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Das Esperanto der Hoffnungslosen

19.09.2023

Philosophische Sentenzen und Aphorismen

Dichtung ist nicht das Gerede des Alltags, in extravagante Tropen oder verstörende Metaphern verpackt.

Uns alten weißen Europäern dünkt der symmetrische Bau der Kristalle, der Knospen und der Oden schön; ob der Schneekristall in gleichem Maße dem Schwarzafrikaner und dem Eskimo als Exemplare schöner Gestaltungen gilt, scheint noch nicht gründlich erforscht zu sein.

Einzig das Königtum von Gottes Gnaden ist unter allen Formen der Herrschaft angesichts der Eitelkeit, Verlorenheit und Schäbigkeit menschlicher Existenz als groß, erhaben und würdig zu bezeichnen.

Die Gesetze der Natur sind keine sittlichen Normen. Doch die sittlichen Normen sind eine Antwort auf die natürlichen Phänomene; so ist die Vorschrift der Monogamie eine Antwort auf die einzig fruchtbare Bipolarität der natürlichen Geschlechter und die einzig förderliche Aufzucht von Kindern im Hort der Gemeinschaft mit den natürlichen Erzeugern Vater und Mutter.

Die Gesetze der Natur sind keine ästhetischen Regeln. Doch die ästhetischen Regeln sind eine Art autonomer thematischer Bearbeitung und Variation dessen, was uns natürliche Phänomene an Stoffen und Motiven an die Hand geben. – Wir goutieren die symmetrische Gestaltung von Ornament, Säule und musikalischer Fuge; indes, ein völlig symmetrisch gebautes menschliches Gesicht erscheint uns eher uninteressant und fade, dagegen schätzen wir die leichte Asymmetrie, die ihm der Schönheitsfleck verleiht.

Die Wirkung großer Kunst ähnelt der Trepanation des menschlichen Schädels bei vollem Bewußtsein, die uns schon in steinzeitlichen Zeugnissen begegnet; Öffnung der Kammern des Geistes und der Seele, in denen Überdruck herrscht.

Die Stupidität einer hemdsärmeligen hermeneutischen Methode sieht im literarischen Zeugnis ein Abbild der Realität oder eine Vorahnung gesellschaftlicher Entwicklungen. – Als spiegele die Lysistrate des Aristophanes den Widerstand kluger und beherzter Frauen während des Peloponnesischen Krieges; aber dieses Stück ist eine ausgelassene Komödie des geistreichen Dichters zum Amüsement der Männer während der Verschnaufpause, in der sie Schwert und Rüstung gleichsam vor dem Eingang zur Orchestra abgelegt haben. – Als wäre „Der Prozeß“ von Kafka als Antizipation der kommenden Schrecken totalitärer Herrschaft zu lesen; doch ist die Zweideutigkeit der in Kafkas Roman erzählten Ereignisse eine semantische Ausstrahlung der grundlegenden Zweideutigkeit des Fiktiven und der literarischen Form des Romans überhaupt, Zweideutigkeit, die zersetzend in die Darstellungsfunktion der Sprache oder ihre nährende Schlagader hinabsickert. Der Prozeß ist ein gerichtliches Verfahren gegen die eindeutige Sagekraft der Zeichen, der in Verwirrung, Verdunkelung und Zerstörung mündet.

Die Position des Ich im System der natürlichen Sprachen gleicht der Position der Null im System der natürlichen Zahlen.

Durch null kann man nicht teilen. Das Personalpronomen der ersten Person kann man nicht durch eine objektive Beschreibung ersetzen.

Das lyrische Ich ist der Nullpunkt im Koordinatensystem der dichterischen Sprache.

Post factum heißt nicht propter factum. Weil es dich in diese Zeit verschlagen hat, bist du nicht gehalten, dich ihrem Geiste anzudienen.

