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Über den Argwohn

05.12.2021

Philosophische Sentenzen und Aphorismen

Argwohn, wie er sich in den Verdächtigungen und bisweilen wahnhaften Hypothesen der Eifersucht manifestiert, ist ein Symptom einer auf Sand gebauten, brüchigen oder gescheiterten Liebesbeziehung.

Wer keine andere Liebesbeziehung kennt oder sich vorzustellen vermag als eine, deren Geburtsfehler sich im Argwohn und allem von ihm verursachten Gram kundtut, beginge wie Proust einen Fehlschluß, schlösse er, daß es keine andere geben könne.

Der Argwohn ist die gespenstische Atmosphäre und die Stickluft, in der nur dämonische Schlangen und urweltliche Echsen frei atmen können; so schleppen sich die im voraus Verurteilten keuchend durch die unendlichen Korridore der Geheimdienste und der Kanzleien und Gerichtsgebäude Kafkas.

Der Argwohn spricht Verdächtigungen aus, die sich auf stereotype Formeln und Wendungen wie „nichts anderes als“, „in Wahrheit aber“, „bei Lichte betrachtet“ oder schlicht „nur“ stützen: Religiöse Bilder und Glaubensinhalte sind nichts anderes als verzerrende und idealisierende Projektionen unterdrückter Wünsche oder der Wünsche von Unterdrückten; Kunst ist nichts anderes als das Ergebnis der Sublimierung archaischer Triebe; Liebe und Freundschaft sind nichts anderes als ins Joch kultureller Zähmung gespannte Aversion und Feindseligkeit; er schenkte ihr einen goldenen Armreif und einen Brillantring; in Wahrheit aber wollte er mittels dieser Geste sich seiner privilegierten sozialen Stellung rühmen oder die Beschenkte symbolisch an sich fesseln; Farben, Düfte und Klänge scheinen auf Eigenschaften von Gemälden, Blumen und Musikstücken zu verweisen, bei Lichte betrachtet aber sind sie nur Modifikationen unserer Sinnesorgane.

Der kritische Kopf, das heißt der unschöpferische Parasit und faule Voyeur der Erscheinungen, tut sich groß mit seiner Methode der Entlarvung und Demaskierung, wonach was wie echtes Gold glänzt nichts ist als Talmiglitter, wonach wer zu lächeln scheint nur den Ausdruck der Gier oder die Verzerrung durch den Schmerz maskiert, und wonach wer die Wahrheit zu sagen beansprucht, nur der beschränkten Perspektive seines Klassenstandpunkts, seiner sozialen Rolle oder des herrschenden Paradigmas seiner Epoche Ausdruck verleiht.

Wer einem ständigen Bombardement von demaskierenden, entlarvenden und diskreditierenden Verdächtigungen ausgesetzt ist, verliert am Ende das Vertrauen in seine fünf Sinne und seinen Verstand und dekomponiert sich selbst in einer Kaskade von Selbstbezichtigungen, die sich wie die Uräusschlange in den eigenen Schwanz verbeißen.

Der methodisch verfeinerte Argwohn gegen den Beitrag, den eigene Wahrnehmung, eigene Beobachtung, eigene Gedächtnisleistung und eigene logische Schlußfolgerung zur objektiven Weltbeschreibung zu leisten vermögen, mündet in epistemologische Bodenlosigkeit und moralische Haltlosigkeit.

Der von erkenntniskritischem Argwohn Eingeschüchterte sucht vergeblich nach Gewißheit und findet sich, da es außerhalb der Logik keine absolute Gewißheit zu geben scheint, auf dem schwankenden Boden oder dem Morast des Skeptizismus, Relativismus und Konstruktivismus wieder.

Doch wenn wir auch keine empirisch strenge Gewißheit über Voraussagen erlangen können, ist es nicht weniger als vernünftig anzunehmen, daß auch wir sterben werden.

Der Meister in der Beschreibung des Argwohns und seiner fatalen Folgen, der sie noch in den verborgensten Falten des Herzens aufspürt und den Verdacht wie unter der Folter des Zweifels bis zur Auflösung der eigenen Identität steigert, ist zweifellos Marcel Proust.

Doch der Argwohn des kleinen Marcel, der im Dämmerlicht einsam in seinem Bett liegend das heitere Klirren der Gläser im Salon und das fröhliche Lachen seiner Mutter vernimmt, sie ziehe die Nähe der sie feiernden Gäste seiner kindlichen Ohnmacht vor, ist der Ausdruck eines infantil übersteigerten Verlangens nach Schutz und Geborgenheit, aber kein Ausweis vernünftigen Denkens.

