Glauben und Wissen
Warum Naturalismus und Idealismus zu unsinnigen Konsequenzen führen
Wissen ist eine spezielle Variante des Glaubens. Wenn du weißt, daß dort unten dein Freund Manfred die Straße entlanggeht, ist beides der Fall: Du glaubst, was der Satz behauptet, und die Behauptung ist wahr.
Doch kannst du nicht sagen: „Ich weiß, daß mein Freund Manfred dort unten entlanggeht, aber ich glaube es nicht.“
Naturalisten glauben, es existiere nur, was wir in Wissensätzen formulieren können, Wissen aber hätten wir in Wahrheit einzig von den physikalischen Grundelementen der Natur, wie den Elementen der Materie oder den physikalischen Abläufen. Daß Wissen eine spezielle Ableitung des Glaubens ist und Glauben eine Grundform unseres intentionalen Lebens oder psychischen Daseins, gilt ihnen als irrelevant. Da das seiner bewußte Ich oder die Person die Instanz ist, ohne die der Begriff des Glaubens nicht anwendbar ist, denn Glauben gibt es nur als mentaler Zustand dessen, der glaubt, halten Naturalisten die Begriffe des Ich, der Person oder des Bewußtseins für überflüssige Entitäten.
Idealisten dagegen glauben, daß es nicht nur kein Wissen ohne Glauben geben könne, sondern daß es keine Instanz oder Realität gibt, die nicht eine unmittelbare und vollständige Funktion unserer Glaubensvorstellungen wäre. Wissen wäre demnach keine herausgehobene oder privilegierte Variante des Glaubens. Ich könne dieser Position gemäß nicht wissen, ob hinter den Phänomenen, die ich augenscheinlich glauben muß, wie daß ich dort unten deinen Freund Manfred sehe und ich hier oben am Fenster stehe und mir bewußt bin, daß ich dies sehe, Realitäten wie die Realität eines sich in Raum und Zeit kontinuierenden Gegenstands namens Manfred oder die Realität eines sich in Raum und Zeit kontinuierenden Ich verbirgt.
Wir wollen hier kurz skizzieren, inwiefern beide Positionen unhaltbar zu sein scheinen: Wenn wir auch nicht direkt ihre Falschheit erweisen können, so können wir doch darzulegen versuchen, daß sie nicht konsistent sind oder zu unsinnigen und widersinnigen Implikationen führen.
Für den Idealisten heißt wissen, die unmittelbar gegebenen Inhalte des Bewußtseins als gewiß und evident zu akzeptieren.
Für den Naturalisten heißt wissen, die fundierten Forschungsergebnisse einer bestimmten Wissenschaft, meist der Physik, als gewiß und evident zu akzeptieren.
Verdeutlichen wir die Frage an der akustischen Wahrnehmung: Wir hören Geräusche verschiedenster Herkunft und Art und wir hören bedeutungsträchtig artikulierte Geräusche, nämlich Laute sprachlicher Herkunft und Art.
Wenn du das Rauschen des Wassers am Bach oder beim Einlassen in die Badewanne hörst, auch wenn du blind wärest oder die Augen geschlossen hieltest, wirst du geneigt sein, zu glauben, daß es sich bei dem, was du hörst, um Wasser handelt oder um Geräusche, die durch die Bewegung von Wasser verursacht werden. Du wirst demnach mit einer gewissen Plausibilität die Annahme äußern, daß dort Wasser plätschert. Handelte es sich allerdings um eine akustische Aufzeichnung oder ein von einem Computer simuliertes Geräusch oder wäre gar kein Objekt vorhanden und du würdest das Geräusch halluzinieren, hättest du immer noch recht damit, zu glauben, es handele sich um Wasser, was du zu hören meinst, indes wärst im Irrtum über die genaue Herkunft des Stimulus deiner Hörwahrnehmung.
Wenn wir ein Geräusch hören und zu wissen glauben, um was für ein Geräusch es sich handelt, meinen wir damit, daß wir zu wissen glauben, welcher Gegenstand oder welcher Stimulus unsere Hörwahrnehmung verursacht. Wir scheinen uns kein Geräusch vorstellen zu können, dem wir keinen Stimulus zuordnen könnten.