Die Schreckgespenster, die gesinnungstreue Pädagogik den Kindern und Jugendlichen permanent vorhält, um sie unedlen Haltungen wie dem Antisemitismus und Rassismus abspenstig zu machen, führen zu einem Widerwillen, der sich in infantilen und pubertären Aufwallungen von Antisemitismus und Rassismus entlädt.

Das Gängelband der Geschichtsphilosophie durchschneiden – erste Tat des freien Geistes.

Die sich als lammfromme moralische Mahner und gütige chiliastische Retter der Menschheit aufspielen, sind die Wölfe, die morgen ihren Schafspelz ablegen werden, um ihren Gegnern als Feinden der Menschheit an die Gurgel zu gehen.

Der freie Geist will nicht alles wissen.

Ein paar Menschenalter später und die erste Expedition bricht zu einem erdähnlichen Planeten außerhalb des Sonnensystems auf: Hat sie die großen Überlieferungen der Menschheit in digitalisierter Form an Bord? Bach, Mozart, Beethoven und Schubert? Befinden sich die Schriften der Religionen darunter, die Bibel, der Koran, die Sutras des Buddha? Ihre Symbole, der Stern der Erlösung, das Kreuz, der Halbmond, der Lotos? Oder werden jene reisen, die Nietzsche die letzten Menschen nannte, technisch und wissenschaftlich hochgerüstet, seelisch verholzt und geistig arm? Wie werden sie die Toten auf der Gegen-Erde, denn es gibt keine Rückkehr zum Mutterplaneten, behandeln? Werden sie die Leichen eher chemisch nutzbringend verarbeiten als rituell bestatten? Wird es auf der Gegen-Erde Kunst, Dichtung, Musik und Theater geben oder wird die alte Muse in Form einer entspannenden Droge verabreicht, die den unheimlichen Ausblick in die Galaxis halluzinatorisch verklärt?

Die technische Ablösung der natürlichen Geschlechtlichkeit und ihrer generativen Funktion wird in den Laboren der künstlichen Befruchtung und der chemisch stimulierten Aufzucht genetisch optimierter Embryonen schon vorbereitet.

Die technisch gemeisterte Ersetzung der Bipolarität der Geschlechter hat die Auflösung der natürlichen Bindung im Schutzraum der Familie zur Folge; der Mensch wird sogleich, den Insekten nicht unähnlich, in den totalen Staat hineingeboren.

Ein kleiner Strudel im großen epischen Strom Homers reißt unser Boot nicht in die Tiefe; anders ein unvorhergesehener Katarakt im Nachgesang des Epigonen.

Mischst du alle Farben, kommt nur ein tristes Grau zum Vorschein.

Mischst du willkürlich die literarischen Gattungen und Stilhöhen, blickt dir ein albern-groteskes Monstrum entgegen und behelligt dich mit einem unverständlichen Kauderwelsch.

Heute bedarf es gelehrter Kommentare, um eine Tragödie des Sophokles zu verstehen. Wie war es also um das Bildungsniveau der damaligen Athener bestellt?

Platon streut all die kleinen Partikel- und Füllwörter über die Sätze, die sie wie Kitt verbinden sollen; wörtlich übertragen, wie in der Übersetzung von Schleiermacher, wirken sie nicht wie syntaktischer Mörtel, sondern wie semantische Luftblasen.

Vergleicht man Gestik und Mimik von mehr oder weniger prominenten Personen in älteren und jüngeren Videoaufzeichnungen, bemerkt man ein Nachlassen der Impulsivität und Dynamik als unmittelbare Folge des Alterns. Dagegen bleibt der Ausdruck der Augen meist gleich, und wenn er sich gravierend verändert, können wir wohl auf eine pathologische Veränderung der Persönlichkeit schließen.

Wenn einer vorgibt, signifikante Tendenzen der europäischen Literatur von Homer bis in die Moderne oder der Philosophie von Heraklit bis Heidegger angeben zu können, wird es sich um einen Hochstapler handeln. Denn wer könnte in ein solches Labyrinth eingetreten sein und einen Ausgang gefunden haben?

