Skip to content

Sichtschneisen VI

28.07.2018

Philosophische Sentenzen und Aphorismen

Der nervöse Mann des Fortschritts, ohne Maßstäbe, ohne Geschmack, ohne allen Sinn für Nuancen, bar jeder Diskretion. Aber voller Phrasen von grenzenloser Menschheitsverbrüderung.

Die wirren Linien, seltsamen Verschlingungen und verwischten Farben auf der Rückseite des Teppichs. Die bunten Blumen und Vögel, die schönen Muster auf der Vorderseite.

Der kunstvoll gewirkte Teppich reiht die Muster in leicht variierender Abfolge.

Jenseits des Zeitalters der Theorie, der Wissenschaft, der planetarischen Großprojekte.

Jenseits des Liberalismus, Sozialismus, Feminismus, Modernismus, Postmodernismus, Konstruktivismus, Dekonstruktivismus …

Jenseits der Kritik, der Utopie, der Idee der Entwicklung …

Jenseits der Ideen von Diskurs und intersubjektiver Verständigung, von Forschungsgemeinschaft und der unendlichen Annäherung an die Wahrheit …

Obwohl er alle Noten, Tempi und Ausdruckswerte der Partitur beachtet hat, hören wir, dass der Pianist die Bachsche Fuge nicht verstanden hat. Er musizierte, könnten wir sagen, nicht aus dem Geiste Bachs.

Wir können die Aussage „Im dunklen Efeu saß ich, an der Pforte des Waldes“ (den Anfang der Rhein-Hymne von Friedrich Hölderlin) nicht wiedergeben mit der Aussage „Ich saß am Eingang des Waldes, wo der Efeu seinen Schatten warf“, auch wenn sie denselben Sinn auszudrücken scheint. Denn der Efeu selbst wird dunkel genannt, weil der Gesang des Dionysos dunkel ist, die Pforte des Waldes ist zugleich Eingang und Ausgang für die Schatten der Toten, denen die Hymne Hölderlins ihre Stimme verleiht.

Kinder des frühen Mittelalters, die auf einem überwucherten Acker mit bunten Scherben und kleinen Bruchstücken eines Mosaiks spielen, das einmal die Wand einer längst versunkenen römischen Villa schmückte.

Wir sehen den Käfer auf dem Blatt und sind in der Ewigkeit.

Denken wir an die Stilleben von Chardin.

Sähen wir UNS auf diese Weise, wie wir da auf unserem Stuhl sitzen und den Käfer betrachten.

Wir sehen den Freund nur undeutlich auf seinem Stuhl sitzen, weil uns der Gedanke ablenkt, unser Blick könne ihn stören.

Das Tier, das aus seiner eigenen Mitte existiert, gibt es uns ein Bild der Vollkommenheit, Ruhe und Wahrheit, die große Dichtung anstrebt.

Die Rose, deren Schönheit uns berückt, deren Duft uns betört, existiert in ihrer eigenen Mitte, vollkommen jenseits unserer Wertschätzungen. Dies zu wissen oder zu empfinden macht einen gewichtigen Teil der dichterischen Wahrnehmung aus.

Im Klappentext wird ein bezauberndes Mysterium angekündet, im Innern windet sich ein Wurm durch staubige Furchen.

Manchmal muss der Angler ziemlich lange ausharren und viel Geduld aufbringen, bis ein Fisch anbeißt.

So der Dichter, der sein Netz in den See der Intuition wirft, bis der goldschuppige Fisch eines Verses darin zappelt.

Der Angler tötet den Fisch, nimmt ihn aus und brät ihn.

Der Dichter tut ihn zu den anderen Fischen im Bassin, goldenen und blauen, wo er sie füttert, wo er sie betrachtet. Ihn inspirieren ihre raschen Schwärme, das Schillern ihrer Schuppen im Tages- und Mondlicht, der hohle Glanz der Augen.