Der Argwohn, der den Gegenstand des Begehrens stets des Verrats und der Untreue, nicht nur in Taten, sondern selbst in Gedanken, Phantasien und Erinnerungen bezichtigt, sucht sein Heil vergebens darin, ihn von aller Welt und allen Versuchungen der Welt abzuschirmen und wie Marcel die Geliebte Albertine zur Gefangenen zu machen; doch nur um seinen Gram und sein inneres Zittern umso mehr zu steigern, als er festzustellen genötigt ist, daß ihm die Gefangene, und würde sie auf die Folterbank des Geständnisses gespannt, ihre Geheimnisse, ob nun solche, die sie im Schrein ihrer Erinnerung hütet, oder solche, um die sie wie ahnungsvolle Schimmer auf dunklem Wasser kaum selber weiß, nicht preiszugeben willens und fähig ist.

Der Erfinder der Verdächtigungen als eine Form des geistreichen Spiels in Konversation und Selbstbeobachtung ist La Rochefoucauld, denn der Verdacht und der Argwohn sind die feinen Dolche und eleganten Messer, mit denen der Amour-propre in den eigenen Eingeweiden wühlt.

Die Psychologie des Argwohns, die von La Rochefoucauld über Nietzsche bis zu Freud ihr Senkblei immer tiefer in die trüben Gewässer der Leidenschaften hinabspult, zersetzt mit ihrer scharfen analytischen Säure alles, was der Common Sense für bare Münzen mit den Siegeln der Liebe, der Freundschaft, der Treue, kindlicher Hingabe und elterlicher Fürsorge nimmt, kurz die Ideale einer konventionellen Moral, und beläßt ihnen nur das zeichenlose flache Rohmetall, auf dem sich die monströsen Fratzen der Eigenliebe spiegeln.

Doch der Argwohn ist ein Irrläufer, der aus dem Labyrinth der menschlichen Seele bisweilen nur anhand des Ariadnefadens jener Wahrheit ins Freie zu finden scheint, die dem Frommen aus der Aura der Ikone erstrahlt.

Bevor ich jemanden verdächtige, mich übers Ohr zu hauen, muß ich ihm – vielleicht allzu blind – vertraut haben; das Vertrauen ist ähnlich vorgängig-basal wie im Falle des Zweifels die Gewißheit, die ihm nicht nur vorhergeht, sondern ihn begleitet. Denn um am Wahrheitsgehalt einer Aussage zu zweifeln, muß ich von der Möglichkeit der Gewißheit ausgehen, der Gewißheit, daß sie sich als richtig oder unrichtig erweisen läßt.

Wir verdächtigen jemanden des Betrugs, des Treuebruchs, des Verrats; den Verdacht können wir im besten oder schlimmsten Falle mittels Augenzeugen und Indizien erhärten; doch dann müssen wir uns fragen, weshalb wir gegen den Betrüger und Verräter allzu vertrauensselig handelten.

Wenn uns ein Freund ein Buch schenkt, sind wir gehalten, das Geschenk als Geste der Freundschaft aufzufassen, nicht aber als eine tückische Manipulation, mit welcher er uns zu irritieren, zu verwirren und zu beschämen versucht, ein Verdacht, der uns dazu verleiten würde, den Inhalt des Buchs argwöhnisch auf versteckte uns diskreditierende Botschaften zu untersuchen.

Gewiß, bei hinreichenden Verdachtsmomenten ist es nicht unvernünftig, den Nachbarn, den Kollegen, den Freund argwöhnisch darauf zu mustern, ob sie uns am Ende belauern, überwachen, kontrollieren.

Doch Argwohn, der sich aus selbst erzeugten Verdachtsmomenten nährt, ist paranoider Wahn.

Wir müssen uns mittels methodischer Disziplin des Argwohns und aller Verdächtigungen enthalten, wenn wir unseren Sinnen trauen und beispielsweise sehen, daß dort unser Freund Peter über die Straße geht; wenn wir unserem eigenen Gedächtnis trauen und uns daran erinnern, gestern unseren Freund Peter gesehen zu haben; wenn wir Zeugen, die wir für vertrauenswürdig halten, ihre Auskunft glauben, daß sie gestern unseren Freund Peter gesehen haben.

