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Kleine philosophische Lektionen VIII

20.09.2014

Intentionale Zustände: Glauben (4), gute und schlechte Gründe, Motive, Ursachen

Wenn du glaubst, dein Nachbar sei böse und suche dir zu schaden, kannst du, befragt, weswegen du dich zu solchen unerhörten Anschuldigungen versteigst, Gründe für deinen Glauben anführen. Du könntest dich darauf berufen, wahrgenommen zu haben, dass der böse Nachbar etwas Abträgliches über dich einem weiteren Mitbewohner zugeraunt habe; dass der böse Nachbar den Mülleimer auf gegen dich verwendbare Hinweise und Informationen unter die Lupe genommen habe; schließlich dass der böse Nachbar einen despektierlichen und verleumderischen anonymen Brief an deine Freundin geschrieben habe – die Handschrift weise ihn als Verfasser aus.

Um die Wahrheit herauszufinden, hilft es uns, zwischen guten und weniger guten oder schlechten Gründen für eine Annahme zu unterscheiden. Sich auf Wahrnehmungen zu berufen, die der Täuschung unterliegen und zudem von Dritten nicht nachvollzogen oder überprüft werden können, bietet nicht gerade die besten Gründen – du könntest dich verhört haben und der Nachbar hat vielleicht wirklich getratscht, aber nicht über dich; du könntest dich getäuscht haben und der Nachbar hat in dem Mülleimer nicht nach gegen dich verwendbarem Informationsmaterial gewühlt, sondern mit seinem Müll versehentlich ein wichtiges Schriftstück weggeworfen, nach dem er nun suchte.

Somit bleibt der Brief, ein Objekt, das auch Dritte wie ich inspizieren und als Indiz oder Beweisstück analysieren können. Sollte falls möglich eine kriminaltechnische Untersuchung auf dem Brief die Fingerabdrücke des Nachbarn oder eine genetische Untersuchung die DNA des Nachbarn oder schließlich eine graphologische Untersuchung die Identität der Handschrift des Nachbarn bestätigen, sagen wir: Du hast guten Grund zu der Annahme, dass dein Nachbar böse Absichten hegt und dir zu schaden sucht. Sollten sich alle drei Sachverhalte bewahrheiten, sagen wir, du hast die besten Gründe zu dieser alles andere als angenehmen Annahme.

Sollte sich durch die Untersuchungen und Analysen herausstellen, dass dein Nachbar nicht der Verfasser des gehässigen Briefes sein kann, ist dein Verdacht ihm gegenüber nicht bestätigt, wenn auch nicht widerlegt und gänzlich aus der Welt geräumt, denn der werte Nachbar könnte auch einen Vertrauten angestiftet haben, den Brief zu verfassen und abzuschicken. Sollten wir auch diesen weiteren Verdacht ausschließen können, wäre dein Misstrauen gegen deinen Nachbarn vielleicht nicht ausgeräumt, aber doch herabgestimmt. Allerdings wärest du bei weitem nicht aus dem Schneider: Denn hat nicht dein Nachbar den bösen Brief verfasst und an deine Freundin geschickt (aufgrund dessen verleumderischer oder auch wahrheitsgemäßer Hinweise dich deine Freundin verlassen haben mag), muss es ja einen anderen Menschen geben, der ihn geschrieben und abgeschickt hat und ergo böse Absichten gegen dich hegt und dir schaden will.

Wir finden demgemäß Wahrnehmungen und Objekte wie Spuren, Zeichen oder Gegenstände als Mittel, um unsere Annahmen zu bestätigen, zu widerlegen oder anzuzweifeln. Wir sagen, dass wir aufgrund einer Beobachtung annehmen, der Nachbar sei heute früher nach Hause gekommen. Wir sagen, der Nachbar scheide als Verdächtiger aus, weil die Analyse der DNA-Spuren seine Identität nicht bestätigt hat. Wir halten unser Urteil in der Schwebe oder enthalten uns des Urteils, wenn unsere Wahrnehmungen weder eine Annahme noch ihr Gegenteil bestätigen.

Nehmen wir an, dein Nachbar sei ein alter Freund, mit dem du einige schöne Reisen und manche Abenteuer erlebt hast, ein Freund, der dir schon einige Male aus der Patsche geholfen und dir in finanziellen und persönlichen Nöten seinen Beistand nicht verweigert hat. Nie würdest du einen Verdacht wider ihn und seine uneingeschränkt positive Einstellung dir gegenüber aufkommen lassen – und wenn ich dir mit meinen Verdächtigungen komme und davon berichte, deinen Nachbarn ungut von dir reden gehört zu haben, wischst du solche Bemerkungen unwirsch vom Tisch.

