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Die Muschel und das Haus

06.03.2017

Über einen wesentlichen Unterschied zwischen Tier und Mensch

… doch dichterisch wohnet der Mensch auf dieser Erde …

Unter Verhalten verstehen wir kausal determinierte und durch genetische Programme gesteuerte oder durch ein Training konditionierte Formen der Bewegung und Tätigkeit von Lebewesen; unter Handeln verstehen wir die nicht kausal determinierte und nicht durch Konditionierung andressierte Form typisch menschlicher Arten des Tuns, deren ritualisierte Formen wir Gewohnheiten nennen.

Menschen sind sowohl durch genetische Programme zu Verhaltensweisen disponiert, wie bei den unwillkürlichen Reflexbewegungen zum Schutz und zur Abwehr einer Gefahrenquelle (Lidreflex), als auch zur Konditionierung von Bewegungsabläufen fähig, wie beim Fahrradfahren, Gehen, Schwimmen oder Tanzen. Das spezifische Humanum aber und das Eigentümliche menschlichen Tuns erfassen wir im Begriff des Handelns.

Bei den oft komplexen Bauten der Tiere, beispielsweise dem Nestbau der Teichrohrsänger, dem manchmal imposanten Turmbau der Termiten oder den symmetrisch angeordneten hexagonalen Bienenwaben, werden die ausführenden Bewegungen von einem genetisch angelegten und vererbten Programm gesteuert.

Am deutlichsten liegen Wesen und Funktionsweise der tierischen Behausungen bei den musterförmig angelegten und farbig schillernden Schalen der Muscheln und den spiralig gewundenen Gehäusen der Schnecken zutage; sie sind mineralische, meist kalkhaltige Absonderungen des oberen Hautmantels der Weichtiere und dienen in erster Linie dem Schutz vor Freßfeinden.

Wir nennen das Gehäuse der Muschel und Schnecke ein Haus und gebrauchen damit eine anthropomorphe Metapher, die den Sachverhalt mehr verdeckt als präzise bezeichnet. Denn in Wahrheit ist die Behausung der Tiere keineswegs ein Haus in der Bedeutung des Wortes, die wir meinen, wenn wir davon sprechen, daß Peter ein neues Haus in der Vorstadt erworben hat, daß Karl stolz darauf ist, das alte von den Großeltern geerbte Fachwerkhaus nach historischem Vorbild vollständig restauriert zu haben, oder daß Paula lieber in einer Jugendstilvilla wohnt als in der schmucklos nüchternen Bauhaussiedlung.

Der Begriff „Haus“, so sehen wir, ist ein wichtiger Begriff im Netzwerk all jener Begriffe und Konzepte, mit denen wir die menschliche Lebensform in ihrer Eigenart beschreiben und erfassen. Dieses begriffliche Netzwerk ist an bestimmten Punkten gleichsam verknotet: An diesen Knoten oder Verzweigungspunkten finden wir die logisch-semantischen Kategorien, von denen alle anderen Begriffe und eigentümlich menschlichen Sprachverwendungen abhängen; oder wie wir auch genauer formulieren können: jene zentralen Kategorien, die logisch-semantische Voraussetzungen (Präsuppositionen) oder Folgerungen (Implikationen) aller anderen Begriffe des Netzwerks darstellen.

Wenn Peter ein Haus erwirbt oder Karl ein Haus von den Großeltern erbt, impliziert diese Redeweise den Begriff einer Rechtsperson, der Begriff einer mit Rechten ausgestatteten und mit rechtlichen Verpflichtungen (Obligationen) behafteten Person impliziert ihrerseits den Begriff eines Rechtsinstituts, das in diesem Falle Eigentum genannt wird.

Wir bemerken, daß Menschen im Gegensatz zu Tieren in Häusern wohnen, die Eigentum von Personen als Rechtsträgern darstellen; und Eigentum kann gemäß waltenden und geltenden Rechtsinstituten vermietet, verpachtet, vererbt, geerbt, veräußert, mit Hypotheken belastet oder versteigert werden. Muscheln und Schnecken sind nicht Eigentümer ihrer Behausungen und können sie nicht vererben oder mit einer Hypothek belasten; Termiten der jüngeren Generation haben die großen Turmbauten nicht von ihren Ahnen geerbt.

