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Der Traumlotse

03.11.2012

Gedichte für Andrzej Wajda

Der Traumlotse
Gedichte für Andrzej Wajda † 9. Oktober 2016

 

I

Wehmut,
eines Waldhorns Echo im Traum,
überwölkt mein Land.

O gib mir den Schatten,
der spricht!

So nimm, was mir blieb:
vom Abend die Trauer,
vom Haar die Asche.

So nimm, was mir lieb:
der Nächte Geduld,
den Hauch pflück vom Mund.

O gib mir den Schatten,
der spricht!

 

II

„Durch das Schneelicht der Birken,
die sogen Honig und Traum,
ruf ich nach dir.

Weiße Asche liegt ausgestreut.

Aus dem Gewieher der Pferde,
die Hufe blitzten ins Herz,
ruf ich nach dir.

Schwarzer Schädel liegt augenlos.

Aus dem grünen Seufzen des Teichs,
da Sehnsucht dem Gärtchen entquoll,
ruf ich nach dir.“

„Hier, mein Kind, ich bin hier.“

 

III

Zigan, du spiele voran.
Jude, schmück deine Bude.
Pope, küsse das Buch.

Maria ist die Rose.
Maria ist die Lilie.

Fremde Macht
hat mich behaust.
Heimat schöpft mir
Mund und Faust.

Ich lade euch zu glänzendem Tisch.
Ich blühe rot und weiß,
ich blühe in Rosen und Eis.

Fremde Macht
hat mich entfärbt.
Flamme und Schnee
hat mich beerbt.

Ich leuchte im Birkenbaum.
Dem Leben die Bleibe.
Den Toten der Traum.

Maria ist die Rose.
Maria ist die Lilie.

Zigan, du spiele voran.

 

IV

Was tagt mir in der Trauernacht?
Wer hebt die Hingesunkene auf
am Grabmal des Sohnes
und sieht durch den Schleier?

Das Licht im Lächeln des Enkels,
die Hand, die treu blieb, die Hand.

Die Lilien Hymnen.
Die Rosen Grüße.
Gebete geläuteter Glocken.

Oben das Licht der Wolke.

Unten, durchzuckt
von grünen Blitzen,
der Fluß.

 

V

Eine Stimme für die Toten!
Meine Stimme für die Toten.

Die entschwebten wie Atem im Frost.
Die im Morast erstickten.
Die unter der Peitsche schwiegen.
Die an durchlöcherten Mauern seufzten.

Eine Stimme für die Toten!
Meine Stimme für die Toten.

Die warteten bis in das Grab
auf den Vater, den Sohn, den Bruder.

Die sich vor dem Gitter küßten,
das den Pfad ans Ufer versperrte.

Die in den Abwasserkanälen blind wurden
an der Gärung des Bösen.

Denen der Wald sein grünes Geheimnis
in einem trockenen Knall für immer verschloß,
als stumm sie niederknieten.

Eine Stimme für die Toten!
Meine Stimme für die Toten.

 

VI

Schnee unterm Schlitten knirscht:
Tau wird kommen, wird frommen!

Ihr kaut schläfrig am Herd
ledernen Reim.

Glut unter der Asche sprüht:
Wahnhunde hecheln über das Land!

Euch biegt Abendwind
wie dürres Gras im Ried.

Keim unterm Steine seufzt:
Blitz wird ritzen, wird retten!

Ihr schwitzt unter Masken
alten Mummenschanz.

Mein Adler schreit im Zenit:
Träume bleichen, Wolken weichen!

Ihr webt der Wehmut
fahles Gespinst.

Schnee unterm Schlitten knirscht:
Tau wird kommen, wird frommen!

 

VII

Als Messias habt ihr
flimmern sehn
den Helden aus Gips.

Beim ersten Regen
zieht er Schlieren,
erblüht sein Aussatz.

 

VIII

Wozu lieh ich dir
die edlen Gaben?

Die Hand – sie zu reichen.
Die Zunge – wahr zu sprechen.
Das Auge – den Horizont zu trinken.
Das Ohr – den Anruf zu hören.
Den Mund – die Stirn zu küssen.
Das Herz – tapfer zu sein.

Wozu, sag mir, wozu?

 

IX

Das gemeinsame Leben spielt hell
um die hellste Abwesenheit,
das Gedenken der Toten.