Wir sagen, dein Glaube, der Nachbar sei dein Freund und dir uneingeschränkt zugetan, speise sich aus dem Motiv der Freundschaft, die euch schon viele Jahre verbindet. Motive, etwas zu glauben, sind keine Gründe, etwas zu glauben – ja, sie können im Gegenteil das Wahre zu glauben verhindern.

Motive sind Antriebe, etwas zu tun. Es gibt gute oder mehr oder weniger gute und schlechte oder mehr oder weniger schlechte Motive. Meistens sind die Motive gut, die dich antreiben, das Wahre anzunehmen und danach zu handeln, und die Motive schlecht, die dich antreiben, das Falsche anzunehmen und danach zu handeln.

Wenn du trotz der gegenteiligen Gründe, die ich dir aufgezählt habe, weiter der Annahme anhängst, dein Nachbar meine es gut mit dir, handelst du, wenn du ihm stets freundlich und arglos entgegenkommst, aus einem schlechten Motiv, weil du das Falsche annimmst und danach handelst. Wenn du meine Mahnungen beherzigst und dich eines Besseren besinnst, indem du in Zukunft dich vor deinem Nachbarn in Acht nimmst, handelst du aus einem guten Motiv, weil du das Wahre annimmst und danach handelst.

Wenn du glaubst, dein Nachbar sei böse und suche dir zu schaden, kannst du befragt, weswegen du dich zu solchen unerhörten Anschuldigungen versteigst, Gründe für deinen Glauben anführen, die in einem Maße unser allgemeines Verständnis des sozialen Lebens und der Welt verletzen, dass wir geneigt sind, sie sinnlos und widersinnig zu nennen. Wenn du mir sagtest, du hieltest deinen Nachbarn für ein schädliches Individuum, weil er ein Zauberer und Hexer sei, der über magische Kräfte dank eines Teufelsbundes verfüge, würde ich diese Angaben nicht als Gründe gelten lassen, sondern mich um deinen Geisteszustand sorgen.

Freilich, lebten wir in Gegenden des südlichen Afrikas, wo der Glaube an Hexerei, Zauber und Magie weit verbreitet ist und die Hetzjagd auf Hexer, Zauberer und Magier oft tödlich ausgeht, würde ich die von dir genannten Angaben wahrscheinlich als plausible Gründe akzeptieren. Wir beide wären dann in einer finsteren Weltanschauung befangen, die uns zu falschen Annahmen über unsere Mitwelt und zu üblen Handlungen gegen unsere Mitmenschen veranlasste.

Wenn du glaubst, dein Nachbar sei böse und suche dir zu schaden, kannst du, befragt, weswegen du dich zu solchen unerhörten Anschuldigungen versteigst, Gründe für deinen Glauben anführen, die in einem Maße die Prinzipien der Vernunft verletzen, dass wir geneigt sind, sie sinnlos und unvernünftig zu nennen. Wenn du mir sagtest, du hieltest deinen Nachbarn für ein gefährliches Individuum, weil er zwar dem Anschein nach ein friedsames und verträgliches Leben führe, sein bösartiger Doppelgänger aber des Nachts umherschleiche und auf Mord und Gewalttat gegen dich sinne, würde ich diese Angaben nicht als Gründe gelten lassen, sondern mich um deinen Geisteszustand sorgen.

Wenn eine psychiatrische Untersuchung und eine Magnetresonanztomographie deines Gehirns zu dem Ergebnis führten, dass du an einer Psychose erkrankt bist und signifikante Areale deines Gehirns vom Normalzustand abweichende Deformationen und Fehlfunktionen aufweisen, würden wir diese Ergebnisse als Hinweise auf die Ursachen deiner wahnhaften Annahmen zu deuten verstehen.

Vergiftungen, die Wirkung von Drogen und Medikamenten oder Gehirnerkrankungen sind physische Ursachen, die uns zu Annahmen über die Welt veranlassen können, die vollkommen unbegründet sind. Wenn eine Erkrankung eines bestimmten Hirnareals die kognitive Fähigkeit einschränkt oder zerstört, Farbnamen und Farbwahrnehmungen korrekt zuzuordnen, wissen wir, dass der Patient bei Fehlangaben der scheinbar von ihm wahrgenommenen Farben kein Motiv und keinen Grund hat, die Unwahrheit zu sagen und das Falsche zu behaupten oder uns zu belügen. Denn Ursachen, die zu mentalen Prozessen führen, welche wiederum das Urteilsvermögen einschränken oder zerstören, sind weder Motive noch Gründe, etwas zu glauben.

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