Das Zwiegespräch von Erde und Sonne
Philosophische Sentenzen und Aphorismen
Verwesungsgeruch, in den sich süßliche Aromen mischen.
Je länger einer lebt, umso mehr oder gewichtiger scheinen die Gründe für den Wunsch zu werden, nicht gelebt zu haben.
Wären die Blicke der Verachtung giftige Pfeile, gäbe es keinen Grund zur Sorge um die Übervölkerung des Planeten.
Würfen die Blicke der Angst, des Hasses, der Mißgunst Schatten, wir hausten immerdar in Nacht und Nacht.
Die schlichte Existenz genügt, um Argwohn, Verdacht, Ressentiments zu wecken, geschweige denn die eitel sich blähende oder die vom Glück besonnte.
Die Passanten grinsen, wenn der Linkische stolpert; die Meute geifert, wenn dem Prediger der Verständigung das Maul gestopft wird.
Wer nicht der Meinung der Meinungsmacher ist, wird mit dem sozialen Tode bestraft.
Der Schnee der Gipfel glänzt auch den Bewohnern der Schattenwelt.
Sie tragen Steine in den Rucksäcken auf dem Pilgerpfad des Lebens.
Sie schauen indigniert, sagt einer wie Wittgenstein: „Wirf ab die Last, dann geht es sich leichter!“
Der natürliche Mensch, dem die aurea mediocritas kein Ausweis von Mediokrität ist, gilt für fade, rückständig, krank, als eine zum Aussterben abgestempelte Spezies.
Je wahnwitziger, verrückter, obszöner eine Idee, eine Mode, eine künstlerische Darstellung, umso begeisterter und frenetischer die stumpfsinnige Menge.
Bei sich bleiben, sagt Seneca angesichts der Unsteten, können sie nicht.
Stumpf- und Dumpfsinn ist die Regel, Geschmack für die Nuance oder Genie die Ausnahme.
Der Finger der Unzucht oder das erigierte Szepter mit der Prätention auf die Weltherrschaft.
Aus blutigen Greueln und dem Morast des Chaos erhob sich die Blüte der klassischen Dichtung Roms.
Wer nicht sagt, was alle meinen, nicht wiederkäut, womit alle sich die geistige Leere stopfen, ist schon der Häresie verdächtig.
Der Dichter, der auf scharfen Graten balanciert, ohne Hoffnung, einmal noch den wunden Fuß aufs weiche Moos stiller Auen zu setzen.
Im geritzten Fleisch der Muschel wächst die Perle heran.
Die den verhängnisvollen Blick nicht einmal spürte, Eurydike.
Marionetten, die an den Schnüren des Zeitgeistes zappeln, schwadronieren von Freiheit und Selbstbestimmung.
Sogenannte Kunstproduzenten, die den Auswurf des Ekels parfümieren, ja nicht einmal mehr parfümieren.
Weibliche Eierstöcke oder die Brutstätte der Unterwerfung und des Kriegs der Männer.
Überwundene Scham gilt ihnen für das Unterpfand des Sublimen.
Freilich, die Pflanze schweigt im Tageslicht, doch seufzt sie in der Nacht des Wurzelreichs mit ihren Schwestern von der Sonne des Siegs.
Stil und Zweige sind das Skelett, die Blätter das Fleisch der Orchideen; was sie dem Licht entgegenrecken, das in Wohlgeruch gehüllte Geschlechtsteil voller Pollen und Samen.
Über das Zwiegespräch von Erde und Sonne ward noch keine Rhetorik, keine ars poetica geschrieben.
Das Flüstern der Nacht, der Sonne Kriegsgeschrei.
Fröschen dünkt ihr Gequake das eigentlich Schöne.
Jedes bleibt seinem Element und Medium verhaftet, das Auge dem Licht, der Gang der Schwere, der Flügel der Luft. Und das menschliche Wort, vermag es sich selbst zu übersteigen?
Was da gärt und gluckst im Morast der Lüge, schmeichelt dem Zeitgeist als Offenbarung des Wahren, Guten, Schönen.
Als wäre er auf einen steilen Paß gestiegen, auf dem keiner mehr mit ihm ging; niemand ist, ihm zu sagen, ob jenseits des Gebirges die fruchtbare Ebene seiner harrt oder die Wüste.
Der Dirigent bewegt bei der Achten Bruckners bisweilen die linke Hand wie in spastischen Zuckungen, dem Zweige gleich, von dem der fatale Sturmwind Tautropfen schüttelt.
Torheit rodet mit der glitzernden Sense der Interpretation das Schilf der Metaphern, um sich freie Sicht auf das dahinterliegende eigentlich Gemeinte zu verschaffen; aber das Schilf rauscht für sich selber.
Ja, das dichterische Wort vermag sich selbst zu übersteigen; als würde sich im Flügel des Gesangs das Geheimnis der Luft und des Windes offenbaren.
Als bohre sich der Strahl im Fleisch des Lebendigen ein Auge, lege die Sonne ins Nest der Nacht ein Herz, um sich selber zu empfinden.
In Bach, Mozart, Beethoven, Bruckner teilt sich uns ein Sinn mit, der nach Wittgenstein nicht sich sagen läßt.
