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Philosophieren XVII

25.07.2013

Wer oder was befindet sich (liegt, steht, hängt) wie wo (an, auf, über, hinter, vor, in wem, zwischen wem und wem)?
Wer oder was bewegt sich wie wo woher wohin?

Das Buch liegt auf dem Tisch. Über dem Tisch hängt auf halber Höhe zur Decke ein Spiegel. Neben dem Tisch befindet sich zwischen dem Sofa und der Anrichte ein Regal mit Vasen, bunten Kieseln, Muscheln, Versteinerungen. In der Anrichte werden ein Tee- und ein Kaffeeservice aufbewahrt. Oben an der Decke schwebt eine Leuchte. In der Ecke steht vor einem Ficus ein Aquarium, in dem Zierfische mal im Wasser stehen, mal blitzschnell hin- und herflitzen. Eine Pumpe hält das Wasser in Bewegung, es sprudelt. Während du in Ruhe all das betrachtetest, senkte sich die Dämmerung herab, die Umrisse der Dinge wurden unscharf.

Unter Verwendung eines ganzen Sets von Präpositionen kannst du den Gegenständen die Stellen und Örter im Raum zuweisen, an denen sie sich aufhalten. Du kannst damit ebenso die räumlichen Beziehungen bezeichnen, die die Dinge untereinander unterhalten. Welcher Art diese Gegenstände sind, erfahren wir mittels ihrer Klassifikation: Wasser ist ein Stoff, Kiesel sind Dinge. Muscheln und Versteinerungen Dinge, die das Relikt oder den Abdruck lebendiger Organismen darstellen. Tische, Spiegel, Sofas, Vasen, Anrichten, Tee- und Kaffeeservice, Leuchten, Aquarien und Pumpen sind von Menschen entworfene und hergestellte Dinge zu zweckdienlichem Gebrauch. Fici sind Pflanzen, Zierfische sind Tiere, und du bist ein Mensch. Und was ist Licht, die Dämmerung, kannst du es sagen?

Soll man sagen, wie viele meinen, da wo du bist, gibt es die räumliche Ordnung der Dinge, wenn du im Raum verweilend Sätze wie die genannten hersagst? Aber auch wenn du fern weilst, bleibt das Buch auf dem Tisch liegen, der Spiegel an der Wand hängen, die Sachen im Regal und in der Anrichte, die Leuchte an der Decke, der Ficus und das Aquarium in der Ecke, die Fische im Aquarium. Auch wenn du fern weilst, stehen die Fische mal im Wasser, mal flitzen sie hin und her.

Du könntest fragen: Und das sprudelnde Geräusch des Wassers im Aquarium, ist es noch da, wenn keiner es hört? Das Geräusch ist freilich verschwunden, aber die Luftwellen, verursacht vom Sprudeln des Wassers, sind und bleiben im Raum, sie sind und bleiben hörbar, vorausgesetzt es gibt Organismen wie uns mit guten Lauschern. Die Schallwellen könnten jederzeit gehört werden, auch wenn sie jetzt, da du fern bist, nicht gehört werden und nicht gehört werden können.

Die Realität der Dinge ist grundlegend verschieden von der Realität ihrer Bilder und Repräsentationen: Wenn du aus dem Radius trittst, innerhalb dessen die von dir ausgehenden Lichtwellen im Spiegel reflektiert werden, verschwindet dein Bild im Spiegel. Das Bild, die Zeichnung, die Fotografie der Katze kann verloren gehen, geknickt oder verbrannt werden, die Katze bleibt derweil ungerührt auf dem Sofa liegen, ihr geschieht nichts dergleichen.

Die Dinge und die Ordnung der Dinge sind also auch keine Phänomene, wenn ein Phänomen das ist, was die Weihen der Existenz ausschließlich dem verdankt, der es wahrnimmt. Man kann demnach nicht sagen, die Dinge sind Phänomene und darüber hinaus noch etwas mehr, etwas anderes, etwas, das wir nicht kennen und das uns für immer verborgen bleiben wird wie die von der Erde abgewandte Seite des Mondes.

Die Dinge sind uns bekannt, soweit wir sie wahrnehmen, mit ihnen umgehen, sie herstellen und gebrauchen. Was sie sonst noch sind, sagt uns die Wissenschaft, zum Beispiel, dass Wasser nicht nur der wohlbekannte durchsichtige, nasse, Durst und Feuer löschende Stoff ist, der in unserer Küche aus dem Wasserhahn fließt, sondern zusammengesetzt ist aus Wasserstoff und Sauerstoff, chemischen Elementen, die wahrzunehmen unser Wahrnehmungsvermögen nicht ausreicht.