Die Liebe pflückt ihren Sinn
mit den ärmlichsten Blumen
vor dem beschrifteten Stein.

Die Kunst beugt sich
ins Schlichte zurück,
ein kniender Engel.

Was ist mir das Leben,
wo irrt meine Liebe,
wozu mir die Kunst?

Wo – wo sind meine Toten?

 

X

Die dunkle Süße blieb
verborgen in der Frucht.
Sie riss ein Sturm herab.

Die Seele, die im Händedruck
geschieht, blieb unsichtbar
im grobgekörnten Film.

Das Nachbild schattenleisen Glücks
überblenden
scharfe Wahnkristalle.

Der ernste Denkstein
schmilzt dahin
im blinden Mond.

 

XI

Meine schlanken Birken schweben.
Meine hellen Lieder heben
dein Herz aus dem Schlaf.

Masken schimmern auf den Wegen.
Meine schönen Töchter legen
sich warm an dein Herz.

Flocken flüstern, Blüten schwingen.
Meine dunklen Lieder singen
dein Herz in den Schlaf.

 

XII

Das Schilf erschauert weich –
das Wasser wiegt dich leicht,
die Liebe macht mich schwer –
wir sinken gleich bei gleich.

Wir halten uns mit Blicken –
der Abschied macht mich schwer,
die Liebe macht dich leicht –
Mund will an Mund ersticken.

Wir sinken gleich bei gleich –
ich kaure in den Klüften,
du löst dich in den Lüften –
das Schilf erschauert weich.

 

XIII

Vorübergehend an den Sehnsuchtsblicken,
beim stummen Winken aus erloschnem Fenster,
seid ihr geschwisterlich einander näher,
als Wand an Wand behauste Nachbarn sind.

Der viel geküsste Brief mit den umrankten Silben,
den treue Herzen durch verwaiste Zonen trugen,
bringt aus der Ferne euch die Seele näher
als flüsternd Mund an Mund getautes Liebeswort.

 

XIV

Dahingemäht
die Blüte der Jugend –
die Helden ohne Grab.

Knirscht nicht der Kies auf dem Wege
von unverhofften Schritten?

Glimmt zwischen den Ähren der Mohn nicht
wie Kosen von ehedem?

Die Trauer beschmutzte die Schmach,
Bruder den Mörder zu nennen.

Ruft aus dem Geläute des Abends nicht
der Geliebte mit Namen dich an?

Funkelt nicht über dir, gebahrt unter Linnen,
dem du entgegengeweint, der Stern?

Dahingemäht
die Blüte der Jugend –
die Helden ohne Grab.

 

XV

Der Schleier verhüllt meinen Gram
um all die vergessenen Namen.
Am Ginster rupf ich Blüte um Blüte
für all die vergessenen Namen.

Liebe ruft mich in die alte Nacht.
Liebe ruft euch in den jungen Tag.

Ich hock, das Mütterchen mit dem Korb
voll Veilchen, an der Kirchenpforte.
Die Kinder trippeln herbei, sie
zu flechten in das Haar der Braut.

Liebe ruft mich in die alte Nacht.
Liebe ruft euch in den jungen Tag.

 

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Diese Gedichte entstanden im Auftrag der Anja Krug-Metzinger Filmproduktion im Rahmen der Produktion eines Radiofeatures für den WDR3 (Redaktion: Gisela Corves) mit dem Titel „Der Traumlotse. Das Kino des Andrzej Wajda“ und eines Dokumentarfilms für ARTE (Redaktion: Mechtild Lehning) mit dem Titel „Der Traumlotse. Das Kino des Andrzej Wajda/L’aiguilleur des rêves. Le cinéma d’Andrzej Wajda“ über den Regisseur Andrzej Wajda. Eine Auswahl der Gedichte findet Eingang jeweils in das Hörstück und den Film.

Das Radiofeature wurde am 8. Dezember 2012 um 12.05 Uhr und am 9. Dezember 2012 um 15.05 Uhr auf WDR3 ausgestrahlt. Der Dokumentarfilm wurde von ARTE in der Reihe Kulturdokumentation am 6. Februar 2013 um 22.30 Uhr ausgestrahlt. Eine Wiederholung läuft auf ARTE am 26. Februar um 3.30 Uhr.

Nähere Informationen unter:
http://www1.wdr.de/mediathek/audio/feature-depot/index.html
http://www.krug-metzinger.de/site/index.html

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