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Walther von der Vogelweide, Ich saz ûf eime steine

14.09.2016

Ich saz ûf eime steine,
und dahte bein mit beine;
dar ûf satzt ich den ellenbogen;
ich hete in mîne hant gesmogen
daz kinne und ein mîn wange.
dô dâhte ich mir vil ange,
wie man zer werlte solte leben:
deheinen rât kond ich gegeben,
wie man driu dinc erwurbe,
der deheinez niht verdurbe.
diu zwei sint êre und varnde guot,
der ietwederz dem andern schaden tuot,
daz dritte ist gotes hulde,
der zweier übergulde.
die wolte ich gerne in einen schrîn.
jâ leider desn mac niht gesîn,
daz guot und werltlich êre
und gotes hulde mêre
zesamene in ein herze komen.
stîg unde wege sint in benomen:
untriuwe ist in der sâze,
gewalt vert ûf der strâze;
fride unde reht sint sêre wunt.
diu driu enhabent geleites niht,
diu zwei enwerden ê gesunt.

 

Ich saß auf einem Stein,
ein Bein auf dem andern Bein,
stützte darauf den Ellenbogen,
ich hielt in meiner Hand gewogen
das Kinn und eine meiner Wangen.
Da nahm mich die Frage gefangen,
wie man auf der Welt soll leben:
Keinen Rat konnte ich mir geben,
wie man drei Dinge erwürbe,
ohne daß man eines verdürbe.
Zwei sind Ehre und weltliche Güter,
doch eins ist nicht des andern Hüter,
das dritte ist Gottes Gnade,
vor ihr sind jene Fassade.
Paßten sie nur alle in einen Schrein.
Doch leider kann dies ja nicht sein,
daß Gottes Gnadenreine
in einem Herzen sich vereine
mit Besitz- und Ruhmbegier.
Versperrt sind alle Fluchten hier:
Feinde lauern im Hinterhalt,
auf den Wegen herrscht Gewalt.
Friede und Recht sind schwer verwundet.
Die dreie finden nach Hause kaum,
sind diese nicht zuvor gesundet.

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