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Der Zwitter

30.04.2016

Beobachtet vom Dichter aus seinem Wach- und Schlafnest im hohen Baumwipfel, das er mit einem Orang-Utan teilt

Der Journalist schreibt in fremdem Auftrag für Lohn und Brot Dinge, an die er glauben oder nicht glauben mag. Während er schreibt, hat er stets das Bild des Lesers vor Augen, bei dem seine Schreibe ankommt und wirkt, das pfiffige und gemeine Grinsen, die gierigen oder vor Neugierde und Schrecken oder ungläubigem Staunen aufgerissenen Pupillen oder die durch Unverständnis, Anstrengung, geistige Qual von Falten gerunzelte Stirn. Er muß und möchte ankommen und wirken, er muß den vulgären Geschmack und die niedrigsten Neigungen des Publikums riechen, reizen und befriedigen, durch Dauerreizung befriedigen, er muß und will Neugierde wecken auch und gerade für Dinge, vor die Anstand und Scham, der Gott und sein Engel gnädig den Vorhang der Dezenz und Seelenschonung niederließen, er muß und möchte durch Grimassen, Angstschreie und Todesröcheln erschrecken, durch sensationelle Meldungen über Mißgeburten und Chimären des Schicksals Staunen hervorrufen, er muß und will durch dunkle Andeutungen, abstoßende Rätsel und unlösbare Fragen die Hirne spannen und narren, bluffen und ins Bockshorn jagen.

Der Journalist ist wie sein Geschwister im Geist, der Politiker, dem er dient, indem er ihn verhöhnt, den er verhöhnt, indem er ihm dient, ein Blutsauger der Sprache und ein Parasit der Wahrheit. Die Sprache liegt ausgestreckt und ohnmächtig vor ihm, eine Schöne, die er narkotisiert und entkleidet hat, und über sie gebeugt, doch ihre Wunderaugen sind verschlossen, saugt er, eine winzige Laus, aus ihrem Riesenleib kleine Tröpfen Bluts, ohne die er nicht einmal seinen schönsten Lügen den infernalischen Funzelschein wahrer Überzeugung verleihen könnte.

Der Journalist maßt sich an, seine Zeilenschinderei im Lichte höherer Gesinnungen und hehrster Ideale zu vollbringen, Wahrheit und Sprache in das Joch des Dienstes am Volk, an der Aufklärung, an der Penetration einer allgemeinen Menschheitsmoral einspannen zu dürfen. Er wähnt als Sittenwächter die Sprache als Hure für den gemeinen Trieb der Marktschreierei geiler Parolen und abgescheuerter Phrasen auf die Gassen seiner schmutzigen Wörterstadt peitschen zu dürfen.

Der Journalist interviewt die Wahrheit, indem er ihre Seufzer, ihr Schreien und Stöhnen auf Band aufzeichnet, während sie sich in der blechernen Stachelhalskrause seiner unlauteren Unterstellungen und dem engmaschigen Fangfragennetz seiner Gesinnungsjagd windet.

Der Journalist zeugte mit der narkotisierten Sprache eine Chimäre, ein häßliches Hybridwesen, dessen Herz schwarz ist von Verleumdung und Verachtung, dessen Gesicht die milchige, von blauen Unschuldsaugen aufgehübschte Maske eines jungen Dichters, Rilkes Augen, als fette Rosinen schwimmend auf dem warmen Vanillepudding der Lüge.

Der Hauch der Minne, vergiftet zum Aphrodisiakum.

Der Blütenschnee der bukolischen Erde, ein sentimentaler Schleier auf dem Pickelgesicht der Verzweiflung.

Die Blutübertragung des Reims, ein glitschiges Gel für das flotte Gleiten der Pointe und eines schnöden Witzes.

Das anmutig geschürzte und geknüpfte Mieder der rhythmischen Form, das den fühlenden Busen des ins Geheimnis fliegenden Atems aufhöht, ein nasses T-Shirt, bedruckt mit den obszönen Emblemen des Tages, das er in falscher, routinierter Ekstase von den ausgestopften Brüsten einer Puppe herunterreißt, die dazu schrille Orgasmusflüche quiekt oder wüste Haßtiraden auf die Mutter ausspuckt, die Jungfrau des reinen Lebens.

Die Schönheit des elegischen Wehs, die aus der Scheedecke ihres langen Wartens, ihrer träumenden Geduld mit dem ersten scheuen Krokus in die Nacht flammt, die aus Nervenwasser und fader Lymphe gezogene wächserne Rose, die er auf der Bühne obszöner Passionsspiele, auf Stöckelschuhen der Selbsterniedrigung stakend, einer Waisenkindpuppe in den Mund steckt.

Der Dichter-Journalist, dieser geistige Zwitter, ist das eigentliche Ende des Abendlandes.

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