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Der verwunschene Garten

07.12.2018

Sunt lacrimae rerum

Dort sitzt an der steinernen Pforte der Engel,
das Haupt in die Hand gestützt, ergrauten Angesichts,
als hätte Schwermut ihm die Stirne mit Asche bestrichen,
und seine Flügel hängen schlaff über den kotigen Stein,
als wäre die Blüte der Federn von Sonnen unlösbarer Rätsel versengt.
Die Schwelle liegt blank, wie zwischen Tag und Nacht
das Ufer tropischer Meere geisterhaft zitternd heraufglänzt.
Jenseits bannen kleine Flammen auf irdenen Altären
aus Moos und Efeu und Gras, und ein Schluchzen,
als wären unter das Blattwerk auf den Wegen liebende
Seelen verscharrt, die rettungslos und blind
ohne Blut einander durch das Dickicht und den Dunst
der Verwunschenheit rufen. Als suchten schlaflos Irrende
nach dem feuchtem Blicke sanfter Augen, daß Schlummers
Tau mütterlich er ihnen spende. Dort tunkt die Weide
ihre ohnmächtigen Arme in die schwarzen Wasser,
die in langen Seufzern vorüberrinnen, und kein Stern
glimmt im Witwenschleier ihrer Nacht. Dort ragt
die Ulme und ihre Blätter röten sich wie Narben,
die ein Stich der Erinnerung jählings aufreißt.
Zwischen der Weide und der Ulme hockt der Gram
auf einem Hügel aus Dung und verworfenen Dingen,
und schnitzt aus rohen Scheiten wieder und wieder
einen zierlichen Vogel und wirft den toten, denn nicht singt er, weg.
Höhlt er das Rohr aus den Binsen, wie sie am Wasser
ewiger Dämmerung hier beben, und bohrt sich Löcher,
fehlt zum Lied ihm der reine, unbefangene Atem.
Und kommt seine Schwester, die geschändete Anmut,
hinkend vorbei, die Wange wie zum Hohne zerkratzt,
die wilden Strähnen des Haars voll Kleie und Spreu,
sammelt sie mit geduldiger Hand die Holzfiguren,
hebt die Flöten in einen Korb und bringt sie dem Engel
am Tor, daß er Kindern sie möge schenken, die da kämen
mit Augen, hellen, die Vögel zum Zwitschern zu bringen,
mit Lippen, frischen, das tote Holz zu erwecken.
Doch keines kommt heran, keines fühlt den verborgenen Zauber,
keines hat Blicke zur Liebe, zur Verwandlung den Hauch.
Doch in der Mitte des verwunschenen Gartens
ist ein Felsengrab, da haust ein hagerer Mann,
Gärtner einst, den das Wuchern von Melde und Wegerich überwand,
der Brodem des Schweigens aus alten Zisternen krank gemacht,
der irre wurde vom Gift des Mohns, vom Harzgeruch,
er lebt dahin im Geklüft und nährt sich von Nesseln und Würmern
und der Andacht von Kerzen in flackernden Nischen.
Tag und Nacht betet er vor dem Bildnis einer verklärten Schönen
in rotem und blauem Gewand, ein Kindlein im Arm,
rings blühen ihr Lilien, Veilchen, Anemonen, Rosen, es singen,
wie das Kind in die Hände klatscht, die bunten Vögel
in den Zweigen schattiger Bäume mit leuchtenden Früchten,
Äpfeln und Orangen, Zitronen und Trauben, triefend von Gold.
An eine Ulme gelehnt spielt, der Knabe lächelt, auf der Flöte ein Hirt.

 

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