Nur ein Scharlatan und abgefeimter Kerl, der nach billigem Ruhm schielt, wird den alten persischen Gebetsteppich in kleine Stücke zerschneiden und die Schnipsel auf einer Leine an Klammern befestigen und das Machwerk als serielle Kunst feilbieten.

Es genügt nicht, ein Urinal Fontäne zu nennen und zu signieren, um den Uringestank aus dem Konzept zu tilgen.

Die Anbeter der Entwicklung und des Fortschritts kommen mit der Verwarnung, man könne schließlich heute nicht mehr Gedichte schreiben in der Art, wie sie Hölderlin geschrieben hat. Gewiss, nicht in der Art, doch in solchem Geiste.

Der Mechaniker, der Ingenieur und der Bastler siegen am Ende einer Kultur über den Propheten, den Visionär, den Dichter.

Doch ihr Sieg ist ein Pyrrhussieg.

Wenn die Wurzel verfault ist, hilft kein Gießen.

Flammen, die schreiend in den grauen Himmel züngeln. Der leise Tau der Abendstille kann sie nicht löschen.

Sich ins hohe Gras der Verlassenheit legen, wenn es schneit, und beten, es möge nicht mehr aufhören zu schneien, bevor man ganz von dem weißen, reinen Tuch bedeckt ist.

Letztes Glimmen des Schaums auf nächtlich verebbender Woge.

Dahin gelangen, fallen, steigen, dass einem der Wind im dürren Blattwerk, die Spiegelung des Mondlichts in der Pfütze, das leise Klopfen des Regens auf dem Dach mehr sagen als der fade Schaum von Worten, der sich auf den Lippen bildet.

Glück, wie die weiße Knospe Schnee auf dem Knauf des Geländers, und das leise Schluchzen des Wassers vernehmen, da ringsum alles schmilzt.

Das Paar auf der Parkbank, er liest in einem Buch, sie hat ihren Kopf an seine Schulter gelehnt.

Die Vögel des Gartens Eden, o und ihr Gesang.

Das Mädchen, das sich am Kiosk ein Eis am Stiel kauft und es auf der schattigen Bank sitzend lutscht, die Beine wippen über dem Boden, als gehörten sie nicht zu ihr.

Den Alten, den ich vor Jahr und Tag im Park sah, im etwas verlotterten Anzug, mit dicken Brillengläsern, ein Kreuzworträtsel vor sich. Gewiss ist er längst tot.

Doch hat es keine Bedeutung, ob er noch lebt, weder für mich noch für ihn.

Das Taubenpaar, das frühmorgens auf dem Dach im Hinterhof saß, mal ruhig, sich putzend, mal stolzierte der Täuberich gurrend vor ihr auf und ab. Jetzt kommt nur noch die einzelne Taube.

Bilder des Lebens, und sie verblassen, noch während du sie betrachtest.

Du stehst vor dem Fahrkartenschalter und der Verkäufer fragt dich, wohin die Reise denn gehen soll. Doch du hast es vergessen.

Ein Schicksal ist ins andere verschlungen wie die Mäander in altirischen Handschriften.

Man kann kein Stück, kein Muster, keinen umrankten Buchstaben herauslösen, ohne dass ihr verzahntes Band zerfällt.

Als müsse man die Partitur des Lebens um eine frei verzierte Kadenz ergänzen.

Mag jeder eine andere Partitur haben, die Kadenz muss doch jeweils mit ihrem Geist übereinstimmen.

Du warst ein Tropfen, der am Ruder eines der Boote glitzernd zerrann, die unter dem Kommando des Perikles nach Salamis ausfuhren.

Oder das Lied, das der Junge sang, und die Ruderer schlugen in seinem Takt.

Die Lästerer Weiningers finden vulgären Applaus, doch die Pointe seines Lebens entgeht dem stumpfen Sinn: Frauen und Juden Genialität abzusprechen und diese Annahme auf paradoxe Weise zu bestätigen und zu widerlegen, indem er die eigene Genialität als mannweiblicher Jude im Selbstmord unter Beweis zu stellen suchte.

