Die Entarteten
Manche brauchen eine gehörige Tracht Prügel, um überhaupt noch etwas zu empfinden. Und manche verspüren nur auf solch bizarre Weise einen Rest von Daseinslust.
Andere tappen blind wie durch finstere Nacht und machen dabei noch Karriere.
Wo du Licht am Weltenausgang siehst, sehen sie Mäusedreck und Rattenkot.
Das Kranke halten sie für eine verkappte und mißverstandene, eine leicht zu entlarvende Larve der Gesundheit.
Andererseits sehen sie auf den Gesunden, der tapfer sein Tagwerk vollbringt und dabei IHREN Lebensunterhalt bestreitet, scheel herab und denunzieren sein Befinden als eine besonders heimtückische Form der Krankheit.
Sie drehen dir das Wort im Halse herum.
Wenn du „Nein!“ sagst und ihnen die Tür weist, decodieren, dekonstruieren und dechiffrieren sie darin ein durch Borniertheit, Verklemmtheit und Fremdenfurcht verhindertes, aber eigentlich gemeintes „Ja!“.
Zu gewahren, zu bedenken, daß die Sprache eine moralische Veranstaltung ist und das Wort getauft ist im Namen des Geistes der Wahrheit, verhindert sie der Dämon, der sich vom Lügenschwall aus ihren übelriechenden Mäulern ernährt.
Wahrheit ist ihnen eine boshaft maskierte Lüge, die keine anderen neben sich dulden mag.
In ihren Schulen, in deren egalitärer Stickluft keine Frucht gedeiht, die über die anderen hervorglänzen dürfte, können alle, Krethi und Plethi, das Zeugnis der angeblichen Reife erlangen.
Schönheit ist ihnen ein Greuel, den sie fliehen wie der Teufel das Weihwasser. In diesem Spiegel erblicken sie ihre eigene häßliche Fratze.
Diejenigen, die Schönes lieben, Schönes schaffen, halten sie für ästhetische Asthmatiker und für Etepetete-Neurotiker, weil sie sich nicht wie sie von den Ausdünstungen ihrer Hinterpforte oder denen eines großen avantgardistischen Sesselfurzers inspirieren lassen.
Wenn ein Kerl sein Gemächt in den Kotausgang eines anderen steckt, halten sie dies für ebenbürtig, gleichwertig, ja höherwertig als den Akt, durch den ein neues beseeltes Leben gezeugt werden kann.
Ihr Feindbild ist der Treuebund von Mann und Frau, weil in ihm jene Exklusivität und Ausschließlichkeit walten, die sie in allen Angelegenheiten verketzern.
Der verweibte Mann, gelangweilt und innnerlich verödet, aber hysterisch anspruchsvoll, ein vor sich hin vegetierender Magen-, Hoden und Hautsack ohne Ziele und Ideale, der sich angesichts des Dschihadisten mit der Knarre in der Hand in die Hosen macht: das Produkt von Jahrzehnten egalitärer, pazifistischer, feministischer Umerziehung, die verdorbene Frucht, die demnächst ein Lüftchen vom Baume fegt.
Aber der Mann reift zum kleinen oder großen Helden des Lebens und der Kunst erst, wenn er in der Frau das mütterliche Wesen erkennt und seine Wildheit zu ihren Diensten bannt und veredelt. Das ersehen wir aus der hohen Minne der Walther, Goethe, Mozart.
Der Weibmann und das Mannweib: die letzte Paarung, die letzte Züchtung vor dem Untergang.
Sie wollen nicht verstehen, daß die Rede von der Natur des Menschen, vom naturgemäßen Leben und Handeln, wie wir sie den Aussagen der klassischen und stoischen Lehre und gewiß auch den Briefen des Apostels entnehmen, sich nicht bloß auf biologische Tatsachen bezieht, sondern die biologisch gegebene Natur im Licht der sprachlich-normativen Vernunft erschließt: So ist der exklusive Bund oder die Ehe von Mann und Frau ethisch ausgezeichnet, weil nur in ihr mit der natürlichen Tatsache der möglichen Nachkommenschaft die moralische Tatsache der gesteigerten Verantwortung für die Zukunft der eigenen Familie und Gruppe das Licht der Welt erblickt.
Nun, ihnen ist ja die Sprache kein moralisch hochstehendes Wesen, das wie die eigene Gattin Ehre verdiente und mit dem man selbst Ehre einlegte, sondern eine billige Hure, die sie an den Haaren durch die Gosse und Jauche der Verachtung und Schändung zerren, um ihr all die Flüche auf das Leben zu entpressen, die ihr Not und Verzweiflung abringen.
Sie gönnen der Sprache nur noch das schiefe Maul für die Nachricht, die Sensation, das Feuilleton des letzten literarischen oder pornografischen Schreis, die in die Welt zu setzen ihr letzter, unwürdiger, kümmerlicher Dienst ist.
