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Santoka Taneda

05.11.2017

Gedichte eines wandernden Bettelmönchs – eine Blütenlese

Meine drei Grundsätze:
Vergeude nichts.
Ärgere dich nicht.
Beklage dich nicht.

Meine drei Vorsätze:
Übernimm dich nicht am Unmöglichen.
Bedaure nichts von dem, was du erlebt hast.
Beschimpfe dich nicht selbst.

Meine drei Freuden:
Studium.
Betrachtung.
Haiku.

*

Kein andrer Weg als dieser –
ich geh allein.

*

Der Wind in den Kiefern,
am Morgen, am Abend
trägt er den Klang der Tempelglocken.

*

Der Bottich ist voll vom Regen:
Für heute istʼs genug.

*

Feucht vom Morgentau,
ich geh, wohin ich will.

*

Dunkelheit,
feucht
vom Rauschen der Wogen.

*

Einsam seh ich den Mond
hinter den Bergen versinken.

*

Schnurgerade der Pfad,
voll von Einsamkeit.

*

Ich strecke meine Füße aus;
ein wenig Licht vom Tag ist übrig.

*

Ohne Ziel
wandere ich durchs verdorrte Gras.

*

Meine Bettlerschale
füllt sich mit fallenden Blättern.

*

Auch Hagelkörner
finden sich in meiner Bettlerschale.

*

Immer tiefer
und tiefer
gehe ich in die grünen Hügel.

*

Beschwipst;
die Blätter fallen
eins ums andere.

*

Kein Wölkchen rings;
ich nehme meinen Strohhut ab.

*

Libellen
sitzen auf meinem Hut,
während ich weiterziehe.

*

Liegt Frieden auf den Bergen,
nehme ich meinen Strohhut ab.

*

O, eine Kamelienblüte
hüpft von meinem Hut.

*

Ist dies Häufchen Asche
alles, was mir blieb
von meinem Tagebuch?

*

Heimatlos;
Herbst, tief und tiefer.

*

Täglich mehr eingerissen,
am Ende nur Flicken:
mein Reisegewand.

*

Mit dem Wasser strömend
ging ich in das Dorf hinab.

*

Mitten im Leben, im Tod,
unaufhörlich fällt Schnee.

*

Ich wandere im Glanz und
der Dunkelheit des Winds.

*

Am Fuß des Berges stehen
einige Grabsteine beieinander
im warmen Sonnenlicht.

*

Die Schwalben ziehen –
von nun an kommen mehr Fahrten;
ich schnüre mir die Sandalen.

*

Ich streckte meinen fiebernden Körper
auf der gefrorenen Erde aus.

*

So mag ich wohl mal sterben:
auf der kalten Erde liegend.

*

Aussaat im Frühjahr:
Bauern und Rinder,
beide schweißgebadet.

*

Scheint die Sonne, blökt sie;
ist der Himmel bedeckt, sie blökt –
die einsame Ziege.

*

Jetzt stehe ich hier,
wo das Blau des Ozeans
keine Grenzen hat.

*

Schöner Pfad,
er führt zu einem schönen Haus.
Es ist ein Krematorium.

*

Nur noch die lange Brücke
und ich bin in meinem Heimatdorf.

*

Nichts blieb von dem Haus
meiner Geburt –
Glühwürmchen.

*

Mein Heimatort – Hundehitze,
nichts blieb, nur Grabsteine.

*

Ich hocke mitten
in meinen Heimatdialekt.

*

Das Rauschen der Wogen hebt an –
mein Heimatdorf
entfernt sich mehr und mehr.

*

Sie blühte ergeben,
weiße Blume steht sie da.

*

O, die Laus,
die ich fing,
wie warm sie ist!

*

Die paar Fliegen, die noch da sind,
scheinen sich an mich zu erinnern.

*

Sonnenuntergang – der Schatten
des Pflügers wächst.

*

Den ganzen Tag im Gebirge,
auch die Ameisen wandern.

*

Gepäck, ich kann es nicht abwerfen,
so schwer vorne und hinten.

*

Die Disteln –
glänzend und frisch
gleich nach dem morgendlichen Regen.

*

Frieden für das Herz:
Leben in den Bergen.

*

Den ganzen Tag über schwieg ich –
das Rauschen der Wellen.

*

Spät in der Nacht:
der rauhe Ton des Kartenspiels.