Das Wasser, das Schubert zum Klingen bringt, ist gleichsam das Medium, das uns trägt und in dem wir liebend gern, gern liebend untertauchen und ertrinken.
Die Sonne grüßt die ungeheuren Schöpfungen, die sie aus dem Schoß der Erde zog; die Erde aber schweigt und dreht sich in die Nacht.
Die Sonne schlürft den Schaum der Ozeane, das Zwielicht melkt die trägen Wolken.
Gezwitscher steigt mit Lerchen in den blauen Zenit; der Nachtigallen Wohllaut sickert aus dem Blattwerk der Dämmerung.
Die Sonne peitscht die durstigen Herden; der Mond tränkt des Dichters mürbe Lippen mit dem Tau des Reims.
Am Atem sparen, bis wärmer er das Herz des Verses füllt.
Dichtung, Mark der Nacht, Kristalle, die im Strahl der Sonne rein, im Mondlicht wie ein Claire-obscur ertönen.
Kybele, die Mutter, ruft: Dein Sonnenwagen wird in meinem Dunkel landen. Dein Singen, Kind, in meines Dämmers Schilf verebben.
Das Zwiegespräch hat kein Ziel, ist sich selbst genug.
Die von außen, physikalisch und kosmologisch, gemessene Zeit ist nicht die Dauer, mit der die sich Unterredenden den Zeitraum des Gesprächs aufspannen.
Die mit dem Metronom gemessenen Takte und Zeitabstände geben uns nicht die Grade der Intensität des Gehörten.
Nicht nur die Silbenzahl, auch der Wert der Zäsuren und Dihäresen sowie der Wechsel von Daktylen und Spondeen konstituiert die Dauer des Hexameters.
Der Einschnitt der Mittelzäsur des Pentameters gleicht der harten Fügung, mit der sich Nacht und Tag, Erde und Sonne widersprechen.
Flut, sie muß verrauschen, Gischt des Tags im Schilf des Schlafs versickern, Blume des Munds sich vor dem Schnee des Monds verschließen.
Das Sonnenkönigtum ist die Krone aller staatlichen Herrschaftsformen – vom japanischen Nippon bis zum Königtum der Douce France und aller Herrschaftshäuser, die den Sonnenadler im Wappen trugen, ob den Legionsadler der römischen Heere oder den Doppeladler der Habsburger Monarchie.
Freilich, wer auf dem Reichstag statt der hoheitlichen die Flagge der Entartung hißt oder das im Paß und Ausweis integrierte Emblem des Reichsadlers an jeden dahergelaufenen Nichtdeutschen verteilt, bekundet damit nur die Verachtung für seine Herkunft und die einstige Größe der eigenen Kultur.
Ähnlich wie Zweige, Ranken, Wipfel ausgreifen, um mehr Licht aufzufangen, ist die menschliche Kultur seit Jahrtausenden vom Trieb nach Ausweitung und Expansion bestimmt. Keine staatliche Größe ohne imperialen und kolonialen Anspruch. Das zeigen die kolonialen Gründungen der Griechen von Marseille bis zum Schwarzen Meer, die Züge Alexanders bis Baktrien und Indien und die Immensität des Römischen Imperiums.
Die gleichsam lichthungrige Unruhe des menschlichen Geistes mag dämpfen oder gar überwinden, wer den Rat Senecas und Pascals, bei sich zu bleiben, beherzigt oder sich in die Höhlen und hinter die hohen Mauern klösterlich-asketischer Lebensführung in die Stille zurückzieht. Doch in den mystischen Feuern und Glanzvisionen bricht sie wieder auf, mag sie sich auch nur in den Abgrund eines dunklen Lichtes ranken.
Ein gleichsam betäubender Einwand wider die aufgeklärte Torheit, alle Formen des Imperialismus und Kolonialismus zu verdammen, ist der Wein und der dichterische Geist des Dionysos, die sich ohne die welterobernde Unruhe des Römischen Imperiums nicht bis an Rhein und Mosel, Loire und Garonne ausgebreitet hätten.
Wir sehen die Religion der Sonne wie die arische oder japanische im ewigen Streit mit der Religion der Erdmutter und der Nacht, von den griechisch-orientalischen Mysterienkulten bis zum Christentum; freilich bildet die christliche Religion eine einzigartige Synthese, da sich der jüdische Schöpfergott des Lichts und des Worts immer wieder in die stumme Nacht seiner mysteriösen Abwesenheit zurückzieht.
Das dichterische Wort wird unfrei, unschön, mißtönend, wenn sich der Dichter in die Schuldknechtschaft der öffentlichen Meinung oder einer angeblich höheren Moral begibt.
Der hörige Wissenschaftler beweist in einem Gefälligkeitsgutachten, der Pferdefuß des Politikers sei das singuläre Symptom einer neuen höheren Rasse.
Der Perverse bekam das Entreebillet in die Salons der Elite; der ihn als solchen zu bezeichnen wagte, den Normalen steckte man in die geschlossene Psychiatrie.
Der einsame Dichter tritt aus der Hülle der mütterliche Symbiose und dringt bis an den Ausgang der Höhle vor; da erschrickt er angesichts des grellen Lichts. Flieht er panisch vor der großen Sonne und eilt in das Dämmerlicht zurück? Vielleicht, daß ihm Feuchte von Tränen die Gewalt der Strahlung bricht.
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