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Wermut der Resignation

19.10.2025

Philosophische Sentenzen und Aphorismen

Die historisch kontingente, aber epochal beglückende Koinzidenz von Macht, Reichtum und erlesenem Kunstgeschmack ist die Bedingung der Möglichkeit kultureller Höchstleistungen in Architektur, bildender und redender Kunst, wie die römische Klassik unter Augustus, der Hof von Versailles, Potsdam, Dresden oder das Bündnis zwischen Carl August von Weimar und Goethe belegen.

Daß horribile dictu der kriminelle Triebtäter, der Perverse und der Geistesschwache dasselbe Gewicht bei der demokratischen Wahlentscheidung einbringen, ist dem aristokratischen Geist ein Greuel.

Der künstlerische Wille ist die Maßgabe für den individuellen sprachlichen Ausdruck; so gebrauchte Stefan George außer bei Namen die Kleinschreibung, um sich ein Markensiegel zu schaffen. Dem Sprachstümper, dem typischen Produkt demokratischer Massenbildung, unterläuft die Verkennung des Anredepronomens mit dem Pronomen der dritten Person Plural unwillkürlich – im Doppelsinne.

Und doch ist sie wie der Untergang des Genetivs oder die Unfähigkeit, zwischen dem Konjunktiv der indirekten Rede und dem Konditionalis zu unterscheiden, ein Signum des Sprachverfalls.

„Hätte ich nicht so gebummelt, wäre mir die Bahn nicht vor der Nase davongefahren.“ – Solche grammatischen Bildungen zum Ausdruck des irrealen Bedingungsgefüges geben den sprachlichen Anstoß zu philosophischen Erwägungen über den Begriff der mehr oder weniger freien Handlung.

Die Betrachtung der komplexen epischen Struktur der Äneis, die man insgesamt in einen odysseeförmigen und einen iliasähnlichen Teil, aber wie bekannt auch triadisch gliedern kann, darf auf erhellende Analogien aus der Architektur antiker Großbauten wie des Apollontempels auf dem Kapitol oder des Athenatempels der Akropolis zurückgreifen.

Virum mihi, Camena, inseces versutum. – Uns ist in alten maeren wunders viel geseit. – The Queen was in the parlor eating bread and honey. – Wir finden verwandte metrische Gebilde und Klangeffekte wie beim altrömischen Saturnier, in der Nibelungenstrophe und im englischen Nursery Rhyme, die nicht auf Beeinflussung zurückgehen können, sondern aus der gemeinsamen Tiefenstruktur des Indogermanischen fließen.

Die orphische Schlange beißt sich in den Schwanz. – Dem Mythos gemäß kehrt der trojanische Flüchtling Äneas in die alte Heimat Ausonien zurück. – In der Ringkomposition der Sonate findet sich die Wiederholung des Anfangs als Reprise, doch nun in einer von der Durchführung geprägten eigentümlichen Stimmung.

Die keine Laren und Manen mehr verehren, werden unfruchtbar und sterben als Sippe und Volk aus.

Der Gleichheitswahn ist ein Symptom absterbenden Lebens.

Mantua me genuit, Calabri rapuere, tenet nunc/Parthenope; cecini pascua, rura, duces. – Hirten, Bauern, Feldherren galt mein Gesang: Ist dies eine geschichtsphilosophisch deutbare Folge evolutionären Typs vom Zeitalter der Nomaden und Jäger über die neolithische Phase des Ackerbaus bis zur historischen Schwelle urbaner Zivilisation oder der Ritter und Fürsten, wie das Mittelalter den Grabspruch Vergils deutete?

Ohne die Geburt von Bethlehem hätte Kaiser Konstantin die 4. Ekloge nicht messianisch gedeutet und wäre Vergils Dichtung nicht vollständig über die Wirren der Zeit gerettet worden. – Ist dies eine Form von Providenz?

