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Das Grab des Ödipus

18.03.2017

Gibt es an der Ausfahrt in Athen
ein Schild mit dem touristischen Hinweis:
„Zum Grab des Ödipus, 3 Kilometer“?

Backen auf dem Hügel von Kolonos
kleine Mädchen Tonfigürchen,
die sie feilschend in die Sonne stellen,
die schlanke Tochter mit dem Knoten im Haar,
wie sie den zaudernden Arm hinstreckt,
an den sich der blinde Vater klammert?

Dröhnen aus einem Lautsprecher
die Stimmen des Chors:

Du, Fremder, kamst zum Land der edlen Pferde,
der Erde herrlichstem Gehöft,
zum glänzenden Kolonos kamst du, wo
die hellgestimmte schluchzt,
die Nachtigall, die gerne schwirrt
in grünen Schluchten
und haust im weingleich dämmernden Efeu,
im unbegehbaren, des Gottes Laub,
mit seinen tausend Früchten, von Sonne verschont
und allen Winterwinden,
wo trunken immer Dionysos wandelt,
schwärmend mit den nährenden Nymphen.

Die Nachtigallen flohen vor den Preßlufthämmern
beim Bau der Ferienhotels,
Dionysos hockt, ein lahmer abgerissner Greis,
auf der Terrasse eines Ausflugslokals,
im Schatten grüner Plastikgirlanden,
um schalen Wein bei einer Köchin bettelnd.

Alles Segenslicht aus Heroengräbern,
das der dunklen Erde Frieden spendet
und ein Sinnen frommen Grüns,
ward verschluckt vom Staub
unter fühllos verschnürten Füßen
und toten Augen gedächtnisloser Kameras.

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