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Aufbahrung

27.10.2018

Dem Andenken an Hildegard Hilten

Zögernd auf der Schwelle –
Pforte mit den bunten Scheiben,
grüne Lache Licht schwimmt
auf den Fliesen des Korridors,
klatschmohnüberfleckt die Wand
vom leisen Seufzen
des Stundenbrenners
unter dem Andachtsbild.

Kühle Stille flieder-
trunkner Einsamkeit.

Jedes Wort der Widerhall
eines Kiesels, hinabgeworfen
in den Schweige-Schacht.

Katze auf der Fensterbank,
Griesel trüber Flocken,
die auf falbem Gras ermatten
und in Bernsteinaugen tauen.

Perlmuttdämmer,
auf der Vitrine die Schatulle,
kleiner Sarkophag der Briefe.

Ein Knäuel Wolle zwischen Kissen,
durchkreuzt von langen Nadeln.

Auf dem Altar des Fernsehers
Bilder neben einem Kruzifix,
der Sohn, verschämt im Weihestaat
eines Rüschenflitter-Talars,
ein Luftschlangen-Lametta-Trio
aus zwei Prinzessinnen und inmitten
eine alte Marketenderin
mit einem Korb voll Rosen,
und dieselbe jung, im glasblüten-
bestickten Schleier, im Odem
weißer Lilien Mädchenwangen,
das fesche Mannsbild
in Wehrmachtsuniform
faßt galant sie um die Hüfte.

Trockner, ausgemergelter Kokon,
Gesicht der Toten,
doch kein Falter weit und breit.

Verschüttet unterm Schnee der Lider,
die kleinen Augenäpfel.

Aus der dunklen Erde Schmerz
gewuchert um gichtige Finger
duftlos ein Rosenkranz.

Korallendunst
unterm Kreideriff der Kehle.

Erstarrt in einem dunklen Ach
die aufgerissene Muschel
Mund.

Das Murmeln ist herabgetropft,
die Kerze des Gebets erlosch.

Am Abend spielen Schimmer
auf dem Brautkleid,
dessen Schleppe schon fern
auf schwarzen Wassern
des Styx dahintreibt.

Graue Strähne,
Signatur des Abschieds,
hat sich auf das Pergament
der Stirn geschrieben.

Im Winkel zittert,
kunstvoll gesponnen,
ein Geweb
vom Krampf der Mücke,
sie harrt noch still,
die grausame Künstlerin.

 

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