Infolge der Egalitätsobsession und der Schleifung aller geistig-kulturellen Hierarchien mittels Quotenregelung und Gleichstellungsbeauftragung sinkt der durchschnittliche Intelligenzquotient auf voraussehbare Weise, bis das mathematisch-technologische Fundament des modernen Produzierens, Konsumierens und Kommunizierens nachgibt.

Die zum Klischee herabgesunkene Schmähung des Pater familias und die Entwürdigung der Matrone erinnern an die vergeblichen Bemühungen des Augustus, qua Sittengesetz ähnlichen Phänomenen der Dekadenz seiner Zeit Einhalt zu gebieten.

Kristalle, Muscheln, Blüten – Strukturen, die den dichterischen Geist beflügeln.

Die leise bebende Statik der klassischen Säule; das von eigner Schwere und Bedeutung getragene dichterische Wort.

Duft südlicher Gärten, der durch das offene Fenster des Sommers weht; die wunderlich von lauen Lüften bewegten Ranken der Verse.

Eichendorffs rauschende Brunnen; die trockenen Karste kaum noch rhythmisch zu nennender pseudopoetischer Phrasen.

Wer den Atem in die dünnen Kanäle der Mitteilung preßt, hat das dichterische Wort schon erstickt.

Hündische Gesinnung leckt die Hand, die sie füttert.

Schlichte irdene Schale, worin die Hand der Anmut zarte Blüten auf das Wasser setzt.

Das Motiv des katastrophalen Zusammenbruchs aus dem 1. Satz der Achten Bruckners kehrt im letzten wieder, um wie das finstere Grollen und die Düsternis des Endzeitgewitters von der Glorie einer überirdischen Sonne überstrahlt zu werden.

Alt werden heißt, die Häute der Meinung nach und nach abgestreift zu haben. – Wie, nackt bleibst du zurück? – Ja, wie ich auf die Welt kam, um den ersten Schrei auszustoßen, so auch den letzten.

Die Geschichte der Verklärung der Armut und des Armen ist noch ungeschrieben. Denken wir an den kynischen Philosophen mit seinem Wanderstab und dem kleinen Gepäck seiner Weltweisheit; die Worte der Bergpredigt „Kommet zu mir, die ihr mühselig und beladen seid“, die fröhlichen Bettelmönche der Franziskaner oder den armen Toren Parsifal; denken wir auch an den Mißbrauch des verklärten Bildes zu schändlichen Zwecken bei den Weltrettungspropheten von Lenin über Mao bis Pol Pot.

Pascal kannte die trügerischen Inszenierungsrituale der Pariser Salons, die Masken und Kostümierungen einer augenzwinkernden Rhetorik; umso verstiegener seine Weisung, der wesentlichen, Täuschung und Selbsttäuschung abstreifenden Einsamkeit zu pflegen, indem man am besten sein Zimmer nicht verläßt. Die zweideutige Radikalität dieser Authentizitätsverpflichtung kehrt in Rousseaus und Nietzsches Gestalten des einsamen Wanderers, aber auch in Heideggers ontologisch subtiler Analyse der Eigentlichkeit wieder.

Wir können nicht alle Wege gleichzeitig beschreiten, die sich uns eröffnen. Dies ist der triviale Grund der menschlichen Tragikomödie, wenn wir es dennoch vergebens in spastischen Scheinbewegungen und phantasmatischen Verstiegenheiten versuchen.

Die Komik Schopenhauers: Der Überzeugung, daß kein Dasein der Mühe wert und in allem Lebensgenuß der bittere Tropfen der Resignation enthalten sei, ließ er sich doch die feine Küche im Frankfurter Hof täglich munden.

Auf die universalen Ansprüche weltumspannenden Wissens und welterneuernden Wirkens müssen wir Verzicht tun und den bitteren Tropfen der Resignation schlucken.

Nur der einsame Denker ist solcherart souverän und streift ohne weiters die schmeichelnden Ideenkostüme der Welterklärung, der Selber-Lebens-Durchleuchtung, der Transformation des opaken sozialen Körpers in einen auratisch-lichten Leib der Gerechtigkeit und Gleichheit von sich ab.

