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Wir gehen durch Ruinen

19.08.2022

Wir gehen durch Ruinen wie in Träumen,
wo immer Flüstern dunkel rinnt und stockt
und wieder anhebt, Flüstern oder Weinen.
In Pfützen badet seine Stirn Narziss,
der Mond, und die einst grünes Licht verströmten
aus Gärten in die Abenddämmerung,
die Pfade sind von dumpfer Egge Zahn
zerwühlt, die Gärten übertüncht von saurem Kalk.
Die Brunnen fielen trocken, der den Krug
des Worts in sie gesenkt und schöpfte Rauschen,
tot ist der Dichter, keiner kennt sein Grab.
Wir gehen wie Gespenster durch Gemäuer,
in Zimmer, wo tote Zeit im Uhrwerk tickt
wo Angst und Langeweile sich begatten,
.fruchtlos. Die Vase mit verwelkten Blumen
steht auf dem Tisch, sie lebten, Anemonen
und Veilchen, aber ringsum wippen Puppen,
wie auf Schaukeln von Geisterhand gewiegt,
an Fäden Lichtes zappelnd, die aus kleinen
Apparaten, die wie Talismane
sie bang umklammern, in die Hirne münden.
Und was sie reden, ist wie einer Spieluhr
ewig freudlos abgespultes Lallen,
und was sie sehen, wird im Herzen blind,
ihr Auge sammelt keinen Trost aus Tränen,
den Schorf von Wundenmalen abzuwaschen.
Dort, wo das Bild hing über Jahr und Tag,
das Bild des Mädchens mit der Turteltaube,
gähnt uns ein helles leeres Viereck an.
Die alte Frau, die jene Blumen pflückte,
sie noch voll Anmut angeordnet hat,
liegt in der dunklen Kammer wie gebahrt,
das Kind, das sie gewiegt mit gichtigen Fingern,
hat noch gestreift ein Flügel, es liest ihr vor,
und manchmal singt es Lieder ihrer Jugend,
die es wohl liebt, doch schon nicht mehr versteht,
denn seine Sprache ist der Heimat schon
entwurzelt, selten leuchtet Sinngrün auf
ihr zwischen Ritzen in Asphalt und Teer.
Wir gehen durch Ruinen wie durch Träume,
ein schwarzer Wind fegt tote Blätter auf
und strotzt von toter Blumen Fäulnisdüften.
Wir wenden uns und steigen auf den Hang,
wo an den alten Reben letzte Trauben
runzeln, und keiner keltert sie zu Wein,
auf weißem Tuch bei schlichtem Brot zu funkeln,
zum Mahl, das Tag und Nacht und Seligkeit
und Qual im hohen Strahl verschmelzen hieß.
Wir finden sie, die kleine Waldkapelle,
die Purpurmuschel aus des Gnadenflut,
die Angel schrillt, und die sie segnend hielt,
die weiße Lilie, ist hinabgestürzt,
die Himmlische, und die der Hymnen Odem
einst gebauscht, die graziöse blaue Faltung,
unwiederbringlich zersplittert liegt das Bild,
vor dessen Majestät die Knie der Ehrfurcht
sich gebeugt, auf daß entzündet ward
der Docht der Herzen, aus den Katakomben
in chorisch leisen Schritten am Gängelband
des Lichtgesangs zum göttlichen zu steigen,
dem Antlitz, dessen Leuchten schön belebt.
Hier wölkt erloschener Kerzen Rauch zur Apsis,
die leere Höhlung, die kein Klang mehr füllt
Wir wenden uns, die Eichenbank zu finden,
wo Tropfen milden Lichts die Schläfen kühlen.
Wir tasten nach der Seele uns wie Schatten,
die eins ins andre gleiten, stumm. Wir hören,
wie fern ein Flüstern dunkel rinnt und stockt
und wieder anhebt, Flüstern oder Weinen.

 

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