Fragwürdig wie die Einteilung in Antike, Mittelalter und Neuzeit ist jede historische Einteilung, die vorgibt, mehr als bibliothekarische Klassifikationen und formale Orientierungshinweise zu liefern. – Jede Zeit ist unmittelbar zu Gott, wie Ranke konstatierte, und keine, könnte man ergänzen, ist nur ein Nachhall ihrer Vorgänger oder eine Passage und ein Übergang in nahe und ferne Zukünfte.

Doch geschichtsphilosophische Großkonstruktionen sind für Leichtmatrosen auf dem Großsegler namens Weltgeschichte allzu verführerisch. Als könnten sie im Ausguck die historische Wetterlage nach providentiellen Lichtern und Schatten absuchen und die Ankunft einer neuen Epoche vorhersagen.

DIE Geschichte DER Menschheit – schon beschleichen einen Zweifel begriffslogischer und epistemischer Provenienz.

Beim Gespräch sollten klar erkennbare geistige, sprachliche und moralische Physiognomien einander gegenüberstehen; diejenigen, welche die Physiognomien der Kulturen vermengen und ineinander aufzulösen bestrebt sind, dienen nur vorgeblich der Verständigung.

Von den Nachfahren der vielen Deutschen, die im neunzehnten Jahrhundert nach Amerika ausgewandert sind und sich vollständig amerikanisiert haben, heute noch als von Deutschen zu sprechen, wäre recht sophistisch; für Juden allerdings, die weder im Getto hausen noch das mosaische Gesetz einhalten, aber an der New Yorker Börse spekulieren, soll diese triviale Feststellung nicht gelten.

Auf der abgegriffenen römischen Münze ist das Porträt des Kaisers verwischt, ja nicht zu erkennen, um welchen Kaiser es sich handelt; so die Münzen der Sprache, auf der das Antlitz der ursprünglichen Bedeutung verblaßte.

Synthetische Menschen ohne Stallgeruch, technisch raffiniert gebosselte Kunstwerke ohne die Aura der Herkunft, im Sprachlabor kombinierte Literaturprodukte ohne den Zungenschlag einer Heimat.

Das Deutsch der dem Globalismus hörigen Elite ist das Esperanto der Hoffnungslosen.

Die fatalen Eingriffe am grammatischen Geschlecht zugunsten dessen, was sie „Geschlechtergerechtigkeit“ nennen, entstellen die deutsche Sprache auf eine aberwitzig-obszöne Weise.

Wenn sie von „Künstler:in“ sprechen, verschwindet die Wahrheit der Kunst – und gerade die erotisch verborgen-präsente – hinter dem obszönen Schatten des Geschlechtsmerkmals.

Die wuchtige, urwüchsige Prägekraft der deutschen Sprache haben die Lessing, Herder und Hamann gegen die Überwucherung durch die Sprache des damaligen kulturellen Hegemons Frankreich erobert, gewonnen, gefestigt; heute zerfällt sie unter der Übermacht des neuen Hegemons Amerika in konturlose Wendungen, farblose Stereotype und duftlose synthetische Blüten einer monochromen Monokultur.

„Die Liebe Gottes“ bezeichnet einen Genetivus subiectivus und zugleich einen Genetivus obiectivus. „Sie gedachten seiner gütigen Gesten und Worte“ bezeichnet einen Genetivus memoriae. Sie aber gedenken nicht mehr ihrer (der Opfer), sondern IHNEN; die Auflösung der korrekten Verwendung des Genetivs ist ein Menetekel geistiger Umnachtung.

Karl Kraus bliebe heute die Spucke weg.

Die Linken hatten einmal ihren Brecht, ihren Walter Benjamin; die Rechten ihren George, ihren Rudolf Borchardt; heute sehen wir auf beiden Polen sprachliche Wüsten (mit kleinen, ganz versprengten und schwer zugänglichen Oasen).