Ihm kann der süße Honig der Illusion den bitteren Geschmack der Erkenntnis auf Dauer nicht überdecken.

Der Grund, auf dem wir gleich Schlafwandlern umhergehen, ist ein gefrorenes Wasser, das je länger die Sonne der Wahrheit brennt, dahinschmilzt.

Wir müssen den vorletzten Grund als letzten hinnehmen.

Worauf ruht er? Wie die Atome, die Sterne, die Planeten, auf nichts.

Wir sehen die Taube auf dem Dach, und sie scheint erregt hin und her zu trippeln, als würde sie sich freuen, weil wir Körner in den Hof streuen. – So blicken wir, Narren und Marionetten kindlicher Wünsche und urtümlicher Mythen, auf die Fremdheit des Daseins.

Wir sehen Muster und Schemen wie in Wolkenballungen, Ornamenten, Gesichtern, Handlungen, grammatischen Strukturen. – Doch wir könnten all dies auch nichtanalog und algorithmisch als Zahlenreihen und Funktionen auffassen, ohne einem dieser Aspekte den unbedingten Anspruch auf Geltung und Wahrheit zuzusprechen.

Die großen Versprechen beruhen auf falschen Gewißheiten und trügerischen Evidenzen, die aufgrund ihrer giftig strahlenden Simplizität die Masse nicht nur der Mühseligen und Beladenen, sondern neuerdings auch der Wohlstandsverwahrlosten faszinieren: Die Juden sind die Parasiten am geschundenen Volkskörper von ihnen unterjochter Nationen, die Reichen sind die Blutsauger der Armen, also wird uns ihre Vernichtung eine neue soziale Heilsordnung heraufführen.

Gefährlich an der Halbbildung sind nicht die Löcher im Wissen, sondern der purpurfarbene Talmi-Samt des ideologischen Scheinwissens, mit dem sie gestopft werden.

Der erkenntniskritische Grund unserer nicht kompensierbaren Resignation liegt in dem Umstand, daß wir grundlegende Begriffe wie Raum und Zeit nicht definieren können oder nur in der Weise umschreiben können, daß ihre Umschreibung die Geltung des Begriffs schon voraussetzt. Wir können nicht mehr oder Tiefgründigeres sagen, als daß Raum dasjenige ist, was wir mit einem beliebig konstruierten Längenmaß messen, Zeit dasjenige, was wir mit einer beliebig konstruierten Uhr, ob Sand- oder Atomuhr, messen.

Wir können den Menschen nicht anthropologisch objektiv beschreiben; denn wir müßten auch die Tatsache beschreiben, daß er es ist, der sich selbst beschreibt.

Es gibt kein letztes oder einzig gültiges und relevantes Kriterium zur Bestimmung dessen, was wir mit Begriffen wie „wirklich“, „wahr“ oder „exakt“ meinen. Wir können sagen: „Ich habe ihn wirklich gesehen“, wenn wir damit meinen, daß wir ihn zu sehen nicht geträumt haben, ohne zur letzten Gewißheit zu gelangen, daß wir ihn „wirklich“ (unabhängig von jedweder Relativität) gesehen haben. Wir können sagen: „Die Aussage, daß ich ihn (da und dort und zu dieser bestimmten Zeit) gesehen habe, ist wahr“, wenn wir damit implizieren, daß die Aussage, ihn nicht gesehen zu haben, falsch ist, ohne genau angeben zu können, welcher Unterschied zwischen der Aussage „Ich habe ihn (da und dort und zu diesem bestimmten Zeitpunkt) gesehen“ und der Aussage „Die Aussage: Ich habe ihn (da und dort und zu diesem bestimmten Zeitpunkt) gesehen, ist wahr“ hinsichtlich ihrer Wahrheitsbedingungen besteht. Wir können sagen: „Ich habe ihn genau an diesem Ort und zu dieser bestimmten Zeit gesehen“, ohne über ein absolutes Maß für die Orts- und Zeitbestimmung zu verfügen.