Fundamentale epistemologische Grundsätze lauten: Wenn keine offenkundigen Irrtumsquellen dagegensprechen, können wir das meiste, was wir unmittelbar oder proximal wahrnehmen, woran wir uns proximal erinnern und was glaubwürdige Zeugen berichten, für bare Münze nehmen. Das, was uns (bei optimalen Sichtverhältnissen) rot erscheint, ist rot; was uns als logische Folge bestimmter Annahmen erscheint, wie daß wenn A B und B C ist, dann A C ist, können wir als eine logische Gewißheit auffassen. Wenn wir den visuellen Eindruck haben, daß diese und nur diese Lampe brennt, können wir davon ausgehen, daß es diese Lichtquelle ist, die den Raum erhellt. Wenn wir glauben Musik zu hören, ist was wir hören Musik. Wenn wir uns zu erinnern glauben, unseren Freund Peter gestern gesehen zu haben, haben wir diese Erinnerung. Doch wenn uns glaubwürdige Zeugen berichten, Peter vorgestern zum Flughafen begleitet zu haben, wo er in eine Maschine nach London stieg, sind wir einer Erinnerungstäuschung erlegen.

Zu glauben, daß die Dinge sind, wie sie zu sein scheinen, wie daß wir Musik hören, wenn es uns so vorkommt, ist vernünftig und nur fraglich, wenn offensichtliche Umstände walten, die es unvernünftig erscheinen lassen, wie im Falle, daß wir Drogen eingenommen haben.

Was uns vertrauenswürdige Zeugen ausrichten, ohne plausible Gründe als unwahr zu verdächtigen zeugt nicht von kritischem Geist, sondern von schlechter Kinderstube.

Der ungezogene Bengel und der pubertierende Feuerkopf erheben einen trotzigen Verdacht gegen alles, was der Lehrer sagt. Caesar hat den Rubikon überschritten? Wie, da muß er ja Caesar selbst glauben, was er in seinem Buch berichtet; aber einem solchen gerissenen Aufsteiger, martialischen Kolonialisten und Unterjocher friedlicher Völker wie der Gallier und Germanen, einem solchen Grammatikfuchser, an dessen überschwänglichem Gebrauch des Ablativus absolutus der Großsprecher gescheitert ist, glaubt er nichts.

Freilich, wenn wir glauben, im Konzertsaal zu sitzen und eine Sonate von Schubert zu hören, und dann erwachen, saßen wir nicht in einem Konzertsaal und ob es Musik von Schubert war, was wir im Traume hörten, bleibt für immer unerforschlich.

Wir können unseren Roteindruck durch anwesende Augenzeugen bestätigen lassen. Doch wenn wir unseren und ihren Augen nicht trauen und uns den visuellen Eindruck mittels Messung der Wellenlänge des ausgestrahlten Lichts bestätigen lassen, müssen wir unserem Gedächtnis trauen, wenn wir uns an den gemessenen Wert erinnern.

Wissenschaft ist erfolgreich nicht aufgrund der permanenten Beargwöhnung und Verdächtigung der durch Beobachtung gewonnenen Daten, sondern aufgrund des Vertrauens in die methodische Fruchtbarmachung der Erfahrung in Theorien, die sie erklären, auch wenn sie aufgrund inkohärenter Beobachtungsdaten genötigt ist, bestehende Theorien zu erweitern, zu revidieren oder zugunsten neuer Erklärungsmodelle zu verwerfen.

Wenn uns die eine Wahrheit verwehrt ist, heißt dies nicht, daß wir ewig im Unwahren herumirren müssen.

Wenn wir nicht mit Gewißheit behaupten können, daß alle Raben schwarz sind, folgt daraus nicht, daß wir keine Ornithologie treiben können.

Aufgrund der Tatsache, daß wir seine momentane Position nicht mit Gewißheit erfassen können, wird das Elektron nicht zum Phantom; aus der Tatsache, daß wir beim Doppelspalt-Experiment nicht voraussagen können, durch welchen Spalt das Photon geht, folgern wir nicht, daß die zweiwertige Logik von wahr und falsch aufgehoben ist, und aus der Tatsache, daß wir die Mondfinsternis beobachtet haben müssen, um von ihr reden zu können, folgern wir nicht, daß unsere Annahmen über das, was es gibt, oder unsere Weltbeschreibung nur eine Funktion unserer unmittelbaren Beobachtungen darstellt; denn Kräfte, Felder, Dispositionen, Elektronen und andere theoretische Entitäten sehen wir nicht.