Menschliche Behausungen sind die Ergebnisse einer ganzen Kette von ineinandergreifenden und aufeinander gestuften Handlungen. Allen voran geht die Absicht eines Menschen, ein Haus zu bauen. Wenn Peter die Absicht hegt, ein Haus zu bauen, wird er sich ein solches weit in die Zukunft ausstrahlendes Vorhaben gründlich überlegen; zu seinen Überlegungen und Erwägungen zählt der Zweck, den er damit verfolgt: Will er das Haus für den Eigenbedarf, für sich und seine Familie, nutzen, was weiter impliziert, daß es eine kinderfreundliche Umgebung aufweisen sollte; will er ein Mietshaus errichten lassen, das ihm durch Mieteinnahmen eine solide Rendite einbringt; will er, falls er es sich leisten kann, mit einem architektonisch herausragenden Bau einer Villa eine Stilikone errichten, die seiner großen Persönlichkeit Ausdruck verleihen und sein Image als eigenwilliger Kopf ins rechte Licht stellen soll?

Steht der Zweck des Vorhabens fest, fügen sich die Überlegungen über die Art der Finanzierung und Ausführung an; welche Bank gewährt ihm unter günstigen Konditionen einen Kredit in der gewünschten Höhe; welcher Architekt kommt für die Planung, welches Bauunternehmen für die Ausführung in Frage? Architekt und Bauunternehmen setzen, einmal vertraglich mit Planung und Ausführung des Bauvorhabens betraut, wieder eine sich verzweigende Kette oder Kaskade von abgeleiteten und delegierten Handlungen in Gang, die von der Erstellung des maßstabgetreuen Entwurfs durch den Architekten über die Berechnungen des Statikers und die Anordnungen des Bauunternehmers bis zu den Anweisungen des Meisters an der Baugrube reichen, der die Arbeiter über den Einsatz von Maschinen und Baustoffen an diesem bestimmten Arbeitstag unterrichtet; am Ende der Kette steht die Handbewegung des Arbeiters, der mit der Schaufel den Humus von der Baustelle wegräumt.

Wir merken an, daß all die genannten wesentlichen Begriffe, die menschliche Handlungen definieren und spezifizieren – Absicht, planende Überlegung und Erwägung, Zweck, Delegierung der Handlungsausführung – im animalischen Bereich keine Entsprechung haben.

Wenn Karl stolz darauf ist, das alte von den Großeltern ererbte Fachwerkhaus nach historischem Vorbild vollständig restauriert zu haben, zeigt er mit seinem Stolz eine Haltung, die ähnlich wie die Haltungen Scham und Schuldgefühl spezifisch menschlich ist: Stolz offenbart wie Scham und Schuldgefühl ein Selbstgefühl oder ein reflexives Verhältnis zum eigenen Dasein, ein Verhältnis, das naturgemäß nur ihrer selbst bewußte Lebewesen einnehmen können. Aus diesem Grunde treffen wir im Tierreich auch nicht auf diese dem Menschen eigentümlichen Selbstverhältnisse von Stolz, Scham und Schuldgefühl.

Stolz, Scham und Schuldgefühl sind Selbstverhältnisse, die sich auf Handlungen in der Vergangenheit des Lebens der betroffenen Person beziehen; sie implizieren demnach die Existenz eines autobiographischen Gedächtnisses, wenn sich etwa jemand mit dem Gefühl des Stolzes daran erinnert, gemeinsam mit der Familie und den Freunden vor einem Jahr das Richtfest für das neue Haus begangen zu haben, wenn sich jemand mit dem Gefühl der Scham daran erinnert, sich vor den Kindern einer Heldentat gebrüstet zu haben, die ein anderer vollbracht hat, oder wenn einer sich mit dem Gefühl der Reue daran erinnert, den Freund damals, als er krank darniederlag, vernachlässigt oder im Stich gelassen zu haben. Diese Formen des Selbstbezugs sind den Tieren verschlossen.

Wir können uns wohl denken, daß der Hund sich tierisch freut, wenn er sein Herrchen im Treppenhaus wittert; aber daß er mit dem Gefühl der Schuld und Reue sich daran erinnert, sein Herrchen vor einem guten Jahr aus Übermut in die Hand gebissen zu haben, verbleibt außerhalb des Rahmens tierischer Fähigkeiten und Möglichkeiten.

Wir möchten die kühne Behauptung wagen, daß der Begriff des Hauses mit all seinen Implikationen den Sinn des menschlichen Lebens enthält: Denn das Dasein des Menschen vollzieht sich nicht als nacktes natürliches Vegetieren, sondern als geschichtlich konkretes, kultürliches Wohnen.

