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Der Gnom spielt Schifferklavier

10.09.2022

Sommersonntagnachmittag und du allein
über dein Vokabelheft gekrümmt,
vesper der Abend,
luna der Mond,
amor die Liebe,
nox die Nacht,
und sie schwappte herein,
die stotternd-frohlockende Woge
vibrierender Luft,
und auf ihr trieben Fasanenfedern,
Wirbel rotblonder Locken,
Blütenblätter, listig gerupft,
liebt mich, liebt mich nicht, liebt mich.

Der Gnom, der im Hinterhof hauste,
saß auf der Schwelle
und spielte Schifferklavier,
und er dehnte und preßte das Ding
hoch in die blaue Apsis des Himmels,
tief in die schwarze Krypta zurück,
während sein uralter Kinderkopf
wie die lilafarbene Kugel des Zierlauchs
von einem Ende zum anderen rollte.

Und die Klänge waren gemischt
aus Wermuth und Honig,
aus Beeren gepreßt und Limetten,
quäkend und quälend,
wütende Würfe silberner Nägel
ins staubige Gras,
schluchzend und glucksend,
ein Rinnsal nächtlichen Wassers,
das im Ausguß versank.

Auf der Küchenbank bist, armer Pennäler,
du eingeschlafen,
und als du erwachtest,
war alles still,
still wie das somnambule Blau
der ausgezitterten Luft,
still wie der Schnee des Blattes,
wo die Vokabeln, halb schon verweht,
fons die Quelle,
carmen das Lied,
flos die Blume,
aura der Hauch
den zarten Spuren hüpfender Spottdrosseln glichen.

Doch warst du nicht allein,
der Vollmond stierte,
ein betrunkner Voyeur,
durch das weit geöffnete Fenster.

 

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