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Philosophieren V

12.07.2013

Wir tun etwas mit euch (für euch, gegen euch) (in bestimmter Weise, jetzt und hier). Wir sagen euch etwas (in bestimmter Weise, jetzt und hier). Dies sind die Formeln zur Beleuchtung und Erschließung der Identität und des Verhaltens von Gruppen, der kollektiven Intentionalität.

Ein Sprecher sagt befugtermaßen und rechtens „wir“, wenn er von der Gruppe, die diese Pluralform meint, durch ein Verfahren der Legitimierung wie Wahl oder Akklamation dazu autorisiert ist, in ihrem Namen zu sprechen. Die Formel der kollektiven Äußerung könnte in rechtskräftiger und gültiger Ausprägung lauten: „Im Namen des amerikanischen Volkes erkläre ich der Volksrepublik China den Krieg.“ Diese Äußerung ist keine Aussage über die Tatsache eines Krieges zwischen den USA und China, sondern deklariert – wenn sie denn vom in korrektem Verfahren gewählten Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika vor dem Kongress in Washington oder aus dem Oval Office des Weißen Hauses verlautbart wird – die Tatsache des Krieges der USA mit der Volksrepublik China als vom Augenblick ihrer Verkündung an bestehend.

Die Formel „Im Namen des amerikanischen Volkes erkläre ich der Volksrepublik China den Krieg“ hat keine verbindliche Wirkung und setzt die Tatsache des eben mit ihrer Verlautbarung beginnenden Krieges dann nicht in die Welt, wenn sie von einem Junkie im Drogenwahn vor dem Weißen Haus oder vom Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika im Traum geäußert wird. Um ihre ungeheure Wirkung zu entfalten, bedarf die Formel der Einbettung in das numinose Element der institutionellen Autorität und der Repräsentanz des Gruppenwillens. An der richtigen Stelle, zum richtigen Zeitpunkt, von dem Sprecher geäußert, der qua Amt dazu befugt ist, hat die Kriegserklärung weitreichende Folgen, die eine ungeheure Kaskade von Befehlen und Einzelhandlungen in Heer und Marine und wahrscheinlich Millionen von Toten einschließen können. Im gegenteiligen Fall, verlautbart am falschen Ort, zum falschen Zeitpunkt, ohne Legitimierung durch einen Gruppenwillen, verhallen die Worte ohne Folgen, schlimmstenfalls wird der Sprecher in Gewahrsam genommen und einer psychiatrischen Begutachtung zugeführt.

Kollektive wie Clubs, Vereine, Firmen, Kirchen oder Staaten verfolgen Absichten und suchen ihre Zwecke und Ziele zu erreichen. Ihre Absichten und Ziele werden aus der Quelle des Antriebs gespeist, die eigene Identität über möglichst lange Zeitdauern zu erhalten und gegen Gefahren von außen und innen zu schützen.

Gruppen müssen Ressourcen wie Geld, Grund und Boden, Immobilien oder Aktien sowie Machtmittel wie Waffen, Wissen, Informationen, Podien der Selbstinszenierung und Propaganda akkumulieren und besetzen, um die Risiken und Unsicherheiten infolge des unaufhaltsamen Wandels im Zeitverlauf zu beherrschen oder zu minimieren. Das höchste Risiko ist der Untergang, es zu vermeiden, zumindest vorerst, heißt die Wahrscheinlichkeiten von Handlungen und Ereignissen, die die Existenz sichern, zu maximieren.

Strategien der Existenzsicherung lassen sich als Grade auf einer Gaußschen Kurve wachsender Abschließung und Ausschließung beziehungsweise wachsender Öffnung und Einschließung eintragen: Die beiden Überschneidungen der Kurve mit der Ordinate bezeichnen dasselbe Ereignis: Untergang, Aussterben und Tod der Gruppe. Also liegt das Optimum der Bedingungen, die den Erhalt und das Wachstum der Gruppe sichern, im Maximum der Kurve zwischen den beiden Extremen.

Ein eingetragener Schachclub, der an regelmäßigen Wettkämpfen teilnimmt, aber es verabsäumt, Auslesekriterien für neue Mitglieder aufzustellen, der es nicht für nötig befindet, den Nachwuchs zu Schulungen zu verpflichten, wird auf Schachturnieren im Wettkampf mit anderen Clubs, die harte Auslese betreiben und ein rigides Schulungsprogramm durchpauken, bald Niederlage für Niederlage einstecken. Der Sports- und Kampfgeist erlahmt, die alten Hasen resignieren und ziehen sich zurück, die Jungen verlieren an ihnen Vorbild und Halt. Die Auflösung des Vereins steht ins Haus.

Selbstredend wird auch ein Schachclub, der sich rigide jedem Neuzugang verschließt und sich vollständig von der Umwelt abschottet, zum sicheren Untergang verurteilt sein: Schon wegen der Tatsache, dass er bald überaltert und am Ende alle Mitglieder verstorben sein werden.

Dagegen wird ein Schachclub erfolgreich auf dem regionalen, nationalen oder internationalen Parkett der Schachturniere agieren, wenn er sich nicht Hinz und Kunz öffnet, sondern diejenigen in kontrollierten Ausleseverfahren auswählt, mit deren Talenten und Neigungen sich auf dem Gebiet des Vereinsgegenstands am besten wuchern lässt. Die Neuzugänge werden gehörig geschult, die Ablösung der alten Herren vollzieht sich stufenweise und glimpflich. Hier gelingt der Existenzerhalt durch überwachte, gelenkte Öffnung und gelungene Sukzession, ein allmähliches Wachstum ist nicht ausgeschlossen.

Völlige Abschließung führt wie unkontrollierte Öffnung zum Untergang von Gruppen wie Vereinen, Firmen, Kirchen und Staaten. Die Existenz der Gruppe und ihr Erhalt ist weniger wahrscheinlich als ihre Nichtexistenz und ihr Untergang. Denn sie muss im stets fluktuierenden Ereignisfeld ein sich selbst steuerndes und tragendes Fließgleichgewicht anzielen und immer wieder herstellen.

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