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Katzengold

27.02.2020

Philosophische Sentenzen und Aphorismen

Die Welt des Weisen ist einsam und weit.

Mehrheit ist Dummheit.

Nicht ohne Luft und Licht, Wasser und Bienen, doch die Frucht treibt der Baum allein.

Es ist nicht Nerv noch Muskel, nicht Wange und Mund, nicht das Funkeln der Augen – was ist es denn, das Lächeln?

Ein Lächeln kann uns etwas sagen, es ist wie alle Ausdrucksgebärden ein natürliches und zugleich semantisches Phänomen; es kann den freundlichen Gruß begleiten, verstärken oder ersetzen; es kann dumm und fratzenhaft, kann geheimnisvoll, maskenhaft, augurenhaft sein, ironisch, zynisch oder vulgär. Wir können durch Lächeln Verlegenheit, Unterlegenheit oder Überlegenheit ausdrücken; wir können es wie der Schauspieler als vom eigenen Gemütszustand abgelöste Mimik erlernen und sinnvoll verwenden.

Wir können, was außen ist, wie die Abenddämmerung, in uns hineinnehmen und uns als seelischen Zustand anverwandeln, wenn wir uns einer diffus-schwermütigen Stimmung ergeben.

Nicht nur das Wort, der Hauch, der Duft, der Schatten des Worts muß als Dichtung fühlbar werden.

Man zerschlägt die große, von mythischen Händen geformte Plastik des Volkes – mit trüben Wassern vermischt zerlaufen die Bruchstücke zum Brei einer unförmigen Masse.

Wer viele Welten in sich trägt, bedarf keines kosmopolitischen Jahrmarkts.

Uns blieben Splitter von Erinnerungsbildern, gleich dem auf den Wegen verstreuten Katzengold, an dem Kinder sich ergötzen.

Die Sonnenuhr der Seele geht langsamer als die Atomuhr der Weltzeit.

Das pollentragende Wasser verrinnt im Karst – die Tropfen dichterischer Sprache verdunsten auf dem Asphalt.

Der ungeheure Brocken einer unvollendeten Seele, eingehüllt wie ein in Spiritus konserviertes Tier von zerfurchten Häuten, die Lider wie welke Blätter über schweren Träumen gewölbt, ein schlafender Hund zwischen den wundgelaufenen Füßen – so hebt die groteske Plastik sich ab gegen den verhangenen Abendhimmel, da der Meister Hammer und Meißel erschöpft sinken läßt.

Tänzer in besinnungslosem Reigen, doch was sie zärtlich umschlingen, sind Gliederpuppen, deren synthetische Haare starre Wirbel bilden, deren Arm- und Beinprothesen im Walzerschritt baumeln und klappern.

Was wir Ding, Gegenstand, Entität nennen, ist die Gesamtheit der Möglichkeiten, etwas zu beschreiben.

Die kausale Einwirkung der Photonen auf die Netzhaut vermag nicht zu erklären, warum wir Gegenstände oder Bilder sehen.

Der methodisch verkannte Organismus der Neurobiologie ist ein Roboter, der wohl optische Sensoren hat, aber nichts sieht.

Die Physik und die Naturwissenschaft erklären nicht die Gegenständlichkeit des Gegenstandes und folglich auch nicht die Phänomenalität des Bewußtseins.

Der Fuß macht den Weg, der Weg ist eine sich selber ziehende Lebenslinie.

Die verschieden geformten und gebauten Musikinstrumente sind eine sinnhafte Ableitung und Funktion des Klangs; der Klang ist keine kausale Ableitung und Funktion der Möglichkeiten, ihn mittels verschieden geformter und gebauter Musikinstrumente zu erzeugen.

Das Gehirn ist eine sinnhafte Ableitung und Funktion des menschlichen Geistes, der Geist ist keine kausale Ableitung und Funktion des Gehirns.

Die Welt des Menschen ist die Bedeutsamkeit dessen, was ihm begegnet.

Was die Auguren im Vogelflug lasen, war bedeutsamer als das, was wir in der Zeitung lesen.

Die Welt von Blüte und Biene ist beiden gemeinsam.

Die Symbiosen von Pflanze und Tier können nicht als Resultate koevolutionärer Vorgänge erklärt werden.

Kolibrischnabel und Blütenkelch sind gemeinsame Elemente einer sinnvollen Ordnung.

Der Austausch von Blütennektar und Pollen, Nahrung und Sexualität, ist die grundlegende Form der Kommunikation zwischen Biene und Blütenpflanze.

Das menschliche Drama zwischen Himmel und Erde verweist wie die Tragödie des Sophokles oder Shakespeares auf eine zwar nicht augenscheinliche, aber sinnhafte Ordnung.

Ob groß oder klein, Hauptrolle oder Nebenrolle, jugendlicher Liebhaber oder abgetakelte Mätresse, Opfer oder Henker, Heiliger oder Verbrecher – das Schicksal verteilt die Rollen, die Sprechpartien stehen in keinem Manuskript, die Regieanweisungen gehorchen keiner expliziten Vorschrift, und dennoch sagen wir unseren Text auf, als hätten wir ihn auswendiggelernt, verwandeln sich die Kulissen, als hingen sie am Schnürboden einer Bühne.

