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Logische Schneisen IX

27.01.2014

Die biologische Tatsache, die den Aussagetypen des Aufforderns und des Versprechens und der sprachlichen Pragmatik wechselseitiger, symmetrischer und reziproker Veranlassung zugrundeliegt, ist die Tatsache, dass Menschen als bedürftige Kreaturen Bedürfnisse und Antriebe verspüren. Wir leben allerdings in der singulären Welt des logischen Raums von Sprache und Bewusstsein, in der unsere Bedürfnisse und Antriebe uns als intentionale Zustände von Wünschen und Absichten gegenwärtig werden und zugänglich sind, nämlich als Wünsche und Absichten, dasjenige, was wir für erstrebenswert halten, zu erlangen, und dasjenige, was wir für gefahrbringend halten, zu vermeiden.

Die biologische Tatsache, die dem Aussagetypus der Behauptung  zugrundeliegt, ist die Tatsache, dass Menschen als rezeptive Sinnenwesen Eindrücke von ihrer Umwelt erfahren. In der Welt des logischen Raums von Sprache und Bewusstsein übersetzen wir diese sensorischen Reize in die generellen Terme unserer empirischen Aussagen über Gegenstände, die wir mithilfe von Existenzquantoren binden, wie in den Aussagen (x) Fx oder Fa. Solcherart pflegen wir unsere Überzeugungen und Annahmen über mögliche und tatsächliche Ereignisse und Sachverhalte in der Welt auszudrücken.

Wenn du Durst verspürst, befindest du dich in dem intentionalen Zustand des Wunsches, etwas zu trinken. Du hast durch hinreichende Proben der Vergangenheit, bei denen du deinen Durst mit Wasser hast stillen können, die feste Überzeugung gewonnen, dass Wasser genau der Stoff ist, dessen du bedarfst, um deinen Durst zu löschen. Um den Wunsch zu erfüllen, ist es vernünftig oder rational, mich in der gegebenen Situation darum zu bitten, dir die Flasche Wasser zu reichen.

Wir bemerken hier, wie du von einem intentionalen Zustand in den nächsten intentionalen Zustand gleichsam gleitest oder wechselst: Dein Wunsch, etwas zu trinken, führt dich zur Intention, mich darum zu bitten, dir das Wasser zu reichen. Wir können diesen Wechsel als vernünftigen Schluss aus zwei Prämissen darstellen: (1) „Ich habe den Wunsch, etwas zu trinken.“ (2) „Ich weiß, dass Wasser meinen Durst stillt.“ (3) „Also bitte ich die Person X, mir das Wasser zu reichen.“

Rationale Schlüsse und Relationen von intentionalen Zuständen sind keine kausalen Zusammenhänge und keine Abfolge von kausalen Wirkungen. Der obige Schluss ist rational und zwingend, das heißt aber nicht, dass du, wenn du zu dem Ergebnis kommst, es sei rational und vernünftig, mich darum zu bitten, dir die Flasche Wasser zu reichen, diesen Sprechakt einer Aufforderung auch tatsächlich ausführst oder in irgendeinem kausalen Sinne auszuführen genötigt wärest: Du könntest mir gerade an diesem Tag meine dumme und herabsetzende Äußerung von gestern über dein Vorhaben, philosophische Essays auf deiner Webseite zu veröffentlichen, übel nehmen. Deshalb vermeidest du es, mich jetzt anzusprechen und mir Gelegenheit zu geben, dir bei einer freundlichen Geste zuzulächeln, und verzichtest lieber jetzt beziehungsweise vorläufig auf den erlösenden Schluck Wasser. Du hast dem sozial fundierten Wunsch, deinen Stolz zu wahren, in diesem Falle über den biologisch fundierten Wunsch, etwas zu trinken, den Vorrang oder die Präferenz gewährt.

Wir sprechen von Wünschen ersten und zweiten Grades und bemerken, dass diese Unterscheidung nicht mit der Unterscheidung von biologisch und sozial oder kulturell bedingten Wünschen äquivalent ist: Bei der Vorlesung, während der Unterredung mit deinem Vorgesetzten, während des Rendezvous mit deiner neuen Freundin kämpfst du gegen deine Müdigkeit an und unterdrückst alle körperlichen Anzeichen, die auf ein starkes Verlangen nach Schlaf hindeuten.