Sie lassen den heimatlichen Garten verwildern, die glänzenden Früchte fallen zu Boden und faulen unbesehen vor sich hin, der Teich ist verschlammt und morastig, unbeschnitten, ungepflegt verwuchern und verzwergen die üppigen Rosen, der ungehinderte Flug exotischer Samen sprießt im Wildwuchs auf in verholzenden, harzigen Gewächsen, deren lappige Blätter den heimischen Tulpen und Astern, den Erdbeer- und Kartoffelpflanzen das Licht rauben, den Atem benehmen. Die Nachtigall floh lange schon vor den verwilderten Hunden, die hier in den Abend heulen.
Sie begreifen nicht, nein, sie haben begriffen, daß das europäische Abendland christlich getauft ist, seine höhere Wahrheit, die es zu einer geschichtlichen Existenz unter transzendentem Siegel macht, ist weder das Auto, das Flugzeug, das Smartphone oder das Büro noch die Moschee, sondern die Kirche. Und wenn sie es begriffen haben, dann unterliegen sie den Einflüsterungen Satans, wenn sie die heiligen Stätten den Ungläubigen preisgeben oder zu einem Judaslohn für ihre Umwidmung in Bordelle ihres Kulturbetriebs verramschen.
Sie kennen keine Rassen mehr, sie kennen keine Kulturen mehr, sie kennen keine Völker mehr – nur noch den schmuddelig-grauen Mischmasch stumpfen Dahinvegetierens und Bastardisierens, den sie Bevölkerung nennen. Wehe, wenn ein Volk mit eigenem Gesicht, eigener Sprache, dem Duft eigentümlicher Gesittung und Anmut über andere hervorzuragen sich erkühnte, dreimal wehe, wenn es, horribile dictu, das eigene Volk wäre.
Ironie der Sprachgeschichte: Wer heute „Volk“ sagt, ist in ihren Augen verdächtig, weil er damit einen Anspruch auf Exklusivität, Prägnanz, ja Noblesse anmeldet. „Volk“ hat schon den Hautgout, den Wörter wie „Adel“ und „Elite“ längst mit sich führen.
Alles, was herber oder süßer mundet als ihr geschmackloses Gesundheitswässerchen, gilt ihnen für vormodern, antiquiert, abgestanden. Wie heillos sprudelt hier die Quelle der Dummheit: Hält doch jede Zeit sich für modern und im Dünkel des unmittelbaren Daseins (und dies ist der eigentliche Dünkel gegenüber den Toten) für erhaben über die vergangenen Epochen. Aber auch diese verfuhren nicht anders, und die kommenden werden es wiederum anders nicht treiben. Mit einem dümmlichen Begriff eines dümmlichen, sich selber in den Hintern kriechenden Relativismus setzen sie sich die Pappkrone der Auserwähltheit und den falschen Doktorhut für die marktschreierische Verkündigung letzter geschichtsphilosophischer Erkenntnisse auf.
Ärger als die Modernisten treiben es die Postmodernisten: Für sie ist alles, was hinter ihnen liegt, was ihnen seelisch und geistig zu anspruchsvoll ist, weil es Maßstäbe des Wertvollen, Geistvollen, Sublimen aufrichtet, also Sophokles, Pindar, Platon, Horaz, Goethe und Hofmannstal nichts als der vor sich hin modernde Dunghaufen des alten Europa. Für sie ist das Volk, die Nation, der Staat, die Gesellschaft kein gegliederter Organismus, in dem der Gestaltungswille und die Wertentscheidung der Handelnden und Schöpferischen die Richtung weisen, sondern ein wuchernder Zellverband mit interessanten, aber willkürlich oder kontingent abgesonderten Teilen, ein geist-, ziel- und steuerungsloses Konglomerat, in dem die entartete Zelle gleichberechtigt neben der gesunden Zelle metastasiert.
Es gibt keine moralische Nötigung, sich „prae“ oder „post“ irgendetwas zu historisieren: Wer sich im Kielwasser des Schnauzbartes versteht, bleibt in seinen Strudeln hängen und gewinnt nie freie Ausfahrt.
Literarhistorische Kretins, die den Reim, den gefügten Rhythmus, den Resonanzkörper der gereimten Strophe als antiquiert und unzeitgemäß verschreien, haben nie einen Blick in die Kampflinien des 18. Jahrhunderts geworfen, in dem die Feinde des Reims durch Klopstocks Dichtung in freien Rhythmen einen vorläufigen Sieg errangen.
Aber es ist auch so klar, warum sie den Wechselsang und den Flügelschlag der gereimten Verse mißbilligen und diskreditieren: Stellen sie ihnen doch ein Maßwerk der Ordnung und Harmonie vor Augen, an dem ihre faulen, über den platten Boden kriechenden Triebe niemals emporranken können. Da es in ihren Köpfen drunter und drüber geht, da in ihren Herzen der Teufel Beelzebub austreibt, darf es in der Kunst und Dichtung nicht anders sein: Die Söhne des Chaos wollen am Chaos sich mästen.