Die Dinge sind uns bekannt, weil wir sie benennen und als Steine, Möbelstücke, Gebrauchsgegenstände, Pflanzen und Tiere klassifizieren können. Dinge, die uns jetzt nicht bekannt sind, können wir morgen entdecken oder erfinden. Die Ordnung, in der sich die Dinge befinden, gruppieren, situieren, die Ordnungsschemata, mit denen wir die Dinge in einer Ordnung positionieren, gruppieren, situieren, ist nicht beliebig und willkürlich, denn das Buch liegt tatsächlich auf dem Tisch, der Ficus steht wirklich in der Ecke und die Fische schwimmen ganz bestimmt im Aquarium.

Wir können natürlich unserem philosophischen Spieltrieb nachgeben und spaßeshalber an den großen ontologischen Stellschrauben drehen, die uns die Ordnung der Dinge vor die Nase setzen. Drehen wir ein bisschen an „g“ und murksen an der Gravitationskonstante herum. Da kann es dann sein, dass das Wasser aus dem Aquarium in die Höhe schwebt und nicht mehr sprudelt, sondern gluckst, dass in spiritistischer Anmutung das Buch über dem Tisch, der Tisch über dem Boden, das Sofa an der Decke schwebt. Das Porzellan in der Anrichte ist zerdeppert, die Fische in der Luft krepiert. Kein Ort, an dem wir uns länger aufhalten wollen. Allerdings zeigt uns das Szenario, dass diese Ordnung nicht mehr unsere Ordnung ist, aber unsere altgedienten Ordnungsschemata sind unter gewohnter Verwendung unserer altgedienten Präpositionen zäh und widerstandsfähig genug, es mit dieser befremdlichen Welt aufzunehmen und die dortigen Dinge zu beschreiben, wie sie sind.

Das Wasser bewegt sich und sprudelt aufwärts und wieder hinab. Die Fische stehen still oder flitzen hin und her. Die Dämmerung senkt sich herab. Mit den Fischen tun wir uns nicht schwer: Sie sind singuläre Wesen, die in der Raum-Zeit hin- und herflitzen, und die wir unter Verwendung singulärer Dingwörter wie eben „Fisch“ gut zu packen kriegen. Doch dass sie erst hin- und dann herflitzen oder umgekehrt, macht uns stutzig: Es ist ja nur sinnvoll zu sagen, etwas bewege sich hin oder her, wenn du in der Mitte der Feststellung thronst und der Fisch sich hin zu dir oder her zu mir bewegt. Heißt das, die Fische flitzen nicht mehr hin und her, wenn du aus dem Zimmer gegangen bist!

Genau das heißt es! Relativbewegungen wie das Hin- und Herflitzen der Fische im Aquarium haben den Sprecher zum perspektivischen Mittelpunkt. Indes bewegen sich die Fische in deiner Abwesenheit durchaus weiter, wenn sie auch nur im übertragenen Sinne hin- und herflitzen. Diese Bewegungen kriegen wir auch in und trotz deiner Abwesenheit zu fassen: Wir behandeln das Zimmer als cartesischen Käfig und malen ihm auf dem Boden und an den Wänden Koordinaten auf, wobei sich die 3 Raumkoordinaten in der Zimmerecke kreuzen, in der das Aquarium steht. Die Koordinaten markieren wir in regelmäßigen Abständen mit Strichen und Zahlen. Wir sagen jetzt: Fisch A hat sich vom Ort 5-7-11 zum Ort 10-7-11 in gerader, dem Boden paralleler Richtung bewegt. Wir können es mit unserer Lust an der Exaktheit auch noch bunter treiben und sagen dann: Fisch A hat sich vom Ort 5-7-11 zum Ort 10-7-11 in gerader, dem Boden paralleler Richtung in dem Moment bewegt, als du in den Spiegel schautest. Oder wenn schon, denn schon: Fisch A hat sich vom Ort 5-7-11 zum Ort 10-7-11 von 15.33.13 Uhr bis 15.33.17 Uhr MEZ in gerader, dem Boden paralleler Richtung bewegt.

Mit Wasser und Dämmerungen haben wir eher philosophische Berührungsängste. Wenn sie herabsprudeln oder sich herabsenken, stehen wir als Mittelpunkt der Wahrnehmung und als perspektivischer Ort der Aussage gern stramm. Aber in unserer Abwesenheit: Was sagen wir dann? Wir bekommen, wie das bei in der Raum-Zeit vagabundierenden Stoffen so zugeht, mit singulären Ausdrücken nichts zu packen. Deshalb müssen wir umständlich werden und die Suppe gleichsam verteilen: Hier ein Löffelchen, da ein Löffelchen, wobei zum guten Schluss in ein Löffelchen ein Wassermolekül oder ein Photon gehört. Dann machen wir uns wieder unseren cartesischen Käfig zurecht und legen los. Nur Spaß! Wir wissen ja, dass wir Photonen auf die gute alte cartesische Tour nicht aufspüren und verorten können.