*

Täglich treffen wir auf beide:
Dämonen und Buddhas.

*

Ich schütte Weihrauch
auf die Gedenktafel der Taneda –
alles was von meiner Familie blieb.

*

Ja, so ist es –
es regnet, ich werde naß und wandere.

*

Kirschblüten, wie sie schimmern,
Kirschblüten, wie sie wehen,
es tanzen die Menschen, tanzen.

*

Ich sitze in der verdorrten Schönheit
des wilden Grases.

*

Im Grunde ist es traurig,
allein zu sein –
die verdorrten Gräser.

*

Im Grunde ist es gut,
allein zu sein –
die wilden Gräser.

*

Wenn ich gehe, Samen von Kräutern;
wenn ich sitze, Samen von Kräutern.

*

Tau und
welke Blätter,
zusammen aufgekehrt.

*

Warum bläst Wind
mit Klagen?

*

Morgen mache ich mich auf;
Kirschblüten,
sie fallen, fallen.

*

Am Abend Einsamkeit,
wieder pflügt sie das Feld.

*

Im Frühlingsschnee
sind Frauen so schön.

*

Die wandernden Wolken
und der Glanz des Tempels
spiegeln das Wasser.

*

Ich bin weit gekommen;
ich trinke das reine Wasser und gehe.

*

Im dichten Gras
Pfützen rings um
die Ruinen des Tempels.

*

Endlich! Der Mond und ich,
wir sind in Tokio angelangt.

*

Nach langem Fortsein
fege ich den Garten aus;
die Heckenblumen blühen.

*

Während die Schalen meines Hutes bröckeln,
wachsen Reben und Gras.

*

Schwänze und Muschis,
sie kochen dicht an dicht
im überfüllten Bad.

*

In der ewigen Musik
des Wassers,
Buddha ist darin.

*

Ich rutschte aus und fiel –
die Berge bleiben ruhig.

*

Es ist genug;
ich kehre die welken Blätter auf.

*

Einen Stein als Kopfkissen
schwebe ich den Wolken zu.

*

Die Nacht ist frostig –
wo werde ich schlafen?

*

Den steilen Berg herabfließend:
das helle Wasser.

*

Die krächzenden Krähen,
die flatternden Krähen,
sie finden keinen Ort, sich zu sammeln.

*

Ich stürze mich
in die regenfeuchten Berge.

*

Ich bahne mir einen Weg durch das welke Laub
und scheiße gut in den Feldern.

*

Unter der glühenden Sonne:
Eisenbahngleise,
schnurgerade.

*

Keine Herberge für die Nacht –
der Mond weist den Weg.

*

Die trockenen, gerösteten Steine
rollen und rollen.

*

Eine Handvoll Reis,
empfangen und gegessen,
meine Tagesreise.

*

Die Tage sind kurz,
Abend kommt rasch;
mein Rucksack ist so schwer.

*

Es schimmert hell
im Sonnenlicht,
gekochter Reis, mein Essen.

*

Die Tropfen rinnen –
ich kann die Buchstaben
auf dem Wegweiser nicht entziffern.

*

Heute, noch am Leben;
ich strecke meine Füße aus.

*

Von der Stille der Berge
wird der Regen still.

*

Der Himmel im Abendrot –
ein Becher Sake,
das wär jetzt gut!

*

Müde kehre ich zum meiner Hütte,
der Mond füllt den Himmel ganz.

*

Felsen und hohe Klippen,
bedeckt von Purpurblättern.

*

Die Schönheit des Abendrots
trauert ums hohe Alter nicht.

*

Da sitze ich allein,
still, unterm Moskitonetz,
und esse meinen Reis.

*

Wenn nur einer das Feld pflügt,
hörst du bald ein Lied.

*

Allein am Neujahrstag –
sie haben Reiskuchen und Sake
und …

*

So glücklich, da zu sein,
öffnet das Kleine die Hände
und schließt sie wieder.

*

Der kalte Klang des Groschens,
den man mir zuwarf.

*

Gute Nachrichten,
schlechte Nachrichten;
Frühlingsschnee, er fällt.

*

Nur dieser eine Pfad;
Frühlingsschnee fällt.

*

Unter der Milchstraße tanzt
der Trunkenbold jede Nacht.