Wasser, der Stimulus unserer Hörwahrnehmung in diesem Fall, ist für uns nichts, was in unserem Ohr plätschert, auch wenn wir eine akustische Halluzination haben: Denn dann wissen wir nicht, daß wir eine akustische Halluzination haben und glauben, wir hörten dort draußen irgendwo Wasser rauschen. Wüßten wir, es handele sich bei dem, was wir hören, um eine akustische Halluzination, hörten wir immer noch Wasser und nicht ein scheinbares Wasser oder Wasser scheinbar rauschen. Und wenn wir uns daran erinnern, gestern im Park am Brunnen das Wasser rauschen gehört zu haben, rauscht dann das Wasser in unserer Erinnerung oder hören wir dann scheinbar Wasser oder ein scheinbares Wasser rauschen?
Die Verknüpfung unserer Hörwahrnehmung mit dem Stimulus des bewegten Wassers scheint uns evident zu sein, auch wenn uns die Wahrheit der Aussage, in die wir unsere phänomenale Evidenz kleiden, nicht evident ist, denn wir sagen: „Ich höre dort Wasser rauschen“, aber wir wissen nicht, ob es wirklich dort rauscht, auch wenn wir wissen, daß es sich um Wasser handelt.
Der Naturalist würde hier die Nase rümpfen und die Hörwahrnehmung als mentale Fiktion oder irrelevante Exuberanz einer sekundären Qualität abtun, denn nach seiner Auffassung erlangen wir mittels sinnlicher Erfahrung überhaupt keinen unmittelbaren Zugriff auf das, was wirklich oder in Wahrheit existiert, beim Wasser die chemische Verbindung von Wasserstoff und Sauerstoff.
Wir würden dagegen sagen: Nun gut, wir können wirklich nicht hören, daß es sich bei der Materie, die uns die merkwürdigen Geräusche einbrockt, um eine chemische Verbindung von Wasserstoff und Sauerstoff handelt. Aber immerhin hören wir, daß Wasser rauscht, und glauben deshalb mit einer hohen Evidenz, daß es sich dabei um den uns allen vertrauten Stoff handelt, der das Geräusch verursacht.
Der Idealist dagegen würde uns vieles zugestehen, nur nicht den Sprung von der phänomenalen Ebene der Hörwahrnehmung zur Hypothese – denn darum handele es sich seiner Meinung nach – über die Ursache des akustischen Phänomens, das Wasser als materieller Stoff in der materiellen Welt, denn von dieser weiß er nichts.
Wir würden dagegen sagen: Nun gut, zu glauben, daß, was wir hören, Wasser ist, das rauscht, setzt voraus, daß wir die Sprache richtig verwenden. Wir haben aber die korrekte Verwendung des Ausdrucks „Wasser“ nicht im luftleeren Raum kennengelernt, sondern im Zuge des Erwerbs unserer natürlichen Sprache an der exemplarischen Verwendung des Ausdrucks, so wenn die Mama ausruft: „Finger weg, das Wasser ist heiß!“ Daraus folgt, daß die Verwendung dieses Ausdrucks durch die Mutter die Fähigkeit des Kindes, den Ausdruck in derselben Weise verwenden zu können, voraussetzt. Wenn du also glaubst, das, was du hörst, sei das Rauschen von Wasser, mußt du auch glauben, daß ich, demselben Geräusch ausgesetzt, glauben werde, daß es sich um Wasser handele, das da rauscht. Das gilt auch für die akustische Halluzination: Wenn du halluzinierst, daß Wasser rauscht, mußt du mir im Prinzip unterstellen, dasselbe zu hören, nämlich Wasser, das rauscht, wenn mir eine Halluzination dieser Art widerführe.
Wenn du hörst, wie die Haustür am frühen Morgen zuschlägt und deine Nachbarin eiligen Schrittes das Haus verläßt, glaubst du zu wissen, daß die Nachbarin sich auf den Weg zur Arbeit macht, denn sie geht jeden Morgen um dieselbe Zeit nach draußen und kommt kurz nach Büroschluß wieder zurück. Wir können demnach sagen, daß dich die Hörwahrnehmung der Schritte veranlaßt, bestimmte Schlüsse auf das Verhalten eines Menschen zu ziehen, Schlüsse, die augenscheinlich voraussetzen, daß du die Existenz anderer Menschen, von Büros, in die sie eilen, und der Arbeit, der sie dort nachgehen, implizierst.
Hier haben wir den Fall, daß unsere sinnliche Wahrnehmung sozusagen von einem Kokon von Implikationen umhüllt ist, ohne deren mehr oder weniger sichere Wahrheit uns das Gehörte im gänzlich Vagen und Unbestimmten verklingen würde. Denn ohne die Implikation, daß dort ein Mensch geht, würden wir nicht Schritte hören, sondern nur ein Klacken, ein nichtssagendes Geräusch.