Ihnen die Bestie der ungezähmten Sprache freizugeben ist törichter als die kultivierte (wie über Jahrhunderte geschehen) in den Verliesen der Zensur nach Löchern bohren zu lassen, die ihr einen Blick in die gestirnte Nacht freigaben.

Die ersten Opfer der „befreiten“, sprich zügellosen Sprache sind die Schönheit und das Sublime.

Schönheit ist ein ethischer Anspruch an die Kunst des Bilds und des Worts, ohne deren Geltung sie in die Barbarei des unkultivierten Umgangs zurücksinkt.

Wer einen lieben oder geschätzten Gast erwartet, räumt die Wohnung auf und dekoriert den Tisch mit einem frischen Blumenstrauß. Der Sinn für das Schöne wurzelt in solchen Gesten, die für eine lichte Ordnung und eine harmonische Umgebung sorgen.

Wie die Tracht mit ihren kostbaren Stoffen, herrlichen Mustern und bedeutsamen Emblemen dem erhöhten Moment der Feier Ausdruck verleiht, so die Wahl und Anordnung der Worte, Bilder und Metaphern des Gedichts dem erhöhten Moment der Seele, die ihrer innewird und sich selbst zu feiern anschickt.

Sollen wir dem Gast in einer schmutzigen Wohnung und einem zerrissenen Hemd unsere Aufwartung machen, die Seele des Lesers in ein ödes, verkarstetes Sprachgelände oder einen schilfigen Morast dunkel glucksender Laute und schrill pfeifender Interjektionen einladen?

Wie allererst die Seele vor den göttlichen Mächten? Soll sie den Schmutz ihres Alltags nicht abwaschen und sich in das Festkleid des Hymnus hüllen, um ihre Götter anzurufen und zu empfangen?

Das Festkleid der Sprache, wie wir es bei Pindar und dem Psalmisten, bei Klopstock und Hölderlin finden, liegt es für immer zerrissen, weil wir nunmehr eher der Entweihung der sublimen Sprache als ihrer Wiedererweckung zuneigen?

Das Ethos des dichterischen Worts widersetzt sich dem maßlosen Anspruch all jener, die den ungezügelten Ausdruck der eigenen kläglichen Befindlichkeit, das Zeigen ihrer verkrusteten Wunden und die trübe Ejakulation ihrer unreinen Gedanken zur Wahrheit authentischer Kreativität verklären.

Die sublime Kunst der Ahnen wird von den giftigen Alberich-Gestalten der Gegenwart als heuchlerische Maske weißer Vorherrschaft verunglimpft. So glaubt man die für Zwerge unersteiglichen Gipfel der Oden eines Horaz oder Hölderlin dem vulgären Sinn zuliebe plattmachen zu können.

Die zierlichen Windungen und stummen rhetorischen Gesten der höfischen Tanzkunst, die sublimen Ekstasen des klassischen Pas de deux wurden für das Zappeln und Zucken und Strampeln außer Rand und Band geratener menschlicher Körper aufgegeben. – Die Parallele zur Verhunzung der menschlichen Physiognomie im Ausdruckstanz ist die Versumpfung und Verwilderung der Sprache und der dichterischen Formen in vielen mißratenen Exempeln der expressionistischen Lyrik.

Das Ethos des dichterischen Worts bringt uns wieder, nachdem wir sie im Lärm der Welt und im Gedränge des Marktes verloren haben, mit der Bedeutung des Lebens in Berührung, einer Bedeutung, die wir ihm nicht eigenmächtig verliehen oder eitel angedichtet haben, sondern die es, wie das im Schilf verborgene Nest die gesprenkelten Eier, in sich trägt: Das Wort der Dichtung bringt sie zur Resonanz, gleich der in den Wind gehängten Äolsharfe, die auf magische Weise von selbst zu erklingen scheint.

 

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