Im Augenblick der technischen Verwirklichung des Traums vom Fliegen zerschellte Pegasus an der Mauer, die seitdem um den Garten Eden immer höher wächst.

Intelligenz, wird sie nicht von der Rinde einer alten Kultur umhegt, ist wie eine Säure, die nach und nach das innerste Mark auflöst.

Von klugem Geschwätz zerfressene Zungen.

Der Heiland in der Krippe ist größer als die Weltformel.

Sie setzen eine groteske Maske auf, um zu verblüffen, zu echauffieren, doch der müde Bürger winkt schon von weitem ab.

Sie kritzeln ihr Menetekel aus Kunstblut an die Wand, doch das echte ist der Blutschweiß eines Dämons, der in der Mauer eingeschlossen ist.

Der Hund, der sich im Kreise dreht und vergebens nach seinem Schwanz schnappt.

Man kann nicht schneller und schneller laufen, um hinter den Horizont zu schauen, der sich mit jedem Schritt mitbewegt.

Der Schauspieler, der mitten im Stück über den Sinn seines Tuns nachzusinnen beginnt, stottert und verliert den Faden.

Der Hund, der seinen eigenen Schatten anbellt.

Der Sinn dessen, was wir sagen ist uns gegeben, wir können ihn nicht finden wie den Schlüssel oder das Sesam-öffne-dich zur Pforte, hinter der sich die eigentlichen Schätze der Sprache ausbreiten.

Die Theologen, die wie Hamann die Sprache als Gabe des Schöpfers auffassten, waren klarer und konsistenter als die Evolutionsbiologen, die ihren Ursprung mittels Genanalyse aufweisen wollen.

Der Rausch, der Blitz, die Gefahr, der Krieg, das verzehrende Feuer, all dies gibt einen herberen, schärferen, männlicheren Geschmack des Lebens.

Nur an der Grenze des Menschlichen kann eine neue Gestalt des Göttlichen auftauchen.

Hölderlin gebraucht noch die alten Masken und Bilder, den Blitz des Donnerers, die Sonne Apolls, die Reben des Dionysos, uns sind die Namen verschollen. Doch wir sehen den Spalt in der Rinde, den tanzenden Fleck auf dem Wasser, den Schaum, der am Becher des Bewusstseins herabrinnt.

Wir hoffen den Menschen, zurückgeschlagen auf die innersten Grenzen, das weiße Mark seines kreatürlichen Lebens, wie den Abenteurer, den Partisanen, den baudelaireschen Haschischesser oder den hölderlinischen Wanderer unter den Wettern und Schlägen Apolls in Südfrankreich zu höherem Ernst und zum reineren Wort verwandelt.

Wir benötigen einen animalischen Instinkt, um in der Gefahr exponierte und sich der Gefahr entwundene Helden als Zeugen eines aus sich strömenden souveränen Daseins aufzuspüren und uns geneigt zu machen.

Schmächtige, knöchern-bleiche Jünglinge des Kulturballetts in flauschigen Tutus um ihr Gemächt werden uns nur mehr ein müdes Lächeln abgewinnen.

Im Gegensatz zu jenen herben zigeunerhaften Akrobaten, die wir einst im Süden sahen, wie sie mit Messern um die Gunst und das Lächeln der am Pfahl gefesselten Geliebten spielten.

Ludwig Wittgenstein erfuhr an den tödlichen Grenzen des Krieges die Bedeutung des Unsagbaren, das Mysterium, das aufleuchtet, nachdem wir alles uns mögliche klar gesagt haben.

Der Fang war zu schwer, das Glück, und der Fischer besinnt sich eines besseren und wirft ihn zurück in den See.

Der Dichter verbrennt seine Aufzeichnungen und führt ein neues Leben, fern auf einer kargen Insel bei einfachen Leuten, denen Brot und Wein, Gesang am Feuer, der brausende Wind im Segel und geraubte Küsse gewagter Tänze die schlichte, herbe Poesie des Lebens verkörpern.

 

Comments are closed.

Top