Wir haben gesehen, dass der logische Raum der Aussagen von zwei grundlegenden Aussagetypen erfüllt wird:

(1) die Behauptungen mittels empirischer Aussagen mit der logischen Form „Ich meine, dass p“, wobei p für einen beliebigen Satz mit einer empirischen Aussage über eine mögliche Tatsache der Welt steht wie „Der Mond ist der Erdtrabant“, sodass der Satz p wahr oder falsch sein kann, während der zusammengesetzte Satz als Aussage über den momentanen Bewusstseinszustand des Glaubens des Sprechenden immer wahr ist;

(2) die Aufforderungen oder Versprechen, deren pragmatische Grundform die Veranlassung darstellt: Ich veranlasse dich mittels einer sprachförmigen Geste der Aufforderung oder mittels eines Aufforderungssatzes, die Absicht zu hegen, das und das zu tun (wobei tun auch reden heißen kann); du veranlasst mich umgekehrt mit denselben Mitteln, eine Absicht zu hegen, dies und jenes zu tun. Du kannst deine Absicht, das von mir Geforderte auch wirklich und wahrhaftig in die Tat umzusetzen, bekräftigen, indem du sagst: „Es ist meine feste Absicht, dir diesen Gefallen zu tun!“ oder: „Ich verspreche dir, dir diesen Gefallen zu tun!“ Oder kurz, um mittels futurischer Verbform den Zukunftssinn der Absicht zu unterstreichen: „Ich werde dir diesen Gefallen tun!“

Das Netz der intentionalen Zustände überspannt beide Aussagetypen, Behauptungen und Aufforderungen, mittels der Grundformen rationalen Schließens: Wenn du die Absicht hegst, ein Haus zu bauen, folgt daraus eine Kette weiterer Absichten wie eine Bank mit der Finanzierung, einen Architekten mit der Planung und einen Bauingenieur mit der Ausführung zu beauftragen. Und diese Kette zerfällt wieder systematisch in eine lange Serie oder eine Kaskade von intentionalen Einzelschritten, die logisch aufeinander aufbauen und auseinander folgen: die Absicht, einen Bankberater anzurufen und mit ihm einen Termin zu vereinbaren, die Absicht, einen Finanzplan auf der Grundlage bestehender Einkommen und Vermögen zu ermitteln, die Absicht, einen Kredit in berechnetem Umfang zu beantragen, die Absicht, Zusatzversicherungen zur Absicherung des Kredits abzuschließen usw.

Wir sprechen hier von den systematischen Bedingungen der Kohärenz und der Konsistenz, das heißt der logischen Vereinbarkeit und der logischen Ableitbarkeit von Aussagen, die Begründungszusammenhänge und motivationale Kontexte, kurz Kontexte von Gründen und Intentionen, aufweisen müssen, damit es uns auf Dauer gelingt, unsere Ziele zu erreichen und unsere Zwecke zu verwirklichen.

Wenn du wirklich ein Haus bauen willst, du dich aber trotz der Tatsache, dass dein Vermögen bei weitem nicht ausreicht, ein solch teures Unternehmen zu finanzieren, weigerst, bei der Bank einen Kredit aufzunehmen, sprechen wir von einem inkohärenten motivationalen oder intentionalen Kontext oder einer Inkohärenz der Absichten. Wenn du der Überzeugung bist, dass zur Planung eines Hausbaues die fachliche Arbeit eines Architekten erforderlich ist, du aber dennoch nicht die geringste Absicht hegst und nicht die geringsten Anstalten unternimmst, einen Architekten zu beauftragen, sprechen wir von einem inkonsistenten Kontext der Gründe und Absichten. Denn es ist ein logischer Widerspruch zu wissen, dass die Erfüllung von A die Voraussetzung der Erfüllung von B ist, und gleichzeitig die Erfüllung von A zu negieren.