Popper ist, trotz seines Engagement für die Wissenschaft, der Begründer wider Willen des postmodernen Irrationalismus, wie an seinen Früchten: Kuhn, Lakatos und Feyerabend leicht ersichtlich ist; denn er ließ keinen Raum der Vermutung und Begründung zwischen dem logisch gewissen Beweis und der empirisch plausiblen Erklärung.

Wenn der Schatten der Erde bei einer Mondfinsternis teilweise die helle Scheibe des Mondes bedeckt und dieser Schatten kreisförmig ist, schließen wir daraus mit hoher induktiver Wahrscheinlichkeit, daß die Erde zwischen Sonne und Mond getreten ist, daß die Erde um die Sonne kreist und daß sie sphärische Gestalt haben muß.

Schon dem frühen Weltensegler mußte für die Tatsache, daß der spanische oder portugiesische Dreimaster am fernen Horizont nicht plötzlich, sondern allmählich von der Fläche des Ozeans verschwindet, die beste Erklärung jene durch die Kugelgestalt der Erde gelten, als weniger gute jene durch die Annahme einer flachen Erdscheibe, wonach der fremde Segler in den Abgrund gefallen sein müßte; doch war es wahrscheinlich, daß er in ein paar Wochen wieder in seinen Heimathafen einlaufen würde.

Es ist unsinnig anzunehmen, wir seien gestern eine andere Person gewesen als heute und die Person, die wir morgen sein werden, sei uns heute unbekannt; denn wie sollten wir dies wissen können. Schreibe ich indes der Person, die ich gestern war, eine Eigenschaft zu, die ich heute nicht mehr habe, wie könnte ich dies, ohne mich vergewissert zu haben, daß es sich um dieselbe Person handelt, der ich diese Eigenschaft einmal zu- und einmal abspreche.

Generelle Wissensskepsis ist die eitle Attitüde fauler Philosophen.

Es heißt im Trüben fischen, wenn man das klare Wasser mit eigenem Unrat verpestet hat.

Das Schiff, auf dem wir reisen, mag schwanken, doch solange es nicht untergeht trägt es uns.

Der fromme Moslem kann die Göttlichkeit seiner heiligen Schrift nicht mit dem Hinweis beglaubigen, der Erzengel Gabriel habe sie dem Propheten eingeflüstert.

Der fromme Christ kann die Göttlichkeit Christi nicht mit dem Hinweis beglaubigen, daß sie in der Schrift bezeugt wird.

Der Graben zwischen Vernunft und Glauben kann nicht mit logischen Sophismen oder schönen Gleichnissen aufgefüllt und für den bequemen Schuh des Ungläubigen gangbar gemacht werden.

Anders steht es um den epistemologischen Graben, der die Gegenwart von den Ereignissen der Vergangenheit trennt; denn wir können zwar die vergangenen Ereignisse nicht in Augenschein nehmen, aber wir können die Berichte vertrauenswürdiger Augen- und Zeitzeugen mit der historisch-kritischen Methode auf die Vollständigkeit und Lückenhaftigkeit, die Kohärenz und Inkohärenz, die Konsistenz und Inkonsistenz ihrer Aussagen überprüfen.

Die Dealer des Irrationalismus bieten Drogen feil, deren betörender Wirkung die Vernunft oftmals nicht widerstehen kann. War es vor Tagen die Droge „Marxismus“, fand sie nunmehr ihr mehr als hinreichendes Substitut in der Droge „sozialer Konstruktivismus“, gemäß dem „Volk“, „Heimat“ oder „Kultur“ Konstrukte dunkler Mächte, „Ehe“, „Familie“, „Vaterschaft“ und „Mutterschaft“ Konstrukte patriarchalischer Instanzen und „Liebe“, „Vertrauen“ und „Treue“ rein sprachliche Konventionen sind.

Biologie und Psychologie bestimmen den Unterschied der Geschlechter anhand empirischer Befunde über Zeugung, Empfängnis und embryonale Wachstumsphasen, Unterschiede geistiger und sprachlicher Entwicklung oder angeborene Neigungen und Begabungen; Ideologie verwischt ihn durch Erfindung mythologischer Narrative von Gleichheit oder Diversität.

Ein glänzender Stil ist noch kein Kriterium tiefer Einsicht.

Dichtung, die der Glossolalie pfingstlicher Schauer ähnelt, wird meist der Gebrochenheit der menschlichen Natur nicht gerecht.

Doch kann uns große Dichtung aus der Öde sprachlicher Disteln und von den Fährnissen geistiger Skorpione auf eine Zeit, ihre Zeit, in eine Oase geleiten, in der Brunnen sanfter als unsere Herzen singen und durch die Dämmerung gewiegter Halme der Duft geheimer Blüten schwebt, der uns gleich dunkel tropfender Narde den Zauber längst abgetaner Unschuld weckt.