Wir drücken denselben Zusammenhang mit anderen Worten auch so aus: Menschen pflegen einen Hausstand zu gründen und einen Haushalt zu führen, im Vollsinne des Wortes, wenn sie dies nicht in der sich verbreitenden defizitären Form des Single-Haushalts, sondern in und für jene Hausgemeinschaft tun, die wir Familie nennen. Einen Haushalt zu führen ist der Zweck des kulturellen Lebens und impliziert eine Kaskade von Handlungen, wie die Erstellung eines Haushaltsbudgets und eines Haushaltsplans, das regelmäßige Aufräumen und Putzen der Zimmer, Einkauf von Getränken und Nahrungsmitteln, Zubereitung der Mahlzeiten, Waschen und Bügeln, Nähen und Stopfen der Kleidung. All diese und viele weitere mehr oder weniger komplexe Handlungen bei der Führung des Haushalts sind eingeordnet in die höherstufigen Zweckerfüllungen, die das Leben der Familienmitglieder prägen und mit Sinn erhellen: Hat jemand Geburtstag, gilt es Geschenke zu besorgen und eine Feier auszurichten, ein Krankheitsfall fordert den Einsatz besonderer Pflege, ein Sterbefall die Fürsorge für die besonders von Trauer Heimgesuchten; Freizeitvergnügen und Urlaub verlangen ihr Recht, vor allem aber die rituellen Feiern im Jahreskreis, die wie Ostern und Weihnachten Wohnung und Haus zu Festlichkeiten in der größeren Gemeinschaft der Anverwandten und Freunde öffnen. Der weiter übergeordnete Zweck des Haushalts ist die Pflege und Stabilisierung der Generationenfolge: Deshalb ist ein Haus ohne das muntere Geplapper und den fröhlichen Gesang von Kindern existentiell leer, deshalb werden im Haus die wesentlichen kulturellen Fertigkeiten und Fähigkeiten von der Sprache über das Schreiben und Rechnen bis zur Einübung in religiöse Praktiken eingeübt und von Generation zu Generation tradiert; gewiß darf man hier auch die Weitergabe wertvollen Kulturgutes in Form von Liedern, Märchen und Sagen ansprechen, aber auch die Aneignung mehr oder weniger ausgefeilter künstlerischer Techniken durch Zeichnen, Malen, Plastizieren und Musizieren in einem Atem nennen.

Tiere gründen keinen Hausstand, führen keinen Haushalt und leben nicht in und für eine Familie, auch wenn wir aufgrund der Verwendung anthropomorpher Metaphern und Analogien bei der Beschreibung tierischer Vergeselligung leicht verführt werden, nicht nur so zu reden, sondern auch so zu denken. Aber auch wenn die Jungvögel bisweilen die Melodien bei den Altvögeln ablauschen oder kleine Menschenaffen technische Fertigkeiten wie den Gebrauch von Stecken zum Ameisenfischen von den großen abmerken und erlernen, es wäre doch geradezu lächerlich oder bewußt irreführend, in solchen Fällen von der Liedtradition der Singvögel oder von der Kultur der Affen zu reden, denn Vögel wissen nicht, daß sie das tun, was wir singen nennen, denn wüßten sie dies, könnten sie die Absicht hegen, mit ihrem Gesang einen künstlerisch vollendeten Eindruck bei ihresgleichen oder gar bei lyrischen Dichtern zu erwecken; dann könnten sie auch ästhetisch imaginieren, daß eine Variation eines Themas in der nächstliegenden Moll-Tonart den ästhetischen Eindruck ihrer Darbietung sinnreich moduliert und steigert. Ebenso abwegig ist die Rede von der Kultur der Affen, denn wären sich Affen ihres Tuns als Handlungen eines „Pan faber“ bewußt, suchten sie durch systematisches Vorgehen ihre Geräte zu perfektionieren und würden ab morgen ihre Angelruten aus Bronze oder Eisen schmieden. Daß im Haushalt einer Orang-Utan-Familie je der dritte Geburtstag eines Jungtieres gefeiert oder des Hingangs der Großmutter vor vier Jahren in der Schimpansenhorde durch eine Totenfeier und einen stillen Besuch auf dem Friedhof gedacht würden, bleibt für immer der Phantasie des Märchens anheimgestellt.

Die Ursprünge der menschlichen Behausung und der Religion berühren sich: Das bezeugt der Kult der Hestia im antiken Griechenland und der Kult der Vesta im alten Rom, der ursprünglich ein Kult der Familie und ihrer Ahnen gewesen ist und das Herdfeuer im Hause zum Zentrum hatte. In seinen Umkreis gehören die Schutzgötter der Familie, die Penaten, und die Geister der Ahnen, die Manen. Daß der ursprünglich familiäre häusliche Kult zum Staatskult der Römer (in dem teilweise erhaltenen Tempel auf dem Forum Romanum) avancierte, verweist auf die allgemeine historische Tatsache, daß die höherstufigen Formen der Gemeinschaft aus den Familienverbänden hervorgingen.