Das, was du glaubst, wenn du die Schritte hörst, ist weder ein bedeutungsloser Gegenstand in der Welt, wie der Naturalist annimmt, denn für ihn gibt es nur das physikalische Ereignis eines sich bewegenden Körpers, der zufällig als Stimulus deiner Gehörnerven auftritt, noch ein nicht intentionales Phänomen deiner sinnlichen Wahrnehmung ohne Bezug auf die Welt, wie der Idealist unterstellt: Es ist hier beides der Fall, was du hörst, berechtigt dich dazu anzunehmen, daß etwas geschieht, aber nicht nur ein physikalischer Vorgang, sondern ein physikalischer Vorgang, dem du mittels deiner Aussage eine wahre Bedeutung zuschreiben kannst, nämlich daß es sich um Schritte eines Menschen handelt.
Wenn du deinem Freund Manfred, der unten die Straße entlanggeht, zurufst: „Hallo!“, kann er deine Stimme wiedererkennen und den Zuruf korrekt als sinnvolle Anwendung des Sprachaktes der Aufforderung verstehen, nämlich innezuhalten, nach oben zu schauen und mit dir kurz zu plaudern. Dein Freund nimmt demnach das von dir erzeugte akustische Phänomen wahr und versteht es als sprachlichen Laut mit der Bedeutung einer Aufforderung. Würde er ständig unter akustischen Halluzinationen leiden, könnte er sich sagen: „Schon wieder so eine Stimme, diesmal von meinem Freund Walter, wie lästig, nur weitergehen und sich nichts anmerken lassen!“
Diese Reaktion entspräche ganz der Position des Idealisten, für den die Annahme, der sinnlichen Wahrnehmung entspreche ein Gegenstand in der Welt, eine zu hoch gehängte Hypothese darstellt. Aber noch nicht einmal damit hätte er recht. Denn woher weiß Manfred, daß es sich um die Stimme Walters handelt? Und wieso ist die Aussage, daß es sich um die Stimme Walters handelt, wahr und nicht weder wahr noch falsch wie nach Meinung des Idealisten? Nun, Manfred hat die korrekte Verwendung des Eigennamens Walter in und durch die Begegnungen mit seinem Freund dieses Namens richtig gelernt. Hätte er dies nicht, würde er sich nicht an seinen Freund erinnern, wenn er seine Stimme, und sei es als akustische Halluzination, vernimmt.
Wir können noch weitergehen und sagen: Manfred zeigt sein Verständnis der an ihn durch den Zuruf ergangenen Aufforderung, wenn er tatsächlich innehält und nach oben schaut und ein kurzes Geplänkel mit seinem Freund Walter beginnt. Sein zweckvolles oder zielgerichtetes Verhalten ist der Beleg für sein Verstehen des Sprechakts. Ein Vorgang, der dem Naturalisten für immer obskur erscheinen muß, hat er doch aus seinen Existenzannahmen alle Formen zweckgerichteten Handelns und der ihnen entsprechenden Glaubensgewißheiten und Sprechakte ausgeklammert. Dagegen würden wir sagen: Wer aus seinen grundlegenden Annahmen über die Welt offensichtliche Wahrheiten über das, was wir tun und sagen, ausklammern muß, hat das Messer Ockhams zu vorschnell gewetzt und angesetzt.
Wie der Naturalist zu glauben, es gebe Wahrheiten wie die über die Existenz gewisser Entitäten, für die es irrelevant ist, ob wir an sie glauben oder nicht, ist gleichbedeutend damit, das, was wir mit Glauben meinen und was der intentionale Gehalt des Glaubens impliziert, zu verdunkeln. Denn wie wir gesehen haben: Etwas wissen heißt, etwas glauben, was wahr ist. Wir können aber nicht etwas wissen und sagen, wir glauben es nicht, wir glauben es dann eben mit der höchsten uns möglichen Evidenz und Gewißheit.
Wie der Idealist zu glauben, es gebe keine Wahrheiten über das, was wir glauben, außer der Evidenz des Vorliegens beispielsweise der durch die Wahrnehmung erzeugten Phänomene, ist gleichbedeutend damit, das, was wir mit Glauben meinen und was der intentionale Gehalt des Glaubens impliziert, zu verdunkeln. Insbesondere heißt es, der speziellen Form des Glaubens, etwas zu glauben, was wahr ist, also dem Wissen, die Legitimität abzusprechen. Wie aber will der Idealist wissen, daß wahr ist, was er glaubt, wenn er nur die Evidenz des Geglaubten zugesteht?
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