Eine Form wie die Stanze mutet sie befremdlich an, als wäre sie von der Patina und dem phosphoreszierenden Grünspan hohler Worte überwuchert. Sie wollen, sie können nicht in würdevoll-gemessenen Schritten den kühnen oder wuchtigen Schwung einer Freitreppe emporsteigen, um auf einer schmalen Aussichtsfläche einen großen Blick in die unbetretene, geheimnisvoll umwölkte oder gerade sich lichtende Ferne zu werfen: Aber genau dies ist die Form und Gestalt der Stanze, genau diesen seelischen Verlauf verlangt sie ihnen ab, vergebens, denn sie sind Kriecher, Schleimer, geduckt schleichende Wesen der Niederwelt.
Ihr großes Vorbild, dem nicht nachzuahmen sie fanatisch und in nie zu erschöpfender Dankbarkeit eifern, ist der Mann mit dem Schnauzbart: Alles, was er glaubte oder was geglaubt zu haben sie ihm unterstellen, negieren sie bis zur tödlichen Konsequenz. Glaubte jener an die geistige Überlegenheit des deutschen Volkes, arbeiten sie mit ausgefuchsten pädagogischen Programmen eifrig an der eigenen Verblödung, um jenen Glauben für immer der Unwahrheit zu überführen. Glaubte er an die Überlegenheit der germanischen Völker, setzen sie alles daran, mittels neuer bevölkerungspolitischer Strategien das eigene Volk in neuen Hybridformen teils biologischer, zur Hauptsache aber kultureller Kreolisierung untergehen zu lassen. Glaubte jener an die Souveränität der Nation, die einzig dem Volk auf eigenem Grund das Überleben garantiert, geifern sie, Begriffe wie Volk und Nation mit Schmutz zu besudeln und die eigene Souveränität in tierischer Demutsstarre gegenüber fremden Mächten und Völkern zuschanden gehen zu lassen. Glaubte jener an reine Artungen von Blut und Kunst, kreuzen sie Pferd und Esel, ohne zu bedenken, nein, vielmehr in der beruhigenden Gewißheit, daß so nur unfruchtbare Nachkommen entspringen, stecken sie die blaue Blume ins Urinal, und begeistern sich daran, wenn sie hinsiecht und verblaßt. – Es nimmt wunder, daß ihrer viele wider den Dunst der großen Fleischtöpfe wüten, wo jener doch Vegetarier war.
Sie verschmähen und schmähen den Wert des Eigenen, des Eigentümlichen. Indes, es brauchte Jahrhunderte der Gärung und Reifung, bis aus den namenlosen Strömen des Volkslieds das schwimmende Eiland des Goetheschen Liedes emportauchte, es brauchte Epochen für Imperien, Kaiser, Ritter, den Kult der Minne und die Sublimierung höfischer Sitten, bis in Wien das Wunder Mozartischer oder Straußischer Musik erklang. Und wie lange mußte die Wiener Zunge raunzen und scharmieren, bis sie ihr größter Hermeneut, Josef Weinheber, in den Rang der Dichtersprache erhob!
Sie haben alle Maßstäbe des Guten, Wahren, Schönen über Bord geworfen, aber das Schiff wurde dadurch so leicht wie eine Nußschale, den Stürmen und Strömungen des Schicksals steuerlos ausgesetzt, sodaß es über die Meereswüste blindlings in die geschichtslose, gesichtslose Zone entgleitet.
Wenn aber der morbide, dekadente, faulige Geist der Entarteten die kulturellen und politischen Eliten durchsäuert, warum dann nicht jenen das Feld überlassen, die dunkleren, heißeren Blutes die im Dienst an der Produktion verhäßlichten und durch Unmütterlichkeit verrohten Frauen einsperren oder ihre Schamlosigkeit verhüllen, die Straßen von der Gülle diebischen und heimtückischen Gesindels reinigen, die geistigen Schändungen in Theatern, Opern und Kunsthallen durch Zerschneiden der Blutzufuhr beenden und die endgültige Selbstaufgabe des Mannes qua Konversion mit der Vielehe vergüten werden? Jene werden freilich auf den Rummelplatz ihres medialen Geheuls und auf den Antikult des Schnurrbart-Götzen im Dienste ihrer moralischen Selbstbeweihräucherung Verzicht tun müssen. Vielleicht kehrt dann endlich die Stille ein, die der Selbstbesinnung und geistigen Produktion der Einsamen und Innerlichen, jenem neuen geheimen Deutschland unter dem geisterhaften Schimmern des Halbmonds, förderlich sein wird.