Wir können allerdings eine parallele Welt derart konstruieren, daß die in unserer Welt gültige Aussage „Ich habe ihn an diesem Ort zu diesem bestimmten Zeitpunkt gesehen“ falsch ist, weil die Person an dem Parallelort zur Parallelzeit nicht anwesend war.

Wenn wir um die Relevanz der Polarität der Geschlechter für den Erhalt von Familien, Sippen, Ethnien und Nationen und die identitätsstiftenden Lebensformen bei der Weitergabe der Tradition des je eigentümlichen Erbes in Sitten und Gebräuchen, Mythen und Folklore wissen, können wir eine ethische Einstellung und eine politische Maxime ableiten, die zur Förderung der traditionellen Familie beitragen, ohne über ein letztes Kriterium für die Beantwortung der Frage zu verfügen, ob wir den Erhalt dieser und jener Gemeinschaft in einem absoluten Sinne befürworten sollen. Denn wir können nicht behaupten, zu existieren und weiter zu existieren sei für jene Gruppe oder diese Person (wie uns selbst) eine absolute Forderung (wie sie der göttliche Auftrag an das frühe Israel auf dem Weg aus der ägyptischen Gefangenschaft enthielt).

Jener sieht in der Kippfigur einen Hasen, dieser eine Ente, ohne daß wir über ein letztes Kriterium für die Beantwortung der Frage verfügen, welches Bild „wirklich“ und „wahr“ oder eigentlich gemeint ist.

Daß wir mit dem Wort „Mond“ den Mond meinen, ist eine den Wortgebrauch betreffende triviale Aussage; nicht dagegen, daß der Mond der einzige Erdtrabant ist. Und doch ist dies nicht mehr als eine durch alle bisherigen Beobachtungsdaten abgedeckte Vermutung, der wir nicht den Rang einer ewigen oder absoluten Wahrheit zusprechen können.

Wir messen an Dingen, die sich bewegen, wie den Sandkörnern in der Sanduhr oder dem Schattenstab an der Sonnenuhr, die Zeit; dabei unterstellen wir, daß diese Bewegungen gleichförmig, homogen und eineindeutig gerichtet sind, ohne ein absolutes Kriterium zur Bestimmung dieser Bewegungseigenschaften vorweisen zu können.

Wir gelangen vom vorsprachlichen Schweigen nicht in die Dimension der Sprache, von der absoluten Bedeutungslosigkeit oder Sinnlehre nicht in die Dimension von Bedeutung und Sinn.

Die sprachliche Idiotie KI-gesteuerter Übersetzungsprogramme gibt die idiomatische Wendung in dem Satz „It’s raining cats and dogs“ wörtlich wieder durch den Satz „Es regnet Katzen und Hunde“, denn das Programm versteht natürlich weder Englisch noch Deutsch, sonst würde es den Satz durch eine analoge deutsche Wendung wie „Es gießt wie aus Kübeln“ wiedergeben.

Wie soll der Primitive, der nur den Unterschied zwischen süß, sauer und bitter ausdrücken kann, die subtilen Geschmacksnuancen der französischen Küche oder die feinen aromatischen Duftvariationen der symbolistischen Lyrik wiedergeben?

Vom Wermut der Resignation muß einen großen Schluck nehmen auch, wer sich von der humanistischen Illusion zu verabschieden gedenkt, die Goebbels und Goethe, Stalin und Mandelstam denselben Rang, dieselbe Würde, dasselbe Recht auf Geltung zuspricht.

Jessie und Jenny gleichen sich wie ein Zwilling dem andern, doch jede behauptet gegen die andere ein unvergleichliches Maß an Authentizität, weil Jessie sich dasselbe geschmacklose Motiv auf dem rechten, Jenny auf dem linken Hinterbacken hat tätowieren lassen.

 

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