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Die Entrückte

06.12.2023

Erst war es nur ein helles Splittern,
als wär zerbrochen ihr das Glas.
Ihr dürrer Leib begann zu zittern,
da stand’s, beim Buch, worin sie las.

Bald mochte sie auch nicht mehr lesen,
der Zeichen Sinn ward ihr entstellt,
als wär ein Teppich er gewesen,
der wirr in bunten Zwirn zerfällt.

Sie sah im Spiegel eine Fremde,
die unverschämt sie angegrinst,
und schlüpfend aus dem Rüschenhemde
verblich ihr Schimmer, ein Gespinst.

Dann kam Herr Niemand sie besuchen,
ein wulstig-braunes Pansgesicht,
er bringe Muttern Erdbeerkuchen,
doch seinen Namen wußt sie nicht.

Am Morgen hat die sanfte Kleine
mit warmem Brei sie vollgestopft.
Im Dunkel schien ihr, einer weine,
und Tränen sind ihr hell getropft.

Noch einmal stand das Fenster offen,
noch einmal war die Nachtluft mild.
Man hat sie fiebernd angetroffen,
halb in ihr Hochzeitskleid gehüllt.

Die Kerzen waren angezündet,
ins Auge drang noch Feuchte ein.
Es war, als ob ein Schluchzen mündet
in einen kleinen weißen Schrein.

 

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