Während du all das betrachtetest, senkte sich die Dämmerung herab. Bevor sich die Dämmerung herabzusenken begann, warst du nicht in dem Zimmer. Nachdem sich die Dämmerung herabgesenkt hatte, warst du nicht mehr in dem Zimmer. Du verweilst so lange in dem Zimmer, wie sich die Dämmerung herabsenkt. Wenn sich die Dämmerung ganz herabgesenkt haben und die Nacht hereingebrochen sein wird, wirst du nicht mehr in dem Zimmer sein. Zwischen dem Moment, als du dich im Spiegel betrachtetest, und dem Moment, als dir das Geräusch des sprudelnden Wassers bewusst, du seiner gewahr wurdest, hatten sich die Fische im Aquarium zwanzigmal hin- und herbewegt.

Wir erzählen von dir als einem, der sich zu einem unbestimmten Zeitpunkt der Vergangenheit in dem beschriebenen Zimmer aufgehalten hat. Durch die Erwähnung der Tatsache, dass du all die Dinge betrachtetest, im narrativen Tempus des Präteritums geraten die vorangestellten Beschreibungen der Dinge in ein neues Licht: Die Aussagen werden jetzt als Aussagen im historischen Präsenz erkennbar.

Eine Handlung oder ein Ereignis, das sich zeitlich vor dem im Präteritum erzählten Geschehen abspielt und im Moment des Eintritts des im Präteritum erzählten Geschehens abgeschlossen ist, pflegen wir im Tempus der Vorvergangenheit, dem Plusquamperfekt, zu beschreiben. Eine Handlung oder ein Ereignis, das vor einem in der Zukunft stattfindenden Geschehen abgeschlossen sein wird, beschreiben wir im Tempus der vollendeten Zukunft, dem Futur II.

Wie wir den räumlichen Bezug der Dinge mittels der Verwendung der lokalen Präpositionen ziemlich gut und genau angeben können, so wenn wir darauf hinweisen, dass ein Ding zwischen einem anderen und noch einem anderen liegt, können wir auch die Handlungen und Ereignisse in ihrem zeitlichen Bezug ziemlich gut und genau mittels der Verwendung von Satzgebilden aus Hauptsätzen und Nebensätzen angeben, die mit temporalen Konjunktionen wie während, als, bevor, nachdem, solange, bis eingeleitet werden. Wir setzen in diesen Sätzen die Verben in die verschiedenen Zeitstufen der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, so wenn wir darauf hinweisen, dass ein Ereignis vor dem Eintritt eines anderen Ereignisses geschehen ist oder dass eine Handlung geschehen sein wird, wenn eine andere Handlung auf sie folgt.

Wir können noch mehr, nämlich auf Ereignisse und Handlungen oder eine Reihe von Ereignissen und Handlungen Bezug nehmen, die im Rahmen eines sie zeitlich einschließenden Ereignisses oder einer sie zeitlich einschließenden Handlung von größerer Dauer ablaufen, wie darauf, dass du dich während der Lektüre dieses Textes in unterschiedlichen Zeitabständen an die Stirn gefasst, in der Nase gebohrt und die Brille geputzt hast.

Wie wir als verkörperte Wesen uns mit den Spezifika körperlicher Existenz unter anderen Körpern im Raum herumzuplagen genötigt oder zu verlustieren geneigt sind, sind wir als zeitliche Wesen in dem Rahmen von früher und später eingetretenen und eintretenden Ereignissen und Handlungen eingehaust oder zu Hause. So laufen die Dinge hier ab. Alle Ereignisse ordnen wir nämlich Zeitpunkten zu, die sie als früher oder später als andere Ereignisse einstufen. Das zeitliche Geschehen lässt sich ebenso wenig auf Akte der Zeitwahrnehmung reduzieren wie die Körperdinge auf bloße Phänomene der Dingwahrnehmung. Es ist schlicht wahr zu sagen, dass du gestern an jenem Ort warst und heute hier bist. Und dass du morgen zu unserem Treffpunkt kommen wirst, ist sehr wahrscheinlich.

Sollen wir großes Aufheben um die schlichte Tatsache machen, dass wir Zeitlinge die Zeitlichkeit des Daseins von Katz und Maus, von Hinz und Kunz auf dem Schirm haben oder dass wir unserem endgültigen Hinschied ins Auge zu sehen haben? Sollen wir uns jetzt noch länger in unserem Zimmer langweilen oder um die Langeweile zu vertreiben uns existentiell ein bisschen erregen mit Formeln falschen Pathos wie der Formel vom Sein zum Tode oder mittels Trivialitäten wie des Unterschieds zwischen vorhandenen und zuhandenen Dingen, Dingen der natürlichen und Dingen der künstlich-kulturellen Ordnung, zwischen Stein, Fisch und Vase und den unterschiedlichen Auren des Sinns, die sie vorgeblich ausdünsten? Es reicht für unseren Hausgebrauch allemal hin, den Unterschied zu sehen. Dann verlassen wir leise vor uns hinsummend das Zimmer und vertreten uns draußen in der anregenden Atmosphäre der sich herabsenkenden Dämmerung noch ein wenig die Beine.

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