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Der Schatten von Naumburg

11.06.2013

Abgezählt von der Parze Tropfen für Tropfen
fließt das Gift, die Pest der Verneinung,
in sein fassungsloses Bewusstsein.

Auf der Veranda im Rollstuhl
oder von der Mutter mit Decken umhüllt
in der Weinlaube des Gärtchens –

das späte Licht zittert, säuselt
die Ranken herab und zu seinen Füßen
narren ihn huschend Sonnenflecken
mit südlichen Namen … Genova …
Milano … Torino … San Marco.

Schein, in den das Wesen sich ausleert,
Gespenst, kippt er mählich nach vorn.

Als er durch nächtliches Schreien und Toben
den Zartsinn der Nachbarn verletzt,
wird die Veranda verschlossen.

Das letzte Zeichen Venedigs,
ein blutdunkler Rubin,
zertritt aus Versehen der stämmige Wärter,
der jetzt als Gast getarnt
Quartier bezog im Parterre.

Der sich vermaß, neben dem Gesalbten
rebenumrankt unter gelben Wettern
im Weinberg zu schreiten,
einen fügsamen Panther zur Seite –

der vom Sehnsuchtsquai in genuesischem Hafen
im kehligen Sang brauner Matrosen
das verwehte Echo tragischer Chöre vernahm –

der aus dem Crucifixus die Nägel zog
und mit Küssen umschuf die Wunden in Rosen –

versinkt stumm in einem Bett sonnenärmster Kleinstadt
im Kot, in nihilistischem Aussatz.

Ein Wanderer klopft an der Tür und
schwenkt beim Grüßen den Hut aus Filz
von der Farbe des Ölbaumblatts.

Echsenrissig die Hand,
das Gesicht aus Terra Sigillata,
ernst und zärtlich der Blick.
Ein Büschel Jasmin quillt aus der Tasche.

Behutsam rollt er vom weißen Linnen des Siechtums
den Schatten blutleeren Selbst auf –
birgt das leblose Bündel geschickt unterm Gürtel,
findet bald das Ufer der Saale –
singend vertraut er den Schatten eigener Wüste
der Weisheit, der Torheit der unermüdlichen Wellen.

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