                                    usque ego postera
crescam laude recens, dum Capitolium
scandet cum tacita virgine pontifex.

Horaz, Carmina 3, 30

                                      bleibe jung ich im Rühmen
der Kommenden, solang zum Hügel des Kapitols
schreitet mit der stummen Vestalin der Pontifex.

So verknüpft der Dichter Horaz das Schicksal seines Lieds mit dem Schicksal der heiligen Roma und verewigt es im Bild der Hüterin des Herdfeuers, der Vestalin, und des Pontifex, der an ihm die rituellen Opfer vollzieht.

Ein durch den akademischen Jahrmarktsrummel der sogenannten Kognitionswissenschaft und Neurophilosophie geblendetes Publikum wird in einem Buch des einflußreichen Philosophen Daniel Dennett (für den der Glaube an Gott eine Variante des Glaubens an den Osterhasen ist) der Suggestion zweier nebeneinanderstehender Abbildungen ausgesetzt: Auf dem einen sieht man eine mächtig in die Höhe gewachsene Ansammlung von Termitentürmen und daneben die von dem spanischen Architekten Antoni Gaudi in neogotischem und hypermanieristisch-figürlichem Stil entworfene und teilweise zu seinen Lebzeiten fertiggestellte Kirche Sagrada Familia in Barcelona, die 2010 von Papst Benedikt XVI. geweiht worden ist. Dieser Sakralbau umfaßt in vielen Figurenensembles die ganze heilige Geschichte, wie sie die Evangelien erzählen, von der Krippe bis zum Kreuz, vom Marienleben bis zum Weg der Passion Christi. Was soll mit dieser, soll man sagen dreisten oder naiven, Gegenüberstellung suggeriert werden? Offensichtlich, daß Termiten ebensolche bedeutenden Architekten und begnadeten Künstler wie der spanische Architekt der Sagrada Familia sind – offensichtlich auch, daß die religiösen Inhalte des Kirchenbaus für sein Verständnis irrelevant sind. Oder sollen wir, von der Suggestion einer dummdreisten Analogie heillos geblendet, annehmen, daß auf dem Termitenbau bereits ein sakraler Hauch gebreitet ist?

Den Kirchenbau des Antoni Gaudi klassifizierten wir mit den kunstgeschichtlichen Begriffen neogotisch und manieristisch. Daß die Bauten des Menschen sich nicht bloß in der Erfüllung ihres Zwecks, wie des Schutzes vor der Unbill der Witterung oder vor lästigen und kriminellen Eindringlingen, erschöpfen, sondern darüber hinaus den Willen zu eigentümlichem ästhetischen Ausdruck widerspiegeln, ist wiederum ein typisch menschliches Charakteristikum, das wir in der Tierwelt nicht antreffen. Es wäre ja lächerlich, den Termiten bei ihren gewaltigen spitz zulaufenden Turmbauten den Willen zu unterstellen, ihr Lebensgefühl in gotischen Formen Ausdruck verliehen zu haben. Werden Sie uns morgen – welcher unerhörte Schritt in der Evolution! – mit Bauformen im Rokoko- oder Jugendstil überraschen?

Wenn sich der spanische Architekt in den Naturgebilden tierischer Behausungen ästhetische Anregungen geholt hat – was offensichtlich der Fall ist –, so ist dies eine Sache freier künstlerischer Wahl und Entscheidung, und er ist sowohl bei den mineralischen Strukturen wie bei den floralen Bildungen fündig geworden. Sein freies Handeln war die Frucht der ästhetischen Imagination und unterlag nicht dem natürlichen Zwang von genetischen Verhaltensprogrammen.

Daß Menschen mittels Kunstwerken dem Sinn ihres Daseins Ausdruck verleihen und dies auf eine Weise, daß durch Form und Farbe, Figur und Dekor oder Rhythmus und Melodie ein korrespondierender ästhetischer Eindruck beim Betrachter erweckt wird, zählen wir wiederum zu den menschlichen Charakteristika; oder wollen wir den Termiten den Willen unterstellen, ihre Siedlungsnachbarn mit ausgefallenen Formspielen zu beeindrucken? Und wenn beispielweise Vögel wie Pfauen oder Laubvögel ihre Weibchen mit ihrem Federschmuck und kunstvoll-farbigen Attrappen zu beeindrucken scheinen, könnten sie auch farbenblind oder mittels Organen der Messung von Lichtfrequenzen dasselbe ins Werk setzen, denn sie tun es nicht als Künstler, sondern ihnen wächst das Gefieder von Natur beziehungsweise sie hantieren nach einem festgelegten Verhaltensschema.

