ist das Erlebnis, sich an etwas zu erinnern, äquivalent dem Erlebnis, zu glauben, sich an etwas zu erinnern, das man in Wirklichkeit nicht erlebt hat. Dennoch behält auch das Nicht-Existierende den Erlebnisinhalt, den es für dich hat, wie hier den Inhalt deiner Erinnerung.

Das unterscheidet Erlebnisinhalte von den Eigenschaften physischer Objekte wie dem physischen Ereignis, dass wir uns gestern im Park begegnet sind. Die Begegnung steht in einem wesentlichen Bezug zum Charakter des Ereignisses. Wenn wir uns gestern im Park nicht begegnet wären, hätte das Ereignis eben nicht stattgefunden. Glaubst du indes, dich daran zu erinnern, dass wir uns gestern im Park begegnet sind, während wir uns in Wahrheit gestern im Park nicht begegnet sind, tut dies dem Charakter und dem Inhalt deines Erlebnisses keinen Abbruch.

Außerdem sind die Eigenschaften physischer Objekte wesentlich mit der Existenz dieser Objekte verbunden: Wenn Platon der Schüler des Sokrates und der Gründer der nach ihm benannten Akademie in Athen war, sind diese beiden Eigenschaften (neben sehr vielen anderen) wesentlich für den Inhaber dieser Eigenschaften, die Person Platon. Woraus folgt, dass Platon nicht dieselbe Person gewesen sein kann, die der Schüler des Sokrates und zugleich der Gründer der Akademie und der Stoa in Athen gewesen ist. Wenn du aber richtig annimmst, Platon sei der Schüler des Sokrates gewesen, indes fälschlich glaubst, er sei auch Gründer der Stoa in Athen gewesen, tut dies dem Charakter und Inhalt deines Glaubenserlebnisses keinen Abbruch.

Befinden sich meine Erlebnisse und ihre Inhalte, während ich sie habe und ihrer gewärtig bin, in meinem Kopf oder anders gesagt, sind sie Zustände und Vorgänge in meinem Gehirn?

Nein. Erlebnisse und ihre Inhalte haben keine räumlichen und zeitlichen Koordinaten. Im Gegensatz zu dem PC, vor dem du sitzt, befindet sich der PC als Inhalt des Gedankens, dass dein PC vor dir steht, an keinem Ort.

Wir ordnen Erlebnisse und ihre Inhalte Personen als ihren Inhabern zu, den Leuten, die sie haben; weil wir allerdings auf Personen mittels raumzeitlicher Koordinaten Bezug nehmen, wenn wir angeben, wo sich wer zu welcher Zeit aufhält, übertragen wir diese Angaben auch indirekt auf Erlebnisse und ihre Inhalte, denen sie aber direkt und in Wirklichkeit nicht zukommen.

Weil Zustände und Vorgänge im Gehirn physische Objekte sind, können sie eo ipso keine psychischen Inhalte haben und keine Erlebnisse sein. Wären psychische Inhalte wie physische Objekte räumlich und zeitlich ausgedehnt, könnte ich dich sinnvoll fragen, wie viel Zentimeter deine Vorstellung von dem PC hat, vor dem du sitzt, oder dich sinnvoll fragen, wie groß der PC ist oder wie lange der PC schon läuft, den du meinst, wenn du an die Tatsache denkst, dass dein PC so und so groß oder so und so lang in Betrieb ist. Der Gedanke an die Tatsache, dass dein PC so und so groß und so und so lange in Betrieb ist, ist nicht so und so groß und dauert nicht so und so lang, sondern hat überhaupt keine räumliche und zeitliche Ausdehnung .

Was ist, wenn ich sage: „Ich habe gestern im Park an dich gedacht?“ Dieser Gedanke scheint doch Ort und Zeit an sich zu haben?

Das Haben des Gedankens ist nicht identisch mit der Tatsache des Gedankens – du hast den Gedanken freilich hier oder da, gestern oder heute. Aber der Gedanke ist per se nicht hier oder da und dauert nicht so und so lange.

Warum können Gedanken keine Eigenschaften physischer Objekte haben?

Physische Objekte können Teil für Teil, Molekül für Molekül ausgetauscht und durch strukturgleiche Teile und Moleküle ersetzt werden. Das gilt a fortiori für den menschlichen Körper und das menschliche Gehirn, die in der Tat in einem beständigen Abbau und Umbau ihrer Zellen begriffen sind. Dein Gehirn, das vor 15 Jahren den Gedanken hervorbrachte „Wie schön ist doch der Frühlingsbeginn“, ist nicht dasselbe Gehirn, das heute denselben Gedanken hervorbringt. Der Gedanke hat keine Teile, die ausgetauscht und durch strukturgleiche Teile ersetzt werden könnten. Der Gedanke, den du damals in dem Satz ausgesprochen hast „Wie schön ist doch der Frühlingsbeginn“ ist genau derselbe Gedanke, den du heute mit demselben Satz aussprichst.

Sind nicht Lust, Vergnügen und Freude ebenso wie Unlust und Schmerz, die Haupttriebfedern menschlichen Wollens und Planens, Sehnens und Befürchtens, Handelns und Vermeidens, Eigenschaften physischer Objekte, nämlich von hormonellen und anderen Prozessen im menschlichen Organismus?

Freude und Schmerz sind durch körperliche Ereignisse wie die Ausschüttung von Hormonen oder die Reizung von Nerven ausgelöste Empfindungen, die für uns einen unmittelbaren Wert annehmen, nämlich den Wert des Guten beziehungsweise den Wert des Schlechten. Die kausalen Auslöser der Empfindungen von Freude und Schmerz sind physische Objekte, Empfindungen aber sind psychische Zustände. Physische Objekte haben an sich keinen Wert und sind auch nicht in der Lage, sich selbst oder anderen physischen Objekten einen Wert zuzusprechen.

Wir bewerten Freude als gut oder positiv, Schmerz als schlecht oder negativ, alles, was wir weder als lustvoll noch schmerzvoll erleben, aber werten wir als neutral. Wobei zu beachten ist, dass das Gegenteil von gut und schlecht nicht schlecht und gut, sondern das Neutrum ist. Denn wenn du gerade keine Freude empfindest, heißt dies ja nicht, dass dich Schmerzen peinigen.

Diese elementaren Formen der Bewertung sind die Grundlage der Ethik: Die an mir selbst erlebte Freude als positiv zu gewichten ist moralisch dem Fall vorzuziehen, sie als neutral oder als schlecht zu bewerten. Die an dir erlebte Freude als gut zu gewichten ist moralisch dem Fall vorzuziehen, sie als neutral oder schlecht zu bewerten.

Zu fragen, woher das Schlechte rührt und welche Gründe es gibt, schlecht zu handeln, heißt daher genauer besehen zu fragen, was uns veranlasst, das Gute als schlecht und das Positive als negativ sowohl an uns selbst als insbesondere an anderen Menschen zu bewerten.

Das Gute positiv zu bewerten und danach zu handeln, nennen wir auch Liebe, und dies gilt sowohl für die recht verstandene Liebe zu uns selbst als auch für die Liebe zu den anderen. Das Schlechte als gut zu bewerten und danach zu handeln, nennen wir Hass oder Feindseligkeit.

(Fortsetzung folgt)

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