*

Der tiefe, kalte Mond
taucht zwischen den Häusern auf.

*

Mond! Berge!
Auf dieser Reise
wurde ich krank.

*

Welkes Laub –
tief im Wald
erblicke ich einen Buddha.

*

Winterhimmel –
ferne Träume,
zerrissen und verweht.

*

Frühling ist da –
sogar meine Küche
wird gut gefüllt sein.

*

Endlich hat es aufgeklart;
heute will auch ich die Wäsche machen.

*

Meine endlose Reise –
Schweißgeruch.

*

Ich eile auf dem Weg,
zurückblicken kann ich nicht.

*

Morgenrot, Abendrot;
nichts zu essen.

*

Im Sprung:
ein roter Frosch.

*

Nach und nach übernehme ich die Laster
meines toten Vaters.

*

Der Berg dunkelt,
ich lausche seiner Stimme.

*

Sommerhitze
durchfeuchtet
jedes Lebewesen.

*

Schweiß sammelt sich
in meinem Bauchnabel.

*

All das namenlose Gras
blüht auf einen Schlag – purpurne Röte.

*

Mittagessen heute:
nur Wasser.

*

Ich kann vom Sake nicht lassen:
die blühenden Bäume,
die blühenden Gräser.

*

Eine Libelle auf dem Fels,
Mittagsträume.

*

Frühling – mit leerem Magen
gehe ich meines Wegs.

*

Mein neues Gewand:
voll von Sonnenlicht und Wärme.

*

Auberginen, Gurken;
Gurken, Auberginen:
das ist alles, was ich esse – die Kühle.

*

Mittagsstunde – im tiefen Gras
der Schrei eines Froschs,
der von einer Schlange verschluckt wird.

*

Ich pflücke die namenlose Blume
und bringe sie Buddha dar.

*

Die Kakerlaken haben
auch nichts zu beißen;
haben sie meine Bücher verspeist?

*

Mein Geist ist klar;
ich pflücke den überfrorenen Rettich.

*

Ich habe gelogen;
ein einsamer Mond taucht auf.

*

Abendrot füllt mein Gesicht;
ich habe mir Geld geliehen
und kehre zum Wind des Flusses zurück.

*

Froh, am Leben zu sein,
schöpfe ich Wasser.

*

Das Leuchten des Schnees
erfüllt das Haus mit Stille.

*

Gibt es etwas, das ich vermisse?
Die Blätter fallen.

*

Das grüne Gras!
Ich gehe barfuß heim.

*

Rauschen, Sinken,
Rauschen, Sinken,
später Herbst.

*

Ich kann gar nichts tun;
lauter Widersprüche,
aufgewirbelt vom Wind.

*

Ein wenig zu essen,
ein wenig für einen Rausch;
Regen auf den Wiesen.

*

Die toten Zweige knickend
an nichts denken.

*

Bettelarm – tauender Schnee
tropft langsam vom Dach.

*

Aus dem Dickicht
gleich in den Topf:
ein einziges Bambusrohr.

*

Aus dem mit Regenwasser gefüllten Eimer
schwappt das herrliche Wasser.

*

Es gibt immer noch etwas zu essen:
das kühle Wasser.

*

Die Blätter fallen;
von nun an
wird selbst das Wasser besser schmecken.

*

Betrunken schlief ich
bei den Grillen.

*

Was für eine herrliche Herberge!
Berge hüben und drüben
und gleich gegenüber ein Sake-Laden.

*

Ich halte eine Tomate hoch als Opfergabe
und lege sie für Buddha hin,
für meine Mutter und meinen Vater.

*

Grabsteine in einer Linie –
durchdringende Stille.

*

Aus der gefüllten Hand des Kindes
empfange ich jedes Reiskorn,
eins nach dem anderen.

*

Oben der Himmel,
der Reiskuchen in meiner Hand,
überall Sonnenlicht,
das helle Leuchten des Reises.

*

Weiter und weiter gehen
unter den grenzenlos
blühenden Amaryllen.

*

Durst nach einem Schluck Wasser –
das Rauschen eines Wasserfalls.

*

Manchmal halte ich inne mit Betteln
und schaue auf zu den Bergen.

*

In weiter, weiter Ferne
fliegt ein Vogel
über die schneebedeckten Berge.

*

Die fernen schneebedeckten Berge –
ganz abgeschnitten von der Welt der Menschen.