Wir unterscheiden Bedürfnisse, Antriebe und Triebe auf der einen Seite und Wünsche und Absichten auf der anderen Seite, also kausale Mechanismen und intentionale Zustände. Bedürfnisse, Antriebe und Triebe fallen außerhalb des logischen Raums von Sprache und Bedeutung, außerhalb des Reiches der Vernunft – sie sind aber deshalb nicht irrational (dann gehörten sie ja als Negationen aller Sätze über rationale Wünsche und Absichten in den logischen Raum der Vernunft), sondern der Rationalität und Vernunft gegenüber neutral und indifferent. Das heißt, wir können nicht von reinen Antrieben oder Trieben wie Hunger und Durst oder sexuellen Trieben unmittelbar auf die Präferenz der Absicht oder den praktischen Schluss schließen, der sich aus dem rationalen Syllogismus mit den Prämissen eines Wunsches und der Wahl eines Mittels zur Wunscherfüllung ergibt – wie oben am Beispiel des Wunsches zu trinken gezeigt.

Antriebe können kausal mit visuellen oder anderen sensorischen Reizen verknüpft sein – so der visuelle Reiz einer Flasche Wasser mit dem Bedürfnis, zu trinken. Sensorische Reize befinden sich außerhalb des logischen Raums von Sprache und Bewusstsein – sie sind neutral gegenüber den Begriffen von Wahrheit und Falschheit. Erst die Transformation des sensorischen Reizes in eine Wahrnehmung macht den Reiz gleichsam intelligibel, nämlich wahrheits- und falschheitsfähig. Man könnte auch sagen, Aussagen über sensorische Reize sind immer wahr, aber das heißt nur, dass sie tautologisch und empirisch nichtssagend sind. Ihr Indikator ist ja bekanntermaßen die Formel: „Mir scheint …“ Und damit kannst du nicht irren, weil eine Aussage über den mentalen Zustand deiner Gestalt-, Form-, Farb- oder Geruchswahrnehmung irrtumsresistent ist. Das ist der Unterschied der Aussagen: „Mir scheint, dort befindet sich eine Flasche Wasser“ und der Aussage: „Dort befindet sich eine Flasche Wasser“, die entweder wahr oder falsch ist.

Doch der sensorische Reiz muss erst in eine Wahrnehmung transformiert werden, wenn wir rational von unserer Wirklichkeit sprechen wollen. Dann gelangen wir zu der Überzeugung, dass wir unseren Wunsch stillen können, wenn wir aus der wahrgenommenen Flasche trinken. Wir befinden uns allererst im logischen Raum von Sprache und Bewusstsein, wenn sich herausstellen kann, dass diese unsere Überzeugung falsch war, weil sich in der Flasche kein echtes Wasser, sondern eine ungenießbare Flüssigkeit befand.

Wir ersehen aus dem Wechselspiel von intentionalen Zuständen und Syllogismen beziehungsweise praktischen Schlüssen, dass der logische Raum von Sprache und Bewusstsein zumindest über die beiden Dimensionen der Intentionalität und der Rationalität aufgebaut wird – die beiden Dimensionen umgreifen und implizieren einander. Sollte die Existenz von intentionalen Zuständen, wie manche behaupten, eine Illusion oder bloße Fiktion sein, und sollten alle intentionalen Zustände sich vollständig auf physische Zustände reduzieren lassen, müsste man folglich auch die Implikation der Existenz von Rationalität oder der menschlichen Fähigkeit, Aussagen in logische Verknüpfungen zu bringen, in Zweifel ziehen. Doch kann man überhaupt etwas in Zweifel ziehen, wenn man DIES in Zweifel zieht?

Wir nennen Wesen, die nicht nur Bedürfnisse, Antriebe und Triebe, sondern Wünsche und Absichten haben, Wesen, die nicht nur von sensorischen Reizen affiziert werden, sondern Wahrnehmungen und Überzeugungen über das Wahrgenommene haben, nämlich dass es entweder wahr oder falsch ist und das heißt, sich nicht nur auf einen je meinigen mentalen Zustand, sondern auf eine objektive Tatsache der Welt bezieht, sowie Wesen, die ihre Überzeugungen und Absichten auf kohärente und konsistente Weise des Verknüpfens und Schlussfolgerns verbinden, rationale Wesen oder Personen.

Wenn wir uns in einem skeptischen Überschwang  so weit aus dem Fenster lehnen oder so weit übernehmen, dass wir bezweifeln, dass Personen solche rationalen Wesen sind, die ihre Überzeugungen und Absichten auf kohärente  und konsistente Weise des Verknüpfens und Schlussfolgerns verbinden, dann zweifeln wir an unserer eigenen Existenz, unterminieren die Grundlage all unseres Wissens und stürzen in einen bodenlosen Traum.

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