Die Meister des barocken Welttheaters wußten mehr von den geheimen Mächten der Geschichte als der moderne Geschichtsschreiber mit seiner historisch-kritischen Methode.

Dem Unbekannten mit Vorsicht oder Mißtrauen zu begegnen ist ein Zeichen seelischer Gesundheit; dem Bekannten mit Mißtrauen und Angst ein Zeichen seelischer Erkrankung.

Unsere sensorische Ansprechbarkeit fluktuiert zwischen Schwellenwerten wie finster und grell, dumpf und schrill, lau und heiß, stumpf und stechend; werden diese Schwellenwerte unter- oder überschritten, sprechen wir von physiologischen oder seelischen Pathologien der Sensitivität und Reizbarkeit.

Eine Schindel fällt krachend vom Dach – der Stumpfsinnige blickt kurz auf, dreht sich um und döst weiter. Ein Blatt fällt vom Gummibaum – der Überempfindliche schrickt auf und erstarrt.

Der öffentlich inszenierte Selbstmord des großen Schauspielers ist für den einen ein gefundenes Fressen für den Boulevard, für den anderen ein Zeichen der Apokalypse.

Der moralisch Stumpfsinnige konsumiert die Schreckensbilder im Fernsehen wie die Schokolade, die er dabei verzehrt. – Den moralisch Überempfindlichen erfaßt ein Grauen, sieht er die tote Mücke in seinem Weinglas schwimmen.

Die Umwelt des paranoiden Schizophrenen überzieht ein dichter, undurchdringlicher Schleier feindsinniger Bedeutung – die Stadt verwildert zum Urwald.

Die Umwelt des Depressiven verflacht und ergraut, sie verliert die räumlichen und zeitlichen Tiefendimensionen der Ansprechbarkeit durch sinnliche Reize und erhellende Erinnerungsbilder.

Die Wahnvorstellungen des Psychotikers gleichen paradoxerweise Traumstacheln, die das Wachbewußtsein zu erhöhter Aufmerksamkeit gegenüber der bedrohlichen Umwelt stimulieren.

Die dichterischen Bilder können wie Traumstachel wirken, wenn der einsame Dichter schlaflos und angespannt ins Dunkel lauscht.

Der einsame Dichter sammelt in der kleinen Mulde der Nacht Tränen, deren Glanz und traumnahes Funkeln ihm den verlorenen Tag zurückbringen.

Was hast, Frau, du uns mitgebracht? – Eine süße Frucht. – Ach, sie soll nur den Mund des einen laben. – Und du, Mann? – Eine schimmernde Perle. – Ach, sie verblaßt am Hals der Schönen. – Was aber, Dichter, du? – Eine Nachtigall. – O, sie ist süßer als die Frucht und erfreut das Herz aller Betrübten, sie ist kostbarer als die Perle, erhellt ihr Gesang ja das Dunkel.

Himmlische Schöne engelreiner Töne – schwarze Seelen grollen, wunde Herzen schmollen.

Den Kindern glänzt das Katzengold so verführerisch wie dem Liebhaber das echte im Halsschmuck der Angebeteten.

Sprich von Liebe nur, wenn du um Demut, Dienst und Opfer weißt.

Die leise Wehmutträne auf ihrer Wange schenkt dem Liebenden hohen Mut und edlen Sinn.

Achtung und Verehrung wahrer Größe schenken uns Selbstachtung.

Die Stimme des Chorsängers kommt zu Geltung und vollem Ausdruck nur im Zusammenklang.

Die musische Intuition der christlichen Erlösung – sich einzureihen in den Chor der Heiligen und Engel.

Das Ding an sich – ist dein kleines und ein großes Ich.

Die Bedeutung, die Wahrheit, die Musik an sich gibt es nicht, nur Variationen auf ein Thema, das in ihnen verborgen ist.

Eine naive antike Theorie des Sehens läßt von den Objekten der visuellen Wahrnehmung kleine Bilder (Eidola) ins Auge und Hirn des Menschen fliegen. Wir könnten ihr die naive Haut abziehen und sagen: Ja, wir sehen das Sichtbare; woraus folgt, daß wir das Unsichtbare nicht sehen. – Ist dies nicht, was Kant behauptet? – Doch ist wiederum die Einsicht nicht trivial, daß wir nur das Sichtbare sehen können und nur das Wißbare, das die Form des Gewußten haben muß, wissen können?

Es kann kein Sehen jenseits der Grenzen des Sichtbaren, kein Wissen jenseits der Grenzen des Wißbaren geben. Ein Wesen oder lebendiges Subjekt, dessen Wissen keine Grenzen und Bedingungen des Wißbaren hätte, also scheinbar allwissend wäre, kann es nicht geben; es wäre eo ipso kein Wesen oder lebendiges Subjekt.

Wir haben die Konvention entwickelt, von Sätzen über Gewußtes die Wissensbedingung einzuklammern, indem wir statt zu sagen: Wir (Physiker und Chemiker) wissen, daß Wasser aus zwei Atomen Wasserstoff und einem Atom Sauerstoff besteht, einfach sagen: Wasser ist H2O. – Doch hätte dieser Satz in einer Welt Bedeutung, in der es Wasser gäbe, aber niemand, der den Satz schreiben oder lesen könnte?

 

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