Manchem, der alle Hoffnung auf Rückkehr in die Heimat aufgegeben hat, setzt sich die weiße Taube mit dem grünen Zweig im Schnabel auf den morschen Denkstein, an den er sich erschöpft gelehnt hat.

Der Böse mit dem teuflisch schlauen Verstand reicht uns keine stinkende und faulige Knolle, sondern eine wohlduftende und glänzende Frucht; doch ringelt sich der Wurm empor, wenn wir sie aufbrechen.

Arbeiter im Weinberg des Herrn sind solche, die verkümmerte Triebe beschneiden, müde herabhängende Reben in die Höhe heben und sorgsam binden, die alles tun, damit die edle Traube reife, auch wenn sie selbst sie nicht mehr ernten oder den Wein aus den goldenen Bechern trinken können, die schimmern, wenn die Sonne des Festtags aufgeht.

Die Flüche und obszönen Verwünschungen aus dem Munde des Geisteskranken oder dessen, der am Tourette-Syndrom leidet, sind keine Sprechakte, nicht einmal mißlungene Sprechakte; wir wissen uns von ihnen nicht getroffen wie von jenen des Gesunden.

Wir unterstellen jenen, die uns fluchen, die Absicht, uns auf diese Weise zu verletzen oder zu beschämen; so wie wir jenem, der uns etwas fragt, die Absicht unterstellen, von uns Auskunft zu erhalten.

Wer nur zuckt, hat noch nicht gehandelt, so wie einer, der mit der Zunge schnalzt, uns vielleicht kundtut, daß ihm die Speise mundet, aber nicht mitteilt, ob es das Fleisch ist oder die Soße, die sein Entzücken hervorruft.

Wir mögen einem, der an der Bushaltestelle wartet, nicht zu Unrecht die Absicht unterstellen, mit dem Bus zu fahren; und wir gelangen zur Evidenz, daß wir richtig lagen, wenn wir wahrnehmen, daß er in den Bus steigt. Doch wir können uns in der Annahme irren, er habe die Absicht, an ein Ziel zu gelangen, das entlang der Buslinie liegt; denn er könnte ein anderes Ziel haben und versehentlich in diesen Bus eingestiegen sein.

Wir gelangen häufig zu einer proximalen Evidenz, die eine Funktion unmittelbarer Wahrnehmung darstellt; dagegen nimmt die Unsicherheit unserer Vermutungen oftmals proportional zur räumlichen und zeitlichen Entfernung des Gegenstandes zu, den wir beobachten oder an den wir uns erinnern; wir gelangen also weniger oft zu einer distalen Evidenz.

Durch Anwendung geeigneter Maßstäbe und ihrer Metriken können wir nicht nur das Kontinuierliche und Diffuse der beobachteten Phänomene in meßbare Distanzen und diskrete Momente unterteilen, sondern sogar mehr oder weniger genaue Proportionen und Maßverhältnisse zwischen ihnen angeben; so bestimmen wir Längen mit dem Längenmaß, Winkel mit dem Winkelmesser und Zeitstrecken mit der Uhr. Wir können auf diese Weise sogar zu Evidenzen gelangen, die uns für objektiv gelten, wenn wir eine Länge oder Zeitstrecke als ein Mehrfaches oder als einen spezifischen Teil einer anderen durch exakte Messung definieren oder die Zeit der Rotation der Erde um sich selbst als einen Tag und den Tag als den ungefähr dreihundertfünfundsechzigsten Teil der Zeitdauer bestimmen, die die Erde benötigt, um einmal ihre Runde um die Sonne zu drehen.

Wer gegenüber der Festlegung objektiver Maßstäbe mit skeptischem oder relativistischem Argwohn reagiert und die von uns verwendeten Metriken willkürlicher Konvention verdächtigt, verwechselt die subjektive Festlegung und die dem Zeitgeschmack unterliegende Modifikation der Bedeutung konventioneller Zeichen wie derjenigen von Verkehrszeichen, Piktogrammen oder Farbsymbolen mit der objektiven Festlegung und präzisen Transformation von Maßstäben und Metriken, wie sie beispielweise in der Möglichkeit zutage treten, Temperaturangaben von Celsius in Fahrenheit und umgekehrt umzuwandeln, statt des Meters die Wellenlänge des Lichts und statt der mechanischen Uhr eine Atomuhr zu verwenden.

 

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