Nun, daß es eine Kirche ist, die im Buch eines darwinistisch inspirierten Materialisten unter den Auspizien einer Pseudo-Theorie von der einheitlichen Evolution in Natur und menschlicher Kultur dem faulen Analogiezauber zum Opfer fällt, dürfte kein Zufall sein – arbeiten D. Dennett, R. Dawkins, P. Churchland und tutti alteri doch hingebungsvoll daran, das menschliche Bewußtsein zu naturalisieren und die menschliche Kultur auf das Muster der natürlichen Evolution von Schnecken, Termiten und Affen herunterzubrechen. Als radikale Naturalisten sind sie in Fragen von Recht, Moral und Religion – besonders der christlichen – Nihilisten. Ihr uneingestandenes und von ihnen nicht einmal begriffenes Ziel ist es, den Sinn des menschlichen Lebens, der in der Kultur des Hauses wurzelt, in Frage zu stellen und letztlich zu zerstören.

Wer hätte gedacht, daß selbsternannte wissenschaftliche Philosophen im 21. Jahrhundert auf magische Stufen des Denkens in Analogien herabsinken, denn vom Anschein des Ähnlichen auf die Identität der Bedeutung zu schließen, ist entweder magischem Denken geschuldet oder schlicht ein Zeichen von Dummheit – oder sollen wir sagen, daß sie sich nolens volens zum Zwecke der Exekution ihrer unheiligen Absichten auf ein solch trostloses Niveau herablassen? Doch sehen wir, auf welchem Campus der akademische Hase begraben liegt: Denken wir an das missionarische Wirken von Ernst Haeckel, der sich ebenfalls auf die sogenannten „Kunstformen der Natur“ stürzte, in der hintersinnigen, aber begriffsblinden Absicht, den menschlichen Künstler angesichts der phantastischen Gebilde der Seeanemonen oder Strahlentierchen erblassen zu lassen.

Doch sind die genannten intelligente Leute, wie sich auch unter ihren Adepten kluge Köpfe finden; vielleicht spürt der eine oder andere, daß bei ihrem Erklärungsansatz etwas begrifflich und konzeptuell aus dem Ruder gelaufen ist – doch sie sind gefesselt durch akademische Würden und ihr öffentliches Renommee, zudem weltanschaulich berauscht von ihrer Mission, für die ihnen in den Massenmedien große Aufmerksamkeit zuteilwird. Wer aber bekennt, daß er eine gute Strecke seiner Laufbahn auf einem Irrweg ging, riskiert nicht nur einen hohen Ansehensverlust, sondern müßte zu einer heroischen Form der Selbstüberwindung fähig sein – etwas, was einen geradezu stoischen Charakter und einen Willen zu letzter innerer Klarheit erfordert, Eigenschaften, die wir höchst selten und nur bei den größten Namen wie Aristoteles (Kritik an der von ihm selbst einmal verfochtenen Ideenlehre seines Lehrers), Kant (Eingeständnis seines „dogmatischen Schlummers“) oder Wittgenstein (radikale Umwandlung der Philosophie des „Tractatus“) antreffen.

Den Sinn des menschlichen Lebens zu verstehen beginnt bei den scheinbar einfachen Dingen wie dem Haus, führt aber mit all den Voraussetzungen und Folgerungen, wie sie beispielsweise im Begriff des Hauses stecken, in die ganze Fülle und den ganzen Reichtum der menschlichen Kultur, angefangen von den Handlungen, die wir in der Führung des Haushalts unternehmen, über die Feste und Riten, die das Leben der Hausbewohner allererst zum Sprechen und sinnreichen Ausdruck bringen, bis zum Begriff der Person unter ihren semantischen, rechtlichen und moralischen Aspekten – denn Personen mit der Fähigkeit zu Absichten und Gedanken, zu Freude und Furcht, zu Scham und Reue, zu Erinnerungen und Hoffnungen, das sind nicht wie Termiten oder Muscheln und Schnecken Lebewesen, die ihre Gehäuse als organische Sedimente aus ihren Körpern absondern, sondern wir, die als Menschen auf dieser Erde wohnen.

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