*

Menschen versammeln sich um den Toten;
keine Wolken am Himmel.

*

Der Einsiedler ist nicht da;
in seiner Abwesenheit
schlage ich seine Gebetstrommel.

*

Wenn ich meine Lumpen verkaufe
und dafür Sake kaufe,
wird immer noch Einsamkeit sein?

*

(Die Erkennungsmelodie meines Barts:)
Ein ungleiches Leben,
stehend und fallend.

*

In des Tages Hitze,
weinen oder lachen,
eines nur.

*

Ich habe Reis,
Bücher
und Tabak.

*

Ich will nur wandern,
und wandere mit vollem Rucksack –
Abendmond.

*

Zwielicht – der Klang
des traurigen Briefs,
der in den Kasten fällt.

*

Den ganzen Tag kein Wort geredet;
schlaflos –
mondhelle Nacht.

*

Fisch grillen,
manchmal auch die eigene Hand –
einsames Leben.

*

Im Sonnenlicht auf meinem Pult
schreibe ich einen langen, langen Brief.

*

Ganz ziellos
gehe ich zwischen den Grabsteinen umher.

*

Das tiefe, klare, blaue Waser
glänzt hell –
mein trauriger Schatten.

*

Aus den Bergen:
weiße Wildblumen
auf dem Tisch.

*

In den Lücken zwischen den Häusern –
schau auf das Grün der Berge!

*

Kalte
Wolken
eilen dahin.

*

Die Widerspiegelung im Wasser:
ein Wanderer.

*

Der Frühling brach an,
nahe beim Friedhof.

*

Der kalte, sternklare Himmel –
die nackten Bergasketen schlagen ihre Trommeln.

*

Der Mond geht auf –
ich warte auf nichts.

*

Herbst –
ich sitze im wilden Gras.

*

Pilger,
Pilger
strömen zuhauf, teilen.

*

Den Magen voll Wasser
schlafe ich gut.

*

(Begegnung mit einem alten Freund:)
Zwei alte Gesichter –
Schweigen.

*

Ich säe den Samen aus
im Morgenlicht,
bevor ich meine Reise beginne.

*

Schnee fällt
still
auf den Schnee.

*

Alle erzählen Lügen;
Frühling hat man davongejagt.

*

Nie wieder gehe ich
über diese Brücke;
weit und heftig weht der Wind.

*

Wahrhaftig ein gebirgiges Land!
Berge und noch mehr Berge,
und der helle Mond.

*

(Heimgekehrt:)
In der tiefen Stille –
der Staub auf dem Tisch.

*

Die Wunde heilt nicht,
sie wird kalt und schrundig.
Gefängnis Winter.

*

Die hungrige Katze schreit;
ich habe nichts zu essen für sie.

*

An nichts denkend
gehe ich durch einen Wald
von verdorrten Bäumen.

*

Wonach suchen?
Ich wandere im Wind.

*

Sogar der Klang der Regentropfen
ist älter geworden.

*

Mir ist nicht zu helfen;
mein altes Gewand
vermodert.

*

Verborgen
in einer zusammengestürzten Hütte
mein zusammengestürztes Leben.

*

Die Brise aus den Bergen
in den Windglöckchen
erweckt mir den Wunsch zu leben.

*

Heute gehe ich wieder, pudelnaß,
auf unbekannter Straße.

*

Roter Harn –
wie lange geht die Reise noch?

*

Dauerhusten –
keiner da, der mir auf den Rücken schlüge.

*

Kein Geld, keine Sachen,
keine Zähne –
ganz allein.

*

Mein Herz ist müde –
die Berge, das Meer,
sie sind zu schön.

*

Wann werde ich sterben?
Ich pflanze die Setzlinge ein.

*

Mir bleibt nichts als zu sterben;
die Berge verloren im Dunst.

*

Heimkehren um zu sterben –
dürre Gräser.

*

Heimkehren um zu sterben –
sprießende Gräser.

*

Ich klammere mich an den Tod;
der Pfeffer ist hellrot.

*

Die Ruhe des Todes:
ein klarer Himmel, Bäume ohne Laub.

*

Wenn ich sterbe:
Kräuter, Regen.

 

(übersetzt nach der englischen Vorlage von John Stevens, Mountain Tasting, New York, 1980)

 

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